Entscheidungsstichwort (Thema)
Zusammentreffen einer Unfallwitwenrente und einer Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Anrechnung. höchstmögliche Rente. Rentenbeginn. Ergänzung des § 93 Abs 5 SGB 6 durch das WFG. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Unter “Rentenbeginn” iS des § 93 Abs 5 S 1 SGB 6 ist jedenfalls der Beginn der anrechnungsfreien Altersrente mit dem höchsten Rentenartfaktor (“höchstmögliche Rente”) – und nicht allein der Beginn der Regelaltersrente – zu verstehen.
Normenkette
SGB VI § 33 Abs. 2, §§ 82, 89, 93 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 Fassung: 1996-09-25, § 100; SGB X § 48 Abs. 1 S. 1; WFG Art. 12 Abs. 8; GG Art. 14 Abs. 1, Art. 100; WFG Art. 1 Nr. 17; SGB VI § 93 Abs. 5 Nr. 1 Fassung: 1989-12-18, Abs. 5 S. 2 Fassung: 1996-09-25, S. 3 Fassung: 1996-09-25
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. Januar 2000 aufgehoben, soweit es die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 2. April 1996 hinsichtlich des Zeitraums ab 1. August 1996 zurückgewiesen hat; insoweit wird die Klage abgewiesen.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über die Anrechnung der der Klägerin von der Beigeladenen gewährten Witwenrente aus der Unfallversicherung auf die Witwenrente aus der Rentenversicherung noch für die Zeit von Juli 1994 bis einschließlich Januar 1997.
Die Klägerin ist die Witwe des am 4. Juni 1994 verstorbenen Versicherten Robert S…, der am 23. Juni 1985 letztmals versicherungspflichtig gearbeitet hatte. Ihm wurde von der Beklagten wegen Vollendung des 60. Lebensjahres und einjähriger ununterbrochener Arbeitslosigkeit ab 1. Juni 1990 Knappschaftsruhegeld – ab 1. Januar 1992 als Altersrente – gewährt. Wegen einer Berufskrankheit nach Nr 4105 der Anlage zur BKVO bewilligte die Beigeladene dem Versicherten mit Bescheid vom 27. Januar 1994 Vollrente aus der Unfallversicherung ab 16. Februar 1993, wobei sie als Zeitpunkt des Leistungsfalls den 15. Februar 1993 festlegte. Nachdem die Beklagte zunächst die Verletztenrente gemäß § 93 SGB VI auf die Altersrente angerechnet und eine Überzahlung zurückgefordert hatte (Bescheide vom 15. März und 24. Mai 1994), zahlte sie die Altersrente des Versicherten für die Zeit von März 1993 bis zu seinem Tode (Juni 1994) ungekürzt aus (Abhilfebescheid vom 18. Mai 1995).
Mit Bescheid vom 17. August 1994 bewilligte die Beklagte der Klägerin große Witwenrente ab 1. Juli 1994 unter gleichzeitiger Anrechnung der ausstehenden “fiktiven Unfallrente”. Sie kündigte eine Überprüfung des Bescheides nach Eingang des Bescheides über Gewährung von Unfallrente an. Nachdem die Beigeladene der Klägerin mit Bescheid vom 14. September 1994 Witwenrente aus der Unfallversicherung ab 4. Juni 1994 bewilligt hatte, stellte die Beklagte mit Bescheid vom 27. September 1994 die große Witwenrente entsprechend ihren Ausführungen im Bescheid vom 17. August 1994 der Höhe nach endgültig fest und errechnete eine Überzahlung, welche die Beigeladene erstattete. Den zunächst gegen den “vorläufigen Bescheid” vom 17. August 1994 eingelegten Widerspruch nahm die Klägerin auf Veranlassung der Beklagten zurück; der gegen den Bescheid vom 27. September 1994 gerichtete Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 3. Juli 1995).
Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom 2. April 1996 verurteilt, der Klägerin Witwenrente ohne Anrechnung der von der Beigeladenen gezahlten Witwenrente aus der Unfallversicherung zu zahlen. Das LSG hat die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 20. Januar 2000) und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Gemäß § 93 Abs 5 Nr 1 SGB VI idF des RRG 1992 vom 18. Dezember 1989 (BGBl I S 2261) habe die Beklagte von der Anrechnung der Unfallhinterbliebenenrente absehen müssen. Denn nach dieser Vorschrift würden die Anrechnungsregelungen der Abs 1 bis 4 der Vorschrift nicht angewendet, wenn die Rente aus der Unfallversicherung für einen Arbeitsunfall geleistet werde, der sich nach Rentenbeginn oder nach Eintritt der für die Rente maßgebenden Minderung der Erwerbsfähigkeit ereignet habe. Der maßgebliche “Arbeitsunfall” habe “nach dem Rentenbeginn” gelegen, weil der Versicherte zuvor die ihm höchstmögliche Rente aus der Rentenversicherung erworben gehabt habe. Dass die Nichtanrechnungsvorschrift des § 93 Abs 5 Nr 1 SGB VI aF auch für die Hinterbliebenenrente gelte, sei in der Rechtsprechung des BSG geklärt (BSG Urteile vom 30. Juni 1997 – 8 RKn 28/95 – SozR 3-2600 § 93 Nr 4 sowie vom 28. Mai 1997 – 8 RKn 9/95, 27/95 – SozR 3-2600 § 93 Nr 3 und 28/96 –). Maßgeblicher Zeitpunkt für den “Rentenbeginn” sei im Falle der Gewährung von Hinterbliebenenrenten der Beginn der Versichertenrente. Der Versicherte habe vor Feststellung der Berufskrankheit (Eintritt des “Arbeitsunfalls”) am 15. Februar 1993 bereits die Voraussetzungen des höchstwertigen, endgültig die Rentenhöhe begrenzenden Versicherungsfalls des Alters erfüllt gehabt, auch wenn er nicht Regelaltersrente wegen Vollendung des 65. Lebensjahres bezogen habe. Denn bei der höchstmöglichen Rente komme es auf die Rente ihrer Art nach an, also auf den Versicherungsfall des Alters. Eine Differenzierung zwischen der in § 33 Abs 2 Nr 1 SGB VI genannten Regelaltersrente und der in Nr 4 erfassten Altersrente wegen Arbeitslosigkeit erfolge nicht. Unerheblich sei, dass § 93 Abs 5 SGB VI idF des WFG vom 25. September 1996 auf Grund der dort angeordneten Rückwirkung zum 1. Januar 1992 einfachrechtlich gesehen eine Anrechnung geböte. Denn der die Klägerin belastende angefochtene Verwaltungsakt der Beklagten über die Anrechnung der Witwenrente aus der Unfallversicherung habe im Zeitpunkt seines Erlasses dem damals objektiv gültigen Recht widersprochen. Weil der Klägerin durch die Anrechnung ihr zustehende Sozialleistungen entgangen seien, habe die Beklagte – wie im erstinstanzlichen Urteil entschieden – die Anrechnungsentscheidung zurücknehmen müssen. Da keiner der Fälle des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 1 bis 4 SGB X erfüllt sei, hätte sich die Beklagte rechtmäßig nur so verhalten können, dass sie die Anrechnungsentscheidung gemäß § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X zurückgenommen und die rechtswidrig einbehaltenen Beträge nachgezahlt hätte. Sodann hätte sie nach Verkündung des WFG ein Verwaltungsverfahren mit dem Ziel einleiten müssen, die anrechnungsfreie Rentenbewilligung wegen nachträglicher Änderung der Verhältnisse nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X insoweit abzuändern, als es die neue Anrechnungsregel erforderte. Nach Aufklärung der im Einzelfall erheblichen Tatsachen und Anhörung der Klägerin hätte sie frühestens mit Wirkung zum Beginn des nächsten auf die Bekanntgabe dieses Verwaltungsakts folgenden Monats die Anrechnung verfügen dürfen; für dieses Vorgehen seien drei Monate anzurechnen, sodass von einer Bekanntgabe der neuen Entscheidung frühestens im Januar 1997 mit einer Umsetzung der neuen Regelung zum 1. Februar 1997 auszugehen sei (BSG Urteil vom 31. März 1998 – B 4 RA 59/96 R – SozR 3-2600 § 93 Nr 8).
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte einen Verstoß gegen § 93 Abs 5 Nr 1 SGB VI idF des RRG 1992 sowie des § 93 Abs 5 SGB VI idF des WFG, des § 33 Abs 1 und 2 SGB VI und der §§ 44 und 48 SGB X. Zur Begründung trägt sie vor: Der Versicherte habe mit der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit noch keinen Anspruch auf die höchstmögliche Rente – Regelaltersrente wegen Vollendung des 65. Lebensjahres – gehabt, als der “Arbeitsunfall” eingetreten sei. Denn nach dem Urteil des BSG vom 9. Dezember 1997 (8 RKn 1/97 – BSGE 81, 251 = SozR 3-2600 § 115 Nr 2) handele es sich bei den Renten wegen Alters nach § 33 Abs 2 SGB VI um eigenständige Renten und nur 65-jährige Versicherte könnten mögliche Vorteile einer gesetzlichen Anrechnung von Entgeltpunkten aus einer Beschäftigung nicht mehr in Anspruch nehmen. Ausgehend von den Senatsentscheidungen vom 28. Mai 1997 (8 RKn 9/95 – Kompass 1998, 35; 8 RKn 27/95 – SozR 3-2600 § 93 Nr 3 und 8 RKn 28/96) und der darin vorgenommenen Aufteilung der Zeit seit Inkrafttreten des SGB VI in drei Zeiträume (1. Zeitraum vom 1. Januar 1992 bis zur Zustellung des Anrechnungsbescheides; 2. Zeitraum von der Zustellung des Anrechnungsbescheides bis zum endgültigen Gesetzesbeschluss über das WFG am 9. Juli 1996; 3. Zeitraum ab dem 1. August 1996 – Inkrafttreten des WFG) sei der Anrechnungsbescheid zumindest für den “3. Zeitraum” ab August 1996 rechtmäßig, weil insoweit nur eine “unechte Rückwirkung” vorliege und gegen die Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung als solche keine Bedenken bestünden. Der gegenteiligen Auffassung in den Urteilen des 4. Senats des BSG vom 31. März 1998 (B 4 RA 59/96 R – SozR 3-2600 § 93 Nr 8 und B 4 RA 27/96 R), auf die das LSG im angefochtenen Urteil abstelle, sei nicht zu folgen. Auch wenn der 8. Senat des BSG in den vorgenannten Entscheidungen vom 28. Mai 1997 seine Rechtsauffassung für Aufhebungsbescheide ausgesprochen habe, könne kein Unterschied zu dem Fall vorliegen, bei dem von vornherein die Unfallversicherungsrente mit dem angefochtenen Bescheid angerechnet werde. Der Klägerin habe im Übrigen wegen der von Anfang an vorgenommenen Anrechnung und wegen der vorauszusetzenden Kenntnis von der Änderung der Gesetzeslage keinerlei schützenswerte Vertrauensposition zugestanden, sodass es nach Auffassung der Beklagten einer Verlängerung des Nichtanrechnungszeitraums nicht bedürfe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. Januar 2000 – soweit damit die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 2. April 1996 zurückgewiesen worden ist – sowie das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 2. April 1996 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 27. September 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juli 1995 abzuweisen,
hilfsweise,
im Hinblick auf den Vorlagebeschluss des 8. Senats vom 28. Mai 1997 (8 RKn 27/95 – SozR 3-2600 § 93 Nr 3) an das Bundesverfassungsgericht das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, soweit der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf anrechnungsfreie Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung den Zeitraum 1. Juli 1994 bis 31. Juli 1996 betrifft.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen,
hilfsweise,
im Hinblick auf den Vorlagebeschluss des 8. Senats vom 28. Mai 1997 (8 RKn 27/95 – SozR 3-2600 § 93 Nr 3) an das Bundesverfassungsgericht das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, soweit es um den Anspruch der Klägerin auf anrechnungsfreie Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung während des Zeitraums 1. Juli 1994 bis 31. Juli 1996 geht.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und verweist auf eine gefestigte Rechtsprechung aller mit der Rentenversicherung befasster Senate des BSG zur Regelungsproblematik des § 93 Abs 5 SGB VI aF; allein eine unnachgiebige Rechtsauffassung der Beklagten gebiete keine Abweichung von dieser übereinstimmenden Rechtsauffassung aller Senate.
Die Beigeladene hat ihr Einverständnis mit einem Ruhen des Verfahrens erklärt; sie hat keinen Sachantrag gestellt.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision ist in dem im Tenor ausgewiesenen Umfang begründet. Da der Anspruch der Klägerin auf ungekürzte Witwenrente für die Zeit ab dem endgültigen Gesetzesbeschluss über das WFG am 9. Juli 1996 abtrennbar und größenmäßig bestimmbar ist, mithin selbstständig geltend gemacht werden kann, konnte der Senat durch Teilurteil vorab hierüber entscheiden (vgl Meyer-Ladewig, SGG-Komm, 6. Aufl 1998, RdNr 3a zu § 125 mwN). Eine Entscheidung über die Zeit vor dem endgültigen Gesetzesbeschluss über das WFG – von Juli 1994 bis Juli 1996 – konnte der Senat hingegen derzeit noch nicht treffen; insoweit hat er im Hinblick auf die übereinstimmenden Anträge der Beteiligten auf Grund des Vorlagebeschlusses des Senats vom 28. Mai 1997 (8 RKn 27/95 – SozR 3-2600 § 93 Nr 3) an das Bundesverfassungsgericht (dortiges Az: 1 BvL 20/97) das Ruhen des Verfahrens angeordnet.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 27. September 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. Juli 1995, mit dem die große Witwenrente der Klägerin nur unter Anrechnung ihres Anspruchs auf Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung gewährt wird, erweist sich für den Leistungszeitraum ab 1. August 1996 als rechtmäßig. Der maßgebliche “Arbeitsunfall”, nämlich die Feststellung der Berufskrankheit mit Leistungsbeginn am 15. Februar 1993, hat – wie das LSG zutreffend entschieden hat – “nach dem Rentenbeginn” gelegen, weil der Versicherte zuvor die ihm höchstmögliche Rente aus der Rentenversicherung erworben hatte (vgl nachfolgend zu 1). Wie der Senat ferner in seinem Teilurteil vom 28. Mai 1997 (8 RKn 27/95 – SozR 3-2600 § 93 Nr 3) ausgeführt hat, verstößt die Rückwirkung der Ergänzung des § 93 Abs 5 SGB VI insbesondere durch seinen Satz 3 idF des WFG ab dem Zeitpunkt des endgültigen Gesetzesbeschlusses (am 9. Juli 1996) nicht gegen das GG; insoweit besteht kein Anlass für eine erneute Vorlage an das BVerfG nach Art 100 Abs 1 GG (vgl nachfolgend zu 2). Von inzwischen ergangener höchstrichterlicher Rechtsprechung – insbesondere von dem Urteil des 4. Senats vom 31. März 1998 (B 4 RA 59/96 R – SozR 3-2600 § 93 Nr 8) – weicht der Senat nicht ab (dazu nachfolgend zu 3).
1) Nach ständiger Rechtsprechung des BSG zu dem bis zum In-Kraft-Treten des WFG geltenden Recht ruht die Witwenrente aus der Rentenversicherung trotz Zusammentreffens mit einer Witwenrente aus der Unfallversicherung jedenfalls dann nicht, wenn die Leistung aus der Unfallversicherung wegen eines Unfalls gewährt wird, der sich ereignete, nachdem der Versicherte das 65. Lebensjahr vollendet und Altersruhegeld bezogen hatte, weil er damit die höchstmögliche Rente aus der Rentenversicherung erworben hatte, bevor der Arbeitsunfall eintrat (zur Rechtsprechungsentwicklung vgl BSG Urteile vom 9. Dezember 1965 – 4 RJ 503/63 – BSGE 24, 150 = SozR Nr 8 zu § 1278 RVO, vom 29. November 1967 – 4 RJ 161/67 – BSGE 27, 230 = SozR Nr 2 zu § 1279 RVO, vom 21. November 1969 – 12 RJ 52/64 – nicht veröffentlicht, vom 21. Juni 1995 – 5 RJ 4/95 – SozR 3-2600 § 93 Nr 1, vom 28. Mai 1997 – 8 RKn 27/95 – SozR 3-600 § 93 Nr 3, vom 30. Juni 1997 – 8 RKn 28/95 – SozR 3-2600 § 93 Nr 4 und vom 27. August 1998 – B 8 KN 20/97 R – nicht veröffentlicht). Danach wurden schon nach dem Recht der RVO die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und das Altersruhegeld, das der Versicherte bezog, gleich behandelt, weil sich beide Rentenarten der Höhe nach grundsätzlich entsprachen (§ 1253 Abs 2, § 1254 Abs 1 RVO). Bezogen auf § 93 SGB VI folgt daraus, dass “höchstmögliche Rente” iS der Senatsrechtsprechung vom 28. Mai 1997 nicht etwa die “höchstrangige” Rente nach § 89 Abs 1 Satz 2 Nr 1 bis 12 SGB VI bedeutet, sondern regelmäßig eine Rente mit dem höchsten Rentenartfaktor (§§ 67, 82 SGB VI). Nicht zur “Vollrente” in diesem Sinne zählt hingegen -wie vom Senat bereits entschieden – die Bergmannsvollrente nach DDR-Recht, die als umgewertete Rente für Bergleute nach § 82 Abs 1 Nr 4 SGB VI regelmäßig auch nur mit einem Rentenartfaktor von 0,5333 versehen ist, weil unter dem Bezug dieser Rente typischerweise weitergearbeitet wurde und weitere rentenrechtliche Zeiten in normalem Umfang hinzuerworben wurden (vgl Senatsurteile vom 30. Juni 1997 – 8 RKn 28/95 – SozR 3-2600 § 93 Nr 4 sowie vom 27. August 1998 – B 8 KN 20/97 R – nicht veröffentlicht). Insoweit besteht auch kein Widerspruch zu der von der Beklagten herangezogenen Rechtsprechung des Senats zu der Vorschrift des § 115 SGB VI, denn sie betrifft einen anderen Regelungszusammenhang (vgl Senatsurteil vom 9. Dezember 1997 – 8 RKn 1/97 – BSGE 81, 251 = SozR 3-2600 § 115 Nr 2).
Für Hinterbliebene wie die Klägerin spielt die Auslegung des Begriffs “Rentenbeginn” nach § 93 Abs 5 Nr 1 SGB VI nur noch für den Zeitraum bis zum (verfassungsmäßigen) Inkrafttreten der Neufassung des Abs 5 durch das WFG eine Rolle; seither werden Hinterbliebenenrenten stets gekürzt (vgl hierzu nachfolgend zu 2). Auch bei Witwenrente unter dem SGB VI ist hinsichtlich des “Rentenbeginns” bei dem Beginn der “höchstmöglichen Rente” des Versicherten anzusetzen, die jedenfalls dann vorliegt, wenn eine anrechnungsfreie Altersrente mit dem höchstmöglichen Rentenartfaktor für ihn gezahlt wurde. Denn dann musste er nicht mehr befürchten, durch den Wechsel in eine andere Rentenart – § 89 Abs 1 SGB VI ermöglicht auch den Wechsel von einer Ausprägung der Altersrente zu einer anderen – den Vorteil der Anrechnungsfreiheit wieder zu verlieren. Mithin führt die durch das SGB VI eingeführte Möglichkeit, innerhalb der Altersrenten in eine iS des § 89 Abs 1 Satz 2 SGB VI höherrangige zu wechseln, dazu, dass nicht allein die Regelaltersrente zur “höchstmöglichen Rente” oder – anders ausgedrückt – endgültigen Rente geworden ist.
2) Gegen die Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung als solche (ohne Berücksichtigung der Rückwirkungs-Problematik) bestehen jedenfalls für den hier zu entscheidenden Fall – der erstmaligen (endgültigen) Bewilligung einer großen Witwenrente unter Anrechnung einer Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung – keine Bedenken. Der Senat verweist hierzu auf seinen Vorlagebeschluss und die Teilurteile vom 28. Mai 1997 (8 RKn 27/95 – SozR 3-2600 § 93 Nr 3 – unter IV ≪1≫ – insoweit veröffentlicht in JURIS). Insbesondere unterliegen Ansprüche von Versicherten in der gesetzlichen Rentenversicherung auf Versorgung ihrer Hinterbliebenen nicht dem Eigentumsschutz; Art 14 Abs 1 GG wird daher von der gesetzgeberischen Entscheidung nicht tangiert (vgl im Einzelnen BVerfG Beschluss vom 18. Februar 1998 – 1 BvR 1318/86 und 1 BvR 1484/86 – BVerfGE 97, 271 = SozR 3-2940 § 58 Nr 1).
War aber der Gesetzgeber verfassungsrechtlich befugt, die Anrechnungsvorschriften des § 93 Abs 1 bis 3 SGB VI auch auf Fallkonstellationen wie bei der Klägerin zu erstrecken, so war er auch nicht gehindert, dies durch einen Eingriff in bereits bestehende Leistungsansprüche – und nicht nur in Anwartschaften auf künftige Leistungen – mit Wirkung für die Zukunft (gerechnet ab dem endgültigen Gesetzesbeschluss des WFG) umzusetzen (vgl im Einzelnen Teilurteil des Senats vom 28. Mai 1997 ≪8 RKn 27/95 – SozR 3-2600 § 93 Nr 3 – unter V ≪1≫). Der Senat folgt insoweit den Erwägungen des BVerfG in dem Urteil vom 14. Mai 1986 (2 BvL 2/83 – BVerfGE 72, 200, 260 ff). Ab dem Tage des Gesetzesbeschlusses durch den Bundestag mussten die Betroffenen mit der Verkündung und dem Inkrafttreten der Neuregelung rechnen. Es war ihnen daher zuzumuten, seither ihr Verhalten auf deren Inhalt einzustellen. Dies gilt auch angesichts des Umstandes, dass in jenem Zeitpunkt schon wegen der Mitwirkungsbefugnisse des Bundesrates weder der Inhalt des künftigen Gesetzes feststand, noch, dass es überhaupt endgültig zu Stande kommen wird (BVerfG aaO 262). Stand aber auf Grund einer – jedenfalls verfassungsrechtlich zulässigen – Rechtsänderung ab 9. Juli 1996 in Fällen wie dem der Klägerin keine ungekürzte große Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung mehr zu, so entfiel damit nach § 100 Abs 1 SGB VI ihr entsprechender Anspruch mit Wirkung ab 1. August 1996.
3) Mit seiner Entscheidung weicht der Senat auch nicht – wie die Klägerin zu erwägen gibt – von Urteilen des 4. Senats vom 31. März 1998 (B 4 RA 59/96 R – SozR 3-2600 § 93 Nr 8 und – B 4 RA 27/96 R – veröffentlicht in JURIS) ab. In diesen Urteilen hat der 4. Senat in Kenntnis der Senatsvorlagen an das BVerfG vom 28. Mai 1997 (8 RKn 27/95 – SozR 3-2600 § 93 Nr 3; 8 RKn 9/95 und 8 RKn 28/96) ausgeführt, dass “in Fällen der vorliegenden Art” eine Vorlage nach Art 100 Abs 1 GG mangels Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage nicht in Betracht komme. Abgesehen von der rechtlichen Frage, ob Art 12 Abs 8 WFG ein sog sich selbst vollziehendes Gesetz ist oder – wovon der 4. Senat ausgegangen ist – erst einer verfahrensrechtlichen Umsetzung durch den Rentenversicherungsträger bedarf, war die Besonderheit der Fallkonstellation, dass – wie in diesem Urteil dargestellt – der beklagte Versicherungsträger des dortigen Verfahrens dem Grundsatz von Treu und Glauben im Verwaltungsrechtsverhältnis zuwider gehandelt hatte, indem er seine bei Einlegung “objektiv noch in vollem Umfang unbegründete Revision nunmehr uneingeschränkt weiter verfolgte, obwohl er – wie von ihm in der mündlichen Verhandlung vor dem BSG ausgeführt und auf Nachfrage bestätigt wurde – inzwischen die richtige Rechtskenntnis erlangt hatte, dass er sich in den angefochtenen Anrechnungsbescheiden und auch in den Vorinstanzen rechtswidrig verhalten hatte, weil er die Hinterbliebenenrente aus der Unfallversicherung nicht hätte anrechnen dürfen …” (es folgen weitere Ausführungen). Demzufolge hat der 4. Senat auch keinen Anlass gesehen, beim 8. Senat anzufragen, ob dieser an seiner Rechtsauffassung festhält, wonach bei den dortigen Fallgestaltungen die neue Anrechnungsregelung erstmals ab 1. August 1996 und nicht erst – wovon der 4. Senat in diesen Urteilen ausgegangen ist – ab 1. Februar 1997 rechtmäßig nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X umgesetzt werden konnte (vgl dazu kritisch Langen, DAngVers 1999, RdNr 128, 134). Ein solches strikt dem Gebot widersprechendes Verhalten, im Verwaltungsrechtsverhältnis gegenüber dem Bürger nach Treu und Glauben zu handeln, lag aber dem vorliegenden Rechtsstreit nicht zu Grunde, sodass beide Sachverhalte nicht vergleichbar sind.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
Fundstellen