Entscheidungsstichwort (Thema)
ICP. Methode Kozijavkin. Ausland. EU. EWR. Allgemein anerkannter Stand der medizinischen Erkenntnisse. Verbreitung. Akzeptanz in Fachkreisen. Große Mehrheit der einschlägigen Fachleute. Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Fachgesellschaft. Leitlinien. Gutachten. Ärztliche Verordnung. Behandlungsalternative. Wartezeit. Versorgungsdefizit
Leitsatz (redaktionell)
- Dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse nach § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V entspricht, was sich im internationalen wissenschaftlichen Diskurs wegen seiner Überzeugungskraft durchgesetzt hat.
- Es besteht kein Anspruch des Versicherten auf eine Auslandskrankenbehandlung nach § 18 SGB V, wenn die Krankheit in zumutbarer Zeit gleichwertig im EU/EWR-Inland behandelt werden kann, sei es auch mit einer anderen Methode.
Normenkette
SGB V § 2 Abs. 1 S. 3, § 12 Abs. 1, § 15 Abs. 1, § 18 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 27 Abs. 1 S. 1, §§ 139a, 139b, 275 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 4-5; SGG § 106
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Sprungrevision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 3. Februar 2005 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme für in der Ukraine erfolgte Behandlungsmaßnahmen.
Der 1978 geborene Kläger, der freiwilliges Mitglied der beklagten Ersatzkasse ist, leidet unter einer infantilen Cerebralparese (ICP) mit Bewegungsstörungen in Form einer spastischen Tetraplegie mit massiver statomotorischer Retardierung. Seit 1993 ließ er sich regelmäßig in dem von dem Neurologen und Chirotherapeuten Prof. Dr. Kozijavkin geleiteten Institut in der Ukraine behandeln. Dessen Therapiekonzept, das er selbst “System der intensiven neurophysiologischen Rehabilitation (SINR)” nennt (im Folgenden: “Methode Kozijavkin”), besteht in einer sog multimodalen Behandlung. Es ist darauf ausgerichtet, in jeweils etwa zweiwöchigen Behandlungszyklen unter Beteiligung ärztlicher und nichtärztlicher Fachkräfte eine Verbesserung der Bewegungsmöglichkeiten von cerebralparetischen Kindern und Erwachsenen herbeizuführen (ua unter Einsatz von Akupressur, Akupunktur, Wärmebehandlung mit Bienenwachs, Reflextherapie, Manualtherapie, Krankengymnastik). Den Kern der Therapie bildet eine Behandlung der Wirbelsäule mit Techniken der Manualtherapie, bei der durch wringende Griffe Wirbelsäulenblockaden gelöst werden sollen. An diese Intensivphase schließt eine drei- bis zwölfmonatige Stabilisationsphase an, der wiederum eine zweiwöchige Intensivbehandlung folgt (zu dieser Methode vgl bereits Urteile des Senats vom 16. Juni 1999 – BSGE 84, 90 ff = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 – Kozijavkin I sowie vom 14. Februar 2001 – BSG SozR 3-2500 § 18 Nr 6 – Kozijavkin II). Die Kostenübernahme für die bisherigen Behandlungen des Klägers hatte die Beklagte jeweils abgelehnt. Mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 24. September 2003 hatte das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen die Beklagte zur Neubescheidung des Klägers für im September 1999 sowie im März/April 2000 erfolgte Behandlungsmaßnahmen verurteilt.
Im August 2000 beantragte der Kläger erneut die Erteilung einer Kostenzusage für eine vom 19. September bis zum 3. Oktober 2000 bei Prof. Dr. Kozijavkin in der Ukraine vorgesehene Behandlung. Die Beklagte lehnte dies ab (Bescheid vom 17. August 2000; Widerspruchsbescheid vom 22. August 2001). Gleiches geschah in Bezug auf weitere Behandlungszyklen vom 10. bis 24. April 2001 (Bescheid vom 5. März 2001; Widerspruchsbescheid vom 22. August 2001), vom 28. September bis 12. Oktober 2001 (Bescheid vom 21. August 2001; Widerspruchsbescheid vom 5. Dezember 2001) sowie vom 20. März bis 3. April 2002 und vom 25. März bis 8. April 2003 (Bescheide vom 6. März 2002 und 26. Februar 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. August 2003).
Das Sozialgericht (SG) hat die gegen die Bescheide erhobenen Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Es hat die Beklagte sodann – bei Abweisung der auf Verurteilung zur Zahlung gerichteten Klage im Übrigen – unter Aufhebung ihrer Bescheide verurteilt, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden: Ein solcher Anspruch ergebe sich aus § 18 Abs 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Die beim Kläger angewandte Behandlungsmethode entspreche seit September 1999 dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse. Das ergebe sich – wie näher ausgeführt wird – aus zwei zum Klageverfahren beigezogenen medizinischen Sachverständigengutachten (des Ärztlichen Direktors im Kinderzentrum München und Vorstand des Instituts für Soziale Pädiatrie und Jugendmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität München Prof. Dr. Dr. von Voss vom 6. August 2002 sowie des Leiters der Klinik für Manuelle Therapie in Hamm Dr. Helling vom 22. April 2002), die das LSG Niedersachsen-Bremen in dem mit Urteil vom 16. Juni 2004 in zweiter Instanz beendeten Rechtsstreit zum Aktenzeichen L 4 KR 101/04 eingeholt habe (Revisionsverfahren = Parallelsache B 1 KR 21/04 R). Diese Gutachten bestätigten die Anerkennung der “Methode Kozijavkin”. Danach sei eine entsprechende multimodale Behandlung in der durchgeführten Form nur in der Ukraine möglich. Obwohl der Kläger selbst kein Kind mehr sei, habe auch er Anspruch auf eine solche, in erster Linie auf die Behandlung von Kindern ausgelegte Behandlung (Urteil vom 3. Februar 2005).
Mit ihrer Sprungrevision rügt die beklagte Ersatzkasse die Verletzung der §§ 2 Abs 2, 13 Abs 1, 16 Abs 1 Nr 1, 18 Abs 1 Satz 1, 39 Abs 1 Satz 2, 40 Abs 2 SGB V. Zur Begründung verweist sie auf zwei von ihr im SG-Verfahren vorgelegte Grundsatzgutachten des Chirurgen und Sozialmediziners Dr. Kruse vom Medizinischen Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen eV (MDS) vom 8. Mai 2003 sowie vom 1. Juni 2004. Diese Gutachten setzten sich mit der “Methode Kozijavkin” und den vom SG in Bezug genommenen Sachverständigengutachten auseinander und gelangten zu dem Ergebnis, dass sich aus den genannten Gutachten nicht herleiten lasse, die streitbefangene Methode habe dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprochen. Insbesondere seitens der Gruppe der Neuropädiater, die in erster Linie für das betroffene Krankheitsbild fachlich zuständig seien, bestünden kritische Einwände gegenüber der Methode, vor allem hinsichtlich einzelner, darin enthaltener Komponenten (insbesondere sog Bienenstich-Therapie, Elektroakupunktur, von Prof. Dr. Kozijavkin selbst angewandte Handgriffe). Darüber hinaus fehle ein direkter Vergleich mit nicht in der Ukraine behandelten Patienten. Eine Blocktherapie sei im Übrigen auch anderweitig im In- und Ausland möglich, insbesondere in England und Italien. Der Gutachter Dr. Helling habe als Vertreter der Manualtherapie ein erhebliches Eigeninteresse an einer Anerkennung der Manualtherapie für cerebralparetische Kinder. Prof. Dr. Dr. von Voss habe nur von einer großen Akzeptanz unter den Eltern berichtet, ohne eine entsprechende Akzeptanz auch in der medizinischen Wissenschaft darstellen zu können. Das SG habe außerdem nicht geprüft, ob konkret für den Kläger Behandlungsalternativen in Deutschland bestanden hätten. Insoweit komme zB eine der “Methode Kozijavkin” ähnliche Behandlung in Hamm in Betracht. Weiterhin habe das SG fehlerhaft nicht ermittelt, ob die Therapie gerade für den Kläger sinnvoll gewesen sei, nachdem er sie seit 1993 bereits mehrfach durchlaufen habe. Es stehe nicht fest, ob bei ihm nach diesen Behandlungsabschnitten eine Änderung des Gesundheitszustandes eingetreten sei, die zur Hoffnung auf Besserung durch weitere Behandlungszyklen in der Ukraine berechtigte.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat haben die Beteiligten mit Rücksicht auf Unklarheiten über die rechtzeitige Klageerhebung einen Verfahrensvergleich für den Behandlungszyklus 28. September bis 12. Oktober 2001 geschlossen; insoweit hat sich die Beklagte zur Neubescheidung nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens verpflichtet und der Kläger die Klage zurückgenommen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 3. Februar 2005 zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Er bezieht sich ergänzend auf ein weiteres Sachverständigengutachten von Prof. Dr. Dr. von Voss vom 17. Juni 2005 zur “Methode Kozijavkin” bei erwachsenen Cerebralparetikern, das dieser in einem Rechtsstreit für das Sächsische LSG erstattet hat.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision der Beklagten ist im Sinne der Zurückverweisung begründet.
Anders als das SG entschieden hat, kann nicht angenommen werden, dass der Kläger Anspruch auf Neubescheidung hinsichtlich der Kostenerstattung für die vom 19. September bis zum 3. Oktober 2000, vom 10. bis 24. April 2001, vom 20. März bis 3. April 2002 sowie vom 25. März bis 8. April 2003 erfolgte Behandlung durch Prof. Dr. Kozijavkin in der Ukraine hat. Über den vom Kläger erhobenen Anspruch kann ohne weitere Sachaufklärung nicht entschieden werden. Der Senat übt sein ihm in § 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeräumtes Ermessen dahin aus, dass er die Sache an das örtlich zuständige LSG zurückverweist. Das LSG wird im Wesentlichen erneut zu ermitteln haben, ob im Falle des Klägers jeweils die Tatbestandsmerkmale des § 18 SGB V erfüllt waren.
1. In der Sache hängt der Klageerfolg davon ab, ob in Bezug auf die Behandlung des Klägers in dem Institut von Prof. Dr. Kozijavkin in der Ukraine in den genannten Zeiträumen die Voraussetzungen des § 18 Abs 1 Satz 1 SGB V (in der hier noch maßgeblichen bis 31. Dezember 2003 geltenden Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21. Dezember 1992 – BGBl I 2266) vorgelegen haben. Da dies auf der Grundlage der Feststellungen des SG nicht angenommen werden kann, müssen die dazu erforderlichen Ermittlungen nachgeholt werden.
a) In prozessualer Hinsicht muss das LSG dabei zunächst auf eine sachdienliche Antragstellung des Klägers hinwirken (§ 106 Abs 1 SGG). Obwohl das SG das ursprüngliche Klagebegehren, die Beklagte zur Kostenerstattung zu verurteilen, rechtskräftig abgewiesen hat, muss auch das auf Verurteilung der Beklagten zur “Neubescheidung” hinsichtlich der Behandlungskosten gerichtete Begehren zur Vermeidung eines Folgerechtsstreits über den schon jetzt erkennbaren Leistungsrahmen hinreichend bestimmt sein; bislang ist aber unklar, auf Erstattung welcher konkreten Behandlungs- und Behandlungsnebenkosten (zB auch für Unterkunft, Verpflegung, Fahrkosten) das Klagebegehren genau gerichtet ist.
b) Nach § 18 SGB V kann eine Krankenkasse die Kosten einer (notwendigen, § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V) “Behandlung einer Krankheit” (Abs 1 Satz 1) sowie “weitere Kosten für den Versicherten” und Kosten “für eine erforderliche Begleitperson” (Abs 2) ganz oder teilweise übernehmen, wenn eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung “nur im Ausland möglich” ist. Die Regelung ermöglicht als Rechtsfolge nicht nur eine Kostenübernahme, sondern auch – nach entsprechender vorheriger Antragstellung und Ablehnung der Kostenübernahme durch die Krankenkasse – die hier begehrte Kostenerstattung (vgl zuletzt Senats-Urteil vom 17. Februar 2004 – B 1 KR 5/02 R, BSGE 92, 164, 165 = SozR 4-2500 § 18 Nr 2 RdNr 7; ferner Senat, SozR 4-2500 § 18 Nr 1 RdNr 8 – Auslandsbehandlung nach Petö).
c) Bei der Prüfung, ob eine bestimmte Untersuchungs- oder Behandlungsmethode dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht und ob eine diesem Standard genügende Behandlung im Inland möglich ist, geht es um die Feststellung genereller Tatsachen, für die die Beschränkung des § 163 SGG nicht gilt. Diese Fragen stellen sich nämlich in allen Fällen, in denen über die Leistungspflicht der Krankenkassen zu entscheiden ist und können nicht von Fall zu Fall und von Gericht zu Gericht unterschiedlich beantwortet werden. Es ist Aufgabe der Revisionsinstanz, auch in einer solchen Konstellation durch Ermittlung und Feststellung der allgemeinen Tatsachen die Einheitlichkeit der Rechtsprechung sicherzustellen und so die Rechtseinheit zu wahren (BSGE 84, 90, 94, 97 = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 S 16 f, 19; BSG SozR 3-2500 § 18 Nr 6 S 26 f mwN; vgl auch Beschluss des Senats vom 7. Oktober 2005 – B 1 KR 107/04 B, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Gleichwohl hält es der Senat für sachgerecht, nicht selbst in entsprechende Ermittlungen einzutreten. Das schließt es nicht aus, über den vom SG entschiedenen Fall des Klägers hinaus die Grundsätze für die stets auch von den Tatsacheninstanzen vorzunehmende Ermittlung allgemeiner Tatsachen bei Nicht-EU-Auslandsbehandlungen zu verdeutlichen und dabei auf zwischenzeitlich eingetretene Rechtsänderungen europarechtlicher Art aufmerksam zu machen.
d) Der Senat geht davon aus, dass ein Leistungsanspruch des Klägers aus Vertrauensschutzgründen jedenfalls noch in der Zeit der hier erfolgten Behandlung nicht schon daran scheitert, dass hier (möglicherweise) eine spezielle Verordnung der Auslandsbehandlung durch einen deutschen Arzt fehlt (dieses generelle Erfordernis einer solchen Verordnung für Auslandsbehandlungen bislang offen lassend zuletzt: BSGE 92, 164, 165 = SozR 4-2500 § 18 Nr 2 RdNr 7 mwN). Für die Entbehrlichkeit einer solchen ärztlichen Verordnung könnte immerhin angeführt werden, dass die Krankenkassen nach Beantragung der Kostenübernahme vor Durchführung der Maßnahme in derartigen Fällen ohnedies regelmäßig verpflichtet sind, durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) prüfen lassen, ob die begehrte Krankenbehandlung nur im Ausland möglich ist (§ 275 Abs 2 Nr 3 SGB V). Darüber hinaus ist die Leistungsgewährung der Krankenkassen für eine Auslandskrankenbehandlung selbst ohnehin nicht vom Erfordernis ärztlicher Verantwortung iS von § 15 Abs 1 SGB V freigestellt; in gleicher Weise wie bei einer Behandlung im Inland muss vielmehr ein Arzt die Notwendigkeit der Behandlung festgestellt sowie die Einhaltung der medizinischen Standards gewährleistet und zumindest überwacht haben (vgl schon Senat, SozR 4-2500 § 13 Nr 3 RdNr 13 f). Dafür, dass Solches hier nicht der Fall war, ist nichts ersichtlich.
e) Neben dem hier außer Streit befindlichen Vorliegen einer behandlungsbedürftigen und in Bezug auf die gesetzlichen Behandlungsziele des § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V (allgemein) behandlungsfähigen Krankheit des Klägers ist zum einen Voraussetzung für die nach § 18 Abs 1 Satz 1 SGB V zu treffende Ermessensentscheidung der beklagten Ersatzkasse, dass die in der Ukraine in Zyklen zwischen September 2000 und April 2003 durchgeführte Behandlung des Klägers dem “allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse” entsprach und darüber hinaus – kumulativ (vgl schon BSGE 84, 90, 91 = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 S 13 – Kozijavkin I) – zum anderen “nur im Ausland” möglich war.
Die Feststellungen des SG reichen nicht aus, um darüber zu entscheiden, ob die genannte streitige erste Voraussetzung (dazu unter f) und die zweite Voraussetzung (dazu unter g) erfüllt sind.
f) Auf Grund der bisherigen Feststellungen des SG, die im Wesentlichen an diejenigen des LSG Niedersachsen-Bremen in dem Rechtsstreit zum Aktenzeichen L 4 KR 101/04 (Urteil vom 16. Juni 2004; paralleles Revisionsverfahren B 1 KR 21/04 R, ebenfalls zurückverwiesen mit Urteil des Senats vom 13. Dezember 2005) anknüpfen, kann nicht darüber entschieden werden, dass die bei dem Kläger in den streitbefangenen Zeiträumen in der Ukraine angewandte “Methode Kozijavkin” von ihrem Konzept her seinerzeit überhaupt dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprach und somit die erste wesentliche Voraussetzung des § 18 Abs 1 Satz 1 SGB V erfüllt ist. Das gilt sowohl vom Ausgangspunkt der bisherigen Rechtsprechung des Senats her (dazu unter aa) als auch erst recht unter Berücksichtigung einer erforderlichen notwendigen Präzisierung dieser Rechtsprechung (dazu unter bb). Hierzu wird das LSG auch den genaueren Inhalt der Behandlung aufzuklären haben (vgl näher g), cc).
aa) Nach der Rechtsprechung des Senats ist entscheidend, dass die Leistung im Ausland den Kriterien des in § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V geregelten Wissenschaftlichkeitsgebots entsprochen hat. Das wiederum ist der Fall, wenn die “große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler)” die Behandlungsmethode befürwortet und von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens besteht. Dieses setzt im Regelfall voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit der neuen Methode – die in ihrer Gesamtheit und nicht nur in Bezug auf Teilaspekte zu würdigen ist – zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können. Der Erfolg muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen lassen. Die Therapie muss in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sein (BSGE 84, 90, 96 f = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 S 18 f – Kozijavkin I; BSG SozR 3-2500 § 18 Nr 6 S 23 ff – Kozijavkin II).
Der Senat hatte diese Voraussetzungen in den zitierten Urteilen in Bezug auf die “Methode Kozijavkin” verneint: Diese Methode sei in den verfügbaren Äußerungen deutscher Wissenschaftler und sozialpädiatrisch tätiger Ärzte überwiegend skeptisch bis ablehnend beurteilt worden, wobei sich die Kritik einerseits auf die unspezifische Kombination verschiedener Behandlungsformen bezogen habe und andererseits das Fehlen vergleichender Effektivitätsstudien – auch im Hinblick auf die enge Bindung der Behandlungsmethode an die Person des Prof. Dr. Kozijavkin und dessen Weigerung, andere Ärzte in die Methode einzuweisen – bemängelt worden sei. Der Senat hat insoweit weiter wörtlich ausgeführt: “Dies könnte sich allerdings geändert haben, nachdem das Behandlungskonzept der Arbeitsgruppe um Dr. Kozijavkin und die damit erzielten Ergebnisse auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin im September 1999 einem Fachpublikum vorgestellt und veröffentlicht worden sind”. Darüber hinaus hat der Senat daran angeknüpft, dass Prof. Dr. Dr. von Voss, der sich früher mehrfach skeptisch zu der Methode geäußert hatte, seine Vorbehalte in einem für ein Verwaltungsgericht erstatteten Gutachten vom 28. Oktober 1999 nicht wiederholt, sondern nunmehr von einem mutmaßlich günstigen Einfluss der Therapie auf Grund des Zusammenwirkens der verschiedenen Behandlungssegmente gesprochen und konstatiert habe, dass nach eigener Erfahrung Behandlungserfolge bei einer großen Zahl von klinisch betreuten Patienten zu verzeichnen seien. Der Senat hat seinerzeit offen lassen können, ob diese Sichtweise des Gutachters nur diejenige eines einzelnen Wissenschaftlers war oder ob sich auf Grund der neueren Erkenntnisse auch bei anderen Pädiatern ein Meinungswandel vollzogen habe und ob die eingetretene Entwicklung bei Zugrundelegung der vom Senat schon in seinen Urteilen vom 16. Juni 1999 (BSGE 84, 90 ff = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 ua) formulierten rechtlichen Anforderungen eine Neubewertung der Kostentragung durch die Krankenkassen erforderlich mache (so zum Ganzen: Senats-Urteil vom 14. Februar 2001, SozR 3-2500 § 18 Nr 6 S 24 – Kozijavkin II).
Die in dem vom SG in Bezug genommenen, vom LSG Niedersachsen-Bremen im Parallelverfahren dazu eingeholten Sachverständigengutachten sind nicht geeignet, die tragende Aussage des angefochtenen Urteils zu stützen, dass eine solche Änderung der Bewertung der “Methode Kozijavkin” ab September 1999 gerechtfertigt sei. Das LSG hat sich vielmehr allein auf die Meinung zweier Ärzte gestützt, von denen im Voraus bekannt war, dass sie die “Methode Kozijavkin” befürworten, und hat insbesondere klare Feststellungen dazu unterlassen, ob beide eine Mehrheitsmeinung vertreten oder vielleicht selbst nur als “Einzelstimmen” zu qualifizieren sind.
So ist darauf hinzuweisen, dass einer der vom LSG gehörten Sachverständigen (Prof. Dr. Mau) die Frage nach der Akzeptanz der Methode in Fachkreisen eindeutig verneint hat. Die beiden anderen Gutachter (Prof. Dr. Dr. von Voss und Dr. Helling), die die Auffassung des Klägers stützen, führen demgegenüber im Kern nur aus, aus welchen Gründen sie selbst den Einsatz der “Methode Kozijavkin” auf der Grundlage der von ihnen gewonnenen Erkenntnisse befürworten; sie berufen sich dazu im Wesentlichen nur auf Vorträge bzw Veröffentlichungen Kozijavkins bzw aus dessen Umfeld sowie auf eigene Beobachtungen bei den Patienten. Aus diesen befürwortenden gutachtlichen Stellungnahmen wird indessen nicht in nachvollziehbarer Weise deutlich, welchen Widerhall die Methode tatsächlich in der breiten Fachöffentlichkeit gefunden hat. Zur Feststellung dieses entscheidungserheblichen Umstandes kann die lediglich in pauschaler Weise gegebene Einschätzung einzelner, der Therapie im Grundsatz positiv gegenüber stehender Mediziner ersichtlich nicht ausreichen. Um den erforderlichen Grad der Verbreitung deutlich machen zu können, müsste vielmehr im Einzelnen aufgelistet werden, welche (namentlich benannten) Fachautoren und ärztlichen Behandler bzw Fachinstitutionen sich bis zu den im Falle des Klägers maßgeblichen Behandlungszeitpunkten für die “Methode Kozijavkin” ausgesprochen hatten und welche eine zurückhaltendere oder gar ablehnende Haltung einnahmen.
Selbst bei alleiniger Zugrundelegung der vom LSG Niedersachsen-Bremen eingeholten Gutachten ist aber die von ihm bejahte Verbreitung und Akzeptanz der Behandlungsmethode in Fachkreisen nicht plausibel und hätte weiterer Ermittlungen bedurft. So stellt Prof. Dr. Dr. von Voss in seinem Gutachten vom 6. August 2002 zB selbst die von anderen Ärzten und Wissenschaftlern gegen die “Methode Kozijavkin” vorgebrachten Einwendungen dar. Zwar verwirft er diese Einwände aus seiner wissenschaftlichen Sicht, zieht aber die Existenz solcher Gegenstimmen (weiterhin) zumindest nicht in Zweifel. Gezielt zur Akzeptanz unter Fachleuten befragt, äußert er zu Frage 2 (“Wie groß ist die Akzeptanz?”), dass “sowohl Kinderärzte als auch Krankengymnasten/nastinnen … bei einem Großteil der Patienten positive Veränderungen nach der Behandlung” bestätigten. Dazu, in welchem Maße dies der Fall ist, dh wie das Pro und Contra zahlenmäßig und/oder gewichtungsmäßig einzuschätzen ist, äußert sich der Gutachter aber nicht (kritisch insoweit zu Recht schon MDS-Gutachten Dr. Kruse vom 1. Juni 2004, S 12). Ähnliches ist den Ausführungen zu der Frage zu entnehmen, seit wann die Methode in Deutschland anerkannt ist; auch dazu wird nicht – im Sinne der dargestellten Rechtsprechung des Senats – in einer für unbeteiligte Dritte nachvollziehbaren Weise von einer überwiegenden Akzeptanz berichtet, sondern nur davon, dass “zunehmend” Kinderärzte, Sozialpädiater, usw positive Entwicklungsveränderungen bzw Entwicklungsfortschritte bestätigten; auch an anderer Stelle wird nur die besondere Akzeptanz “vornehmlich von Eltern” bestätigt, aber auch “von einer Reihe von Kinderärztinnen und Kinderärzten”. Von den dem Gutachten beigefügten Literaturstellen stammen die meisten im Übrigen aus den Jahren nach 2000, sodass sie zu dem seinerzeit vom LSG als maßgeblich angesehenen Zeitpunkt September 1999 noch nicht vorgelegen haben können. Prof. Dr. Dr. von Voss bezeichnet die “Methode Kozijavkin” als “neues Therapieverfahren”, das “jüngst” (2002) in Übersichtsarbeiten in Forschungsberichten dargestellt worden sei, und erwähnt selbst, dass es eine Reihe kritischer Stimmen zu dieser Methode gebe. Eine – nicht nahtlos in Einklang mit dem Gutachten stehende – eher zurückhaltende Würdigung hat Prof. Dr. Dr. von Voss im Übrigen in einer Veröffentlichung des “Internationalen Fördervereins für medizinische Rehabilitation nach Kozijavkin” (IFRK spezial vom 14. Juni 2003, im Internet recherchiert am 18. November 2005 unter: http://www.ifrk.org/index_1/frames/neurointensiv_stellungnahme_v_voss.pdf) abgegeben. Darin heißt es ua, Therapiewirksamkeitsstudien zur ICP müssten weltweit eingefordert werden und es sei noch ein langer Weg, bis man sich aufmachen werde, ein so komplexes Krankheitsbild umfassend zu erforschen; die Arbeitsgruppe Kozijavkin habe sich “mutig auf den Weg gemacht”, für Kinder und Jugendliche mit ICP “therapeutisches Neuland zu betreten”; man werde gespannt sein dürfen, welche Behandlungsdaten sie dereinst vorlegten. Hieraus wird deutlich, dass der Gutachter auch die bisherigen Erkenntnisse zur Behandlungsmethode Kozijavkin an anderer Stelle noch mit gewisser Zurückhaltung und dem Wunsch nach einer stärkeren wissenschaftlichen Untermauerung gewürdigt hat.
Auch aus den Ausführungen des Gutachters Dr. Helling lässt sich eine überwiegende Akzeptanz in Fachkreisen nicht herleiten. Dieser hat differenziert zwischen Orthopäden und Kinderorthopäden sowie Chirotherapeuten einerseits, bei denen die Akzeptanz “groß sein (dürfte)”, während dies andererseits bei Pädiatern und Neuropädiatern nur in deutlich geringerem Maße der Fall sein dürfte. Diese Äußerungen gründen nicht erkennbar auf gerichtsfest nachvollziehbare Fakten, sondern haben eher spekulativen Charakter (auch insoweit schon MDS-Gutachten Dr. Kruse vom 1. Juni 2004, S 11). Dr. Helling lehnt es darüber hinaus ab, von einer “Methode Kozijavkin” zu sprechen und gibt nur die Ansicht der Manualtherapeuten wieder (“Diese Behandlungsmethoden sind nach meiner Ansicht von der großen Mehrheit der manualtherapeutischen Ärzte befürwortet.”). Auch daraus lässt sich nicht schließen, dass die Mehrheit der einschlägigen Fachleute, sondern allenfalls die Mehrheit der Manualtherapeuten, eine an die “Methode Kozijavkin” angelehnte Behandlung befürwortet.
Das LSG muss deshalb – wie im erwähnten Parallelverfahren – in weiteren Ermittlungen aufklären, welche Meinung einschlägige Fachleute zu der “Methode Kozijavkin” (in ihrer Gesamtheit, dh nicht nur bezogen auf einzelne ihrer Elemente ≪BSG SozR 3-2500 § 18 Nr 6 S 25 f≫) vertreten und ob sich nur Einzelstimmen gegen die Anwendung der Methode bei ICP-Patienten wenden.
bb) Das Vorgehen des LSG Niedersachsen-Bremen gibt im Übrigen Anlass zu präzisieren, was unter der “großen Mehrheit der einschlägigen Fachleute” zu verstehen ist und welche Studien in den Blick zu nehmen sind. Es entspricht allgemeinem Wissenschaftsverständnis, dass die Wissenschaftlichkeit einer Studie weder vom Ort ihrer Entstehung noch von der Stelle ihrer Publikation abhängt. Infolgedessen versteht es sich von selbst, dass als Basis für die Herausbildung eines Konsenses alle international zugänglichen einschlägigen Studien dienen können. In ihrer Gesamtheit kennzeichnen sie den Stand der medizinischen Erkenntnisse. Davon zu unterscheiden ist die Frage, welcher Personenkreis für die Ermittlung der “großen Mehrheit der einschlägigen Fachkreise” in den Blick zu nehmen ist. Indem § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V auf den “allgemein anerkannten” Stand der medizinischen Erkenntnisse abstellt, soll dasjenige erfasst werden, was sich im internationalen wissenschaftlichen Diskurs ob seiner wissenschaftlichen Überzeugungskraft durchgesetzt hat. Insoweit sind im Ausgangspunkt nicht nur inländische Fachleute einzubeziehen. Das schließt andererseits nicht aus, zur Ermittlung des “allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse” inländische Institutionen zu befragen, insbesondere dann, wenn sichergestellt ist, dass sie den auf internationaler Ebene “allgemein anerkannten Stand” als maßgeblich rezipieren und ggf zu Grunde legen. Das harmoniert auch mit den Anforderungen des europäischen Rechts. So geht der Europäische Gerichtshof (EuGH) davon aus, nur diejenige Auslegung der Wendung “in ärztlichen Kreisen üblich” sei nicht diskriminierend, die – auch bei grundsätzlicher Anknüpfung an das Inland – eine Ausrichtung an dem von der internationalen Medizin als anerkannt Angesehenen für maßgeblich erachtet (vgl EuGH, Urteil vom 12. Juli 2001 – Rs C-157/99, EuGHE I-2001, 5473 ff = SozR 3-6030 Art 59 Nr 6, S 32 f – Smits/Peerbooms, RdNr 92 ff).
Da es bei den insoweit gebotenen weiteren Ermittlungen, welche Position einschlägige Fachkreise zur “Methode Kozijavkin” vertreten, um die Feststellung allgemeiner Tatsachen geht, kommt es in besonderer Weise darauf an, Erkenntnisse auf einer möglichst breiten Grundlage zu gewinnen; in der Zeit verfügbarer medizinischer Datenbanken im Internet (zB Deutsches Institut für medizinische Dokumentation und Information ≪DIMDI≫) und juristischer Informations- und Dokumentationssysteme (zB JURIS) ist dies nicht mit außergewöhnlichen und unzumutbaren Ermittlungsschwierigkeiten verbunden. In diesem Zusammenhang darf sich die Feststellung allerdings auch nicht auf die Meinung deutscher Ärzte und Wissenschaftler beschränken, sondern muss vor dem Hintergrund der europarechtlichen passiven Dienstleistungsfreiheit zumindest auch diejenigen in anderen EU-Staaten mit einbeziehen (vgl schon EuGH, Urteil vom 12. Juli 2001 – Rs C-157/99, EuGHE I-2001, 5473 ff = SozR 3-6030 Art 59 Nr 6, S 32 f – Smits/Peerbooms, RdNr 92 ff; vgl § 18 Abs 1 SGB V in der ab 1. Januar 2004 geltenden Fassung des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung vom 14. November 2003, BGBl 2190). Zu diesem Zweck stehen verschiedene Möglichkeiten der Ermittlung zur Verfügung.
(1) Sofern sich allein aus der zahlenmäßigen Aufschlüsselung einer allerdings typischerweise auch nur mittels sachverständiger Hilfe möglichen Literaturrecherche kein klares Bild ergeben sollte, kommt es darauf an, wie unterschiedliche Bewertungen ggf gemessen am Grad ihrer jeweiligen wissenschaftlichen Evidenz zu gewichten und einzuschätzen sind (vgl § 9 der Richtlinie über die Bewertung medizinischer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden idF vom 1. Dezember 2003,≪BAnz Nr 57 S 5678≫, zuletzt geändert am 20. September 2005 ≪BAnz Nr 222 S 16166≫). Eine derartige Gewichtung haben erstmals die MDS-Gutachten von Dr. Kruse vom 8. Mai 2003 und vom 1. Juni 2004 vorgenommen; bei Zweifeln an deren Überzeugungskraft müsste durch Zuhilfenahme geeigneter Sachverständiger ggf erneut die Gewichtung von zum Behandlungszeitpunkt vorliegenden widerstreitenden Fachveröffentlichungen geklärt werden (zum Stellenwert entsprechender MDS-Gutachten vgl allerdings § 275 Abs 2 Nr 3, Abs 4 und Abs 5 Satz 1 SGB V). Insoweit kann sich zB eine Anfrage bei dem inzwischen mit Wirkung zum 1. Januar 2004 gemäß § 139a SGB V errichteten Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) anbieten. Das Institut wird zu Fragen von grundsätzlicher Bedeutung für die Qualität von Wirtschaftlichkeit der im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung erbrachten Leistungen tätig und erstellt wissenschaftliche Ausarbeitungen, Gutachten und Stellungnahmen zu Fragen der Qualität und Wirtschaftlichkeit der im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung erbrachten Leistungen. Es stellt auch für alle Bürger verständliche allgemeine Informationen zur Qualität und Effizienz in der Gesundheitsversorgung zur Verfügung (§ 139a Abs 3 Nr 2 und 6 SGB V). Zwar sind nach § 139b Abs 1 und 2 SGB V Gerichte und Krankenkassen nicht unmittelbar befugt, das IQWiG mit einer Untersuchung zu beauftragen; das schließt es jedoch nicht aus, dass diese beim IQWiG vorliegende Informationen abrufen und zum konkreten Verfahren beiziehen. Die Krankenkassen können darüber hinaus in geeigneten Fällen über ihre Spitzenverbände eine Beaufragung des IQWiG durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) oder über die Aufsichtsbehörden einen Antrag durch das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung veranlassen (§ 139b Abs 1 Satz 2 und Abs 2 SGB V). Auf diese Weise können daher vom IQWiG Informationen auch zu Fragestellungen eingeholt werden, die nicht in den Kompetenzbereich des G-BA nach §§ 91 ff SGB V fallen und zu denen das IQWiG, dessen Träger der G-BA ist, deshalb auch keine Stellungnahmen abgibt. Das gilt insbesondere für Auslandsbehandlungen, für deren Beurteilung der G-BA nicht zuständig ist (vgl BSGE 84, 90, 96 = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 S 18; BSG SozR 3-2500 § 18 Nr 6 S 25; BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 1 RdNr 15 – Petö). Das Institut dürfte zumindest in der Lage sein, zB einschlägige medizinische Fachgesellschaften zu benennen oder Hinweise auf geeignete Sachverständige zu geben.
(2) Zur Feststellung des allgemein anerkannten Standes der wissenschaftlichen Erkenntnisse, insbesondere des Umstandes, ob die große Mehrheit der einschlägigen Ärzte und Wissenschaftler die Behandlungsmethode befürwortet und sie für zweckmäßig hält, liegt des Weiteren die Einholung von Stellungnahmen der einschlägigen Fachgesellschaften nahe. Welche Fachgesellschaften dafür in Frage kommen, bestimmt sich nach der konkreten Erkrankung und der Art der im Einzelfall streitbefangenen Behandlung; es sind also regelmäßig diejenigen, die sich um eine Behandlung der Erkrankung bemühen, und deren Aufgabengebiet die konkrete Behandlungsmethode zugerechnet werden kann. Im Fall der hier streitbefangenen ICP, für deren Behandlung zT auf eine Fülle zur Verfügung stehender Methoden verwiesen wird (vgl zB Stellungnahme der Gesellschaft für Neuropädiatrie, Monatsschrift für Kinderheilkunde 1999, 696 ff, und Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin vom 25. Juni 2004, im Internet unter www.dgsj.de/Ilspastischecp.php sowie die Aufstellungen zB http://members.aol.com/geburt/main/therapie/startseite.html ≪eine Patientenorganisation≫ – jeweils recherchiert am 22. November 2005), bedeutet das, dass zumindest ein Meinungsbild der Vereinigung für Kinderorthopädie, sowie der Fachgesellschaften für Pädiatrie, Sozialpädiatrie, Neuropädiatrie und Jugendmedizin eingeholt werden muss. Die Art der Behandlung fordert zumindest die Feststellung, wie Fachgesellschaften im Bereich der Manualtherapie und Neurologie bzw Kinderneurologie die “Methode Kozijavkin” beurteilen.
(3) In diesem Zusammenhang kann zusätzlich von Bedeutung sein, inwieweit sich unter Fachleuten konsensfähige medizinische Erkenntnisse bereits sogar in ärztlichen Leitlinien niedergeschlagen haben. Wie das Bundessozialgericht (BSG) entschieden hat, musste die Feststellung, was dem anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse unter Berücksichtigung des medizinischen Fortschritts jeweils entsprach, bis zum Wirksamwerden der neuen für die Inlandsbehandlung geltenden gesetzlichen Instrumentarien zur Bestimmung von Inhalt, Umfang und Qualität der Krankenhausbehandlung nach anderen Kriterien getroffen werden. In diesem Zusammenhang wurde vor allem den Stellungnahmen der medizinischen Fachgesellschaften Bedeutung zugemessen, die sich zB in Leitlinien niedergeschlagen hatten und auf diese Weise geeignet waren, “Standards” zu definieren (so BSGE 81, 182, 187 f = SozR 3-2500 § 109 Nr 5 S 39 f ≪3. Senat≫ – Hyperthermie). Auch der erkennende 1. Senat des BSG hat sich indessen in jüngerer Zeit in Bezug auf Leistungsansprüche im Inland bisweilen auf die Angaben und Leitlinien medizinischer Fachgesellschaften zu Behandlungsstandards gestützt (vgl BSG SozR 3-2500 § 92 Nr 12 S 71 – Colon-Hydro-Therapie; BSGE 90, 289, 292, 294 f = SozR 4-2500 § 137c Nr 1 RdNr 7, 15 – Magenband; zuletzt Senats-Urteil vom 16. Februar 2005 – B 1 KR 18/03 R – stationäre Schizophrenie-Behandlung, BSGE 94, 161, 170 f = SozR 4-2500 § 39 Nr 4 RdNr 22). Zwar gibt es Erkenntnisse, die eine differenziertere Betrachtung der von ärztlicher Seite selbstregulativ geschaffenen Regelwerke im Rahmen des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung gebieten dürften (dazu schon Urteil des Senats vom 16. Februar 2005, aaO mwN). Andererseits liegt es nahe, Leitlinien einschlägiger medizinischer Fachgesellschaften jedenfalls dann zur Konkretisierung des Leistungsanspruchs von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung mit heranzuziehen und auszuwerten, wenn die normalerweise im innerstaatlichen Bereich zur Leistungskonkretisierung berufenen Institutionen – wie hier – dafür keine Zuständigkeit besitzen. In ähnlicher Weise kann daher vorgegangen werden, wenn über die Akzeptanz in Fachkreisen für eine bestimmte, nach dem Beteiligtenvorbringen nur außerhalb der EU mögliche Behandlung gestritten wird.
(4) Als weitere Möglichkeit der Ermittlung des Standes der medizinischen Erkenntnisse können schließlich Gutachten aus anderen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren, insbesondere aus den Verfahren anderer Landessozialgerichte beigezogen werden. Für die “Methode Kozijavkin” kommt beispielsweise die Beiziehung von Gutachten der LSG für das Saarland, Sachsen und Thüringen in Betracht, die ebenso wie das hiesige LSG, an das nun zurückverwiesen wird, über diese Methode und ihre Anerkennung eine Entscheidung zu treffen hatten (LSG für das Saarland, Beschluss vom 24. Februar 2000, L 2 K 17/97, veröffentlicht in JURIS, Dok-Nr KSRE083011018; Sächsisches LSG, Urteil vom 20. März 2000 – L 1 KR 30/01, JURIS, Dok-Nr KSRE094431518; Thüringer LSG, Urteil vom 18. Dezember 2002 – L 6 KR 836/02, JURIS Dok-Nr KSRE091600218). Auch die MDS-Gutachten von Dr. Kruse wird das LSG im weiteren Verfahrensgang mit zu würdigen haben.
g) Sollten die Ermittlungen des LSG ergeben, dass die im Ausland zur Anwendung vorgesehene Behandlungsmethode zu den Behandlungszeitpunkten im aufgezeigten Sinne dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprach (erste Voraussetzung des § 18 Abs 1 Satz 1 SGB V), muss es weiter genauer feststellen, ob ebenfalls das weitere Tatbestandsmerkmal erfüllt ist, dh, ob eine Behandlung mit demselben Behandlungsziel wie bei dem Kläger angestrebt zum vorgesehenen Behandlungszeitpunkt in Deutschland bzw der EU/des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) allgemein und konkret für den Kläger unter qualitativen und quantitativen Gesichtspunkten nicht verfügbar bzw zumutbar war. Auch insoweit reichen die bisherigen Feststellungen für eine Entscheidung nicht aus.
aa) Ohne dass der Fall des Klägers dem Senat derzeit Veranlassung bietet, zu Einzelfragen detailliert Stellung zu nehmen, kann es nach der Judikatur des EuGH (EuGHE 1998, I-1931 = SozR 3-6030 Art 59 Nr 5 – Kohll; EuGHE 1998, I-1831 RdNr 37 ff = SozR 3-6030 Art 30 Nr 1 – Decker; EuGHE 2001, I-5473 = SozR 3-6030 Art 59 Nr 6 – Smits/Peerbooms; EuGHE 2003, I-4509 = SozR 4-6030 Art 59 Nr 1 RdNr 39, 76 ff, 93 ff – Müller-Fauré/van Riet) und des Senats (BSGE 93, 94 ff = SozR 4-2500 § 13 Nr 4 RdNr 8; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 3 RdNr 11) jedenfalls keinem Zweifel mehr unterliegen, dass die Feststellung eines zur Systemüberschreitung berechtigenden Versorgungsdefizits trotz der erst zum 1. Januar 2004 erfolgten Änderung der §§ 13, 18 SGB V mit Blick auf die europarechtlichen Grundfreiheiten und das Diskriminierungsverbot auch schon in der davor liegenden Zeit nicht auf Deutschland beschränkt bleiben durfte; lediglich für die Krankenhausbehandlung gelten Besonderheiten in Gestalt zulässiger Genehmigungsvorbehalte (vgl die Urteile Smits/Peerbooms sowie Müller-Fauré/van Riet, aaO). Als Bestimmung, die eine Krankenbehandlung nur ausnahmsweise und nur unter besonderen Einschränkungen im (Nichtvertrags-)Ausland zulässt, ist § 18 SGB V nach der Rechtsprechung des BSG zwar eng, aber nunmehr auch im Lichte der europarechtlichen Grundfreiheiten auszulegen. Er ermöglicht es zwar, dass Versicherten bei etwaigen Versorgungsdefiziten im hiesigen System der gesetzlichen Krankenversicherung eine Behandlung auch außerhalb von EU und EWR (im Folgenden: EU/EWR-Inland) zuteil wird, soll aber andererseits der Gefahr des “Gesundheitstourismus” vorbeugen und hat – ausgestaltet als Ermessensleistung – im Blick, eine finanzielle Überforderung der Krankenkassen zu vermeiden (so zuletzt BSGE 92, 164, 165 f = SozR 4-2500 § 18 Nr 2 RdNr 9 mwN).
bb) Der Anspruch aus § 18 SGB V ist nicht darauf beschränkt, dass eine konkrete medizinische Behandlungsmaßnahme im EU/EWR-Inland überhaupt nicht zu erlangen ist, sondern besteht auch, wenn eine Behandlung zwar dort erfolgen kann, der im EU/EWR-Ausland praktizierten anderen Methode jedoch ein qualitativer Vorrang gegenüber den in Deutschland angewandten Methoden gebührt. Letzteres ist zB der Fall, wenn eine Krankheit im Inland nur symptomatisch behandelt werden kann, während im Ausland eine kausale Therapie angeboten wird, die begehrte Behandlung der EU/EWR-Inlandsbehandlung also aus medizinischen Gründen “eindeutig überlegen” ist. Nicht notwendig ist eine Auslandsbehandlung dagegen, wenn im EU/EWR-Inland gleich oder ähnlich wirksame und damit zumutbare Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen. Ebenso ist § 18 Abs 1 SGB V einschlägig, wenn eine Behandlung aus Kapazitätsgründen und dadurch bedingte Wartezeiten im EU-EWR-Inland nicht rechtzeitig erfolgen kann (vgl zum Ganzen schon: BSGE 92, 164, 166 = SozR 4-2500 § 18 Nr 2 RdNr 9 mwN; BSGE 84, 90, 92 = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 S 14 f mwN; BSG SozR 3-2500 § 18 Nr 6 S 27).
Für die Anwendung des § 18 Abs 1 SGB V reicht es danach nicht schon aus, dass die vom Versicherten konkret begehrte Therapie nur im EU/EWR-Ausland durchgeführt werden kann. Die Krankenkasse darf die Kosten dieser Therapie vielmehr nur übernehmen, wenn für die betreffende Krankheit im zur Verfügung stehenden System überhaupt keine, also auch keine andere zumutbare Behandlungsmethode zur Verfügung steht, die dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse genügt. Die EU/EWR-Auslandsbehandlung stellt insoweit einen bloßen Notbehelf für den Fall dar, dass der Versorgungsauftrag der gesetzlichen Krankenversicherung mit den Mitteln des zur Verfügung stehenden Sachleistungssystems (bzw mit Hilfe der Leistungsaushilfe) nicht erfüllt werden kann. Die in § 18 Abs 1 Satz 1 SGB V vorausgesetzte Notwendigkeit, mit Hilfe der Auslandsbehandlung eine Lücke in der medizinischen Versorgung zu schließen, besteht nur, wenn eine im Inland bzw EU/EWR-weit nicht behandelbare Krankheit im EU/EWR-Ausland mit der erforderlichen Erfolgsaussicht behandelt werden kann, und nicht schon dann, wenn das außerhalb angebotene Leistungsspektrum lediglich andere medizinische Maßnahmen umfasst, ohne im Ergebnis die Behandlungsmöglichkeiten für die beim Versicherten bestehende Krankheit entscheidend zu verbessern (vgl schon BSGE 84, 90, 92 = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 S 14, nunmehr im Lichte von EuGHE I-2001, 5473 ff = SozR 3-6030 Art 59 Nr 6 – Smits/Peerbooms und § 18 Abs 1 SGB V nF). Die Notwendigkeit der Auslandsbehandlung wäre deshalb zu verneinen, wenn zwar eine bestimmte, vom Versicherten bevorzugte Therapie nur außerhalb der EU/des EWR erhältlich ist, im EU/EWR-Inland aber andere, gleich oder ähnlich wirksame und damit zumutbare Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen. Gibt es dagegen mehrere gleichwertige Behandlungsalternativen, können allein die im EU/EWR-Inland bestehenden Therapieangebote in Anspruch genommen werden (vgl BSGE 84, 90, 93 = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 S 15, ergänzt um europarechtliche Erwägungen).
cc) Die vom SG in Bezug genommenen Feststellungen im Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 16. Juni 2004 – L 4 KR 101/04 – reichen nicht aus, um über das Vorliegen dieser Voraussetzungen zu entscheiden.
Ob die Behandlung der ICP des Klägers nach der “Methode Kozijavkin” in der Ukraine in den erfolgten Behandlungszeiträumen der Jahre 2000 bis 2003 im dargestellten Sinne dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprach und ob bezogen auf die mit der Behandlung verfolgten Ziele in der EU/im EWR ein Versorgungsdefizit bestand, kann verfahrensrechtlichen Anforderungen entsprechend nur beurteilt werden, wenn zunächst genauere Feststellungen zum Inhalt der konkreten Behandlung getroffen worden sind. Es liegt nahe – erscheint aber nicht abschließend geklärt –, dass der Kläger sich dort einer ärztlich verantworteten Rehabilitationsbehandlung unterzogen hat; dafür spricht vor allem, dass der Leistungserbringer Prof. Dr. Kozijavkin die in seinem Institut unter seiner ärztlichen Verantwortung praktizierte Methode selbst als “System der intensiven neurophysiologischen Rehabilitation” bezeichnet und dass auch in entsprechenden Internet-Auftritten heute immer noch die rehabilitative Komponente in den Vordergrund gerückt wird (vgl www.kozijavkin.de; ferner “Internationaler Förderverein für medizinische Rehabilitation nach Kozijavkin”, im Internet unter www.ifrk.org – jeweils recherchiert am 22. November 2005). Da bislang keine Feststellungen dazu getroffen worden sind, wie die konkrete Behandlung des Klägers in den streitigen Zeiträumen der Jahre 2000 bis 2003 ausgestaltet sein sollte und tatsächlich verlaufen ist, muss deshalb zunächst ermittelt werden, mit welchem Behandlungsziel der Kläger in der Ukraine behandelt werden sollte bzw wurde (zB zur Linderung akuter bzw chronischer Krankheitsbeschwerden oder vorrangig zu Zwecken einer langfristig angelegten Rehabilitation). Zudem kommt es darauf an, in welcher konkreten äußeren Form ihm die Leistungen zuteil wurden (zB als ambulantärztliche Behandlung bzw ärztlich angeordnete Physiotherapie mit separat entstandenen Kosten für Unterkunft und Verpflegung, als ambulante oder ≪teil-≫stationäre Rehabilitation, durch Verabreichung von Heilmitteln). Erst wenn diese Umstände feststehen, können bezogen darauf auch die weiteren Voraussetzungen des § 18 SGB V im Einzelnen geprüft werden.
dd) Auch die weiteren vom SG in Bezug genommenen Feststellungen des LSG sind unzureichend. Es hat zwar ausgeführt, die “Methode Kozijavkin” sei im Inland nicht verfügbar, dabei aber weder berücksichtigt, dass die Stellungnahmen von Prof. Dr. Dr. von Voss und von Dr. Helling einander widersprachen, da der erste Sachverständige keine entsprechende Behandlungsmöglichkeit in Deutschland feststellen konnte, der zweite dagegen mitteilte, dass in seiner Klinik entsprechende Behandlungen durchgeführt würden. Das LSG Niedersachsen-Bremen und ihm folgend das SG haben auch keine Feststellungen dazu getroffen, weshalb die in Deutschland für ICP-Patienten “zur Erleichterung des Bewegungsablaufs durch Ausnutzung komplexer Bewegungsmuster Bahnung von Innervation und Bewegungsabläufen und Förderung oder Hemmung von Reflexen” nach den Heilmittel-Richtlinien zur Verfügung stehenden krankengymnastischen Behandlungen nach Bobath und Vojta (vgl Nr 35.2.2 Heil- und Hilfsmittelrichtlinien idF vom 17. Juni 1992 ≪BAnz Nr 183b S 13≫; inzwischen Nr 17.A.2.5 der Richtlinien des G-BA über die Verordnung von Heilmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung vom 1. Dezember 2003/16. März 2004 ≪Beilage zu BAnz Nr 106a vom 9. Juni 2004≫) nicht im genannten Sinne dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen und dass die “Methode Kozijavkin” diesen anderen Methoden gemessen an den jeweils verfolgten Behandlungszielen “eindeutig überlegen” ist.
ee) Sollte sich nach den weiteren Ermittlungen herausstellen, dass eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung im EU/EWR-Inland zur Verfügung stand – sei es in Form der Behandlungen nach Bobath und Vojta, sei es in Form der Behandlung in der Klinik des Dr. Helling oder auch in Form anderer Behandlungsmethoden – wird das LSG weiter genauer zu untersuchen haben, ob eine solche Behandlung zu den für den Kläger vorgesehenen Behandlungszeitpunkten auch konkret verfügbar und zumutbar war. Der EU/EWR-Behandlung kommt nach der herkömmlichen Rechtsprechung des Senats im Rahmen des auch für § 18 Abs 1 Satz 1 SGB V geltenden Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 Abs 1 SGB V) ebenfalls Vorrang zu, wenn das Leistungsangebot im EU/EWR-Ausland wegen einer besonders modernen technischen Ausrüstung oder wegen des auch international herausragenden fachlichen Rufs eines bestimmten Arztes eine überdurchschnittliche Qualität aufweist, denn Spitzenmedizin ist nicht der Maßstab für die Leistungspflicht in der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung. Deshalb könnte zB allein eine besondere manualtherapeutische Geschicklichkeit von Prof. Dr. Kozijavkin nicht die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung begründen (BSGE 84, 90, 94 = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 S 16). Im konkreten Fall käme eine Kostenübernahme nach § 18 Abs 1 Satz 1 SGB V dagegen in Betracht, wenn eine Behandlung auf Grund fehlender Kapazitäten nur im EU/EWR-Ausland möglich ist (vgl erneut BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 2 S 10, RdNr 9). Ob in quantitativer Hinsicht ein Versorgungsdefizit besteht, kann wiederum nicht auf Grund allgemeiner Feststellungen zur Zahl der vorhandenen Therapieplätze und der bestehenden Wartezeiten festgestellt werden; dazu muss vielmehr die Situation des jeweiligen Betroffenen untersucht und ermittelt werden, ob und warum er trotz entsprechender Bemühungen in vertretbarer Zeit keinen Therapieplatz finden konnte (BSGE 84, 90, 95 = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 S 17) und ob und warum ein weiteres Zuwarten nicht möglich, eine früher als im Inland mögliche Auslandsbehandlung dagegen aus “medizinischen Gründen unbedingt erforderlich” war (BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 2 S 10 RdNr 9).
ff) Sollte sich dabei herausstellen, dass eine Behandlung im EU/EWR-Inland unter qualitativen und quantitativen Gesichtspunkten verfügbar war, müsste schließlich ermittelt werden, ob auf Grund der speziellen Erfahrungen des Klägers und seines spezifischen Krankheitsbildes gerade bei ihm eine Behandlung im EU/EWR-Inland nicht möglich oder nicht zumutbar war. Eine ausreichende und rechtzeitige Behandlung im EU/EWR-Inland ist nämlich auch dann nicht gewährleistet, wenn die Behandlung im EU/EWR-Inland auf Grund des speziellen Krankheitsbilds keinen Erfolg verspricht, zB bei einer besonderen Kombination von Krankheiten (BSG SozR 3-2500 § 18 Nr 1 Leitsatz). Das könnte allerdings nicht schon angenommen werden, wenn die bei dem Kläger vorliegende ICP eine stärkere Ausprägung hätte als der Durchschnitt der im EU/EWR-Inland auftretenden Formen dieser Erkrankung. Vielmehr muss dazu ein außergewöhnlicher Fall vorliegen, auf den die in Deutschland bzw EU/EWR-weit anerkannten und angebotenen Methoden keine ausreichende therapeutische Wirkung haben (vgl ähnlich für die Organtransplantation im Ausland: BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 2 S 15).
h) Sollte das LSG zu dem Ergebnis kommen, dass die “Methode Kozijavkin” dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht sowie konkret nur im EU/EWR-Ausland verfügbar war, wird es schließlich zu prüfen haben, ob die Behandlung bei Prof. Dr. Kozijavkin in der Ukraine im hier streitigen Einzelfall jeweils “erforderlich” war. Das setzt voraus, dass die streitbefangenen Behandlungen der Jahre 2000 bis 2003 aus ex-ante-Sicht erfolgversprechend waren. Insofern wird das LSG zu ermitteln haben, ob die vom Kläger beantragten Behandlungen Aussicht auf Erfolg hatten, obwohl es sich bereits um seine 15. bis 19. Behandlung in der Ukraine handelte. Dazu wird es anhand des Therapiekonzepts Kozijavkin und der wissenschaftlichen Studien zu überprüfen haben, ob die Behandlung allgemein auch mehrfach angewandt werden kann und ob im Fall des Klägers eine weitere Behandlung eine (zusätzliche) Besserung versprach. Dazu kann es die Ergebnisse der vorhergehenden Behandlungsphasen in seine Entscheidung einbeziehen.
2. Das LSG muss abschließend auch über die Kosten des Revisionsverfahrens befinden.
Fundstellen