Beteiligte
Landesversorgungsamt Baden-Württemberg |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 7. November 1997 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Auslandsversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Der 1925 geborene Kläger lebt als lettischer Staatsangehöriger in seinem Heimatland. Er wurde am 21. März 1945 als Angehöriger der 19. Waffen-Grenadier-Division der SS (lettische Nr 2) im Kriegseinsatz verwundet. Seinen Antrag auf Auslandsversorgung lehnte das beklagte Land mit der Begründung ab, ein schädigender Vorgang sei nicht nachgewiesen (Bescheid vom 30. November 1994; Widerspruchsbescheid vom 10. April 1995).
Das Sozialgericht (SG) hat als Schädigungsfolgen Narben am Rücken, über der rechten Beckenschaufel und am rechten Oberschenkel „festgestellt”. Die weitergehende, auf Beschädigtenversorgung gerichtete Klage hat es abgewiesen. Die Schädigungsfolgen des Klägers minderten seine Erwerbsfähigkeit nicht in rentenberechtigendem Grade. Das zusätzlich geltend gemachte Anfallsleiden beruhe auf einer anlagebedingten Erkrankung (Urteil vom 29. April 1996). Die – allein vom Kläger eingelegte – Berufung hatte keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat zur Begründung seiner Entscheidung (Urteil vom 7. November 1997) ua ausgeführt: Als ehemaliger ausländischer Angehöriger der Waffen-SS gehöre der Kläger nicht zu dem nach § 7 Abs 1 Nr 3 BVG anspruchsberechtigten Personenkreis.
Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 7 Abs 1 Nr 3 BVG. Er habe als ausländischer Angehöriger der Waffen-SS iS dieser Vorschrift Dienst im Rahmen der deutschen Wehrmacht geleistet. Ihm stehe deshalb Versorgung nach dem BVG zu, und zwar im Unterschied zu ausländischen Kriegsopfern, die als Angehörige der Armeen mit Deutschland verbündeter Staaten an der Seite deutscher Truppen gekämpft und die deshalb Ansprüche ggf nur gegen ihren Heimatstaat hätten (vgl im einzelnen Heinz/Krülle, SGb 1998, 397 ff).
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 7. November 1997 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Der Beklagte hat im Revisionsverfahren keinen Antrag gestellt.
II
Die Revision des Klägers hat Erfolg.
Daß die erstinstanzliche Entscheidung zum Teil rechtskräftig geworden ist, hindert den Beklagten – wovon das LSG zu Recht ausgegangen ist – nicht, die Anerkennung zusätzlicher Schädigungsfolgen und die Gewährung von Beschädigtenversorgung abzulehnen.
Wird – wie hier – ein Urteil teilweise rechtskräftig, so bindet die Rechtskraft die Beteiligten an den Inhalt der Gerichtsentscheidung, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist (§ 141 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫). Insoweit darf eine sachlich abweichende Entscheidung zwischen denselben Beteiligten nicht mehr ergehen (vgl Kummer in Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, Band II, 4. Aufl, § 141 RdNrn 21 ff; Bley in Gesamtkommentar Sozialgesetzbuch – Sozialversicherung, Band 9, Stand Dezember 1994, § 141 Anm 4a). Maßgeblich für den Umfang der materiellen Rechtskraft ist die Urteilsformel (allgemeine Meinung, vgl Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 6. Aufl 1998, § 141 RdNr 7). Zu ihrer Auslegung sind der Klagantrag und ggf der zugrundeliegende Sachverhalt heranzuziehen.
Das SG hat auf den Antrag des Klägers, den Beklagten zur Zahlung einer Versorgungsrente zu verurteilen, folgende Gesundheitsstörungen „als Schädigungsfolgen festgestellt”: „Reizlose Narbe im oberen Rückenbereich. Ausgedehntere Narben über der rechten Beckenschaufel und am rechten Oberschenkel.” Da der Beklagte diese Entscheidung nicht mit Rechtsmitteln angegriffen hat, ist das Urteil insoweit unanfechtbar geworden. Zwischen den Beteiligten ist damit rechtskräftig entschieden, daß die Versorgungsverwaltung – bei richtiger Auslegung des Rechtsschutzbegehrens des Klägers als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage – verpflichtet ist, die genannten Gesundheitsstörungen gemäß § 1 BVG als Schädigungsfolgen festzustellen. Denn die „isolierte” Feststellungsklage gemäß § 55 Abs 1 Nr 3 SGG kommt hier nicht in Betracht. Sie dient lediglich der Feststellung des Kausalzusammenhanges zwischen einer Gesundheitsstörung und einer Schädigung iS des BVG, ist deshalb gegenüber der Klage, mit der die Verpflichtung zur Anerkennung von Gesundheitsstörungen und die Zahlung einer Versorgungsrente geltend gemacht werden – wie auch hier – als der weniger effektive Rechtsschutz subsidiär (allgemeine Meinung, vgl Meyer-Ladewig, aaO, § 55 RdNr 19 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ≪BSG≫). Das muß bei der Auslegung des Klagebegehrens und des Urteilstenors berücksichtigt werden. Damit steht zugleich rechtsverbindlich fest, daß diese Gesundheitsstörungen wahrscheinlich im ursächlichen Zusammenhang mit einer schädigenden Einwirkung stehen, die unter einen der Tatbestände des § 1 BVG fällt (vgl BSGE 27, 22, 23 = SozR Nr 59 zu § 77 SGG sowie für entsprechende Bescheide BSG SozR Nr 84 zu § 1 BVG). Nicht verbindlich festgestellt ist hingegen, welches schädigende Ereignis zugrunde liegt. Denn soweit reicht der Urteilstenor regelmäßig ebensowenig wie der Verfügungssatz eines entsprechenden Bescheides.
Daraus folgt: Hinsichtlich der anerkannten Schädigungsfolgen gehört der Kläger aufgrund des teilweise rechtskräftigen Urteils des SG zwar zum Kreis der potentiell versorgungsberechtigten Personen. Die Rechtskraft der erstinstanzlichen Entscheidung schließt es aber nicht aus, die Anwendbarkeit des BVG auf den Kläger zu verneinen, wenn er im Berufungsverfahren seinen Anspruch auf Anerkennung zusätzlicher Gesundheitsstörungen weiterverfolgt, die – schon nach dem Vortrag des Rechtsmittelführers – keine mittelbaren Folgen der bereits anerkannten Schädigungsfolgen sein können. So liegt der Fall hier. Der Kläger begehrt die zusätzliche Anerkennung eines Anfallsleidens als Schädigungsfolge.
Zu Unrecht hat das LSG aber angenommen, das BVG sei auf den Kläger als Ausländer und ehemaligen Angehörigen eines lettischen SS-Verbandes nicht anwendbar. Nach § 7 Abs 1 Nr 3 BVG wird das Gesetz auf andere (dh ausländische) Kriegsopfer, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben, unter zwei einschränkenden Voraussetzungen angewendet: Die Schädigung muß entweder mit einem Dienst im Rahmen der deutschen Wehrmacht oder militärähnlichem Dienst für eine deutsche Organisation ursächlich zusammenhängen oder in Deutschland oder in einem zur Zeit der Schädigung von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebiet durch unmittelbare Kriegseinwirkung eingetreten sein (vgl BSGE 30, 115 ff = SozR § 7 BVG Nr 8; BSG, Urteil vom 14. März 1967 - 10 RV 909/65 -, BVBl 1968, 27; BSGE 45, 166 f = SozR 3100 § 7 Nr 5). Ausländische Kriegsopfer, die – wie der Kläger – ihren Wohnsitz im Ausland haben, zählen nach § 8 Satz 1 BVG iVm Nr 3 Buchst b der Richtlinien-Ost (idF vom 7. Dezember 1990, abgedruckt in Handbuch des sozialen Entschädigungsrechts 1995/96, 259, 261) ebenfalls zum versorgungsberechtigten Personenkreis (vgl zum Umfang der Versorgung §§ 64 ff BVG).
Der Rechtsprechung des BSG (BSGE 30, 115, 116 f = SozR § 7 BVG Nr 8) folgend hat das LSG § 7 Abs 1 Nr 3 BVG nicht als besonderen, selbständigen Versorgungsgrund für Ausländer angesehen, sondern einen bestimmten der in §§ 1 bis 5 BVG gesetzlich geregelten Versorgungstatbestände gefordert. Zu Recht hat es einen solchen Versorgungstatbestand bejaht, weil der Kläger mit seinem Kriegseinsatz als Angehöriger der Waffen-SS militärischen Dienst nach § 2 Abs 1 Buchst a BVG, jedenfalls aber militärähnlichen Dienst nach § 3 Abs 1 Buchst b BVG geleistet hat (vgl BSGE 49, 170, 171 ff = SozR 2200 § 1251 Nr 73).
Der Senat sieht keinen Anlaß, die gefestigte Rechtsprechung zur versorgungsrechtlichen Qualifikation des Kriegseinsatzes von Angehörigen der Waffen-SS aufzugeben, nachdem der Gesetzgeber diese Frage erneut diskutiert und – anders als von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beantragt (vgl BT-Drucks 13/1467, S 1 ff) – in § 1a BVG (eingefügt durch das Gesetz zur Änderung des BVG vom 14. Januar 1998 ≪BGBl I 1998, 66≫) dahin entschieden hat, daß selbst die freiwillige Mitgliedschaft in der SS für sich genommen noch kein Versagungsgrund ist, sondern nur Anhaltspunkt für einen individuellen Verstoß des Berechtigten gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit sein kann, der eine besonders intensive Prüfung erforderlich macht (vgl zur Entstehungsgeschichte des § 1a BVG Kraus, br 1998, 145 ff). Damit hat der Gesetzgeber bestätigt, was bereits bei Einführung des BVG im Jahre 1950 unumstritten war, obwohl die noch im Gesetzentwurf der Bundesregierung enthaltene ausdrückliche Gleichstellung des Dienstes „nach deutschem Wehrrecht” mit dem „Dienst in der Waffen-SS” (BT-Drucks 1/1333, S 3, 47) in den Ausschußberatungen gestrichen und nicht Gesetz geworden ist (vgl Die Verhandlungen des ≪26.≫ Ausschusses für Kriegsopfer und Kriegsgefangenenfragen des Deutschen Bundestags über das Bundesversorgungsgesetz, S 1D bis 4C). Denn sowohl im Ausschuß (vgl aaO S 2A) als auch im Plenum des Bundestages war man sich einig, auch kriegsbeschädigte SS-Angehörige zu versorgen, deren Organisation aber „nicht noch ein namentliches Erinnerungsdenkmal im Gesetz zu setzen” (vgl die Rede des Berichterstatters, Abg. Pohle, Verhandlungen des Deutschen Bundestages, Stenografische Berichte, 1. Wahlperiode, 93. Sitzung vom 19. Oktober 1950, S 3442 ≪D≫).
Trotz dieser Grundentscheidung des Gesetzgebers für eine Versorgung jedenfalls der im Kriegseinsatz beschädigten Mitglieder der Waffen-SS hält das LSG den Kläger nicht für versorgungsberechtigt. Es gesteht zwar zu, daß die ausländischen Freiwilligenverbände der SS unter deutscher Regie aufgestellt und geführt wurden, es stellt auch fest, daß diese Verbände, zu denen die Einheit des Klägers, die 19. Waffen-Grenadier-Division der SS (lettische Nr 2) gehörte, folglich deutsche Verbände waren. Nach Auffassung des LSG hat dieser SS-Verband aber, wie die Waffen-SS allgemein, anders als nach § 7 Abs 1 Nr 3 BVG gefordert, nicht im Rahmen der deutschen Wehrmacht gekämpft. Diese Auslegung, die auf einem Mißverständnis der Rechtsprechung des BSG beruht, führt zu dem unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten bedenklichen Ergebnis, daß zwar deutsche Angehörige des Rahmen- und Führungspersonals der 19. Waffen-Grenadier-Division der SS (lettische Nr 2) Anspruch auf Versorgung haben, nicht aber Letten.
Die vom LSG herangezogene Rechtsprechung des BSG zu § 7 Abs 1 Nr 3 BVG hat stets und ausschließlich ausländische Verbände verbündeter Staaten oder andere, selbständige Ziele verfolgende ausländische Militäreinheiten von der deutschen Militärmacht abgegrenzt, auf deren unmittelbaren Verantwortungsbereich die Ausländerversorgung nach der genannten Vorschrift beschränkt bleiben soll (vgl zum Dienst ungarischer Staatsbürger in Einheiten der königlich-ungarischen Armee BSGE 26, 30 = SozR § 7 BVG Nr 7, BSGE 45, 166 = SozR 3100 § 7 Nr 5; zu Angehörigen der jugoslawischen Cetnik-Verbände SozR § 7 BVG Nr 5 und Urteil vom 20. Mai 1970 - 8 RV 193/68 - Praxis 1970, 563; zu Kroaten in Ustascha-Einheiten Urteil vom 14. Mai 1967 - 10 RV 919/65 - BVBl 1968, 27). Daß an dieser Auslegung festzuhalten ist, ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 7 Abs 1 Nr 3 BVG. Das Gesetz spricht – außer in § 2 Abs 2 BVG – einzig an dieser Stelle statt nur von Wehrmacht von „deutscher” Wehrmacht und grenzt diese damit von ausländischen Streitkräften ab. Damit trägt es dem Prinzip Rechnung, daß Nichtdeutschen eine Entschädigung nach Versorgungsrecht – nur – dann zusteht, wenn der Beschädigte wie ein Deutscher für Deutschland – also nicht vorwiegend für seinen Heimatstaat – ein Opfer an Leben und Gesundheit erbracht hat (BSG SozR 3100 § 7 Nrn 5 und 6; vgl zur Kritik am Aufopferungsanspruch als Rechtsgrundlage der Kriegsopferversorgung Wulfhorst, Soziale Entschädigung, 1994, 39 ff): Das BSG ist deshalb auch in mehreren Entscheidungen unausgesprochen davon ausgegangen, daß der Versorgungsanspruch ausländischer Angehöriger der Waffen-SS nicht schon am fehlenden „Dienst im Rahmen der deutschen Wehrmacht” scheitert (vgl BSGE 30, 115 = SozR § 7 BVG Nr 8 für einen belgischen Angehörigen der SS-Freiwilligen-Sturmbrigade Wallonien und BSGE 45, 166 = SozR 3100 § 7 Nr 5 für Angehörige ungarischer Waffen-SS-Formationen). Im Ergebnis gehört der Kläger danach über § 8 Satz 1 iVm den Richtlinien-Ost zu dem in § 7 Abs 1 Nr 3 BVG beschriebenen versorgungsberechtigten Personenkreis. Der Senat brauchte nicht dazu Stellung zu nehmen, ob das LSG nach dem von ihm angewendeten – fehlerhaften – Maßstab zu Recht entschieden hat, daß die Angehörigen der Waffen-SS trotz der engen Verbindung ihrer Organisation zur Wehrmacht (vgl dazu BSGE 49, 170, 172 f = SozR 2200 § 1251 Nr 73) und trotz der bereits für die SS-Verfügungstruppe mit dem „Führererlaß” vom 17. August 1938 im „Mob. Fall” angeordneten Verwendung „durch den Oberbefehlshaber des Heeres im Rahmen des Kriegsheeres” (vgl Internationaler Militärgerichtshof in Nürnberg ≪IMT≫, Dokumente, Bd XXVI, S 190, 194) allgemein nicht im „Rahmen” der Wehrmacht Dienst getan haben.
Eine abschließende Entscheidung, die trotz fehlenden Sachantrages zulässig wäre (vgl BSGE 25, 251, 253 f = SozR § 146 SGG Nr 15), ist dem Senat allerdings verwehrt. Denn in dem angegriffenen Urteil ist nicht festgestellt, ob die bereits rechtskräftig anerkannten Schädigungsfolgen allein oder zusammen mit weiteren, ggf noch festzustellenden, die Erwerbsfähigkeit des Klägers in rentenberechtigendem Grade mindern. Die Sache ist deshalb zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
Ob dem Kläger nach dem Ergebnis des wiedereröffneten Berufungsverfahrens etwa zustehende Leistungen gemäß § 64 Abs 1 Satz 2 BVG zu versagen sind (vgl Kloepfer, DÖV 1998, 1), wird nur zu prüfen sein, falls dafür konkrete Anhaltspunkte vorliegen (vgl Nr 7 der Richtlinien-Ost): Etwa eine freiwillige Mitgliedschaft in der SS (vgl dazu § 1a Abs 1 Satz 2 BVG; vgl zur Rekrutierung lettischer Staatsangehöriger für Wehrmacht und SS Wilhelm, Die Einsatzgruppe A der Sicherheitspolizei und des SD 1941/42, 1966, 488 ff; Absolon, Sammlung wehrrechtlicher Gutachten und Vorschriften, Heft 22, Nr 4 und Heft 21/22, Nr 81; IMT, Bd XXV, S 88 und Bd XXVII, S 12).
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen
BSGE, 171 |
SozSi 1999, 380 |