Entscheidungsstichwort (Thema)
Höhe des Dienstbeschädigungsausgleichs eines ehemaligen Soldaten der NVA im Beitrittsgebiet. Grundrente nach dem BVG. Kürzung
Leitsatz (amtlich)
- Der Wert des Rechts auf Dienstbeschädigungsausgleich ergibt sich für Bezugszeiten ab 1.1.1999 allein aus den in § 31 Abs 1 BVG für die Beschädigten-Grundrente vorgeschriebenen Beträgen (Bestätigung von BSG vom 23.9.2003 – B 4 RA 54/02 R = SozR 4-8855 § 2 Nr 1).
- Eine dynamische Rechtsfolgenverweisung auf eine vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärte Rechtsfolgenanordnung geht ins Leere, die nichtige Rechtsfolgenanordnung ist nicht anwendbar.
Normenkette
AusglBGG § 2 Abs. 1 S. 1; BVG §§ 1, 1ff, 31 Abs. 1 S. 1, § 84a Sätze 1-2, 3 Fassung: 2004-07-21; BVerfGG § 31 Abs. 1-2; AAÜGÄndG Art. 3; AAÜGÄndG 2 Art. 6; OEGuaÄndG Art. 6; RVNG Art. 11 Nr. 3; EinigVtr Art. 8; EinigVtr Anlage I Kap VIII K II; EinigVtr Anlage I Kap VIII K III Nr. 1 Buchst. a Sätze 1, 6, Buchst. m; EinigVtr Anlage I Kap VIII K; GG Art. 20 Abs. 3, Art. 82 Abs. 1 S. 1, Art. 97, 100 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Oktober 2004 sowie die Ablehnung der Rücknahme der umstrittenen Höchstwertfestsetzungen im Bescheid vom 22. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 2004 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Höchstwertfestsetzungen im Bescheid vom 12. Januar 2000, für Bezugszeiten ab 1. Januar 2000 und in den weiteren Bescheiden vom 16. August 2000, 10. August 2001, 10. September 2002 und 9. Oktober 2003 zurückzunehmen, die Höchstwerte des Rechts auf Dienstbeschädigungsausgleich für Bezugszeiten ab 1. Januar 2000 jeweils in Höhe der in § 31 Abs 1 Bundesversorgungsgesetz genannten Beträge neu festzustellen und dem Kläger entsprechend höhere Geldbeträge zu zahlen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Tatbestand
Der im Februar 1933 geborene Kläger begehrt die Rücknahme bestandskräftiger Höchstwertfestsetzungen seines Rechts auf Dienstbeschädigungsausgleich (DBA), die Neufeststellung eines höheren Wertes dieses Rechts für Bezugszeiten ab 1. Januar 2000 sowie die Zahlung entsprechend höherer monatlicher Geldbeträge.
Er hatte in der DDR als Offizier der Nationalen Volksarmee (NVA) und deren Sonderversorgungsordnung (SVO-NVA) angehört und wegen einer Dienstbeschädigung ab 1. Dezember 1987 bis zum 30. August 1990 Dienstbeschädigungs-Teilrente nach einem Körper- oder Gesundheitsschaden von 30 vH in Höhe von 513 Mark der DDR erhalten, die wegen Anrechnung einer nicht gleichartigen Rente auf 257 Mark der DDR gekürzt wurde. Ab September 1990 erhielt er aus der SVO-NVA eine Invalidenrente von 1.785 DM (75 vH der in der SVO-NVA beitragspflichtigen Vergütung). Daneben stand eine Dienstbeschädigungs-Entschädigung nicht zu.
Im November 1996 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung eines DBA. Diese stellte fest, ihm stehe ab 1. Januar 1997 ein Recht auf DBA zu (Bescheid vom 21. Juli 1997). Den monatlichen Geldwert dieses Rechts setzte sie ab 1. Juli 1999 auf 191 DM (Bescheid vom 12. Januar 2000), ab 1. Juli 2000 auf 192 DM (Bescheid vom 16. August 2000), ab 1. Juli 2001 auf 196 DM (Bescheid vom 10. August 2001), ab 1. Juli 2002 auf 103 € (Bescheid vom 10. September 2002) und ab 1. Juli 2003 auf 104 € (Bescheid vom 9. Oktober 2003) fest. Dabei legte sie einen Körper- oder Gesundheitsschaden von 30 vH zu Grunde, setzte ihn einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 30 vH iS des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) gleich, stellte den sich hierfür aus § 31 Abs 1 BVG jeweils ergebenden Geldbetrag fest und vervielfältigte diesen jeweils mit einem “Umrechnungsfaktor im Beitrittsgebiet”, wie er zum 1. Juli eines jeden Jahres gültig gewesen sei; dieser sei in der jeweiligen Ausgabe des Bundesanzeigers niedergelegt und ergebe sich als Vomhundertsatz aus dem Verhältnis der verfügbaren Standardrente “(§ 68 Abs 3 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch)” in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet zur verfügbaren Standardrente in dem Gebiet, in dem das BVG schon vor dem Beitritt gegolten hat. Dieser “Umrechnungsfaktor” lag jeweils unter 0,9.
Den Antrag des Klägers vom 15. März 2004, die Höchstwertfestsetzungen seines Rechts auf DBA im Hinblick auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 23. September 2003 – B 4 RA 54/02 R – nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch zurückzunehmen und für Bezugszeiten ab 1. Januar 2000 einen höheren Wert dieses Rechts neu festzustellen, lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 22. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 2004), weil das Urteil des BSG nur einen Einzelfall betroffen habe.
Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die Klagen durch Urteil vom 19. Oktober 2004 abgewiesen und ausgeführt, dass es dem Urteil des BSG vom 23. September 2003 – (B 4 RA 54/02 R, in: SozR 4-8855 § 2 Nr 1) – nicht folge.
Der Kläger hat die vom SG wegen Divergenz zugelassene (Sprung-)Revision mit Zustimmung der Beklagten eingelegt. Er meint, für die Kürzung des in § 31 Abs 1 BVG genannten Betrages gebe es jedenfalls für die umstrittenen Bezugszeiten ab 1. Januar 2000 keine Rechtsgrundlage. Auf dessen Schriftsätze vom 29. Dezember 2004 (Bl 18 bis 21 der BSG-Akte), vom 9. Mai 2005 (Bl 57 der BSG-Akte) und vom 21. Juni 2005 (Bl 81 der BSG-Akte) wird Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Oktober 2004 sowie die Ablehnung der Rücknahme der umstrittenen Höchstwertfestsetzungen im Bescheid vom 22. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Höchstwertfestsetzungen in den Bescheiden vom 12. Januar 2000 für Bezugszeiten ab 1. Januar 2000, 16. August 2000, 10. August 2001, 10. September 2002 und 9. Oktober 2003 zurückzunehmen, die Höchstwerte des Rechts auf Dienstbeschädigungsausgleich für Bezugszeiten ab 1. Januar 2000 jeweils in Höhe der in § 31 Abs 1 Bundesversorgungsgesetz genannten Beträge neu festzustellen und dem Kläger entsprechend höhere Geldbeträge zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des SG für zutreffend. Auf deren Schriftsätze vom 3. Februar 2005 (Bl 25 bis 34 der BSG-Akte), vom 15. April 2005 (Bl 40 mit Anlage Bl 41 bis 51 der BSG-Akte) vom 13. Juni 2005 (Bl 59 mit Anlagen Bl 60 bis 76 der BSG-Akte) und vom 23. Juni 2005 (Bl 83 der BSG-Akte) wird Bezug genommen.
Die Sitzungsvertreterin der Beklagten hat zur Niederschrift des BSG erklärt:
“Die im Kabinett beschlossene Änderung des Dienstbeschädigungsausgleichsgesetzes wird unabhängig von einem denkbaren Regierungswechsel in jedem Fall kommen, weil die zuständigen Referenten im Ministerium dies dringend wünschen.”
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige (Sprung-)Revision ist begründet, weil das Urteil des SG dadurch Bundesrecht verletzt hat, dass es die vom Kläger erhobenen Ansprüche als unbegründet abgewiesen hat. Denn die Beklagte war verpflichtet, dessen Ansprüche auf Rücknahme der Höchstwertfeststellungen für Bezugszeiten ab 1. Januar 2000, auf Neufeststellung ungekürzter Höchstwerte und auf entsprechend höhere Zahlungen zu erfüllen. Sie hatte ihm jedenfalls ab 1. Januar 2000 einen zu geringen DBA zuerkannt und gezahlt. Es gibt nämlich für Bezugszeiten ab 1. Januar 1999, also auch für den hier umstrittenen Zeitraum, auf Grund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 14. März 2000 (1 BvR 284/96, 1 BvR 1659/96 – in: BGBl I 2000 445; BVerfGE 102, 41 bis 67) keinen gültigen Gesetzestext, auf den die Beklagte ihre Praxis stützen könnte, den sich aus § 31 Abs 1 BVG ergebenden Geldwert des Stammrechts auf DBA durch Vervielfältigung mit einem “Umrechnungsfaktor im Beitrittsgebiet” zu kürzen. Dies wurde bereits im BSG-Urteil vom 23. September 2003 (B 4 RA 54/02 R, in: SozR 4-8855 § 2 Nr 1) entschieden. Daran ist festzuhalten.
1. § 2 Abs 1 Satz 1 des Gesetzes über einen Ausgleich für Dienstbeschädigungen im Beitrittsgebiet (DBAG) vom 11. November 1996, eingeführt durch Art 3 des AAÜG-Änderungsgesetzes (BGBl I 1674, 1676, in Kraft getreten am 1. Januar 1997, zuletzt geändert durch Art 6 des Gesetzes vom 27. Juli 2001 ≪BGBl I 1939≫ durch Einfügung eines ≪hier nicht erheblichen≫ Abs 1a in § 2 mit Wirkung vom 3. August 2001) verweist für die Höhe (= monatlicher Geldwert) des (Stamm-)Rechts auf DBA ausschließlich auf die “Höhe der für das Beitrittsgebiet geltenden Grundrente nach dem BVG”. Sogar dann, wenn unterstellt wird, dieser verweisende Gesetzestext sei selbst in seinem Verweisungsgehalt rechtsstaatlich hinreichend bestimmt und auch nicht aus anderen Gründen verfassungswidrig, kann ihm allenfalls entnommen werden, dass die für den DBA maßgebliche Höhe “der für das Beitrittsgebiet geltenden Grundrente nach dem BVG” nur die Beschädigten-Grundrente nach § 31 Abs 1 BVG sein kann.
a) § 2 Abs 1 Satz 1 DBAG verweist nach der Praxis und dem Vortrag der Beklagten auf § 84a Satz 1 (und 2) BVG nur, soweit darin speziell für die Höhe der Beschädigten-Grundrente bestimmt worden ist, dass sie nur mit den für das Beitrittsgebiet nach dem Einigungsvertrag (EinigVtr) geltenden Maßgaben zu gewähren ist. § 2 Abs 1 Satz 1 DBAG verweist also (allenfalls) erstens auf ein Gesetz (BVG), das selbst Regelungen nur für Kriegsopfer iS von §§ 1 ff BVG trifft; für Berechtigte aus anderen Gesetzen, die auf das BVG verweisen (vgl § 68 Nr 7 Erstes Buch Sozialgesetzbuch ≪SGB I≫), gilt das BVG nicht aus sich heraus, sondern nur als Verweisungsobjekt kraft des verweisenden Gesetzes und in den Grenzen der jeweiligen Verweisung, durch die es in das verweisende Gesetz integriert wird. Zweitens verweist § 2 Abs 1 Satz 1 DBAG dem Verweisungsumfang nach auf das BVG nur, soweit dieses Gesetz Vorschriften über die Höhe der Rechte von Kriegsopfern auf Beschädigten-Grundrente enthält; auf sonstige Rechte “auf Versorgung” (gemeint: soziale Entschädigung – §§ 1, 24 SGB I), die das BVG für Kriegsopfer ausgestaltet, verweist § 2 Abs 1 Satz 1 DBAG von vornherein nicht.
b) Falls die Verweisung § 84a BVG erfasst, wäre offen, woher die Kürzungsbefugnis käme. § 84a Satz 1 (und 2) BVG bestimmt nämlich nicht selbst, dass die Beschädigten-Grundrente (“im Beitrittsgebiet”) zu kürzen sei. Die Vorschrift ordnet in Ergänzung von EinigVtr (Art 8 iVm Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet K Abschnitt III ≪nachfolgend: EinigVtr Abschnitt III≫ Nr 1 Buchst l nur an, dass Kriegsopfer (iS von §§ 1 ff BVG), die am 18. Mai 1990 ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet hatten, frühestens ab Januar 1991 Versorgung nach dem BVG nur mit den für das Beitrittsgebiet geltenden Maßgaben auch dann erhalten, wenn sie vor oder nach dem 1. Januar 1991 in das “alte Bundesgebiet” umgezogen waren oder umziehen; dasselbe gilt nach Satz 2 aaO, der auf Satz 1 aaO verweist, für die dort genannten Kriegsopfer, die aus den von § 1 der Auslandsversorgungsverordnung erfassten Staaten nach dem 18. Mai 1990 in das Beitrittsgebiet zugezogen waren oder zuziehen und dann in das “alte Bundesgebiet” umziehen. § 84a Satz 1 und 2 BVG wurde durch das Einigungsvertragsgesetz vom 23. September 1990 (BGBl II 885) iVm EinigVtr Art 8 und Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet K Abschnitt II (im Folgenden: EinigVtr Abschnitt II) in das BVG eingefügt und erstreckt die für die Überleitung des BVG auf das Beitrittsgebiet in EinigVtr Abschnitt III geregelten Maßgaben auf “Umzügler in das alte Bundesgebiet”; demgegenüber gelten diese Maßgaben nicht für Kriegsopfer, die am 18. Mai 1990 im (damaligen) Bundesgebiet wohnten oder sich dort gewöhnlich aufhielten, danach aber in das Beitrittsgebiet umgezogen sind. Seit dem 3. Oktober 1990 galten also auch im Beitrittsgebiet unterschiedliche Vorschriften über die Höhe der Beschädigten-Grundrente.
c) In jedem Fall kann sich die von der Beklagten behauptete Kürzungsbefugnis nicht aus § 84a Satz 1 (und 2) BVG selbst, sondern allenfalls erst aus dem Gesetz ergeben, auf das § 84a BVG weiterverweist, also aus EinigVtr Abschnitt III. Dort ist geregelt, dass das BVG mit dem Wirksamwerden des Beitritts im Beitrittsgebiet auf die Kriegsopfer, die am 18. Mai 1990 dort wohnten (und noch wohnen) oder die aus bestimmten Staaten nachher dorthin zuzogen (Nr 1 Buchst l aaO), ab 1. Januar 1991 (Nr 1 Buchst m aaO) ua mit folgender Maßgabe aus EinigVtr Abschnitt III Nr 1 Buchst a Satz 1 Regelung 4 anzuwenden ist: “Die in § 31 Abs 1 BVG in der jeweils geltenden Fassung genannten Deutsche-Mark-Beträge sind mit dem Vomhundertsatz zu multiplizieren, der sich aus dem jeweiligen Verhältnis der verfügbaren Standardrente (§ 68 Abs 3 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch ≪SGB VI≫) in dem in Artikel 3 des Vertrages genannten Gebiet zur verfügbaren Standardrente in dem Gebiet, in dem das BVG schon vor dem Beitritt gegolten hat, ergibt”. In Satz 6 aaO heißt es, dass der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung den maßgebenden Vomhundertsatz und den Veränderungstermin jeweils im Bundesanzeiger bekannt gibt.
Andere Gesetzestexte als die vorgenannten aus § 84a Satz 1 (und 2) BVG (= EinigVtr Abschnitt II) und aus EinigVtr Abschnitt III, auf die § 2 Abs 1 Satz 1 DBAG mit den Worten “in Höhe der im Beitrittsgebiet geltenden Grundrente” nach dem BVG verweisen könnte, sind weder dargetan noch ersichtlich; auch die Beklagte praktiziert und trägt vor, dass sich der geringere Wert der Grundrente im Beitrittsgebiet, der für die Höhe des DBA maßgeblich sei, letztlich nur aus EinigVtr Abschnitt III Nr 1 Buchst a Satz 1 Regelung 4 ergibt.
d) Diese Gesetzestexte sind jedoch seit dem 1. Januar 1999 ungültig, mit Gesetzeskraft für nichtig erklärt und keine Rechtsquellen mehr. Sie verlautbaren seither keine Rechtsnormen mehr, nach denen die Beschädigten-Grundrente nach dem BVG “im Beitrittsgebiet” niedriger wäre als im anderen Bundesgebiet. § 2 Abs 1 Satz 1 DBAG verweist seither insoweit auf nichtige, dh schlechthin unwirksame Gesetze. Da das verweisende Gesetz betreffend die “Höhe des DBA” zwar erkennbar auf die im ganzen Bundesgebiet gültige Vorschrift des § 31 Abs 1 BVG über die Höhe der Beschädigten-Grundrente verweist, bezüglich einer Kürzung der dort genannten Beträge aber nur auf einen für nichtig erklärten Gesetzestext, geht die Verweisung ins Leere.
Die Nichtigkeitsfeststellung des BVerfG hat gemäß § 31 Abs 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) Gesetzeskraft und wurde im Bundesgesetzblatt (BGBl I 2000, 445) mit folgender Entscheidungsformel veröffentlicht: § 84a BVG iVm Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet K Abschnitt III Nr 1 Buchst a des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag – vom 31. August 1990 (BGBl II 889, 1067) ist mit Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) unvereinbar und nichtig, soweit die Beschädigtengrundrente nach § 31 Abs 1 Satz 1 BVG auch nach dem 31. Dezember 1998 im Beitrittsgebiet anders berechnet wird als im übrigen Bundesgebiet.
Es steht also mit Gesetzeskraft fest, dass die von der Beklagten angewandten Gesetzestexte insoweit nichtig sind und Rechtsfolgen hieraus für die Absenkung der Beträge der Beschädigten-Grundrente nach § 31 Abs 1 BVG seit dem 1. Januar 1999 nicht hergeleitet werden können. Das BSG ist gemäß Art 20 Abs 3 GG iVm § 31 Abs 1 und 2 BVerfGG hieran gebunden; es ist ihm schlechthin verboten, über eine Höchstwertfestsetzung des Rechts auf DBA für Zeiten ab dem 1. Januar 1999 auf der Grundlage dieser nichtigen Normen zu urteilen, auf die § 2 Abs 1 Satz 1 DBAG (ausschließlich) verweist. Jede dynamische Rechtsfolgenverweisung auf eine nichtige Norm geht zwangsläufig ins Leere, da die in Bezug genommene Vorschrift keine Rechtsfolgen mehr auslösen kann. Eine geltungserhaltende Reduktion der Normen, die durch den nichtigen Gesetzestext verlautbart werden sollten oder vor Eintritt der Nichtigkeit verlautbart wurden, ist verfassungswidrig; denn die Nichtigerklärung erfasst den Gesetzestext im Umfang der Entscheidungsformel mit allen seinen möglichen Inhalten und ist daher nicht teilbar. Folglich bleibt als Vorschrift des BVG, auf die § 2 Abs 1 Satz 1 DBAG hinsichtlich der “Höhe der nach den Vorschriften des Beitrittsgebietes geltenden Grundrente nach dem BVG” verweist, § 31 Abs 1 BVG.
e) Hieran ändert auch nichts die “Anfügung” eines Satzes 3 an § 84a Satz 1 und 2 BVG durch das Gesetz zur Änderung des Opferentschädigungsgesetzes und anderer Gesetze vom 6. Dezember 2000 (BGBl I 1676 f). Art 6 dieses Gesetzes lautet: Dem § 84a BVG idF der Bekanntmachung vom 22. Januar 1982 (BGBl I 21), das zuletzt durch Art 16 des Gesetzes vom 30. November 2000 (BGBl I 1638) geändert worden ist, wird folgender Satz angefügt:
“Die Sätze 1 und 2 gelten ab dem 1. Januar 1999 nicht für die Beschädigtengrundrente nach § 31 Abs 1 Satz 1 von Berechtigten nach § 1 sowie für die Beschädigtengrundrente von Berechtigten nach dem Häftlingshilfegesetz, dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz und nach dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz, die in entsprechender Anwendung des § 31 Abs 1 Satz 1 gezahlt werden.”
Der Bundestag als parlamentarischer Gesetzgeber hat damit die Sätze 1 und 2 aaO nicht erneut als Gesetz beschlossen.
Dasselbe gilt für die Änderung des vorgenannten § 84a Satz 3 BVG durch Artikel 11 Nr 3 des Gesetzes zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Nachhaltigkeitsgesetz) vom 21. Juli 2004 (BGBl I 1791, 1803 f), dessen Text lautet:
3. § 84a Satz 3 wird wie folgt gefasst:
“Die Sätze 1 und 2 gelten ab dem 1. Januar 1999 nicht für die Beschädigtengrundrente nach § 31 Abs 1 Satz 1 und die Schwerbeschädigtenzulage nach § 31 Abs 5 von Berechtigten nach § 1 sowie für die Beschädigtengrundrente und die Schwerstbeschädigtenzulage von Berechtigten nach dem Häftlingshilfegesetz, dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz und nach dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz, die in entsprechender Anwendung des § 31 Abs 1 Satz 1 und Abs 5 gezahlt werden.”
Auch hiermit hat der Deutsche Bundestag den für nichtig erklärten Teil des Textes des § 84a BVG iVm dem EinigVtr Abschnitt III Nr 1 Buchst a Satz 1 Regelung 4 nicht erneut als Gesetz beschlossen. Im Übrigen wurde an EinigVtr Abschnitt III Nr 1 Buchst l, der die “Grundrentenkürzung” für die weiterhin im Beitrittsgebiet wohnenden Kriegsopfer regelt, ein dem § 84a Satz 3 BVG entsprechender “Satz” nicht angefügt.
Bislang ist nach der Nichtigkeitsfeststellung durch das BVerfG kein vom Deutschen Bundestag, der für den Bund allein originär Gesetze “geben” kann, beschlossener Text mit dem Inhalt der für nichtig erklärten Normen im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden. “Der Gesetzgeber” hat die nichtigen Normen, auf die § 2 Abs 1 Satz 1 DBAG verwiesen hat, nicht wiederholt.
Verfassungswidrig ist die Auffassung der Beklagten, dies sei implizit durch die Beifügung des Satzes 3 an § 84a BVG geschehen. Eine solche “implizite Gesetzgebung” zur Wiederinkraftsetzung von Gesetzen, die das BVerfG für nichtig erklärt hat, ist ua schon mit Art 82 Abs 1 Satz 1 GG unvereinbar. Denn die dort vorgeschriebene Verkündung des Gesetzes im Bundesgesetzblatt ist ein integrierender Bestandteil des Rechtssetzungsaktes selbst, keine bloße Zutat. Ein vom BVerfG für nichtig erklärtes Bundesgesetz kann aber allenfalls nur mittels eines neuen Gesetzgebungsverfahrens einschließlich einer neuen Verkündung im Bundesgesetzblatt zum Bundesgesetz werden, nicht aber dadurch, dass andere Bundesgesetze auf das nichtige Gesetz verweisen oder so tun, als gelte es noch. Im Übrigen muss gerade dann, wenn ein Bundesgesetz (hier: § 2 Abs 1 Satz 1 DBAG) auf ein anderes Bundesgesetz verweist (hier: ua auf § 84a BVG iVm oder direkt auf EinigVtr Abschnitt III Nr 1 Buchst a Satz 1 Regelung 4), der gültige Text des Verweisungsobjektes selbst im Bundesgesetzblatt veröffentlicht sein. Bezüglich der für nichtig erklärten Texte über die Kürzung der Beschädigten-Grundrente ist aber der letzte vom Bürger im Bundesgesetzblatt nachlesbare Text die Nichtigkeitsfeststellung des BVerfG (BGBl I 2000 445). Er muss daraus entnehmen, dass das Verweisungsobjekt des § 2 Abs 1 Satz 1 DBAG nichtig ist, die Verweisung also ins Leere geht.
f) Schon deshalb ist nicht näher darauf einzugehen, dass “Satz 3” nur an § 84a Satz 1 und 2 BVG, der “Umzügler ins alte Bundesgebiet” erfasst, angefügt wurde, nicht aber an EinigVtr Abschnitt III Nr 1 Buchst l, der Kriegsopfer betrifft, die dauerhaft seit dem 18. Mai 1990 oder seit ihrem Zuzug aus bestimmten anderen Staaten im Beitrittsgebiet wohnen. Ebensowenig ist darzulegen, dass der eingefügte § 84a BVG bezüglich der Kürzung der Beschädigten-Grundrente gegen das verfassungsrechtliche Widerspruchsverbot verstößt. Denn beispielsweise erfasst § 84a Satz 1 und 2 BVG nur Kriegsopfer iS des BVG, nicht Berechtigte aus Gesetzen, die lediglich auf das BVG verweisen (dh, § 84a Satz 1 und 2 BVG in das verweisende Gesetz integrieren). Nach § 84a Satz 1 und 2 BVG ist bei den – dort ausschließlich erfassten – (umgezogenen) Kriegsopfern die “Grundrente” nach den Maßgaben von EinigVtr Abschnitt III Nr 1 Buchst a Satz 1 Regelung 4 zu kürzen; Satz 3 aaO bestimmt demgegenüber, dass dies nicht geschehen darf. Auf weitere verfassungswidrige Perplexitäten des neu gefassten § 84a BVG bezüglich der Kürzung von Grundrenten ist nicht einzugehen, wie zB auf die Anordnung, dass eine nichtige Norm für bestimmte Personen nicht gilt, woraus die Beklagte “den Schluss” zieht, für DBA-Berechtigte gelte sie (dh die nichtige Norm) doch, obwohl § 84a Satz 3 BVG das DBAG nicht einmal erwähnt.
g) Das Schweigen des nichtigen Gesetzes (über die Kürzung der Rechte einiger Kriegsopfer auf “Grundrenten im Beitrittsgebiet”) gibt der Beklagten nicht die Befugnis, den Geldwert eines Stammrechts auf DBA, der sich aus § 31 Abs 1 BVG ergibt, nach Maßgabe der nichtigen Gesetze zu kürzen.
2. Da die Kürzungspraxis der Beklagten für Bezugszeiten von DBA ab dem 1. Januar 1999 und somit auch im streitigen Zeitraum keine gesetzliche Grundlage hat, muss der Senat – wie schon in seinem Urteil vom 23. September 2003 (B 4 RA 54/02 R, in: SozR 4-8855 § 2 Nr 1) – nicht prüfen, ob die Verweisungsregelung des DBAG selbst ab 1. Januar 1999 hinreichend bestimmt, ggf mit den Vorgaben des EinigVtr und des Beschlusses des BVerfG vom 21. November 2001 (1 BvL 19/93; 1 BvR 1318/94; 1 BvR 1513/94; 1 BvR 2358/94; 1 BvR 308/95; in: BVerfGE 104, 126 bis 150) vereinbar und auch inhaltlich verfassungsgemäß ausgestaltet ist.
3. Soweit die Beklagte vorträgt, ein anderer Senat des BSG habe bei der Anwendung eines anderen Gesetzes, das auf das BVG verweist, die für nichtig erklärten Kürzungsvorschriften betreffend “Grundrenten im Beitrittsgebiet” seinen Entscheidungen tragend zu Grunde gelegt, ist dem nicht nachzugehen, weil es weder prozess- noch materiell-rechtlich entscheidungserheblich ist. Denn der erkennende Senat darf von Verfassungs wegen keine nichtige Norm anwenden. Er darf sogar die Frage, ob § 2 Abs 1 Satz 1 DBAG ua auf nichtige Gesetze verweist (§ 84a; EinigVtr Abschnitt III Nr 1 Buchst a Satz 1 Regelung 4), gemäß Art 100 Abs 1 GG dem BVerfG nicht vorlegen, weil die Antwort bereits mit Gesetzeskraft feststeht. Er darf aber auch nicht den Großen Senat des BSG (wegen Divergenz oder grundsätzlicher Bedeutung) anrufen, ua schon deshalb nicht, weil es schlechthin außerhalb der Kompetenz des Großen Senats des BSG liegt, die Anwendung von Gesetzen anzuordnen, die das BVerfG für nichtig erklärt hat.
4. Soweit die Beklagte verlangt, die für nichtig erklärten Kürzungsregeln doch anzuwenden, weil ein entsprechendes Gesetz – unabhängig von einem denkbaren Wechsel der Bundesregierung – auf den dringenden Wunsch der zuständigen Referenten des Ministeriums ohnehin ergehen werde, war dieses verfassungsfremde Ansinnen zurückzuweisen. Die Rechtsprechung ist nur an die Verfassung, an gültige Gesetze und an das Recht gebunden (Art 20 Abs 3, 97 GG). Alleiniger originärer “Gesetzgeber” des Bundes ist der Deutsche Bundestag, unbeschadet der Mitwirkung anderer Verfassungsorgane bei der Gesetzgebung. Auch die Bundesregierung, die das oberste Exekutivorgan des Bundes ist, ist nicht der “Gesetzgeber”, wie bereits das BVerfG gegenüber verfassungsfremden Sprach-, Denk- und Verhaltensgewohnheiten betont hat (BVerfGE 58, 81, 111). Erst recht sind nachgeordnete Amtswalter eines Exekutivorgans keine “Gesetzgeber”, ihre “Wünsche” keine Gesetze.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen