Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldanspruch – Bürgerkriegsflüchtling aus Bosnien-Herzegowina – deutsch-jugoslawisches Abkommen über soziale Sicherheit – Staatennachfolge – Fortgeltung deutsch-jugoslawischer Verträge – Aufenthaltstitel – Arbeitnehmer
Leitsatz (amtlich)
1. Das deutsch-jugoslawische Abkommen über soziale Sicherheit ist auch auf Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina anzuwenden.
2. Dem Anspruch eines Bürgerkriegsflüchtlings aus Bosnien-Herzegowina auf Kindergeld steht weder die fremde Staatsangehörigkeit entgegen, noch die bloße Duldung des Aufenthalts in Deutschland, noch die mangelnde Zukunftsoffenheit dieses Aufenthalts.
3. „Kindergeld für Arbeitnehmer” nach Art 2 des Abkommens erhält nur, wer beschäftigt ist oder Krankengeld oder Arbeitslosengeld bezieht.
Stand: 04. August 2000
Normenkette
BKGG § 1 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1994-01-31, Abs. 3 Fassung: 1994-01-31, § 2 Abs. 5 Fassung: 1994-01-31; SGB I § 30 Abs. 1-3; SozSichAbk YUG Art. 2 Abs. 1 Buchst. d Fassung 1974-09-30, Art. 3 Abs. 1 Buchst. a.F.assung 1974-09-30, Art. 4 Abs. 1 S. 1 Fassung 1974-09-30, Art. 28 Abs. 1 S. 1 Fassung 1974-09-30, S. 2 Fassung 1974-09-30, Abs. 2 S. 2 Fassung 1974-09-30; GG Art. 59 Abs. 2 S. 1
Beteiligte
Bundesanstalt für Arbeit -Kindergeldkasse- |
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 16. Dezember 1998 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Der Kläger, seine Ehefrau und die gemeinsamen Kinder J, geboren am 8. Oktober 1980, M, geboren am 27. Juli 1984, und E, geboren am 19. Juni 1988, sind Staatsangehörige der Republik Bosnien und Herzegowina. Sie reisten aus ihrem Heimatstaat im Juli 1991 nach Deutschland ein und hielten sich von da an – ausländerrechtlich geduldet – hier auf. Der Kläger war ab November 1991 sozialversicherungspflichtig beschäftigter Arbeitnehmer. In der Zeit von 1992 bis 1995 war seine Beschäftigung zeitweise durch Arbeitslosigkeit unterbrochen. Er bezog während dieser Zeiten Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe.
Im April 1993 beantragte der Kläger Kindergeld (Kg). Die Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, der Kläger verfüge nicht über den nach § 1 Abs 1 Nr 1 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) geforderten Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (Bescheid vom 11. Mai 1993; Widerspruchsbescheid vom 20. Oktober 1993).
Das Sozialgericht hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Zeit von Oktober 1992 bis Dezember 1993 Kg zu gewähren. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen, weil nach der Neufassung des BKGG Ausländer einen Anspruch auf Kg nur hätten, wenn sie im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis seien (§ 1 Abs 3 Satz 1 BKGG). Diese Voraussetzung erfülle der ausländerrechtlich lediglich geduldete Kläger nicht (Urteil vom 24. November 1994).
Im Berufungsverfahren hat die Beklagte den Anspruch des Klägers auf Kg in Höhe der Sätze des deutsch-jugoslawischen Abkommens über Soziale Sicherheit für die Zeit von Oktober 1992 bis Dezember 1993 anerkannt. Der Kläger hat dieses Teilanerkenntnis angenommen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Beklagte verurteilt, Abkommenskindergeld auch für die Zeit vom 1. Januar 1994 bis zum 31. Dezember 1995 zu gewähren. Im übrigen hat es die Berufungen der Beteiligten zurückgewiesen (Urteil vom 16. Dezember 1998).
Die Beklagte macht mit ihrer Revision eine Verletzung verschiedener Vorschriften des deutsch-jugoslawischen Abkommens über Soziale Sicherheit und außerdem des § 1 Abs 3 BKGG geltend. Der Kläger falle nicht in den persönlichen Anwendungsbereich des Abkommens. Dieses gelte nur für den geregelten Austausch von Arbeitnehmern zwischen den Vertragsstaaten. Im übrigen könne Rechte aus dem Abkommen nicht beanspruchen, wer sich dem Schutz seines (Heimat-)Vertragsstaates durch Flucht entzogen habe. Selbst bei Anwendung des Abkommens sei ein Anspruch auf Kg durch § 1 Abs 3 Satz 1 für die Zeit ab 1. Januar 1994 ausgeschlossen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 16. Dezember 1998 insoweit aufzuheben als die Beklagte zur Zahlung von Kindergeld nach Maßgabe des deutsch-jugoslawischen Abkommens über Soziale Sicherheit für die Kinder J, M und E für die Zeit vom 1. Januar 1994 bis zum 31. Dezember 1995 verpflichtet worden ist.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält das Berufungsurteil für zutreffend.
II
Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Zurückverweisung begründet.
Der Kläger hat zwar Anspruch auf Kg für seine Kinder J, M und E auch für die Zeiträume, der – im Revisionsverfahren allein noch umstrittenen – Jahre 1994 und 1995, während derer er Arbeitnehmer gewesen ist. Das folgt aus dem BKGG idF vom 1. Januar 1994 (neu bekanntgemacht am 31. Januar 1994, BGBl I 1994, 169) iVm dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (AbkJugSozSich nachfolgend: Abk) vom 12. Oktober 1968 (BGBl II 1969, 1438) idF des Änderungsabkommens vom 30. September 1974 (BGBl II 1975, 389). Der Senat gibt die seinen Urteilen vom 19. November 1997 (14/10 RKg 19/96 - ZAR 2000, 18) und vom 22. Januar 1998 (B 14 KG 2/97 R) zugrundeliegende abweichende Auffassung auf. Die im Berufungsurteil getroffenen Feststellungen lassen allerdings keine abschließende Entscheidung zu, weil sich daraus nicht ergibt, während welcher Zeiträume der Kläger Arbeitnehmer gewesen ist.
Die Beklagte kann nicht geltend machen, der Kläger habe als Ausländer, der sich in Deutschland nicht gewöhnlich aufhalte, keinen Anspruch auf Kg. Zwar ist der Anspruch nach § 1 Abs 3 BKGG für solche Ausländer ausgeschlossen, die weder eine Aufenthaltsberechtigung noch eine Aufenthaltserlaubnis besitzen, und nach § 1 Abs 1 Nr 1 BKGG ist nur anspruchsberechtigt, wer im Geltungsbereich des Gesetzes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Obwohl der Kläger diese Voraussetzungen nicht erfüllt, weil er in Deutschland ausländerrechtlich nur geduldet wird, ihm somit ein qualifizierter Aufenthaltstitel fehlt und er sich hier mangels eines rechtlich gesicherten und damit zukunftsoffenen Aufenthalts auch nicht „gewöhnlich” iS des § 30 Abs 1, 3 Sozialgesetzbuch – Erstes Buch – (SGB I) iVm dem BKGG aufhält (vgl dazu – zuletzt – das Senatsurteil vom 22. November 1998 - B 14 KG 2/97 R -), hat er Anspruch auf Kg. Denn nach den spezielleren Vorschriften des Abk steht er einem deutschen Staatsangehörigen gleich, und die Voraussetzung des Inlandsaufenthaltes gilt für ihn nicht (ebenso für das einkommenssteuerrechtliche Kg: FG Düsseldorf, EFG 1999, 567; Hildesheim, DStZ 2000, 25, 29 f; aA FG Rheinland-Pfalz, EFG 1998, 1598; FG Münster, EFG 1998, 1208; Hessisches FG, EFG 1999, 78 für das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit).
Das Abk ist im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Bosnien und Herzegowina weiter anzuwenden (Bekanntmachung über die Fortgeltung der deutsch-jugoslawischen Verträge im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Bosnien und Herzegowina vom 16. November 1992, BGBl II 1992, 1196). Der 12. Senat des Bundessozialgerichts (BSG SozR 3-2500 § 10 Nr 11) ist, ohne sich mit dieser Frage näher zu befassen, von der Anwendbarkeit des Abk auch im Verhältnis zur Republik Bosnien und Herzegowina ausgegangen, obwohl die zuständigen Körperschaften (Bundestag und Bundesrat) der durch die Regierungen erklärten Weiteranwendung der deutsch-jugoslawischen Verträge im Verhältnis zwischen Deutschland und Bosnien-Herzegowina nicht in Form eines Bundesgesetzes (Art 59 Abs 2 Satz 1 Grundgesetz ≪GG≫) zugestimmt haben (vgl außerdem die Rechtsprechung des 5. und des 13. Senats über die Weitergeltung des Abk im Verhältnis zu Kroatien ≪BGBl II 1992, 1146≫: BSGE 81, 37 = SozR 3-1500 § 66 Nr 7 und BSGE 80, 108 = SozR 3-2200 § 1247 Nr 22 sowie des 13. Senats für die Weitergeltung des Abk im Verhältnis zu Slowenien ≪BGBl II 1993, 1261≫: Urteil vom 3. November 1994 - 13 RJ 61/93 = SozSich 1997, 75). Der erkennende Senat hat bereits im Urteil vom 16. Dezember 1999 - B 14 KG 1/99 R - (zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen) entschieden, daß das Abk im Verhältnis zur ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien weiter anzuwenden ist (vgl die Bekanntmachung über die Fortgeltung: BGBl II 1994, 326). Eines Transformationsgesetzes nach Art 59 Abs 2 Satz 1 GG bedurfte es nicht (vgl demgegenüber zur Frage der Fortgeltung von der DDR geschlossener Sozialabkommen nach Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland BSGE 83, 19, 22 f und 224, 229 f = SozR 3-8100 Art 12 Nrn 1 und 3; BSG, Urteil vom 1. Februar 2000 - B 8 KN 8/97 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Die Bundesregierung ist von der Fortgeltung deutsch-jugoslawischer Verträge im Verhältnis zu den Nachfolgestaaten Jugoslawiens ipso iure ausgegangen und hat sich diese Auffassung von den neuen Partnerstaaten bestätigen lassen (vgl Beemelmans, OstEuR 1994, 339, 366). Bundestag und Bundesrat teilen diese Auffassung. Das ergibt sich aus dem (Zustimmungs-)Gesetz zu dem Abkommen vom 24. September 1997 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Slowenien über Soziale Sicherheit (BGBl II 1998, 1985). Denn dort ist in Art 43 bestimmt, daß das Abk 1968 – erst – mit Inkrafttreten dieses neuen Abkommens – am 1. September 1999 (BGBl II 1999, 796) – außer Kraft tritt, bis dahin also im Verhältnis zu Slowenien weitergegolten hat.
Die zwischenstaatlichen Normen des Abk sind gegenüber den Vorschriften des BKGG vorrangig. Der Vorrang über- und zwischenstaatlichen Rechts vor inländischen Normen ist, im Gegensatz zum Sozialversicherungsrecht (vgl § 6 Sozialgesetzbuch – Viertes Buch – ≪SGB IV≫), im BKGG nicht ausdrücklich geregelt; er ist jedoch – wenn auch beschränkt auf Regelungen über den Wohnsitz und den gewöhnlichen Aufenthalt – in § 30 Abs 2 SGB I positiv-rechtlich ausgesprochen und gilt als allgemeiner Rechtsgrundsatz (BSGE 52, 210, 213 = SozR 6180 Art 13 Nr 3; allgemein zum Vorrang zweiseitiger Kollisionsnormen: Eichenhofer, Internationales Sozialrecht, 1994, RdNr 129; von Maydell, Internationales Sozialversicherungsrecht, Festschrift zum 25-jährigen Bestehen des Bundessozialgerichts, Band 2, 1979, 943, 961 f; Seewald, KassKomm, § 6 SGB IV RdNr 1; zum Vorrang des Abkommensrechts vor dem deutschen internationalen Kg-Recht vgl Eichenhofer, aaO, RdNr 562; Schuler, Das internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1988, 820).
Der Kläger fällt auch als Bürgerkriegsflüchtling unter den persönlichen Anwendungsbereich des Abk; allerdings nur für die Zeiten, während derer er in Deutschland entweder beschäftigt war oder Krankengeld oder Arbeitslosengeld bezogen hat. Zu Unrecht meint die Beklagte, die Vertragsstaaten des Abk hätten lediglich Wanderarbeitnehmer gegenseitig begünstigen wollen, also Arbeitnehmer, die mit Wissen und Willen der beteiligten Regierungen in einem der Vertragsstaaten auf Zeit unselbständig erwerbstätig sind. Weder aus dem Text des Abk, noch aus dem Schlußprotokoll zum Abk, noch aus der das Abk begleitenden Denkschrift und auch nicht aus der Begründung zum Vertragsgesetz (sämtlich wiedergegeben in BR-Drucks 98 und 99/69) ergibt sich ein Anhaltspunkt für ein derartiges Regelungsziel. In der den Abschluß und das Inkrafttreten des Abk begleitenden Literatur wird ausdrücklich klargestellt, daß der persönliche Geltungsbereich des Abk nicht abgegrenzt ist, es vielmehr alle Personen einbezieht, die innerhalb des sachlichen Anwendungsbereiches rechtserhebliche Tatbestände erfüllen (Terbach, BArbBl 1969, 213, 214).
Der Senat verkennt nicht, daß Anlaß für den Abschluß des Abk vor allem die soziale Sicherstellung der damals in Deutschland beschäftigten etwa 100.000 jugoslawischen Arbeitnehmer gewesen ist (vgl BR-Drucks 98/69, S 19), die überwiegend in einem geordneten Anwerbeverfahren für eine Arbeit in Deutschland gewonnen worden waren (vgl dazu die Formulierung „andere Anwerbeländer” in dem 1974 eingefügten Art 28 Abs 2 Satz 2 Abk). Selbst wenn man aus diesen, bei Abschluß des Abkommens herrschenden Verhältnissen eine Begrenzung des persönlichen Anwendungsbereiches ableiten wollte, so führte dies jedenfalls nicht zum Ausschluß von Bürgerkriegsflüchtlingen, die den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt und damit zu den Systemen der sozialen Sicherheit nicht über ein Anwerbeverfahren gefunden, sondern aufgrund eigener Initiative durch die ihnen nach der Flucht vor den Bürgerkriegswirren – ungeachtet fehlender qualifizierter Aufenthaltstitel – ausnahmsweise erteilten Arbeitserlaubnisse erreicht haben. In diesem Zusammenhang kann unentschieden bleiben, was für Asylbewerber gilt, die sich wegen politischer Verfolgung im (Heimat)-Vertragsstaat von diesem abgewendet haben. Ebenso kann unentschieden bleiben, ob die Auffassung zutrifft, daß zu den durch das Abk begünstigten Personen solche nicht gehören, durch deren Beschäftigung gegen Vorschriften über die Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer verstoßen wird (vgl Dienstanweisung des Bundesamtes für Finanzen zur Durchführung des Familienlastenausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommenssteuergesetzes unter Ziff 112.1 Abs 3). Denn der Kläger ist kein Asylbewerber und die von ihm während der Jahre 1994 und 1995 zeitweise ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung war nach den Feststellungen des LSG nicht unerlaubt.
Das Abk bezieht sich nach Art 2 Abs 1 Buchst d sachlich auf die deutschen Vorschriften über das Kg für Arbeitnehmer. Diesen Status hatte der Kläger jedenfalls während der – im einzelnen noch nicht festgestellten – Zeiträume seiner versicherungspflichtigen Beschäftigung in den Jahren 1994 und 1995. Darüber hinaus nur, soweit er Krankengeld wegen vorübergehender Arbeitsunfähigkeit oder Arbeitslosengeld bezogen hat. Dieser enge Arbeitnehmerbegriff (vgl zum deutsch-türkischen Abkommen BSG SozR 5870 § 2 Nr 55 und SozR 3-5870 § 2 Nr 11) ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte des Abk und aus dessen Art 28. Anders als nach deutschem materiellen Kg-Recht hatten nach dem – in den Teilrepubliken unterschiedlichen – jugoslawischen Recht nur Arbeitnehmer Anspruch auf Kg (vgl zu den Voraussetzungen einer Wartezeit und einer vollschichtigen Tätigkeit als Arbeitnehmer RdErl 375/74 der Bundesanstalt für Arbeit ≪Stand Juni 1992≫, Tz 127.12). Die gegenseitig eingegangenen Verpflichtungen konnten also nur durch eine Beschränkung des sachlichen Geltungsbereiches auf das „Kindergeld für Arbeitnehmer” (auch für Deutschland) im Gleichgewicht gehalten werden. Da es ausländerdiskriminierende Vorschriften im deutschen Kg-Recht weder bei Abschluß des Abkommens 1968 noch bei dessen Änderung im Jahre 1974 gab, wirkte sich diese Begrenzung nur auf Personen aus, deren Kinder sich im anderen Vertragsstaat (Jugoslawien) aufhielten. Für sie ergab sich – schon damals – ein Anspruch auf Kg erst aus dem Abk und damit nach dessen Art 28 Abs 1 nur, wenn die „Person” (der Anspruchsberechtigte) in Deutschland beschäftigt war. Das Änderungs-Abk verbesserte diese Position; der enge Arbeitnehmerbegriff wurde allerdings nur geringfügig erweitert, indem Bezieher von Krankengeld und Arbeitslosengeld einbezogen wurden (Art 28 Abs 1 Satz 2 Abk).
Nach Art 3 Abs 1 Buchst a Abk stehen persönlich bei Anwendung der Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland deren Staatsangehörigen die Staatsangehörigen des anderen Vertragsstaates (Jugoslawiens, hier nunmehr Bosnien-Herzegowinas) gleich, wenn sie sich im Gebiet eines Vertragsstaates (der Bundesrepublik Deutschland oder Bosnien-Herzegowinas) gewöhnlich aufhalten. Diese Voraussetzungen erfüllte der Kläger im hier strittigen Zeitraum. Es kommt nicht darauf an, ob er in der Bundesrepublik Deutschland – mangels Zukunftsoffenheit – seinen gewöhnlichen Aufenthalt iS des BKGG noch nicht und in Bosnien-Herzegowina – infolge der Flucht und der seither vergangenen Zeit – nicht mehr, also in den Jahren 1994 und 1995 überhaupt keinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt hat. Ein solches möglicherweise aus § 30 Abs 1, 3 SGB I iVm dem BKGG folgendes Ergebnis schließt das Abk aus. Die Forderung des Art 3 Abs 1 Abk nach einem gewöhnlichen Aufenthalt in einem der Vertragsstaaten (vgl BSG SozR 3-2500 § 10 Nr 11) dient lediglich der Abgrenzung des uneingeschränkt berechtigten Personenkreises zu solchen Personen, die sich außerhalb der Gebiete beider Vertragsstaaten gewöhnlich aufhalten (Art 3 Abs 2 Abk). Das Abk geht ersichtlich davon aus, daß jedermann einen gewöhnlichen Aufenthalt hat und zwar entweder in einem der Vertragsstaaten oder außerhalb ihrer Gebiete. Kommen – wie hier – nur die Vertragsstaaten in Betracht, so folgt daraus die uneingeschränkte Gleichstellung nach Art 3 Abs 1 Abk.
Es kommt im Blick auf § 1 Abs 1 BKGG auch nicht darauf an, in welchem der Vertragsstaaten der Kläger nach seiner Flucht und anschließend während der hier streitigen Zeit (1994 und 1995) seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt hat. Nach Art 4 Abs 1 Satz 1 Abk gelten, soweit das Abk nichts anderes bestimmt, die Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates (hier der Bundesrepublik Deutschland), nach denen die Entstehung von Ansprüchen auf Leistungen vom Inlandsaufenthalt abhängig ist, nicht für die in Art 3 Abs 1 genannten Personen, die sich im Gebiet des anderen Vertragsstaates (Jugoslawien, nunmehr Bosnien-Herzegowinas) aufhalten. Danach steht es der Anspruchsvoraussetzung des § 1 Abs 1 BKGG, wonach kindergeldberechtigt nur ist, wer seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des BKGG hat, gleich, wenn sich der Antragsteller im anderen Vertragsstaat aufhält.
Dem Anspruch des Klägers auf Kg steht schließlich § 2 Abs 5 BKGG nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift werden Kinder nicht berücksichtigt, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes haben. Die Kinder J, M und E hatten zwar – nach dem Maßstab des § 30 Abs 1, 3 SGB I iVm dem BKGG (vgl dazu zuletzt das Senatsurteil vom 22. November 1998 - B 14 KG 2/97 R -) – ebensowenig wie der Kläger selbst einen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Die Anspruchsvoraussetzung des Inlandsaufenthaltes gilt nach § 4 Abs 1 Satz 1 Abk bei einem Aufenthalt der Kinder im anderen Vertragsstaat aber nicht (vgl dazu für das Krankenversicherungsrecht BSG SozR 3-2500 § 10 Nr 11: Anspruch eines Bürgerkriegsflüchtlings aus Bosnien-Herzegowina auf Familienbeihilfe für Angehörige trotz fehlenden Inlandsaufenthaltes). Danach ist es grundsätzlich auch gleichgültig, wo J, M und E sich gewöhnlich aufgehalten haben, solange dafür – wie hier im streitigen Zeitraum – nicht das Vertragsausland, sondern nur einer der Vertragsstaaten in Betracht kommt.
Dieses Ergebnis wird durch Art 28 Abs 1 Satz 1 Abk bestätigt. Nach dieser Vorschrift haben in einem Vertragsstaat (Deutschland) beschäftigte Personen Anspruch auf Kg für ihre im Gebiet des anderen Vertragsstaates (Bosnien-Herzegowina) gewöhnlich sich aufhaltenden Kinder – nur – in Höhe besonders vereinbarter Sätze. Mithin wird durch Art 28 Abk – anders als vom LSG angenommen – nicht erst ein Anspruch auf Kg für solche Kinder begründet, die sich nicht im Beschäftigungsland des Arbeitnehmers, sondern im anderen Vertragsstaat gewöhnlich aufhalten. Wie gezeigt folgen solche Ansprüche schon aus Art 4 Abs 1 Abk. Durch Art 28 Abk werden diese Ansprüche – vor allem der Höhe nach – begrenzt auf das sog Abkommenskindergeld. Die – niedrigeren – Sätze des Abkommenskindergeldes berücksichtigen das Kaufkraftgefälle und die unterschiedlichen Unterhalts- und Erziehungskosten in Deutschland einerseits und Jugoslawien (hier: Bosnien-Herzegowina) andererseits. Art 28 Abk hat danach keine andere Funktion, als im Abkommensrecht das Wohnlandprinzip durchzusetzen: Die Höhe des Kg richtet sich nach den Unterhalts- und Erziehungskosten des Landes, in dem das Kind wohnt oder – in den Worten der Vorschrift – sich gewöhnlich aufhält (vgl Leder, BArbBl 1975, 33, 37; Eichenhofer aaO RdNr 567). J, M und E wohnten während der Jahre 1994 und 1995 in Deutschland.
Das LSG wird danach im wiedereröffneten Berufungsverfahren allein über Kg für die Jahre 1994/1995 zu entscheiden und hierfür zunächst aufzuklären und festzustellen haben, während welcher Zeiträume der Kläger in diesen Jahren beschäftigt gewesen ist oder Krankengeld oder Arbeitslosengeld bezogen hat. Während dieser Zeiten besteht Anspruch auf Kg nach deutschen Sätzen; im übrigen hat der Kläger keinen Anspruch auf Kg, auch nicht in Höhe der Abkommenssätze.
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 513994 |
BSGE, 115 |
Streit 2001, 82 |
ZAR 2000, 275 |
SozSi 2000, 436 |