Beteiligte
Kläger und Revisionsbeklagter |
Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
I
Streitig ist die Erstattung von Leistungen, die in Ausführung eines später aufgehobenen Urteils erbracht worden sind.
In einem Vorprozeß wurde die Beklagte vom Sozialgericht (SG) Berlin verurteilt, dem Kläger für die Zeit von Dezember 1978 an Erwerbsunfähigkeitsrente zu zahlen (Urteil vom 14. Januar 1981). Die Beklagte legte hiergegen Berufung ein, führte das Urteil aber für die Zeit ab Januar 1981 aus und setzte die Rente durch Bescheide vom 21. April und 22. Mai 1981 auf (zuletzt) monatlich 565,60 DM fest; beide Bescheide enthielten den Vorbehalt, gezahlte Rentenbeträge zurückzufordern, wenn das Urteil aufgehoben werden sollte.
Nachdem das Landessozialgericht (LSG) Berlin das sozialgerichtliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen hatte, erließ die Beklagte am 16. Juli 1982 einen auf § 50 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB X) gestützten Bescheid über einen Anspruch auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen in Höhe von 10.376,40 DM, weil für die Zeit von Januar 1981 bis Juni 1982 kein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bestanden habe. In einem Nachsatz wurde der Kläger für den Fall, daß er den Betrag nicht in einer Summe zurückzahlen könne, gebeten, einen Vordruck auszufüllen und annehmbare Vorschläge für eine ratenweise Tilgung zu unterbreiten.
Das SG Berlin hat den Bescheid vom 16. Juli 1982 aufgehoben (Urteil vom 9. Dezember 1982). Das LSG Berlin hat die Berufung gegen dieses Urteil zurückgewiesen und den Bescheid der Beklagten vom 20. Juni 1983, mit dem in Abänderung des Bescheides vom 16. Juli 1982 der Erstattungsanspruch wegen der dem Sozialamt überwiesenen Beträge in Höhe von 3.169,40 DM auf 7.207,- DM ermäßigt worden war, aufgehoben. Es hat im Urteil vom 27. Juni 1983 ausgeführt:
Zwar sei das Anhörungsrecht nach § 24 SGB X nicht verletzt, weil sich der Kläger während des Widerspruchsverfahrens habe äußern können; die Beklagte sei jedoch zur Rückforderung der gezahlten Rentenbeträge nicht berechtigt. Rechtsgrundlage sei § 50 Abs. 2 SGB X - und nicht Abs. 1 dieser Vorschrift -, da die Rentenzahlung auf keiner Entscheidung der Beklagten, sondern auf der durch das Urteil auferlegten Verpflichtung beruht habe. Die Möglichkeit der Rückforderung ergebe sich aus § 45 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 3 SGB X, wonach ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung zurückgenommen werden könne, wenn er mit einem zulässigen Vorbehalt erlassen worden sei. Die Vorschrift räume aber ein Ermessen ein, das hier nur dahin ausgeübt werden dürfe, von der Rückforderung abzusehen, denn der Kläger habe während der Rentenbezugszeit nur das Mindesteinkommen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) gehabt. Falls er nun mit einer Verbindlichkeit von 7.207,- DM belastet würde, stünde er schlechter, als wenn das sozialgerichtliche Urteil nicht ausgeführt worden wäre (Hinweis auf BSG, Urteil vom 31. Mai 1979 - 11 RA 58/78 = SozR 2200 § 1301 Nr. 11).
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts. Die in Ausführung des sozialgerichtlichen Grundurteils erlassenen Rentenfeststellungsbescheide seien Verwaltungsakte. Deshalb komme § 50 Abs. 1 SGB X zur Anwendung, wonach der Leistungsträger ohne Rücksicht auf Ermessenserwägungen zum Erlaß des Erstattungsbescheids verpflichtet sei. Allenfalls im Rahmen des § 76 Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV) könne der Versicherungsträger über die Billigkeit der Durchsetzung des Erstattungsanspruchs entscheiden; eine solche Entscheidung sei bisher nicht ergangen.
Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil und das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 9. Dezember 1982 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
II
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben zu Recht die Rückforderungsbescheide vom 16. Juli 1982 und 20. Juni 1983 aufgehoben.
Bedenken gegen die Zulässigkeit der Anfechtungsklage bestehen nicht. Ein Vorverfahren ist durchgeführt worden; die Widerspruchsstelle der Beklagten hat lediglich nicht über den Widerspruch entschieden, sondern ihn mit schriftlicher Zustimmung des Klägers als Klage dem SG zugeleitet (§ 85 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Daß wegen des mit der Rückforderung verbundenen Eingriffs in Rechte des Klägers die nach § 24 SGB X erforderliche Anhörung zunächst unterblieben war, schadet nicht, weil sie während des Widerspruchsverfahrens nachgeholt wurde. Die Beklagte hat aber mit ihrer Rückforderung gegen geltendes Recht verstoßen.
Die Voraussetzungen und Modalitäten der Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen regelt § 50 SGB X. Die Beklagte berief sich in ihrem Rückforderungsbescheid auf § 50 SGB X, ohne zu differenzieren, ob es sich um Abs. 1 oder 2 der Vorschrift handele. Erst später hat sie sich auf den Standpunkt gestellt, Abs. 1 finde Anwendung.
Vorweg stellt sich jedoch die Frage, ob für die Erstattung der (Renten-) Beträge, die aufgrund eines später aufgehobenen Urteils nach § 154 Abs. 2 SGG geleistet worden sind, § 50 SGB X überhaupt Platz greift - etwa mit der Überlegung, daß eine durch nicht rechtskräftiges Urteil geschaffene vorläufige Regelung des Streitverhältnisses die Rechte des verurteilten Leistungsträgers nicht mindern dürfe, sondern in vollem Umfang wahren und ihm deshalb ein Erstattungsanspruch zustehen müsse. So hat der (damals) mit Aufgaben der Kriegsopferversorgung (KOV) befaßte 10. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in Verfolg dieses Gedankens im Urteil vom 15. August 1967 - 10 RV 927/65 (BSGE 27, 102 = SozR Nr. 2 zu § 717 Zivilprozeßordnung - ZPO -) einen Kläger als verpflichtet angesehen, die durch ein nicht rechtskräftiges Urteil nach § 154 Abs. 2 SGG erlangten Leistungen entsprechend § 717 Abs. 2 ZPO zurückzuerstatten. Indessen bestehen gegen eine derartige, aus § 202 SGG hergeleitete entsprechende Anwendung schwerwiegende Bedenken, weil § 198 Abs. 2 SGG ausdrücklich bestimmt, daß die Vorschriften der ZPO über die vorläufige Vollstreckbarkeit, den Arrest und die einstweilige Verfügung nicht anzuwenden sind; § 717 Abs. 2 ZPO gehört jedoch im System der ZPO nach Inhalt und Stellung im Gesetz zu den Vorschriften über die vorläufige Vollstreckbarkeit (so bereits BSGE 3, 135, 140). Darüber hinaus geht auch der 10. Senat von der Anwendung des § 47 Abs. 4 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) in der KOV aus, wonach die Versorgungsbehörde auf die Rückforderung verzichten kann, wenn dies sonst für den Verpflichteten eine besondere Härte bedeuten würde (BSGE a.a.O. S. 108, insoweit in SozR nicht abgedruckt), so daß dann beim Vorliegen der sonstigen Rückforderungsvoraussetzungen eine Ermessensentscheidung erforderlich wird. Im Hinblick auf diese Einschränkungen und Besonderheiten fragt sich bereits, ob überhaupt noch von einer entsprechenden Anwendung des § 717 Abs. 2 ZPO gesprochen werden kann. Die vorgenannte Rechtsprechung ist dann auch in der KOV nicht fortgesetzt worden. In zwei Urteilen vom 26. August 1971 und vom 23. April 1975 (BSGE 33, 118 = SozR Nr. 9 zu § 154 SGG und BSGE 39, 255 SozR 1500 § 154 Nr. 3) hat der 9. Senat einen ungeschriebenen allgemeinen Rechtsgrundsatz angenommen, nach dem der Kläger das durch die "Urteilsrente" Erlangte zurückerstatten müsse. Auch auf anderen Gebieten des Sozialrechts ist ein allgemeiner Erstattungsanspruch in den Fällen des § 154 Abs. 2 SPG - vorbehaltlich besonderer Einschränkungen in den einzelnen Rechtsmaterien - zugrunde gelegt worden (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 17. Juli 1980 - 7 RAr 55/79 = SozR 4100 § 152 Nr. 11 für die Arbeitsförderung).
In der gesetzlichen Rentenversicherung sah der 11. Senat im Urteil vom 15. März 1966 - 11 RA 309/64 - (SozR Nr. 8 zu § 1301 Reichsversicherungsordnung - RVO - die Rückerstattungspflicht der aufgrund eines aufgehobenen Urteils empfangenen Leistungen als "Untergruppe der zu Unrecht gezahlten Leistungen" an und hob hervor, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse des Leistungsempfängers nach den inzwischen mit Wirkung vom 1. Januar 1981 (Art. 2 § 4 Nr. 1 und § 6 Nr. 1 i.V.m. Art. II § 40 Abs. 1 SGB X) aufgehobenen § 80 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG - und § 1301 RVO schon bei der Rückforderung selbst - nicht erst bei der Vollstreckung - zu berücksichtigen seien (ähnlich zu letzterem auch: SozR Nrn. 10 und 18 zu § 1301 RVO; vgl. auch Urteile des erkennenden Senats vom 10. Juni 1980 - 4 RJ 115/79 = BSGE 50, 144 = SozR 2200 § 1301 Nr. 13 und vom 21. September 1983 - 4 RJ 84/82 -).
Im Hinblick auf die dargelegte bisherige Rechtslage und die dazu ergangene Rechtsprechung ist es nur folgerichtig, daß der Regierungsentwurf zum SGB - Verwaltungsverfahren - die Anwendung des § 50 SGB X auf Leistungen aufgrund von Urteilen ohne aufschiebende Wirkung einschließlich der Fälle einer "Urteilsrente" bejaht hat. Dabei ist in diesem Zusammenhang ohne Belang, daß der Entwurf irrtümlich davon ausgegangen ist, es handele sich um "vorläufig vollstreckbare Urteile" (vgl. insbesondere BT-Drucks. 8/2034 S. 36, Begründung zu Art. 1 § 48 und S. 63 unter Nr. 30, Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrats). Allerdings hat der Bundesrat in seiner Stellungnahme (a.a.O. S. 51 unter Nr. 30) bezweifelt, ob es mit den Prozeßgesetzen im Einklang stehe, § 48 Abs. 2 A § 50 Abs. 2 SGB X) - wie die Begründung dies hervorhebe - auf die Fälle zu erstrecken, "in denen Leistungen aufgrund eines vorläufig vollstreckbaren Urteils erbracht worden sind". Er hat gemeint, für diesen Fall seien die Rechtsfolgen im sozialgerichtlichen Verfahren durch § 202 SGG i.V.m. § 717 Abs. 2 ZPO bestimmt (Hinweis auf BSGE 27, 102). Demgegenüber hat jedoch die Bundesregierung eingewandt, daß die Rechtsprechung zu dieser Frage unterschiedlich sei (a.a.O. S. 63). Im Schrifttum wird, soweit ersichtlich, ebenfalls die Anwendung des § 50 SGB X im Zusammenhang mit "Urteilsrenten" bejaht.
Schwieriger ist allerdings zu entscheiden, ob sich die Erstattung von Leistungen, die aufgrund eines später aufgehobenen Urteils erbracht worden sind, nach Abs. 1 oder 2 des § 50 SGB X richtet. Die Vorschrift unterscheidet zwischen Leistungen, die aufgrund eines Verwaltungsaktes, und solchen, die ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind. Für die erste Gruppe bestimmt § 50 Abs. 1 (nach der Fassung durch das Gesetz vom 4. November 1982 - BGBl. I 1450 Abs. 1 Satz 1), daß bereits erbrachte Leistungen zu erstatten sind, (wenn und) "soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist". Dies bedeutet: wird der Verwaltungsakt aufgehoben, müssen die aufgrund dieses Verwaltungsaktes erbrachten Leistungen erstattet werden, ohne daß der Behörde dann noch ein Ermessen eingeräumt wäre, von der Erstattung abzusehen. Diese Wirkung tritt nur dann nicht oder nur beschränkt ein, wenn - logisch vorrangig und zumindest gleichzeitig (zu letzterem vgl. § 50 Abs. 3 Satz 2, SGB X) - die Prüfung im Rahmen der §§ 45, 48 SGB X ergeben hat, daß von der Rücknahme des früheren Verwaltungsaktes abgesehen oder nur teilweise Gebrauch gemacht wird.
Die zweite Gruppe (§ 50 Abs. 2 SGB X) erfaßt "Leistungen ohne Verwaltungsakt" und sieht vor, daß diese, "soweit zu Unrecht erbracht …, zu erstatten sind". Könnte diese Wortfassung zunächst auf ein unbedingtes Rückforderungsgebot hindeuten, so stellt Satz 2, wonach §§ 45 und 47 (nach der Fassung durch Gesetz vom 4. November 1982: §§ 45 und 48) entsprechend gelten, im Anschluß daran klar, daß die Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes (sinngemäß) vorliegen müssen, auch wenn gar kein Verwaltungsakt vorausgegangen ist.
Soweit die Beklagte meint, aus einem Grundurteil - wie vorliegend das die Erwerbsunfähigkeitsrente zusprechende Urteil des SG Berlin vom 14. Januar 1981 - könne nicht vollstreckt werden, ist dies, unbeschadet der noch strittigen Frage einer analogen Anwendung des § 201 SGG auch auf Grundurteile (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 2. Aufl. Anm. 3 zu § 198), für die hier zu treffende Entscheidung über die Rechtsnatur des Rückforderungsanspruches im Rahmen des § 154 Abs. 2 SGG unerheblich; auch ein Grundurteil begründet die rechtliche Verpflichtung des Versicherungsträgers, ab Urteilsverkündung vorläufig zu leisten (so BSGE 39, 255, 258).
Zuzugeben ist der Beklagten allerdings, daß auch Ausführungsbescheide von Grundurteilen Verwaltungsakte i.S. von § 31 SGB X sind; hier besteht weder Anlaß, von der bisherigen Rechtsprechung (z.B. Urteil vom 27. Juli 1967 - 12 RJ 92/64 = BSGE 27, 81 = SozR Nr. 6 zu § 130 SGG) abzugehen, noch einen Unterschied zwischen Bescheid und Verwaltungsakt i.S. des SGB X zu machen. Wenn aber die Beklagte (ebenso: VDR-Komm. SGB X § 50 Anm. 7) schon aus dem Vorhandensein eines Verwaltungsaktes (Leistungsbescheides) folgert, § 50 Abs. 1 SGB X müsse zum Zuge kommen, kann dem so nicht zugestimmt werden. Für einen solchen Negativrückschluß fehlt dem Gesetzeswortlaut die Aussagekraft; dieser ist nicht auf Fälle der aus Urteilsrenten resultierenden Rückforderung zugeschnitten. Wollte man nämlich Abs. 1 anwenden, müßte der begünstigende Verwaltungsakt tatsächlich aufgehoben worden sein (VDR-Komm. a.a.O. Anm. 5), worunter nach dem Sinnzusammenhang nur die Aufhebung durch die Verwaltung gemeint sein kann. Da die Beklagte aber ihre Ausführungsbescheide vom 21. April und 22. Mai 1981 nicht aufgehoben hat, kann sie sich schon deshalb nicht mit Erfolg auf § 50 Abs. 1 SGB X berufen. Denn die Aufhebung (oder Teilaufhebung) eines Verwaltungsaktes, der die Gewährung einer Leistung beinhaltet hatte, betrifft zugleich einen (zumindest teilweise) begünstigenden Verwaltungsakt. Da aber die Behörde im Fall einer unrechtmäßigen Zahlung nach § 45 Abs. 1 SGB X nur unter bestimmten Voraussetzungen den begünstigenden Verwaltungsakt aufheben "darf" (nicht: muß), steht ihr - auch beim Vorliegen dieser Voraussetzungen - noch ein Ermessen zu, ob (und ggf. inwieweit) sie zurückfordert (vgl. BSG, Urteil vom 18. August 1983 - 11 RZLw 1/82 S 6 f.). Ein solches Ermessen kann nur die Verwaltung, nicht das Gericht ausüben. Deshalb kann § 50 Abs. 1 SGB X aus den bereits vom LSG erörterten Gründen jedenfalls nicht unmittelbar auf die Rückforderung des aufgrund einer Urteilsrente Geleisteten angewandt werden. Auch im vorliegenden Fall hat die Beklagte nicht aufgrund eigener freier Willensentschließung, sondern wegen der Verpflichtung durch das sozialgerichtliche Urteil vom 14. Januar 1981 von dessen Erlaß an Erwerbsunfähigkeitsrente gezahlt. Ihre eigene Regelung im Ausführungsbescheid erschöpfte sich in der Feststellung der Rentenhöhe und des Zahlungsbeginns. Dieser Ausführungsbescheid wurde nach der bisher zu § 154 Abs. 2 SGG ergangenen Rechtsprechung, ohne daß es seiner Aufhebung in einem besonderen Bescheid bedurft hätte, von selbst hinfällig, als das den Ausführungsbescheid tragende SG-Urteil seinerseits vom LSG aufgehoben wurde (vgl. BSGE 9, 169 f.).
Sonach kann im vorliegenden Fall keine Leistungserstattung aufgrund eines "aufgehobenen Verwaltungsaktes" i.S. von § 50 Abs. 1 SGB X in Betracht kommen, weil die Voraussetzungen des § 45 SGB X nicht geprüft werden konnten. Dafür spricht auch § 50 Abs. 3 Satz 2 SGB X, wonach, sofern die Leistung aufgrund eines Verwaltungsaktes erbracht worden ist, die Festsetzung (der Rückforderung) mit der Aufhebung des Verwaltungsaktes verbunden werden soll. Würde man, wie dies die Beklagte anscheinend möchte, die Aufhebung des die Rente gewährenden Urteils der Aufhebung eines Verwaltungsaktes i.S. von § i0 Abs. 1 SGB X gleichsetzen, so führte dies in derartigen Fällen ausnahmslos zur Rückerstattung. Eine solche Lösung hat aber auch der VDR-Komm. (a.a.O. Anm. 7) allem Anschein nach nicht im Auge, wenn er sich zwar für die Anwendung des Abs. 1 ausspricht, gleichzeitig aber betont, für die Praxis komme dieser Streitfrage (ob bei Urteilsrenten Abs. 1 oder 2 Platz greift) keine wesentliche Bedeutung zu.
Der Senat ist daher der Ansicht, daß für die Rückerstattung von Leistungen, die aufgrund eines später aufgehobenen Urteils erbracht worden sind, nur eine sinngemäße Anwendung des § 50 SGB X in Betracht kommt, wobei zumindest für den vorliegenden Rechtsstreit offen bleiben kann, ob Abs. 1 oder Abs. 2 näher liegt. Denn in jedem Falle müssen die Voraussetzungen des § 45 SGB X vorliegen.
Die Erstattungspflicht setzt zunächst voraus, daß die Leistungen zu Unrecht erbracht worden sind, d.h. aufgrund unrichtiger Rechtsanwendung oder ausgehend von einem Sachverhalt, der sich als unrichtig erweist. Das trifft im Falle der Aufhebung eines die Leistung zuerkennenden Urteils zu. Sodann ist - ebenfalls entsprechend § 45 SGB X - die Vertrauensschutzprüfung vorzunehmen und zu untersuchen, ob Vertrauensausschlußgründe vorliegen. Insofern kommt, da die Rückforderung die Zurücknahme eines (tatsächlichen oder fiktiven) Verwaltungsaktes für die Vergangenheit voraussetzt, § 45 Abs. 4 SGB X entscheidende Bedeutung zu. Von den dort aufgeführten Einschränkungen der Verwaltungsaktrücknahme für die Vergangenheit scheidet Abs. 3 Satz 2 (Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO) ebenso von vornherein aus wie von dem weiterhin erwähnten Abs. 2 Satz 3 die Nr. 1 (Erwirkung eines Verwaltungsaktes durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung) sowie die Nr. 2 (Beruhen des Verwaltungsaktes auf Angaben, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat). In Betracht kommt nur Nr. 3 dieses Absatzes, nämlich daß der Kläger (als Begünstigter) "die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte…".
Allerdings bereitet die Formulierung des Gesetzes ähnliche Schwierigkeiten, wie sie im Bereich der Rentenversicherung schon früher unter der Geltung des § 1301 RVO auftraten, weil auch in jener Bestimmung der Fall nicht hinreichend berücksichtigt war, daß der Versicherungsträger eine Leistung aufgrund eines nicht rechtskräftig gewordenen Urteils vorläufig erbringen mußte, die später zu einer zu Unrecht gezahlten Leistung wurde. So hat der 5. Senat des BSG im Urteil vom 27. Februar 1973 - 5 RKn 5/71 - (SozR Nr. 18 zu § 1301 RVO) die Voraussetzung des § 1301 RVO, daß der Leistungsempfänger wußte oder wissen mußte, die Leistung stehe ihm nicht in der gewährten Höhe zu, als für Fälle dieser Art nicht zutreffend bezeichnet und im wesentlichen ausgeführt: Abgesehen davon, daß ein Versicherter, der ein ihm günstiges sozialgerichtliches Urteil erstritten habe, der Überzeugung sei, ihm stehe der Anspruch auf die Leistung auch zu, könne er insbesondere nicht wissen, ob das Urteil Bestand haben oder durch die höhere Instanz aufgehoben werde. Da bei wörtlicher Auslegung somit der Versicherungsträger in derartigen Fällen nie zurückfordern dürfte, dies aber dem deutlich zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers widerspreche, könne auf solche Sachverhalte das Gesetz nur sinngemäß angewandt werden (vgl. auch BSG, Urteil vom 25. September 1969 - 12 RJ 334/68 = SozR Nr. 10 zu § 1301: Weder der Versicherungsträger noch das Gericht habe bei Zahlungen gemäß § 154 Abs. 2 SGG ein Verhalten gezeigt, das beim Versicherten ein schutzwürdiges Vertrauen auf das Zustehen der Leistung hätte rechtfertigen können). Diese Überlegungen haben auch für die Subsumtion des vorliegenden Sachverhaltes unter § 50 Abs. 2 i.V.m. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X ihre Berechtigung.
Des weiteren ist aber in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung, daß die Rentenversicherungsträger stets, wie auch vorliegend, in den Ausführungsbescheid einen Satz über den Vorbehalt aufnehmen, gezahlte Rentenbeträge zurückzufordern, falls das Urteil aufgehoben werden sollte. Obgleich darin keine Nebenbestimmung oder Bedingung des Verwaltungsaktes (Bescheides) i.S. von § 32 SGB X liegt, weil nur wiedergegeben wird, was ohnehin Rechtens ist (vgl. hierzu Hauck/Haines/Recht SGB X/1, 2, K § 32 Rz. 5; Kopp, VwVfG, 3. Aufl. 1983, § 36 Rdnr. 22), so handelt es sich doch um einen Hinweis an den Versicherten, der dessen "Gutgläubigkeit" zusätzlich ausschließt. Im übrigen ist, wie bereits dargelegt, der Regierungsentwurf davon ausgegangen, daß die Rückforderungsvorschrift des § 50 SGB X Fälle des § 154 Abs. 2 SGG ergreift. Der Bundesrat hat noch einen Abs. 2a zu § 48 des Entwurfs anfügen wollen; dieser Vorschlag ist aber vom Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung mit der Begründung abgelehnt worden, daß ihm durch Änderung des § 43 Abs. 2 Satz 3 des Entwurfs (= § 45 des Gesetzes) bereits Rechnung getragen worden sei (Drucks. 8/4022 S. 83).
Wenn sich demzufolge - insofern in Übereinstimmung mit dem früheren, vor Erlaß des SGB X geltenden Recht - auch grundsätzlich ein Versicherter gegenüber dem Anspruch des Versicherungsträgers auf Rückerstattung dessen, was aufgrund eines später aufgehobenen Urteils gezahlt werden mußte, nicht auf sein Vertrauen in den Bestand und die "Richtigkeit" des Ausführungsbescheides berufen kann, so bedeutet dies aber nicht, daß im konkreten Fall der Beklagten dieser Anspruch gegen den Kläger auch zustehe. Denn da die Beklagte worauf bereits hingewiesen wurde - in sinngemäßer Anwendung des § 45 Abs. 1 i.V.m. § 50 Abs. 1 oder 2 SGB X nur zurückfordern "darf", setzt an diesem Punkt eine Überprüfungspflicht ein, ob die Gegebenheiten des Einzelfalles die Rückforderung zum Teil oder ganz ausschließen. Vieles spricht dafür, daß die Beklagte in diese Prüfung gar nicht eingetreten ist, sondern geglaubt hat, zur Rückforderung berechtigt und verpflichtet zu sein, zumal sie in der Revisionsbegründungsschrift einräumt, hier habe noch keine Ermessensprüfung stattgefunden. Träfe das zu, wären die Rückforderungsbescheide möglicherweise schon aus diesem Grunde aufzuheben. Doch kann dies letztlich dahingestellt bleiben. Denn im Ergebnis hat das LSG zutreffend entschieden, daß die Beklagte hier von einer Rückforderung absehen muß.
Daß die Beklagte im vorliegenden Fall nicht zurückfordern darf, ergibt sich nach der Überzeugung des Senats aus dem Grundgedanken des § 42 Abs. 3 Nr. 3 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I). § 42 SGB I enthält zum einen Voraussetzungen, (ab) wann Vorschüsse zu zahlen sind (Abs. 1), daß sie auf die Leistung anzurechnen (Abs. 2 Satz 1) und bei Übersteigen der Leistung vom Empfänger in Höhe des Differenzbetrages zu erstatten sind (Abs. 2 Satz 2). Abs. 3 der Vorschrift bestimmt, daß der Erstattungsanspruch unter gewissen Voraussetzungen zu stunden (Nr. 1) oder niederzuschlagen ist (Nr. 3). Nach Abs. 3 Nr. 3 ist der Erstattungsanspruch zu erlassen, wenn die Einziehung nach Lage des einzelnen Falles für den Leistungsempfänger eine besondere Härte darstellen würde. Nun beinhaltet zwar § 42 Abs. 3 SGB I eine Sondernorm für Vorschüsse, die Regelung geht also den allgemeinen Vorschriften über die Rücknahme fehlerhafter Verwaltungsakte (§§ 45, 50 SGB X) vor und gewährt dem Empfänger eines Vorschusses - weil ihm der vorläufige Charakter der Leistung klar sein muß - nicht den Vertrauensschutz des § 45 SGB X (vgl. hierzu Bley in SGB-SozVers Komm., I § 42, 9g); gerade deshalb - aus der Systematik des Gesetzes heraus - kann dann aber dem Bezieher einer zu Unrecht gewährten Urteilsrente keine ungünstigere Position eingeräumt werden als demjenigen, dessen Vorschuß die eigentliche Leistung überschritten hat. Müßte letzterem der Erstattungsbetrag erlassen werden, weil dessen Einzug eine besondere Härte bedeuten würde, so könnte bei einem vergleichbaren Sachverhalt der Bezieher einer Urteilsrente in Anwendung der §§ 45, 50 SGB X nicht schlechter gestellt werden. Dabei stellt sich die besondere Härte im Sinn von § 42 Abs. 3 Nr. 3 SGB I als unbestimmter Rechtsbegriff dar. Nach der Auffassung des Senats kann kein Zweifel daran bestehen, daß eine besondere Härte dann bejaht werden muß, wenn die Erstattung den Leistungsempfänger sozialhilfebedürftig machen oder einen höheren Anspruch auf Sozialhilfe auslösen würde (Bley, a.a.O. Anm. 13 c; vgl. auch § 51 Abs. 2 SGB I, hierzu Urteil des Senats vom 16. September 1981 - 4 RJ 107/78 = SozR 1200 § 51 Nr. 11).
Nach den Feststellungen des LSG hat der Kläger nicht nur vor und nach der Gewährung der, Urteilsrente von Sozialhilfe gelebt, sondern auch während des Bezugs der Rentenleistung, da diese hinter den Sozialhilfesätzen zurückblieb, in Höhe des Differenzbetrages Sozialhilfe erhalten. Deshalb mußte die Beklagte hier von der Rückforderung absehen.
Die gefundene Lösung berücksichtigt insbesondere, daß - worauf bereits das LSG hingewiesen hat - der Kläger für den Fall der Rückforderungsmöglichkeit schlechter stünde, als wenn das die Rente zusprechende SG-Urteil nicht ergangen wäre, und dies, obgleich er auf die Ausführung des Urteils - anders als bei der Vollstreckung aus einem vorläufig vollstreckbaren Urteil im Zivilprozeß - keinen Einfluß hatte (zur Regelung des Kostenersatzes in der Sozialhilfe vgl. § 92a BSHG).
Nicht befriedigen kann freilich, daß in derartigen Fällen der Rentenversicherungsträger vorübergehend eine dem Versicherten an sich nicht zustehende Leistung erbringen mußte, ohne daß der Sozialhilfeträger, dem diese Leistung wirtschaftlich zugute kommt, zu einem Ausgleich verpflichtet wäre. Indessen ist dieses Ergebnis nach geltendem Recht hinzunehmen, da die Sozialhilfe schon dann nicht einzuspringen hat, wenn der Bürger die Hilfe von Trägern anderer Sozialleistungen (tatsächlich) "erhält" (§ 2 Abs. 1 BSHG), und im übrigen die Sozialhilfe nicht nachträglich und für die Vergangenheit zu leisten hat (vgl. §§ 103 Abs. 3 und 105 Abs. 3 SGB X). Deshalb wird auch im Falle der rückwirkenden Aufhebung eines Bescheides nach §§ 45, 48 SGB X und Erhebung eines Erstattungsanspruchs nach § 50 SGB X die Sozialhilfe nicht rückwirkend leistungspflichtig (VDR-Komm. SGB X § 103 Anm. 10). Dem Versicherungsträger bleibt nur die Möglichkeit, gemäß § 199 Abs. 2 die Aussetzung der Vollstreckung durch einstweilige Anordnung zu beantragen, wovon im vorliegenden Fall kein Gebrauch gemacht worden ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.4 RJ 79/83
Bundessozialgericht
Verkündet am
12. September 1984
Fundstellen