Leitsatz (redaktionell)
Der RAMErl 1944-10-24 (AN 1944, II, 302) ist mit dem Inkrafttreten des § 14 SGB 4 (1.7.1977) auch insoweit außer Kraft getreten, als in Abs 2 des Erlasses bestimmt ist, daß alle Vergütungen, die für eine über die regelmäßige Arbeitszeit (von damals 48 Wochenstunden) hinaus geleistete Mehrarbeit gewährt werden, für die Jahresarbeitsverdienstgrenzen nicht anzurechnen sind.
Orientierungssatz
Bereitschaftsdienstvergütung - Jahresarbeitsverdienstgrenze:
Die Bereitschaftsdienstvergütung gehört zum regelmäßigen Arbeitsverdienst, wenn der Bereitschaftsdienst vertraglich vorgesehen ist und nach den Erfordernissen eines Krankenhausbetriebes regelmäßig (in jedem Jahr) geleistet wird. Zwar ist der Umfang des Bereitschaftsdienstes schwankend und damit auch die Vergütung in den einzelnen Monaten. Dennoch steht im voraus fest, daß Bereitschaftsdienstvergütungen regelmäßig anfallen; aus diesem Grunde gehören sie auch zum regelmäßigen Jahresarbeitsverdienst. Es ist lediglich erforderlich, ihren Umfang zu schätzen, weil sie nicht monatlich in gleicher Höhe anfallen.
Normenkette
RAMErl 1944-10-24 Abs. 2; SGB IV § 14 Abs. 1 Fassung 1976-12-23; RVO § 165 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1970-12-21; SGB IV Art. 2 § 21 Abs. 1 S. 2
Tatbestand
Streitig ist die Einbeziehung von Bereitschaftsdienstvergütungen in den regelmäßigen Jahresarbeitsverdienst (JAV).
Der 1948 geborene Kläger ist seit 1971 bei dem von der Beigeladenen getragenen Krankenhaus als Röntgenhelfer tätig. Aufgrund vertraglicher Verpflichtung leistet er regelmäßig Bereitschaftsdienst, allerdings in schwankendem Umfang. Die Zeit des Bereitschaftsdienstes ist durchschnittlich zu etwa 10 bis 25 % mit Arbeit gefüllt. Die Hälfte der Bereitschaftsdienstzeit wird pro Stunde mit einem Überstundensatz von 125 % des normalen Stundenlohnes vergütet. Spätestens seit 1977 bezieht der Kläger ein Einkommen, das ohne die durchschnittliche Bereitschaftsdienstvergütung unter und zusammen mit ihr über der jeweiligen JAV-Grenze liegt. Die Beklagte führte den Kläger 1977 und 1978 als Pflichtmitglied und stellte diese Mitgliedschaft, nachdem der Kläger am 23. Februar 1978 und 13. März 1978 die Feststellung der Versicherungsfreiheit ab 1. März 1978 begehrt hatte, noch einmal ausdrücklich durch den Bescheid vom 21. April 1978 und den Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 1978 - zugleich mit der Beitragspflicht zur Bundesanstalt für Arbeit - fest. Dabei sah die Beklagte die Bereitschaftsdienstvergütung unter Berufung auf den Erlaß des Reichsarbeitsministers vom 24. Oktober 1944 (AN 1944, II 302) als Mehrarbeitsentlohnung an, die nicht auf den JAV anzurechnen sei. Das Sozialgericht (SG) Landshut hat diese Bescheide aufgehoben (Urteil vom 5. Mai 1980). Nachdem die Beteiligten erklärt hatten, daß nur die Versicherungspflicht des Klägers in der gesetzlichen Krankenversicherung im Streit sei, hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) die gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegte Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 28. Januar 1981). Zur Begründung hat es ausgeführt: Da der RAM-Erlaß vom 24. Oktober 1944 durch Art II § 21 Abs 1 Satz 2 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IV) außer Kraft gesetzt worden sei, müsse die Bereitschaftsdienstvergütung bei der Berechnung des JAV berücksichtigt werden; aber auch aus dem Erlaß selbst folge nichts Gegenteiliges, da es sich bei der Bereitschaftszeit um eine weitgehend arbeitsfreie "Mischzeit" und nicht um "Mehrarbeit" handele.
Mit der Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 165 Abs 1 Nr 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) und der Grundsätze über die Berechnung des JAV. Sie meint, daß sich aus einer unmittelbaren oder jedenfalls mittelbaren Anwendung des RAM-Erlasses vom 24. Oktober 1944 ergebe, daß die Bereitschaftsdienstvergütung nicht auf den JAV anzurechnen sei.
Die Beklagte und Revisionsklägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 5. Mai 1980
und das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts
vom 28. Januar 1981 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger und Revisionsbeklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er meint, bei der Ermittlung des JAV seien alle Vergütungen zu berücksichtigen, mit denen der Angestellte mit hinreichender Sicherheit habe rechnen können.
Die Beigeladene hat sich während des Revisionsverfahrens nicht zur Sache geäußert.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, daß die angefochtenen Bescheide, soweit sie mit der Klage angefochten sind, rechtswidrig sind, weil der Kläger jedenfalls seit dem 1. März 1978 nicht mehr krankenversicherungspflichtig ist.
Nach § 165 Abs 1 Nr 2 RVO werden Angestellte für den Fall der Krankheit versichert, wenn ihr regelmäßiger JAV fünfundsiebzig vom Hundert der für Jahresbezüge in der Rentenversicherung der Arbeiter geltenden Beitragsbemessungsgrenze (§ 1385 Abs 2 RVO) nicht übersteigt. Das Einkommen des Klägers übersteigt diese Grenze seit 1978, weil bei der Berechnung seines JAV die ihm gezahlte Bereitschaftsdienstvergütung einzubeziehen ist.
Wie der für die Krankenversicherungspflicht maßgebliche regelmäßige JAV zu berechnen ist, regelt das Gesetz nicht. Nach einem Urteil des erkennenden Senats vom 31. August 1976 (- 12/3/12 RK 21/74 -, SozR 2200 § 165 Nr 15 = USK 76 126; vgl auch Großer Senat, Beschluß vom 30. Juni 1965 - GrS 2/64 -, BSGE 23, 129 = SozR Nr 49 zu § 165 RVO, und das Urteil des 3. Senats vom 25. Februar 1966 - 3 RK 53/63 -, BSGE 24, 262 = SozR Nr 50 zu § 165 RVO = USK 6602; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung einschließlich des Sozialgesetzbuches, 9. Aufl bis einschließlich 55. Nachtragslieferung 1981, S 314 k ff; Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, 2. Aufl, Stand: Januar 1981, § 165 RVO, Anm 4; Peters-Mengert, Handbuch der Krankenversicherung, 17. Aufl bis einschließlich 65. Nachtragslieferung 1981, § 165 RVO, Anm 6 b) ist für den regelmäßigen JAV das (um die Familienzuschläge verminderte) Arbeitsentgelt aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung als Angestellter maßgebend, wie es im voraus für das kommende Kalenderjahr festzustellen ist. Regelmäßiger JAV ist dabei der Verdienst, von dem bei Beginn des Beschäftigungsverhältnisses und jeder folgenden Arbeitsperiode zu erwarten ist, daß er bei normalem Verlauf, dh abgesehen von einer anderweitigen Vereinbarung über das Entgelt oder von nicht voraussehbaren Änderungen in der Beschäftigung, voraussichtlich ein Jahr anhalten wird. Soweit die Höhe des Arbeitsentgelts schwankt, ist der Verdienst zu schätzen. Dem § 165 Abs 1 Nr 2 RVO liegt der Gedanke zugrunde, daß nur die geringer verdienenden und deshalb in stärkerem Maße schutzbedürftigen Angestellten in die gesetzliche Krankenversicherung einbezogen werden sollen, während es den mutmaßlich mit ihrem Jahresgehalt über der JAV-Grenze liegenden Angestellten überlassen bleiben soll, die Art ihrer Vorsorge für Krankheitsfälle selbst zu regeln. Diesem Gedanken wird nur dann Rechnung getragen, wenn zum regelmäßigen JAV grundsätzlich alle dem Angestellten aus der Beschäftigung zufließenden Einnahmen iS von § 14 Abs 1 SGB IV gerechnet werden, die nach dem Inhalt des Arbeitsverhältnisses in den folgenden zwölf Monaten mit hinreichender Sicherheit erzielt werden.
Für den Kläger gehört die Bereitschaftsdienstvergütung zu seinem regelmäßigen Arbeitsverdienst, weil der Bereitschaftsdienst vertraglich vorgesehen ist und nach den Erfordernissen eines Krankenhausbetriebes regelmäßig (in jedem Jahr) geleistet wird. Zwar ist der Umfang des Bereitschaftsdienstes schwankend und damit auch die Vergütung in den einzelnen Monaten. Dennoch steht im voraus fest, daß Bereitschaftsdienstvergütungen regelmäßig anfallen; aus diesem Grunde gehören sie auch zum regelmäßigen JAV. Es ist lediglich erforderlich, ihren Umfang zu schätzen, weil sie nicht monatlich in gleicher Höhe anfallen.
An dieser Beurteilung ändert auch der RAM-Erlaß vom 24. Oktober 1944 nichts. Art II § 21 Abs 1 Satz 2 SGB IV bestimmt, daß alle diesem Gesetz "entgegenstehenden oder gleichlautenden Vorschriften" außer Kraft treten. Damit sind auch Vorschriften, dh normative Regelungen, in früheren Erlassen von Reichsministern (zum Erlaß vom 24. Oktober 1944 vgl BSGE 18, 65) außer Kraft getreten, die einen im SGB IV geregelten Gegenstand betreffen. Dabei ist nicht erforderlich, daß die spezielle, durch den Erlaß geregelte Frage im SGB IV besonders angesprochen ist. Es genügt, daß im SGB IV Regelungen - auch allgemeiner Art - getroffen worden sind, die die konkrete Frage des jeweiligen Erlasses (mit) betreffen. Der Erlaß vom 24. Oktober 1944 regelt die Frage, ob Mehrarbeitsvergütungen zum versicherungspflichtigen Entgelt und damit zum JAV gehören. Diese Frage beantwortet sich seit dem Inkrafttreten des SGB IV (1. Juli 1977) aus dessen § 14 Abs 1. Mit dem Inkrafttreten dieser Vorschrift ist deshalb der genannte Erlaß außer Kraft getreten. Seine Fortgeltung läßt sich auch nicht darauf stützen, daß in Art II § 21 SGB IV zwar der Gemeinsame Erlaß des Reichsministers der Finanzen und des RAM betreffend weitere Vereinfachung des Lohnabzugs vom 10. September 1944 ausdrücklich erwähnt ist, nicht aber der hier streitige Erlaß des RAM vom 24. Oktober 1944. Die in Art II § 21 Abs 1 SGB IV besonders erwähnten Vorschriften sind ersichtlich nur beispielhaft aufgezählt. Dies ergibt sich daraus, daß die Aufzählung mit dem Wort "insbesondere" eingeleitet ist.
Da der streitige Erlaß seit dem 1. Juli 1977 nicht mehr gilt, erübrigt sich hier ein näheres Eingehen darauf, ob und unter welchen Voraussetzungen für die Zeit seiner Geltung Bereitschaftsdienstvergütungen als "Mehrarbeits"-Vergütungen iS des Erlasses anzusehen waren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen
Haufe-Index 60393 |
RegNr, 9624 |
Das Beitragsrecht Meuer 322 A 49a 7 (LT1, OT1) |
USK, 81288 (LT1) |
Die Beiträge 1982, 216-218 (LT1,OT1) |
ErsK 1982, 310-311 (LT1) |
SozR 2100 § 14, Nr 10 (LT1) |
VersR 1982, 949 (L1) |