Beteiligte
1…,2…, Klägerinnen und Revisionsklägerinnen |
Großhandels- und Lagerei-Berufsgenossenschaft, Mannheim, M 5, 7, Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
G r ü n d e :
I
Streitig ist die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung.
Der am 11. Mai 1988 verstorbene Ehemann bzw Vater der Klägerinnen J. M. (M.) besaß sowohl die spanische als auch die bolivianische Staatsangehörigkeit und wohnte in Spanien. Am 24. August 1987 schloß er mit der in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Firma L. GmbH einen schriftlichen Arbeitsvertrag, nach dessen Inhalt M. für die Zeit ab 15. August 1987 als Vertreter für die L. GmbH in Spanien tätig werden sollte. Sein Verkaufsgebiet sollte der gesamte Staat Spanien sein. Ferner wurde vereinbart, daß M. die spanischen Steuern und den Arbeitnehmeranteil zur spanischen Sozialversicherung aus seinem Gehalt zahlen sollte. M. sollte solange bei der L. GmbH beschäftigt sein, bis eine Tochterfirma der L. GmbH in Spanien gegründet sei und dort ihre Tätigkeit aufgenommen habe. Bei Abschluß des Arbeitsvertrages war mündlich vereinbart worden, daß die spanische Tochterfirma, die L. SL, im Frühjahr 1988 gegründet werden sollte. Der zwischen M. und der L. GmbH bestehende Arbeitsvertrag sollte von der L. SL in Spanien zu den gleichen Bedingungen fortgeführt werden. Die L. SL nahm ihre Tätigkeit Ende Mai 1988 auf; Ende Juni 1988 sollte das Arbeitsverhältnis mit der L. GmbH enden und mit der L. SL in Spanien fortgesetzt werden.
Die L. GmbH meldete M. am 15. August 1987 bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) für den Landkreis W. als Arbeitnehmer an und führte Sozialversicherungsbeiträge für ihn ab. Vom 15. August 1987 bis 4. September 1987 wurde M. bei der L. GmbH in Deutschland mit der Produktpalette und dem Vertriebssystem der Firma vertraut gemacht. Vom 1. bis 5. Februar 1988 und vom 18. bis 22. April 1988 nahm M. an weiteren Fortbildungs- und Schulungsveranstaltungen in Deutschland teil. Am 4. September 1987 nahm M. seine Tätigkeit in Spanien auf. Am 11. Mai 1988 verunglückte er tödlich, als er sich auf dem Weg von seiner Familienwohnung zum Arbeitsplatz befand.
Die Beklagte lehnte es ab, den Klägerinnen Hinterbliebenenleistungen zu gewähren, weil M. während seiner Beschäftigung in Spanien nicht unter dem Schutz der deutschen Unfallversicherung gestanden habe (Bescheid vom 20. Dezember 1989). Das Sozialgericht (SG) hat diesen Bescheid aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin zu 1) Witwenrente, Sterbegeld, Bestattungs- und Überführungskosten sowie der Klägerin zu 2) Waisenrente zu gewähren. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, es habe eine Entsendung iS von § 4 Sozialgesetzbuch/Gemeinsame Vorschriften (SGB IV) vorgelegen, da M. nicht nur ausschließlich zum Abschluß des Arbeitsvertrages nach Deutschland gekommen sei, sondern in Deutschland auch eingearbeitet worden sei (Urteil vom 27. November 1990).
Das Landessozialgericht (LSG) hat dieses Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. In seinem Urteil vom 16. September 1993 hat es im wesentlichen ausgeführt, M. habe am 11. Mai 1988 keinen Arbeitsunfall erlitten, der unter dem Schutz der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung gestanden habe. Im Hinblick auf seine in Spanien ausgeübte Tätigkeit und das gemäß § 3 Nr 1 SGB IV herrschende Territorialitätsprinzip wäre die Beklagte nur zur Leistung verpflichtet, wenn ein Fall der Ausstrahlung iS von § 4 Abs 1 SGB IV vorgelegen hätte. Hier fehle es aber an einer Entsendung, weil M. in seinem ausländischen Wohnstaat von einem Unternehmen mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland zu einer Tätigkeit in seinem Wohnstaat angeworben worden sei. In solchen Fällen fehle es mangels einer für eine Entsendung notwendigen Bewegung aus der Bundesrepublik Deutschland ins Ausland an einer "Entsendung". Daß M. in Deutschland vom 15. August bis 4. September 1987 eingearbeitet worden sei, rechtfertige keine andere Beurteilung; denn diese Einarbeitung sei lediglich als Bestandteil der Tätigkeit anzusehen, die anschließend in Spanien hat ausgeübt werden sollen und tatsächlich auch ausgeübt worden sei. Auch sei die "Entsendung" nicht zeitlich im voraus befristet gewesen. Allenfalls sei das Beschäftigungsverhältnis zur L. GmbH, nicht jedoch die Entsendung befristet gewesen. Denn das Beschäftigungsverhältnis habe im Juni 1988 mit der spanischen Tochterfirma fortgesetzt werden sollen und daran anschließend in Südamerika. Dies spreche gegen eine Rückkehr ins Inland und damit gegen eine Entsendung. Schließlich ergäbe sich auch kein Anspruch aus der EWG-Verordnung Nr 1408/71 auf Leistungen aus der deutschen Unfallversicherung. Denn auch insoweit fehle es an einer zeitlichen Befristung der Entsendung.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügen die Klägerinnen eine Verletzung der §§ 4 Abs 1 SGB IV und 539 Abs 1 Nr 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Sie sind der Ansicht, die Voraussetzungen einer Entsendung hätten vorgelegen, weil das Beschäftigungsverhältnis in Deutschland begründet und durch die Einarbeitung in Deutschland auch so verfestigt worden sei, daß von einer örtlichen Veränderung von Deutschland nach Spanien ausgegangen werden müsse. Auch sei die Entsendung von vornherein befristet gewesen, weil die Tätigkeit für die deutsche L. GmbH nur bis zur Neugründung der L. SL im Mai 1988 habe dauern sollen.
Die Klägerinnen beantragen sinngemäß,
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das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. September 1993 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 27. November 1990 zurückzuweisen. |
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Die Beklagte beantragt,
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die Revision der Klägerinnen zurückzuweisen. |
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Sie hält das angefochtene Urteil des LSG für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]).
II
Die Revision der Klägerinnen ist unbegründet.
Im Ergebnis zutreffend hat das LSG entschieden, daß M. nicht unter dem Schutz der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung gestanden hat, als er am 11. Mai 1988 tödlich verunglückt ist.
Auf das streitige Rechtsverhältnis sind die Vorschriften der Verordnung der EWG Nr 1408/71 (EWG-VO 1408/71 vom 14. Juni 1971, zuletzt geändert durch EWG-VO Nr 1945/93 am 30. Juni 1993) anzuwenden, weil es sich bei M. um einen Arbeitnehmer eines EG-Mitgliedstaates mit internationaler Anknüpfung gehandelt hat (bezüglich des persönlichen und sachlichen Geltungsbereichs vgl Art 2 Abs 1 und Art 4 Abs 1 Buchst e) EWG-VO 1408/71). Die hiernach maßgeblichen Rechtsnormen haben als supranationales Sozialrecht Vorrang vor den deutschen Rechtsvorschriften und schließen ebenso die Anwendung des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Spanischen Staat über Soziale Sicherheit vom 4. Dezember 1973 (Gesetz vom 29. Juli 1977, BGBl II Nr 33 vom 6. August 1977, S 687) aus (vgl insoweit auch Art 2 Abs 4 Abk Spanien SozSich). Die Art 13 bis 17 EWG-VO 1408/71 enthalten im Gegensatz zu den §§ 3 bis 6 SGB IV allseitige Kollisionsnormen, die für Sachverhalte mit Berührung zu mehreren Mitgliedstaaten die anwendbare Sozialrechtsordnung bezeichnen (vgl Steinmeyer in Nomos Kommentar zum Europäischen Sozialrecht - NKES -, I. 13, Rz 1).
In Art 13 Abs 1 EWG-VO 1408/71 ist als Grundsatz festgelegt, daß für Personen, die der VO unterliegen, die Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaates gelten. Abs 2 Buchst a) erklärt den Beschäftigungsort bei abhängiger Beschäftigung zum grundsätzlichen Anknüpfungspunkt ("Beschäftigungslandprinzip", vgl Steinmeyer, aaO, Rz 6). Danach unterliegt eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaates im Lohn- oder Gehaltsverhältnis beschäftigt ist, den Rechtsvorschriften dieses Staates, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates wohnt oder ihr Arbeitgeber oder das Unternehmen, das sie beschäftigt, seinen Wohnsitz oder Betriebssitz im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates hat. Ausgehend von diesem Grundprinzip sind deshalb im vorliegenden Fall grundsätzlich die Vorschriften des Spanischen Staates über Soziale Sicherheit anwendbar; denn spätestens ab dem 4. September 1987 und zum Zeitpunkt des Unfalles hat sich der Beschäftigungsort des M. in Spanien befunden. Abweichend von diesem Grundsatz enthält Art 14 Nr 1 Buchst a) der VO eine Sonderregelung für Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaates von einem Unternehmen, dem sie gewöhnlich angehören, im Lohn- oder Gehaltsverhältnis beschäftigt werden, und die von diesem Unternehmen zur Ausführung einer Arbeit für dessen Rechnung in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates entsandt werden. Diese Personen unterliegen nach der genannten Vorschrift weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaates, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit zwölf Monate nicht überschreitet.
Art 14 Nr 1 Buchst a) beinhaltet damit die typische Entsendungsregelung, wie sie sich im nationalen deutschen Sozialversicherungsrecht in § 4 SGB IV und im zwischenstaatlichen Recht in den Sozialversicherungsabkommen findet (zur Entsendungsregelung des Abk Spanien SozSich, vgl Art 7 Abs 1 Satz 1). Sie spricht aus, daß trotz tatsächlicher Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat die Rechtsvorschriften des Staates anwendbar bleiben, aus dessen Gebiet die betreffende Person in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates entsandt wird. Voraussetzung hierfür ist jedoch nicht nur das Bestehen und Fortbestehen eines Beschäftigungsverhältnisses zu einem Unternehmen im Entsendestaat sowie der Tatbestand der Entsendung selbst, sondern insbesondere auch die vorherige zeitliche Befristung der Entsendung.
Diese letztgenannte Voraussetzung ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Denn unabhängig davon, ob die "Entsendung" - dh die örtliche Verlagerung des Beschäftigungsortes - im vorliegenden Fall überhaupt von vornherein befristet war (s BSG Urteil vom 4. Mai 1994 - 11 RAr 55/93 -), fehlte es an einer Vereinbarung über eine beabsichtigte Wiederaufnahme der Beschäftigung beim inländischen Arbeitgeber nach Beendigung der Auslandsbeschäftigung.
Die Klägerinnen sehen das Erfordernis der Befristung zu Unrecht deshalb als erfüllt an, weil M. von vornherein nur bis zu dem Zeitpunkt bei der L. GmbH beschäftigt werden sollte, bis zu dem die Übernahme durch die spanische Tochterfirma erfolgt wäre, was für den Frühsommer 1988 geplant gewesen sei. Dabei übersehen sie jedoch, daß das Ziel der "Entsendung" gerade nicht auf eine vorübergehende Verlagerung des Beschäftigungsortes ins Ausland, sondern auf eine dauerhafte Fortsetzung der Auslandsbeschäftigung gerichtet war. Damit fehlte es aber von vornherein an dem typischen Merkmal einer Entsendung, nämlich an der fortbestehenden Inlandsintegration bei vorübergehender Auslandsbeschäftigung.
Wie der 4. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) bereits mehrfach entschieden hat, ist bei einer Entsendung stets zu berücksichtigen, ob nach Beendigung der Auslandsbeschäftigung eine Wieder- oder Weiterbeschäftigung beim entsendenden Arbeitgeber gewährleistet ist (vgl BSG SozR 7833 § 1 Nr 6 und BSGE 71, 227, 234). Auch wenn diese Entscheidungen Fragen der Gewährung von Erziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz (§ 1 Abs 2 BErzGG iVm § 1 Abs 1 Nr 2 Buchst a BKGG) bzw der Anrechnung von Pflichtbeitragszeiten wegen Kindererziehung (§ 56 Abs 3 Satz 3 SGB IV) betrafen, so lagen ihnen doch Entsendungsfälle zugrunde, in denen in vergleichbarer Weise die hier angesprochene Problematik zu lösen war. Danach ist es für alle Fälle der fortdauernden Integration ins inländische Arbeitsleben und damit zur Ausstrahlung des inländischen Sozialversicherungsrechts erforderlich, daß das Arbeitsverhältnis zum inländischen Arbeitgeber fortbestehen muß und daß dieses Arbeitsverhältnis bei Beendigung des von vornherein durch Vertrag zeitlich begrenzten Auslandsaufenthalts mit seinen Hauptpflichten wiederauflebt (so zum "Rumpfarbeitsverhältnis" BSGE 71, 227, 234; s auch Beschluß Nr 128 der Verwaltungskommission der Europäischen Gemeinschaft für die Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer vom 17. Oktober 1985 - Amtsbl Nr C 141 vom 7. Juni 1986, S 6). Dies bedeutet, daß von einer befristeten Entsendung grundsätzlich nur dann gesprochen werden kann, wenn von vornherein vereinbart ist (oder - wie im Falle des § 4 Abs 1 SGB IV - infolge der Eigenart der Beschäftigung im voraus feststeht), daß die Beschäftigung im Anschluß an die Auslandstätigkeit am inländischen Beschäftigungsort fortgesetzt wird. Im vorliegenden Fall war aber gerade keine Rückkehr vereinbart worden, so daß die Vorschriften der deutschen Unfallversicherung nicht zur Anwendung kommen. Ebensowenig war nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG vorgesehen, daß M. nach Beendigung seiner Tätigkeit für die L. SL seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland nehmen würde (s BSG Urteil vom 4. Mai 1994, aaO). Ob eine Rückkehr in dem zuletzt genannten Sinn die Annahme einer Entsendung rechtfertigen kann, läßt der Senat unentschieden.
Aus dem Umstand, daß von der L. GmbH Beiträge zur AOK abgeführt worden sind, ergibt sich keine andere Beurteilung; denn dadurch wurde keine den Unfallversicherungsschutz begründende Bindung herbeigeführt.
Die Revision der Klägerinnen war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.BUNDESSOZIALGERICHT
Fundstellen
BSGE, 232 |
Breith. 1995, 599 |