Beteiligte
Bundesversicherungsanstalt für Angestellte |
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. Oktober 1999 aufgehoben, soweit dem Kläger Mutwillenskosten auferlegt worden sind. Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob der Kläger als selbständiger Lehrer rentenversicherungspflichtig ist.
Der 1946 geborene Kläger führt seit 1992 Schulungen und Sprachkurse durch, bei denen er, ohne selbst Arbeitnehmer zu beschäftigen, Mitarbeiter und Manager verschiedener Unternehmen und Institutionen sowie Privatpersonen in Wirtschaftsenglisch unterrichtet. Im Dezember 1996 beantragte er bei der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) ab Januar 1997 die Zahlung freiwilliger Beiträge zur Rentenversicherung. Dabei bezeichnete er sich als selbständiger Sprachlehrer. Nach seiner Anhörung stellte die Beklagte mit Bescheid vom 2. Juli 1997 fest, er sei nach § 2 Nr 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI, seit 1. Januar 1999 § 2 Satz 1 Nr 1; im folgenden einheitlich § 2 Nr 1 SGB VI) als selbständiger Lehrer versicherungspflichtig. Sie setzte den laufenden Regelbeitrag auf 866,81 DM fest und forderte für Januar bis Juli 1997 die Nachzahlung von 6.067,67 DM. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 26. Februar 1998 zurück. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit Urteil vom 9. April 1999 abgewiesen, das Landessozialgericht (LSG) die Berufung mit Urteil vom 29. Oktober 1999 zurückgewiesen. Das LSG hat im wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei selbständiger Lehrer. § 2 Nr 1 SGB VI sei mit Art 2 Abs 1 und Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) vereinbar. Die Beklagte habe den Beitragsanspruch nicht verwirkt. Selbst wenn dem Kläger 1994 mündlich der Verzicht auf eine Beitragsleistung erklärt worden wäre, sei dieser jedenfalls für die Rechtslage im Jahr 1997 nicht verbindlich. Im übrigen hätte eine solche Zusage der Schriftform bedurft.
Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 2 Nr 1 SGB VI. Er sei nicht Lehrer iS dieser Vorschrift, sondern Unternehmensberater in einer speziellen Branche. In allen Wirtschaftsbereichen bedürfe es ständiger Fort- und Weiterbildung. Die weite Auslegung des Begriffs des Lehrers durch das LSG führe zu einer „überschießenden Versicherungspflicht”, die den in der modernen Dienstleistungsgesellschaft eingetretenen Wandel mißachte und dazu führen müßte, daß auch Richter der Versicherungspflicht nach dieser Vorschrift unterliegen, soweit ihr Honorar bei Fortbildungsveranstaltungen etwa für Rechtsanwälte die Geringfügigkeitsgrenze übersteige. Als Lehrer könne nur angesehen werden, wer einen eigenständigen Lehrbetrieb unterhalte. Selbständige iS von § 2 Satz 1 Nr 9 SGB VI, die von nur einem Auftraggeber und damit noch stärker abhängig seien als er, hätten immerhin ein Befreiungsrecht nach § 231 Abs 5 SGB VI. Es verstoße gegen Art 2 Abs 1 und Art 3 Abs 1 GG, ihn ohne Befreiungsmöglichkeit der Versicherungspflicht nach § 2 Nr 1 SGB VI zu unterwerfen. Dies sei mit legitimen öffentlichen Interessen nicht zu rechtfertigen, zumal er seit Jahren selbst eine Altersvorsorge aufgebaut habe. Im übrigen seien Sozialversicherungsträger Unternehmen iS des Art 81 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGVtr) in der Amsterdamer Fassung. Die Durchsetzung einer Rentenversicherungspflicht bei Selbständigen durch die Beklagte behindere erheblich den Wettbewerb mit anderen Vorsorgeformen, insbesondere in Form der Lebensversicherung.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG vom 29. Oktober 1999 und das Urteil des SG vom 9. April 1999 sowie den Bescheid der Beklagten vom 2. Juli 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Februar 1998 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist in der Hauptsache unbegründet. Das LSG hat die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig. Der Kläger unterliegt seit dem 1. Januar 1997 als selbständiger Lehrer der Rentenversicherungspflicht.
1. Nach § 2 Nr 1 SGB VI sind selbständig tätige Lehrer und Erzieher versicherungspflichtig, wenn sie im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen. Lehrer in diesem Sinne sind Personen, die durch Erteilung von theoretischem oder praktischem Unterricht anderen Allgemeinbildung oder spezielle Kenntnisse und Fähigkeiten vermitteln (vgl Gürtner in Kasseler Komm, § 2 SGB VI RdNr 8, Stand April 2000; Voelzke in Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd 3, Rentenversicherung, 1999, § 16 II 1 RdNr 131).
Der Kläger ist Lehrer in diesem Sinne. Nach den mit der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des LSG ist er nicht abhängig beschäftigt, sondern selbständig tätig. Als Selbständiger vermittelt er den Managern und Mitarbeitern verschiedener Unternehmen und Institutionen, mit denen er Verträge über die Erteilung von Sprachunterricht abgeschlossen hat, sowie Privatpersonen spezielle Kenntnisse im Wirtschaftsenglisch. Entgegen der Ansicht der Revision steht der Versicherungspflicht als Lehrer iS von § 2 Nr 1 SGB VI nicht entgegen, daß der Kläger Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten (hier: Wirtschaftsenglisch) in einer speziellen Wirtschaftsbranche vermittelt und er sich selbst als selbständiger „Unternehmensberater” bezeichnet. § 2 Nr 1 SGB VI verlangt nicht, daß der Lehrer über eine pädagogische Ausbildung verfügt. Dem Wortlaut der Vorschrift läßt sich ein solches Erfordernis nicht entnehmen. Soweit die Revision im Parallelverfahren (Urteil vom 12. Oktober 2000 – B 12 RA 2/99 R) meint, die Begriffe Pädagoge und Lehrer seien deckungsgleich, entspricht dies nicht dem allgemeinen Sprachgebrauch. Der Begriff des Pädagogen ist enger als derjenige des Lehrers. So wird etwa ein Fahrschullehrer oder Skilehrer nicht als Fahrschulpädagoge oder Skipädagoge bezeichnet.
Entstehungsgeschichte und Zweck der Vorschrift bestätigen die Ansicht der Revision ebenfalls nicht. Bei Einführung der Rentenversicherung in Deutschland durch das Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetz vom 22. Juni 1889 (RGBl 97) war für Lehrer und Erzieher, gleich ob selbständig oder angestellt, eine staatliche Versicherung noch nicht vorgesehen. Es galt für sie der Grundsatz, daß eine höhere, mehr geistige Tätigkeit die Versicherungspflicht nicht begründe. In der Folgezeit wurde jedoch die Sozialversicherung auf immer weitere Gruppen ausgedehnt, ua auch auf Lehrer und Erzieher, für die in § 1 Nr 2 des Invalidenversicherungsgesetzes vom 13. Juli 1899 (RGBl 463) Versicherungspflicht angeordnet wurde. Diese Regelung wurde von § 1226 Abs 1 Nr 5 der Reichsversicherungsordnung (RVO) vom 19. Juli 1911 (RGBl 509) und § 1 Abs 1 Nr 5 des Angestelltenversicherungsgesetzes vom 20. Dezember 1911 (BGBl 989) übernommen (vgl BSG SozR 2200 § 166 Nr 5). Obgleich der Wortlaut dieser Vorschriften darauf hindeuten könnte, daß mit Lehrern nur abhängig beschäftigte Lehrer gemeint waren, nahmen das Reichsversicherungsamt (RVA), die Verwaltung und Teile der Literatur Versicherungspflicht auch bei selbständigen Lehrern an (vgl RVA AN 1910 S 471 Nr 1469; 1915 S 579 Nr 2046; Anleitung betreffend den Kreis der nach dem Invalidenversicherungsgesetz versicherten Personen vom 19. Dezember 1899, AN 1900 S 277, 292 f; Rosin, Das Recht der Arbeiterversicherung, Bd 2, 1905, S 166). 1922 wurde dies gesetzlich klargestellt und die Versicherungspflicht ausdrücklich für selbständige Lehrer angeordnet, die in ihrem Betrieb keine Angestellten beschäftigten (vgl Art 1 § 2 Nr 2 des Gesetzes über Änderung des Versicherungsgesetzes für Angestellte und der RVO vom 10. November 1922, RGBl I 849). Hierbei ist es im wesentlichen geblieben; die Versicherungspflicht ist jedoch seit Inkrafttreten des SGB VI ausgeschlossen, wenn im Zusammenhang mit der selbständigen Tätigkeit als Lehrer versicherungspflichtige Arbeitnehmer (Arbeiter und Angestellte) beschäftigt werden.
§ 2 Nr 1 SGB VI knüpft nicht an ein gesetzlich, etwa durch Ausbildungsordnungen geregeltes Berufsbild des (selbständigen) Lehrers an. Die Vorschrift erfaßt vielmehr alle Selbständigen, soweit ihre Tätigkeit der Art nach darin besteht, anderen Unterricht zu erteilen. Sie stellt nicht darauf ab, auf welchen Gebieten Wissen und Kenntnisse vermittelt werden, auf welche Weise der Lehrer seine Kenntnisse und die Lehrfähigkeit erworben hat oder wie er den Wissensstoff anderen vermittelt. Die Rechtsprechung hat daher nicht nur diejenigen als Lehrer angesehen, die wie Lehrer an öffentlichen Schulen und nach einer entsprechenden Ausbildung Unterricht erteilen. Sie hat vielmehr Versicherungspflicht auch bei Personen angenommen, die über keine besondere pädagogische Ausbildung verfügten (RVA AN 1910 S 660 Nr 1530 Handarbeitslehrerin). Sie hat Handwerker und Gewerbetreibende in ihrer Nebentätigkeit als Lehrer angesehen, die neben ihrem gewerblich geprägten Hauptberuf eine Lehrtätigkeit ausübten, in der sie anderen Kenntnisse und Fähigkeiten ihres Hauptberufes vermittelten (vgl RVA AN 1910 S 471 Nr 1470 zur Versicherungspflicht eines an einer Gewerbeschule für das Zeichnen der Schuhmacher zuständigen Schuhmachermeisters; RVA AN 1910 S 659 Nr 1529 zum Handarbeitsunterricht von Hauswirtschafterinnen). Außerdem hat sie die Lehrereigenschaft bejaht: Bei einer früheren Opernsängerin, die an einer Volkshochschule Englischunterricht erteilte (BSG SozR 2200 § 166 Nr 5); einem Golflehrer (BSGE 20, 6 = SozR Nr 41 zu § 165 RVO; zum Status eines Tennislehrers vgl RVA, Mitteilungen der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte 1932 S 37; BSG, Die Beiträge 1977, 144); einer Hausfrau, die Koch- und Bastelkurse leitete (BSG SozR 2200 § 165 Nr 36); einem Fahrlehrer (BSG SozR 2400 § 2 Nr 24) und einem Tanzlehrer (RVA AN 1939 S 411). Soweit in den genannten Entscheidungen die Versicherungspflicht als selbständiger Lehrer im Ergebnis gleichwohl verneint wurde, hatte dies seinen Grund darin, daß keine Selbständigkeit vorlag oder der Lehrer versicherungspflichtige Arbeitnehmer beschäftigte.
Nach allem ist der Kläger Lehrer iS von § 2 Nr 1 SGB VI. Nach den Feststellungen des LSG ist er als solcher nicht abhängig beschäftigt, sondern selbständig tätig. Er übt seine Tätigkeit für verschiedene Unternehmen aus, mit denen er Verträge über Lehrverpflichtungen abgeschlossen hat. Er beschäftigt im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer. Schließlich ist er als Lehrer auch mehr als in geringfügigem Umfang iS des § 8 Abs 1 und 3 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) tätig und somit nicht gemäß § 5 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB VI versicherungsfrei.
2. Das Verfahren war nicht nach Art 100 Abs 1 GG auszusetzen, um eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Vereinbarkeit von § 2 Nr 1 SGB VI mit dem GG einzuholen. Der Senat konnte sich nicht davon überzeugen, daß die Anordnung von Rentenversicherungspflicht für selbständige Lehrer verfassungswidrig ist.
a) Das durch Art 2 Abs 1 GG geschützte Recht des Klägers auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit wird durch § 2 Nr 1 SGB VI nicht verletzt. Der Schutzbereich dieser Vorschrift ist berührt, wenn der Gesetzgeber durch die Anordnung einer Zwangsmitgliedschaft und von Beitragspflichten in einem öffentlich-rechtlichen Verband der Sozialversicherung die allgemeine Handlungsfreiheit des Einzelnen durch Einschränkung ihrer wirtschaftlichen Voraussetzungen nicht unerheblich einengt (BVerfGE 97, 271, 286 = SozR 3-2940 § 58 Nr 1 S 7 mwN). Allerdings ist das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit nur in den Schranken des Art 2 Abs 1 Halbsatz 2 GG gewährleistet. Es ist nicht verletzt, wenn die Eingriffsnormen formell und materiell verfassungsgemäß sind, insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und den rechtsstaatlichen Anforderungen des Vertrauensschutzes entsprechen (BVerfGE 29, 221, 235 = SozR Nr 7 zu Art 2 GG Seite Ab 2 zur Aufhebung der Versicherungspflichtgrenze für höherverdienende Angestellte; BVerfGE 44, 70, 89 = SozR 5420 § 94 Nr 2 S 2 zur Einführung der Krankenversicherung für Landwirte; BVerfGE 97, 271, 286 = SozR 3-2940 § 58 Nr 1 S 7 zur Einschränkung der Hinterbliebenenrenten). Dies ist hier der Fall. Im Spannungsverhältnis zwischen dem Schutz der Freiheit des Einzelnen und den Anforderungen einer sozialstaatlichen Ordnung hat der Gesetzgeber eine weite Gestaltungsfreiheit. Von dieser hat er bei der Anordnung der Rentenversicherungspflicht für selbständige Lehrer im SGB VI zulässigen Gebrauch gemacht.
Das Gesetz geht bei der Anordnung der Versicherungspflicht davon aus, bei selbständigen Lehrern bestehe ebenso wie bei anderen rentenversicherungspflichtigen Selbständigen ein den Arbeitnehmern vergleichbares Schutzbedürfnis, das ihre Einbeziehung rechtfertige (zur Einbeziehung Selbständiger vgl Entwurf des Gesetzes zur Alters- und Invaliditätsversicherung, RT-Drucks 1888/89 Nr 10 S 36). Danach sind bei typisierender Betrachtung selbständige Lehrer zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts ebenso wie Arbeitnehmer maßgeblich auf die Verwertung ihrer eigenen Arbeitskraft angewiesen. Daß sich dies seit der erstmaligen gesetzlichen Begründung ihrer Versicherungspflicht bis heute geändert hat oder daß ihr Schutzbedürfnis entfällt, wenn sie nicht über eine pädagogische Ausbildung verfügen, ist nicht ersichtlich. Darauf, ob der Einzelne bereits anderweitige Vorsorge getroffen hat, zB durch eine private Lebensversicherung (vgl BSG SozR 2400 § 2 Nr 8 S 12), durch freiwillige Mitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk (vgl BSGE 80, 215, 222 = SozR 3-2940 § 7 Nr 4) oder ob er sonst wegen seiner wirtschaftlichen Verhältnisse des sozialen Schutzes nicht bedarf, kommt es bei der generalisierenden und typisierenden Regelung des § 2 Nr 1 SGB VI nicht an (vgl BSG SozR 3-2600 § 2 Nr 2 S 10 zur Versicherungspflicht von Physiotherapeuten).
Die Anordnung von Versicherungspflicht ist ein geeignetes und bei der geltenden Ausgestaltung des Beitragsrechts (vgl § 165 Abs 1 Satz 1 Nr 1, Satz 2 SGB VI) auch verhältnismäßiges Mittel, selbständige Lehrer sozial zu sichern. Der Einzelne ist durch die Anordnung der Versicherungspflicht lediglich gehalten, eine an sich selbstverständliche Vorsorge für Alter, Erwerbs- und Berufsunfähigkeit in einer bestimmten Art und Weise zu treffen (BVerfGE 29, 221, 236 = SozR Nr 7 zu Art 2 GG Seite Ab 2, Rückseite). Er erwirbt hierdurch Rechte gegen die Solidargemeinschaft, damit er seinen Unterhaltsbedarf bei Ausfall seiner Einnahmen aus Erwerbstätigkeit jedenfalls teilweise decken kann und insoweit im Alter nicht auf Sozialhilfe angewiesen ist (vgl hierzu Urteil des Senats vom 10. August 2000 – B 12 KR 21/98 R, zur Veröffentlichung vorgesehen; zur Entlastung der Allgemeinheit durch Anordnung von Versicherungspflicht vgl bereits RT-Drucks 1888/89 Nr 10 S 20). Hierbei handelt es sich um legitime öffentliche Zwecke. Demgemäß hat das BVerfG zB die Aufhebung der Versicherungspflichtgrenze für höherverdienende Angestellte als zumutbaren Eingriff beurteilt (BVerfGE 29, 221, 235 = SozR Nr 7 zu Art 2 GG Seite Ab 2). Für die Versicherungspflicht selbständiger Lehrer gilt nichts anderes, zumal die Sozialversicherung weder auf abhängig Beschäftigte noch auf die Sicherung gegen Notlagen beschränkt ist (vgl BVerfGE 11, 105, 113 = SozR Nr 1 zu Art 74 GG Seite Ab 2 zum Kindergeldgesetz und der Errichtung von Familienausgleichskassen; BVerfGE 75, 108, 146 = SozR 5425 § 1 Nr 1 S 3 f zur Künstlersozialversicherung).
b) § 2 Nr 1 SGB VI verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG. Da der Grundsatz, daß alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, in erster Linie eine ungerechtfertigte Verschiedenbehandlung von Personen verhindern soll, unterliegt der Gesetzgeber bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen regelmäßig einer strengen Bindung. Dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers sind um so engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann. Dieses ist insbesondere im Hinblick auf die Zwangsmitgliedschaft der Versicherten in einem öffentlich-rechtlichen Verband, die deren allgemeine Handlungsfreiheit iS des Art 2 Abs 1 GG einschränkt, von Bedeutung (BVerfGE 92, 53, 69 = SozR 3-2200 § 385 Nr 6 S 19 mwN).
In die gesetzliche Rentenversicherung waren bis Ende 1998 Selbständige nur berufsgruppenspezifisch einbezogen. Es konnte daher Gruppen von Selbständigen geben, die bei typisierender Betrachtung nicht weniger schutzbedürftig als selbständige Lehrer, aber bisher gleichwohl nicht in die Rentenversicherungspflicht nach § 2 SGB VI einbezogen waren. Hieraus ergibt sich jedoch kein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG. Bei selbständigen Lehrern handelt es sich um Personen, die eine persönliche Dienstleistung erbringen. Wie selbständige Pflegepersonen und Hebammen, für die in § 2 Nrn 2 und 3 SGB VI ebenfalls Versicherungspflicht angeordnet ist, erzielen sie ihre Einkünfte aus der Verwertung der eigenen Arbeitskraft durch persönliche Dienstleistung. Ihre Stellung im Erwerbsleben ist damit derjenigen von Arbeitnehmern vergleichbar. Es ist daher sachlich gerechtfertigt gewesen, wenn der Gesetzgeber speziell für diese Selbständigen die Versicherungspflicht angeordnet hat. Mit § 2 Satz 1 Nr 9 SGB VI (angefügt durch Art 4 Nr 3 des Gesetzes zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte vom 19. Dezember 1998 ≪BGBl I 3843≫, geändert durch Art 2 Nr 1 des Gesetzes zur Förderung der Selbständigkeit vom 20. Dezember 1999 ≪BGBl 2000 I 2≫) hat der Gesetzgeber die bisherige Regelung einer nur berufsgruppenspezifischen Einbeziehung Selbständiger in die Pflichtversicherung erweitert. Er hat nunmehr alle Selbständigen in die Rentenversicherungspflicht einbezogen, die im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen und auf Dauer im wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind. Die gesetzliche Entwicklung der letzten Zeit geht dahin, den Kreis der versicherungspflichtigen Selbständigen zu erweitern. Unter diesen Umständen sind keine sachlichen Gründe dafür ersichtlich, gerade bei den von jeher in die Rentenversicherung einbezogenen selbständigen Lehrern die Versicherungspflicht zu beanstanden.
Der Einbeziehung des Klägers in die Versicherungspflicht steht auch nicht entgegen, daß von der Beklagten möglicherweise nicht alle selbständigen Lehrer erfaßt und zu Beiträgen herangezogen werden. Zwar hat das BVerfG zur Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen ausgeführt, der allgemeine Gleichheitssatz verlange, daß die Steuerpflichtigen rechtlich und tatsächlich gleich belastet werden und Steuergesetze in ein normatives Umfeld eingebettet sind, welches die Gleichheit der Belastung auch hinsichtlich des tatsächlichen Erfolges prinzipiell gewährleistet (BVerfGE 84, 239, 271 f). Dies war nach Ansicht des BVerfG bei der Besteuerung aus Kapitalvermögen nicht der Fall, weil der Gesetzgeber die gesetzwidrige Praxis gesehen, sie toleriert und sogar bewußt Lücken im Gesetz gelassen hatte, um diese Praxis nicht zu ändern. Dies ist entgegen der Ansicht der Revision bei § 2 Nr 1 SGB VI nicht der Fall. Die Grenze zur Verfassungswidrigkeit wäre erst dann erreicht, wenn sich dem Gesetzgeber aufdrängen müßte, daß das Ziel einer gleichmäßigen Erfassung aller Normadressaten (hier: der Versicherten) prinzipiell nicht zu erreichen ist, weil insoweit ein struktureller Mangel des Gesetzes vorliegt. Dies trifft hier nicht zu. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß die Beklagte, sofern sie von den tatsächlichen Umständen Kenntnis erlangt, die Versicherungspflicht nach § 2 Nr 1 SGB VI nicht durchsetzt oder sie gar durch Rechtsvorschriften an der Durchsetzung des Rechts gehindert wird.
3. Das Verfahren war auch nicht auszusetzen, um nach Art 234 EGVtr (idF des Art 2 des Amsterdamer Vertrages vom 2. Oktober 1997, BGBl II 1998, 387) eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) zur Auslegung von Normen des Gemeinschaftsrechts einzuholen. Der Senat hat im Gegensatz zu der von der Revision geäußerten Ansicht keine Zweifel, daß die Anordnung der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht gegen die für (öffentliche) Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln des EGVtr (Art 90, 85 ff in der hier noch anwendbaren Fassung des EGVtr idF des Vertrages über die Europäische Union ≪EUVtr≫ vom 7. Februar 1992, BGBl II 1253, jetzt Art 86, 81 ff EGVtr idF des Art 2 des Amsterdamer Vertrages) verstößt. Die Beklagte in ihrer Eigenschaft als Trägerin der gesetzlichen Rentenversicherung fällt nicht in den Geltungsbereich dieser Vorschriften, denn bei ihr handelt es sich nicht um ein öffentliches Unternehmen iS der Art 90, 85 ff EGVtr (vgl Hochbaum in Groeben/Thiesing/Ehlermann, Komm zum EU-/EG-Vertrag, 5. Aufl 1999, Art 90 RdNr 16; Ebsen in Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd 3, Rentenversicherung, 1999, § 4 RdNr 92; Rolfs, SGb 1998, 202, 206 f; Schulz-Weidner, DRV 1997, 449, 466 ff). Der EuGH versteht im Rahmen des Wettbewerbsrechts unter Unternehmen zwar „jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und Art der Finanzierung” (EuGH Rechtssache C-41/90 Höfner und Elsner, Slg 1991, I-1979, 2016 RdNr 21 = SozR 3-6030 Art 86 Nr 1 zum Arbeitsvermittlungsmonopol der Bundesanstalt für Arbeit). Er hat von diesem weiten Begriff jedoch die mit der Verwaltung von Systemen der sozialen Sicherheit betrauten Einrichtungen ausgenommen, weil das Gemeinschaftsrecht die Befugnis der Mitgliedstaaten unberührt läßt, ihre Systeme der sozialen Sicherheit auszugestalten (EuGH Rechtssache 238/82 Duphar, Slg 1984, 523, 540 RdNr 16; EuGH Rechtssache C-159/91 und C-160/91 Poucet und Pistre, Slg 1993, I-637, 667 RdNr 6). Die gesetzliche Rentenversicherung ist ein solches, auf dem Grundsatz der Solidarität beruhendes obligatorisches System der sozialen Sicherheit; ihre Träger üben öffentliche Aufgaben der sozialen Sicherheit mit allein sozialem Charakter und ohne Gewinnzweck aus (zu diesem Erfordernis vgl EuGH Rechtssachen C-159/91 und C-160/91 Poucet und Pistre, Slg 1993, I-637, 669 f RdNrn 16 bis 18).
Die in diesen Urteilen aufgestellten Grundsätze hat der EuGH seither nicht aufgegeben oder geändert. Er hat in späteren Entscheidungen zwar Systeme oder Einrichtungen, die Zusatzrentensysteme verwalten oder durchführen, unter bestimmten Voraussetzungen als Unternehmen angesehen, die in den Geltungsbereich der Art 85 ff EGVtr fallen. Hierbei handelte es sich aber um Systeme, die auf freiwilliger Mitgliedschaft und dem Prinzip der Kapitaldeckung beruhen und ihre Leistungen allein nach Maßgabe der gezahlten Beiträge und den Erträgen der vom System verwalteten Einrichtungen erbringen (vgl EuGH Rechtssache C-244/94 Fédération francaise des sociétés assurance, Slg 1995, I-4013, 4028 RdNr 15 ff; EuGH Rechtssache C-67/97 Albany, AP Art 85 EGVtr Nr 1 RdNr 79 Bl 609 zu einem niederländischen Betriebsrentenfonds) oder Systeme mit Pflichtmitgliedschaft, die die Höhe der Beiträge und Leistungen selbst bestimmen, nach dem Kapitalisierungsprinzip arbeiten und bei denen die Höhe der Leistungen von den Erträgen der Anlagen abhängt (EuGH Rechtssachen C-115/97 bis 117/97 Brentjens, Slg 1999, I 6025, RdNr 81 f; Rechtssache C-219/97 Bokken, Slg 1999, I 6121, RdNr 71 f; ebenfalls zu niederländischen Betriebsrentenfonds). In den zuletzt genannten Urteilen hat der EuGH für die Zuordnung der Systeme auf die Urteile Poucet und Pistre einerseits und Fédération francaise des sociétés assurance andererseits Bezug genommen und die Zuordnung nach Maßgabe der in diesen Urteilen entwickelten Abgrenzungsmerkmale getroffen. In keiner dieser Entscheidungen ist das Urteil Poucet und Pistre in Frage gestellt worden, soweit danach Sozialversicherungsträger vom Anwendungsbereich der Art 85 ff EGVtr ausgenommen worden sind. Unter diesen Umständen begründet auch das von der Revision erwähnte Ersuchen um Vorabentscheidung eines italienischen Gerichts in der Rechtssache C-218/00 (Amtsblatt EG C 233/17 vom 12. August 2000) keinen Zweifel an der Auslegung von Vorschriften des Europäischen Rechts. Hier ist nicht zu entscheiden, ob die Beantwortung der dort aufgeworfenen Frage bei einem vergleichbaren innerstaatlichen Sachverhalt für den Senat zweifelhaft wäre. Der Senat hat hier die Frage nach der Geltung der Wettbewerbsvorschriften für einen Versicherungsträger zu entscheiden, der in seiner Struktur dem im Urteil Poucet und Pistre betroffenen Rentenversicherungsträger entspricht, für den also eine vom EuGH selbst nicht in Zweifel gezogene Entscheidung vorliegt.
4. Eine Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht kommt nicht in Betracht. An dem für eine Befreiung nach § 229 Abs 1 Satz 2 SGB VI maßgeblichen Stichtag 31. Dezember 1991 war der Kläger noch nicht als selbständiger Lehrer tätig und daher als solcher nicht rentenversicherungspflichtig. Eine Befreiung nach § 6 Abs 1a, § 231 Abs 5 SGB VI scheidet aus, weil beim Kläger Versicherungspflicht nicht erst aufgrund des am 1. Januar 1999 in Kraft getretenen § 2 Satz 1 Nr 9 SGB VI (sog arbeitnehmerähnliche Selbständige), sondern bereits zuvor nach § 2 Nr 1 SGB VI eingetreten war.
Eine entsprechende Anwendung dieser Vorschriften scheidet aus, weil es sich hierbei jeweils um Bestimmungen handelt, die wegen der erstmaligen Einführung von Versicherungspflicht (vgl § 231 Abs 5 SGB VI) bzw einer Änderung des bisherigen Rechts (vgl § 229 Abs 1 Satz 2 SGB VI) erlassen wurden und für die hiervon erstmals Betroffenen Ausnahmen von neuem Recht zulassen. Eine vergleichbare Situation liegt beim Kläger nicht vor, da er von einer solchen Änderung des Rechts nicht betroffen ist.
5. Das Urteil des LSG kann keinen Bestand haben, soweit es dem Kläger Mutwillenskosten in Höhe von 1.000 DM auferlegt hat. Einer Änderung des Kostenausspruchs steht nicht entgegen, daß die Revision in der Hauptsache zurückzuweisen war und es in der Sache selbst bei der Entscheidung des LSG bleibt (BVerwG, Urteil vom 23. Mai 1962, VG 62.61, BVerwGE 14, 171, 174 f; Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl, 1998, § 193 RdNr 16; Zeihe, SGG, § 193 Anm 2c, Stand September 1993; aA Knittel in Hennig, SGG, § 193 RdNrn 6, 50, Stand Juli 1999).
Hat ein Beteiligter durch Mutwillen, Verschleppung oder Irreführung dem Gericht oder einem Beteiligten Kosten verursacht, kann das Gericht sie dem Beteiligten gemäß § 192 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ganz oder teilweise auferlegen. Mutwillig handelt ein Beteiligter, der den Prozeß weiter betreibt, obwohl die Rechtsverfolgung objektiv aussichtslos ist, der Beteiligte das weiß und er entgegen besserer Einsicht von der weiteren Prozeßführung keinen Abstand nimmt (BSG SozR Nr 4 zu § 192 SGG; SozVers 1995, 55; Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl, 1998, § 192 RdNr 3 mwN). Diese Voraussetzungen der Ermessensentscheidung über die Auferlegung von Kosten hat das LSG nicht festgestellt. Für die Annahme von Mutwilligkeit reicht es nicht aus, daß das Gericht, wie hier das LSG, den Beteiligten auf die aus seiner Sicht vorliegende Aussichtslosigkeit der weiteren Rechtsverfolgung hingewiesen hat. Hier kommt hinzu, daß die mit der Revision aufgeworfenen Fragen zur Auslegung von § 2 Nr 1 SGB VI und dessen Verfassungsmäßigkeit höchstrichterlich noch nicht geklärt waren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 743277 |
ZAP 2001, 11 |
SGb 2000, 675 |