Beteiligte
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 4. März 1998 und das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 30. Mai 1996 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger begehrt Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 2. bis 23. November 1994.
Das Arbeitsamt (ArbA) Limburg bewilligte dem in Weilburg wohnhaften Kläger ab 15. Januar 1994 Alg nach längerem Krankengeldbezug. Vom 10. August bis zum 23. November 1994 befand sich der Kläger auf Kosten der Krankenkasse in der Klinik für psychosomatische Medizin Grönenbach/Allgäu in stationärer Behandlung; er erhielt wieder Krankengeld bis die Anspruchsdauer am 25. Oktober 1994 ausgeschöpft war.
Am 2. November 1994 meldete sich der Kläger in Begleitung des Zeugen Dr. S. beim ArbA Memmingen, in dessen Bezirk Grönenbach liegt, arbeitslos und beantragte Alg; dabei gab er an, daß er sich voraussichtlich bis zum 23. November 1994 in der Klinik aufhalten werde. Anläßlich einer weiteren Vorsprache beim ArbA Memmingen teilte der Kläger mit, er plane zum 1. Dezember 1994 einen „Umzug” nach Weilburg. Das ArbA Memmingen ließ den Kläger ärztlich begutachten. In seinem Gutachten kam der Arzt zu dem Ergebnis, der Kläger sei unter günstigen Bedingungen in der Lage, einer geregelten Erwerbstätigkeit nachzugehen (körperlich leichte und mittelschwere Arbeit im Freien, in Werkhallen oder in geschlossenen und temperierten Räumen, vollschichtig in der Tagesschicht in stehender, gehender und sitzender Körperhaltung); dem Kläger sollten jedoch überdurchschnittliche Streßbelastung und vorsorglich keine häufigen Arbeiten im Knien oder in der Hocke zugemutet werden. Nach seinem „Umzug” meldete sich der Kläger beim ArbA Limburg.
Das ArbA Memmingen lehnte Alg für den streitigen Zeitraum mit der Begründung ab, der Kläger sei nicht verfügbar gewesen, da er sich in stationärer Behandlung befunden habe (Bescheid vom 24. Januar 1995). Der Widerspruch, mit dem der Kläger geltend machte, er sei nicht bettlägerig gewesen und habe die Therapie jederzeit beenden können, hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 28. April 1995). Das Sozialgericht (SG) hat die genannten Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Alg für die Zeit vom 2. bis 23. November 1994 zu gewähren (Urteil vom 30. Mai 1995). Zur Begründung hat es ausgeführt, daß in dem streitigen Zeitraum alle Voraussetzungen für einen Anspruch auf Alg erfüllt seien, insbesondere sei der Kläger verfügbar gewesen. Allein der Klinikaufenthalt habe ihn nicht gehindert, bei einem entsprechenden Arbeitsangebot die Klinik zu verlassen und eine Arbeit aufzunehmen. Er habe seinen Aufenthalt in der Klinik jederzeit abbrechen können.
Die Berufung der Beklagten, die das SG zugelassen hatte, hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen (Urteil vom 4. März 1998). Das LSG hat ausgeführt, daß der Kläger nach dem ärztlichen Gutachten in der Lage gewesen sei, eine mittelschwere Tätigkeit vollschichtig zu verrichten. Auch der Aufenthalt des Klägers in der Klinik stehe der Verfügbarkeit nicht entgegen. Zwar habe das Bundessozialgericht (BSG SozR 2200 § 1248 Nr 17) angenommen, daß ein Arbeitsloser grundsätzlich während der Zeit einer Heilmaßnahme nicht der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehe. Es sei jedoch ausdrücklich offengeblieben, wie die Verfügbarkeit zu beurteilen sei, wenn der Träger der Maßnahme dem Abbruch vorher zugestimmt habe. Der vorliegende Sachverhalt sei damit zwar nicht vergleichbar, da die Klinik eine Zustimmung zu einer vorzeitigen Entlassung nicht erklärt habe. Sie hätte dies indes, falls erforderlich, in der hier streitigen letzten Phase des Aufenthalts des Klägers getan, da die soziale Wiedereingliederung, insbesondere die Eingliederung des Klägers in das Arbeitsleben, ein wichtiges Therapieziel gewesen sei. Das Einverständnis der Klinik genüge, das des Trägers der Maßnahme sei nicht erforderlich. Auch wenn Verfügbarkeit in der Regel nicht vorliege, wenn für die Aufnahme einer Beschäftigung der Abbruch einer Maßnahme erforderlich sei (BSG Urteil vom 24. April 1997 - 11 RAr 39/96 -), rechtfertigten im vorliegenden Fall besondere Umstände eine Ausnahme. Ähnlich wie im Fall der Betreuung von Angehörigen reiche die Bereitschaft zum Abbruch des Klinikaufenthalts für die Annahme der objektiven Verfügbarkeit aus. Der Kläger habe der Arbeitsvermittlung auch subjektiv zur Verfügung gestanden; dies habe die Vernehmung des Zeugen Dr. S. ergeben. Schließlich habe der Kläger das ArbA Memmingen täglich aufsuchen können und sei für das ArbA erreichbar gewesen. Er habe täglich seine Post in der Klinik in Empfang nehmen können.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 103 Abs 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) und trägt vor: Unter Berücksichtigung der ständigen Rechtsprechung sei der Kläger objektiv nicht verfügbar gewesen, da er die Maßnahme im Falle einer Arbeitsaufnahme hätte abbrechen müssen. Es hätte somit eines gestaltenden Aktes bedurft. Nach den Urteilen des BSG vom 24. April 1997 - 11 RAr 39/96 - und vom 17. Juli 1997 - 7 RAr 12/96 - liege in solchen Fällen regelmäßig Verfügbarkeit nicht vor. Eine Ausnahme lasse sich nicht damit begründen, daß die stationäre Behandlung auf die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt abzielte. Der Kläger sei während seines Klinikaufenthalts für das ArbA schließlich nicht erreichbar gewesen. Die vom Kläger benannte Anschrift sei die der Klinik. Er sei dort nicht unmittelbar auf dem Postweg für das ArbA erreichbar gewesen. Seine Erreichbarkeit sei von der Gefälligkeit des Klinikpersonals abhängig gewesen, die Post an ihn weiterzuleiten. Dies sei nicht ausreichend, um Erreichbarkeit im Sinne des § 1 Satz 1 der Aufenthalts-Anordnung zu bejahen.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die Urteile der Vorinstanzen für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.
II
Die Revision der Beklagten ist begründet und führt zur Klagabweisung. Der Kläger hat für die Zeit vom 2. bis 23. November 1994 nach den vom LSG getroffenen Feststellungen keinen Anspruch auf Alg.
Anspruch auf Alg hat nach § 100 Abs 1 AFG nur, wer ua der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht. Der Arbeitsvermittlung steht zur Verfügung, wer die Voraussetzungen des § 103 AFG erfüllt. Hierzu ist ua erforderlich, daß der Arbeitslose eine zumutbare, nach § 168 AFG die Beitragspflicht begründende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben kann und darf (§ 103 Abs 1 Nr 1 AFG). Der Kläger konnte in der streitigen Zeit wegen des noch nicht abgeschlossenen Heilverfahrens eine Beschäftigung nicht aufnehmen, er durfte es auch nicht.
Nach den von der Revision nicht angegriffenen, den Senat gemäß § 163 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bindenden Feststellungen des LSG hätte der Kläger zwar nach seinem damaligen Gesundheitszustand eine Beschäftigung ausüben können; denn nach ihnen war der – nicht bettlägerige – Kläger im November 1994 in der Lage, eine mittelschwere Tätigkeit vollschichtig auszuüben. Die Fähigkeit, nach körperlichem, geistigem und seelischem Vermögen eine nicht nur geringfügige Beschäftigung auszuüben, ist für das „Können” zwar unentbehrlich, begründet es indes allein noch nicht. Dem „Können” steht, wie die Revision zutreffend geltend macht, die seinerzeit noch nicht beendete stationäre Behandlung des Klägers entgegen.
Nach der ständigen Rechtsprechung kann iS des § 103 Abs 1 Nr 1 AFG eine Beschäftigung nur ausüben, wer jederzeit in der Lage ist, eine angebotene Beschäftigung aufzunehmen. Der Arbeitslose darf hieran durch nichts gehindert sein; er muß der Vermittlung aktuell zur Verfügung stehen. Diesem Erfordernis ist nicht genügt, wenn es gestaltender Entscheidungen, wie zB dem Abbruch eines stationären Heilverfahrens bedarf, um einem Arbeitsangebot Folge zu leisten. Das hat das BSG für Arbeitslose entschieden, die einem Universitätsstudium (BSGE 62, 166, 170 f = SozR 4100 § 103 Nr 39; Urteil vom 29. September 1987 - 7 RAr 22/86 -), einer – mit Übernahme der Maßnahmekosten – von der Beklagten geförderten Fortbildung oder Umschulung (SozR 4100 § 103 Nr 46; Urteil vom 28. Oktober 1987 - 7 RAr 80/86 -), oder anderen Bildungsmaßnahmen (Urteil vom 24. April 1997 - 11 RAr 39/96 -; Urteil vom 17. Juli 1997 - 7 RAr 12/96 -) nachgingen. Diese Rechtsprechung, an der festzuhalten ist, ist auf stationäre Heilverfahren zu erstrecken. Denn ihre Richtigkeit bestätigen Vorschriften, nach denen die Teilnahme an Maßnahmen verschiedenster Art, ua an Vorbeugungs-, Heil- und Genesungskuren, abweichend von der Regel objektive Verfügbarkeit nicht ausschließt, um in diesen Fällen unter bestimmten Voraussetzungen den Bezug von Leistungen wegen Arbeitslosigkeit zu ermöglichen (§ 103 Abs 4 AFG; §§ 3 ff Aufenthalts-Anordnung).
Das nicht abgeschlossene Heilverfahren, das zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ging, steht nicht nur dem „Können” des Klägers, sondern auch dem „Dürfen” iS des § 103 Abs 1 Nr 1 AFG entgegen. Denn nimmt der Arbeitslose an einem Heilverfahren teil, das auf Kosten der gesetzlichen Kranken-, Renten- oder Unfallversicherung durchgeführt wird und deshalb nicht ohne Zustimmung des Maßnahmeträgers beendet werden darf, bevor das Heilverfahrensziel erreicht ist, ist er rechtlich gebunden und darf deshalb iS des § 103 Abs 1 Nr 1 AFG eine Beschäftigung nicht ausüben (vgl BSG SozR 2200 § 1248 Nr 17; BSGE 57, 15, 20 = SozR 4100 § 105b Nr 1). Auch an diesen Entscheidungen ist festzuhalten. Durch aktive Mitwirkung an der Krankenbehandlung soll der Versicherte dazu beitragen, Krankheit und ihre Folgen zu überwinden (vgl § 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch – Fünftes Buch -). Da ein Heilverfahren nur Erfolg verspricht, wenn der Erkrankte mitwirkt, wird mit dem Antritt des Heilverfahrens die Mitwirkung zur gesetzlichen Pflicht des Versicherten (vgl BSG SozR 1300 § 48 Nr 1). Diese Pflicht aber verbietet eine gleichzeitige Arbeitssuche; denn eine ernsthafte Arbeitssuche des Versicherten während des stationären Heilverfahrens würde die fortlaufenden Anwendungen und Behandlungen und damit den Heilungsprozeß nur erschweren. Die hohen Mittel, die – unabhängig von Krankengeld, Verletztengeld und Übergangsgeld – von den Versicherungsträgern für Heilverfahren aufzubringen sind, um die Arbeitsfähigkeit oder jedenfalls die Erwerbsfähigkeit der Versicherten wiederherzustellen, lassen sich sonst nicht rechtfertigen.
Es besteht in Fällen vorliegender Art auch kein in den Zwecken der Leistungen wegen Arbeitslosigkeit liegender Grund, in Bezug auf diese beiden Verfügbarkeitsanforderungen eine Ausnahme zu machen, um Teilnehmern eines stationären Heilverfahrens in den seltenen Fällen der Erschöpfung des Krankengeldanspruchs den Bezug einer Arbeitslosenunterstützung während des Heilverfahrens zu ermöglichen. Ist das Ziel des Heilverfahrens schon vor dem anfänglich vorgesehenen Ende erreicht, kann das Heilverfahren beendet und der Arbeitslose nach Hause entlassen werden. Der Arbeitslose kann sich dann unbehindert durch Anwendungen, Behandlungen und stationäre Unterbringung der Arbeitssuche widmen und sich beim ArbA seines Wohnsitzes melden, das in aller Regel am besten geeignet ist, ihn dauerhaft zu vermitteln (vgl BSGE 44, 188, 189 = SozR 4100 § 103 Nr 8). Er kann dann auch Alg oder Arbeitslosenhilfe für seinen Unterhalt beziehen, wie dies auch der Kläger nach seiner Rückkehr nach Weilburg getan hat.
Wird das Heilverfahren dagegen wie hier fortgesetzt, weil der therapeutische Prozeß nicht abgeschlossen ist, würde eine Arbeitssuche durch weiterlaufende Behandlungen und Anwendungen nur erschwert, in der Regel zusätzlich auch dadurch, daß der Arbeitslose wie im gegebenen Fall in dem Bezirk des ArbA, in dem das Krankenhaus liegt, sich nur vorübergehend aufhält. Mit Arbeitslosen, die während ihrer Arbeitslosigkeit zu Hause verstärkt die Haushaltsangehörigen betreuen oder verstärkt kulturellen, karitativen und sportlichen Interessen nachgehen, was ihrer Verfügbarkeit nicht entgegenstehen muß, lassen sich in Kliniken untergebrachte Teilnehmer von Heilverfahren nicht vergleichen. Es ist nicht Aufgabe der Beklagten, Teilnehmern von Heilverfahren mit Leistungen wegen Arbeitslosigkeit nach Erschöpfung der Anspruchsdauer das Krankengeld zu ersetzen. Das Krankenversicherungsrecht verweist Teilnehmer eines Heilverfahrens in solchen Fällen auf eigene Mittel, soweit neben Unterkunft und Verpflegung, für die durch die stationäre Unterbringung gesorgt ist, Bedarf besteht, und notfalls auf Sozialhilfe.
Für den Kläger kann schließlich nicht ins Feld geführt werden, daß nach den §§ 3 und 5 der Aufenthalts-Anordnung (vom 3. Oktober 1979, ANBA 1388) der Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung nicht entgegenstehen muß, wenn der Arbeitslose an einer ärztlich verordneten Vorbeugungs-, Heil- oder Genesungskur außerhalb seines Wohnortes teilnimmt. Denn abgesehen davon, daß das ArbA Limburg nicht vor Beginn des Heilverfahrens festgestellt hat, daß durch die Teilnahme am Heilverfahren die Vermittlung des Klägers nicht beeinträchtigt wird, finden die §§ 3 bis 5 der Aufenthalts-Anordnung keine Anwendung, wenn sich der Arbeitslose zusammenhängend länger als sechs bzw im Fall einer Schonungszeit als acht Wochen außerhalb des Nahbereichs aufhalten will, was hier indes der Fall war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 542716 |
NWB 1999, 1538 |