Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommens- oder Vermögensberücksichtigung. Einkommensteuererstattung. einmalige Einnahme. Aufteilung auf angemessenen Zeitraum. Streitgegenstand
Orientierungssatz
1. Ein Bescheid, mit dem der Grundsicherungsträger erstmals die sich aus der Einkommensberücksichtigung einer Einkommensteuererstattung ergebenden Leistungsbeträge für den beanstandeten Verteilzeitraum durch anfechtbaren Verfügungssatz festgesetzt hat, ist Gegenstand des Verfahrens. In diesem Fall bestimmt der Verteilzeitraum den streitigen Zeitraum.
2. Einkommen iS des § 11 Abs 1 SGB 2 ist grundsätzlich alles das, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält, und Vermögen das, was er vor Antragstellung bereits hatte (vgl BSG vom 30.7.2008 - B 14 AS 26/07 R, vom 30.9.2008 - B 4 AS 29/07 R = SozR 4-4200 § 11 Nr 15 und vom 16.12.2008 - B 4 AS 48/07 R). Auszugehen ist vom tatsächlichen Zufluss, es sei denn, rechtlich wird ein anderer Zufluss als maßgeblich bestimmt. Nicht entscheidend ist das Schicksal der Forderung.
3. Eine Steuererstattung gehört nicht zu den bereits erlangten Einkünften, mit denen Vermögen angespart wurde (vgl BSG vom 30.9.2008 - B 4 AS 57/07 R).
4. Weil Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 41 Abs 1 S 4 SGB 2 monatlich im Voraus erbracht werden, können einmalige Einnahmen, die erst gegen Monatsende zufließen, gem § 2 Abs 3 S 2 AlgIIV zur Verminderung des Verwaltungsaufwands ab dem Folgemonat als Einkommen berücksichtigt werden.
5. Unter Berücksichtigung des Zwecks der Regelung des § 2 Abs 3 S 3 AlgIIV, das Entfallen der Hilfebedürftigkeit und damit zugleich der Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung möglichst zu vermeiden, besteht kein Anspruch auf Verteilung der einmaligen Einnahme auf künftige Zeiträume, wenn durch die Berücksichtigung der Einnahme die Bedürftigkeit des Hilfebedürftigen und die Leistungspflicht der Grundsicherungsträger im Zuflussmonat nicht in vollem Umfang entfällt (vgl BSG vom 30.9.2008 - B 4 AS 57/07 R). Ein Anspruch auf eine gleichmäßige Aufteilung von einmaligen Einnahmen auf einen längeren Verteilzeitraum besteht deshalb nicht.
Normenkette
SGB 2 § 11 Abs. 1 S. 1; SGB 2 § 12 Abs. 1; SGB 2 § 41 Abs. 1 S. 4; AlgIIV § 2 Abs. 3 S. 1 Fassung: 2005-08-22, S. 2 Fassung: 2005-08-22, S. 3 Fassung: 2005-08-22; SGG §§ 95-96
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende darüber, ob eine Einkommensteuererstattung als Einkommen bei der Berechnung von Grundsicherungsleistungen zu berücksichtigen ist.
Der 1957 geborene, alleinstehende Kläger bezieht seit Dezember 2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Für die Zeit von Dezember 2005 bis April 2006 bewilligte der Beklagte Leistungen in Höhe von 601,30 Euro. Hierbei berücksichtigte er unter Abzug des Grundfreibetrags in Höhe von 100 Euro und eines weiteren Freibetrages in Höhe von 880 Euro einen Betrag aus Einkommen wegen Erwerbstätigkeit in Höhe von 35,20 Euro. Am 28.2.2006 wurde dem Konto des Klägers eine Einkommensteuererstattung in Höhe von 832,55 Euro für das Veranlagungsjahr 2005 gutgeschrieben. Daraufhin erteilte der Beklagte den Bescheid vom 27.3.2006, wonach die Anrechnung als Einkommen zunächst in fünf Raten, nämlich in Höhe von 432,55 Euro im Monat April sowie in Höhe von 100 Euro in den Monaten Mai bis August 2006 erfolgen sollte. Auf den Widerspruch des Klägers erteilte der Beklagte den Änderungsbescheid vom 27.4.2006, mit dem er die Berücksichtigung des Einkommens für die Monate April und Mai 2006 auf jeweils 100 Euro und für die Monate Juni bis September 2006 auf jeweils 158,13 Euro festsetzte. Mit einem weiteren Bescheid vom 27.4.2006 bewilligte der Beklagte Leistungen für den Zeitraum Mai bis Oktober 2006, und zwar für Mai in Höhe von 501,30 Euro, für Juni bis September 2006 in Höhe von 443,17 Euro und für Oktober 2006 in Höhe von 601,30 Euro. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 2.5.2006 zurückgewiesen.
Das Sozialgericht (SG) hat den Beklagten verurteilt, dem Kläger ab April 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ohne Anrechnung der Einkommensteuererstattung zu gewähren. Es hat zur Begründung ausgeführt, es komme nach dem Zuflussmonat nur noch eine Berücksichtigung der Steuererstattung als Vermögen in Betracht. Der zugeflossene Betrag überschreite jedoch nicht die für den Kläger geltenden Freigrenzen.
Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung des Beklagten die Klage abgewiesen (Urteil vom 4.3.2008) und zur Begründung ausgeführt: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen ohne Berücksichtigung der am 28.2.2006 zugeflossenen Steuererstattung. Zwar habe die Anrechnung richtigerweise jeweils in Höhe von 138,75 Euro (1/6 von 832,55 Euro) erfolgen müssen, jedoch sei die für die Monate Juni bis August 2006 zu hoch festgesetzte Anrechnung nicht Gegenstand des Rechtsstreits. Die Steuererstattung sei rechtlich als Einkommen zu werten. Für das Grundsicherungsrecht sei auf den Zufluss abzustellen. Bei der Aufteilung des Einkommens auf einen angemessenen Zeitraum nach § 2 Abs 3 Satz 3 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Alg II-V) sei eine gleichmäßige Aufteilung auf die in Betracht kommende Anzahl von Monaten, regelmäßig sechs Monate, erforderlich. Insoweit erwiesen sich die Aufteilungsregelungen im angefochtenen Bescheid teilweise als rechtswidrig, ohne dass der Kläger dadurch beschwert sei. Der Behörde werde bei Bestimmung des angemessenen Zeitraums kein Ermessen eingeräumt; vielmehr handele es sich bei der Bestimmung des angemessenen Zeitraums um einen gerichtlich voll überprüfbaren Rechtsbegriff. Diesen lege der Senat so aus, dass regelmäßig eine Aufteilung auf sechs Monate zu erfolgen habe. Seien auf Grund der Aufteilung keine Leistungen mehr zu gewähren und entfalle folglich auch der Versicherungsschutz in der Kranken- und Pflegeversicherung, sei eine Aufteilung auf eine Zeitspanne von mehr als sechs Monaten, längstens von zwölf Monaten angezeigt. Die Aufteilung habe über den Zeitraum gleichmäßig zu erfolgen. Da das SG über einen weiteren Bescheid vom 27.4.2006, der die Monate ab Mai 2006 betreffe, nicht entschieden habe, sei dem Senat insoweit eine Entscheidung verwehrt.
Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und rügt eine Verletzung des § 11 SGB II, § 96 SGG. Er ist der Auffassung, dass die Steuererstattung weder ganz noch teilweise als Einkommen zu berücksichtigen sei. Schließlich habe er auf den Zeitpunkt der Steuererstattung und den Auszahlungstermin keinen Einfluss gehabt. Zudem seien für die Monate Juni bis September 2006 zu hohe Anrechnungsbeträge vorgesehen worden.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 4.3.2008 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 17.10.2006 zurückzuweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet.
1. Gegenstand des Verfahrens ist der Zeitraum vom 1.4. bis zum 30.9.2006, denn insoweit beanstandet der Kläger die Berücksichtigung einer einmaligen Einnahme im Verteilzeitraum. Entsprechend diesem Begehren des Klägers hat das SG den Beklagten verurteilt, dem Kläger "ab" April 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ohne Anrechnung der Steuererstattung zu gewähren. Soweit das LSG die Auffassung vertritt, der Bescheid vom 27.4.2006, mit dem der Beklagte die sich aus der Berücksichtigung der Einkommensteuererstattung ergebenden Leistungsbeträge im Verteilzeitraum festgesetzt hat, sei nicht Gegenstand des Verfahrens geworden, wird § 96 SGG verletzt. Denn erst durch diesen Bescheid hat der Beklagte den Leistungsbetrag für den beanstandeten Zeitraum durch einen anfechtbaren Verfügungssatz festgestellt. In einer derartigen Konstellation entspricht der Verteilzeitraum dem streitigen Zeitraum. Dieser Verfahrensfehler ist vom Kläger auch ordnungsgemäß gerügt worden (vgl zur Erforderlichkeit der Rüge im Revisionsverfahren nur Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2009, § 96 Rz 129 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ≪BSG≫).
2. In der Sache hat der Kläger gleichwohl keinen Erfolg, denn der Senat teilt die Auffassung des LSG, es handele sich bei der nach Antragstellung im Bedarfszeitraum zugeflossenen Einkommensteuererstattung um berücksichtigungsfähiges Einkommen iS des § 11 SGB II und nicht um Vermögen iS des § 12 SGB II.
Die Abgrenzung zwischen Einkommen und Vermögen nimmt das SGB II selbst nicht vor. Wie der Senat im Urteil vom 30.9.2008 (B 4 AS 29/07 R, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen; vgl auch BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 48/07 R) dargelegt hat, ist Einkommen iS des § 11 Abs 1 SGB II grundsätzlich alles das, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält, und Vermögen das, was er vor Antragstellung bereits hatte (ebenso schon BSG, Urteil vom 30.7.2008 - B 14 AS 26/07 R, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Auszugehen ist vom tatsächlichen Zufluss, es sei denn, rechtlich wird ein anderer Zufluss als maßgeblich bestimmt. Nicht entscheidend ist das Schicksal der Forderung. Von der Regelung des tatsächlichen Zuflusses als Differenzierungskriterium zwischen Einkommen und Vermögen ist im Falle der Einkommensteuererstattung daher auch nicht deswegen abzuweichen, weil es sich um einen Geldzufluss handelt, dessen zu Grunde liegende Forderung zu einem früheren Zeitpunkt fällig geworden wäre, wenn der Erstattungsberechtigte eine andere steuerliche Disposition getroffen hätte. Die Steuererstattung gehört nicht zu den bereits erlangten Einkünften, mit denen Vermögen angespart wurde (vgl Urteil des Senats vom 30.9.2008 - B 4 AS 57/07 R, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) . Mit dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) ist vielmehr davon auszugehen, dass der Erstattungsgläubiger, mithin der Kläger, die zu hoch entrichtete Steuer nicht freiwillig (und zinslos) "angespart", sondern schlicht nicht früher erhalten hat (vgl BVerwGE 108, 296, 301) . Gerade die fehlende Verzinsung des nicht ausbezahlten Einkommens zeigt, dass es sich bei der Steuererstattung nicht um "Vermögensaufbau" handelt. Zudem verdeutlichen die steuerrechtlichen Dispositionsmöglichkeiten, sei es durch Eintragung eines Freibetrages oder durch die Wahl einer anderen Steuerklasse, dass die Steuererstattung kein Rückfluss von Vermögen ist. Der Erstattungsbetrag bleibt, was er bei einer anderen Wahl der Steuerklasse gewesen wäre, nämlich Einkommen.
3. Schließlich erweist sich die Entscheidung des Beklagten auch nicht deshalb als rechtswidrig, weil er die Steuererstattung in Höhe von 601,30 Euro mit einem Betrag von jeweils 100 Euro bei der Leistungsgewährung in den Monaten April und Mai 2006 und einem Betrag von jeweils 158,13 Euro bei der Leistungsgewährung in den Monaten Juni bis September 2006 berücksichtigt hat. Der Beklagte war nicht verpflichtet, die Verteilung auf mehrere Monate (Verteilzeitraum) in anderer Weise vorzunehmen.
§ 2 Abs 3 Satz 1 Alg II-V in ihrer hier anwendbaren Fassung der ersten VO zur Änderung der Alg II-V vom 22.8.2005 (BGBl I 2499) bestimmt, dass einmalige Einnahmen von dem Monat an zu berücksichtigen sind, in dem sie zufließen. Nach § 2 Abs 3 Satz 2 Alg II-V ist eine Berücksichtigung der Einnahmen abweichend von Satz 1 ab dem Monat, der auf den Monat des Zuflusses folgt, zulässig, wenn Leistungen für den Monat des Zuflusses bereits erbracht sind. Hinsichtlich des Verteilzeitraums regelt § 2 Abs 3 Satz 3 Alg II-V, dass einmalige Einnahmen, soweit nicht im Einzelfall eine andere Regelung angezeigt ist, auf einen angemessenen Zeitraum aufzuteilen und monatlich mit einem entsprechenden Teilbetrag anzurechnen sind.
a) Hierzu ist zunächst klarzustellen, dass der Beklagte auf Grund der genannten Regelungen nicht gehalten war, die Berücksichtigung der Steuererstattung bereits ab März 2006 vorzunehmen. Denn die vorliegende Gestaltung wird von § 2 Abs 3 Satz 2 Alg II-V erfasst. Die Möglichkeit, die Berücksichtigung der einmaligen Einnahme erst im Folgemonat vorzunehmen, soll den Verwaltungsaufwand vermindern (Hänlein in Gagel, § 11 SGB II Rz 19e; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, § 13 Rz 110), weil Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 41 Abs 1 Satz 4 SGB II monatlich im Voraus erbracht werden. Gemessen an diesem Zweck können einmalige Zuwendungen, die dem SGB II-Berechtigten am Monatsende zufließen (hier am 28.2.2006) und infolge dessen schon nach den verwaltungspraktischen Abläufen nicht mehr bei der Auszahlung im Folgemonat Berücksichtigung finden können, auch im nachfolgenden Monat angerechnet werden. Der Leistungsträger ist in Fällen der vorliegenden Art also nicht gehalten, die Bewilligungsentscheidung bereits für den Folgemonat teilweise aufzuheben und Leistungen zurückzufordern, zumal diese Verfahrensweise den Leistungsberechtigten im Ergebnis nicht benachteiligt.
b) Im Übrigen ist ein Verstoß gegen § 2 Abs 3 Satz 3 Alg II-V nicht darin zu sehen, dass der Beklagte das zu berücksichtigende Einkommen in nicht identischen Teilbeträgen auf einen Zeitraum von sechs Monaten verteilt hat. Der erkennende Senat hat unter Berücksichtigung des Zwecks der Regelung, das Entfallen der Hilfebedürftigkeit und damit zugleich der Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung möglichst zu vermeiden, bereits entschieden, dass kein Anspruch auf Verteilung der einmaligen Einnahme auf künftige Zeiträume besteht, wenn durch die Berücksichtigung der Einnahme die Bedürftigkeit des Hilfebedürftigen und die Leistungspflicht der Grundsicherungsträger im Zuflussmonat nicht in vollem Umfang entfällt (BSG, Urteil vom 30.9.2008 - B 4 AS 57/07 R, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) . Ein Anspruch auf eine gleichmäßige Aufteilung von einmaligen Einnahmen auf einen längeren Verteilzeitraum besteht deshalb - entgegen der Auffassung des LSG - nicht.
Zwar überstieg die einmalige Zuwendung den sich im Monat April 2006 ergebenden Zahlbetrag, jedoch wäre es nach dem Zweck der Regelung des § 2 Abs 3 Satz 3 Alg II-V nicht zu beanstanden gewesen, wenn der Beklagte die Einmalzahlung bei der Leistungsgewährung in den Monaten April und Mai 2006 vollständig berücksichtigt hätte. Die von dem Beklagten vorgenommen Aufteilung ist folglich nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 2214600 |
ZfF 2010, 164 |