Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Kapitalleistungen einer Direktversicherung. Handelsvertreter. Kürzung des handelsrechtlichen Ausgleichsanspruchs um Altersvorsorgeleistungen. beitragspflichtiger Versorgungsbezug. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Kapitalleistungen einer Direktversicherung bleiben auch dann beitragspflichtiger Versorgungsbezug, wenn der einem Handelsvertreter zustehende handelsrechtliche Ausgleichsanspruch um Altersvorsorgeleistungen gekürzt wurde.
Orientierungssatz
Die Heranziehung von Versorgungsbezügen bei der Beitragsbemessung in der gesetzlichen Krankenversicherung begegnet grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl zuletzt BSG vom 18.8.2020 - ua B 12 KR 4/19 R ).
Normenkette
SGB V § 229 Abs. 1 S. 1 Nr. 5, § 237 S. 1 Nr. 2; SGB XI § 57 Abs. 1 S. 1; HGB § 89b Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Juni 2020 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Erhebung von Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und sozialen Pflegeversicherung (sPV) auf die Kapitalleistung einer Lebensversicherung iHv 81 681,92 Euro ab 1.7.2016 streitig.
Der 1950 geborene Kläger war vom 1.1.1977 bis zum 31.5.1980 als selbstständiger Handelsvertreter tätig. Anschließend war er bei der K Lebensversicherung AG (im Folgenden: K) als Arbeitnehmer beschäftigt. Aufgrund einer Zusage der K vom 26.1.1981, den Kläger in ihr Versorgungswerk des hauptberuflichen Außendienstes aufzunehmen, schloss sie mit ihm am 11.3.1981 eine entsprechende Vereinbarung und gleichzeitig mit ihm als Versicherungsnehmer einen Lebensversicherungsvertrag mit Versicherungsbeginn zum 1.1.1982. Durch Vereinbarungen vom 2.8.1993 wurde mit Wirkung ab 1.7.1993 die Versicherung in eine Direktversicherung umgewandelt und die Versicherungsnehmereigenschaft des Klägers auf die K als Arbeitgeberin übertragen. Die Beiträge entrichteten weiter je zur Hälfte der Kläger und die K.
Vom 1.1.1995 bis zum 30.9.2015 war der Kläger erneut als selbstständiger Handelsvertreter ausschließlich für die K bzw deren Rechtsnachfolgerin, die W Lebensversicherung AG (im Folgenden: W), tätig. Er bezieht seit 1.10.2015 eine Altersrente für langjährig Versicherte und ist seit 1.7.2016 bei den Beklagten kranken- und pflegeversichert. Nach seinem Ausscheiden als selbstständiger Handelsvertreter errechnete W einen Ausgleichsanspruch des Klägers nach § 89b Handelsgesetzbuch (HGB) mit einem Ausgangswert von 77 960,09 Euro, von dem sie Altersvorsorgeleistungen iHv 37 733,96 Euro in Abzug brachte. Die insoweit erhobene Klage wurde vom LG H mit vom LSG in Bezug genommenen Urteil vom 31.5.2017 abgewiesen (2 O 42/17). Zum 1.1.2016 wurde ihm aus der Lebensversicherung ein Betrag iHv 127 112,01 Euro ausgezahlt. Die Beklagte zu 1. (im Folgenden: Beklagte) legte den Betrag - neben einer weiteren Kapitalzahlung aus einer anderen Versicherung - auch im Namen der Beklagten zu 2. der Beitragserhebung in der GKV und sPV ab 1.7.2016 zugrunde (Bescheide vom 7.9.2016; Widerspruchsbescheid vom 12.4.2017).
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG am 12.12.2018 hat die Beklagte durch vom Kläger angenommenes Teilanerkenntnis die Beitragsfestsetzung auf eine beitragspflichtige Kapitalleistung von 81 681,92 Euro beschränkt. Ferner einigten sich die Beteiligten darauf, dass nur über die Bescheide vom 7.9.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.4.2017 entschieden, das Ergebnis des Rechtsstreits aber auf nicht erfasste Zeiträume erstreckt werden solle. Das SG hat die über das Teilanerkenntnis hinausgehende Klage abgewiesen (Urteil vom 10.7.2019). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Die Lebensversicherung sei zu einem Zeitpunkt in eine Direktversicherung umgewandelt worden, als der Kläger Arbeitnehmer gewesen sei. An der Durchführung als Direktversicherung habe sich auch nichts mit der erneuten Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit zum 1.1.1995 geändert. Die Vertragsbedingungen seien insoweit nicht geändert worden. K bzw W seien bis zum Ende der Vertragslaufzeit Versicherungsnehmerin geblieben. Die der Beitragserhebung zugrunde gelegte Kapitalleistung beruhe auf Beitragszahlungen in der Zeit der fehlenden Versicherungsnehmereigenschaft des Klägers. Die Kürzung des Ausgleichsanspruchs nach § 89b HGB um die durch die K bzw W finanzierten Versorgungsleistungen ändere am Charakter der Kapitalleistung als Leistung der betrieblichen Altersversorgung nichts. Nach der Rechtsprechung des BSG sei selbst dann ein Versorgungsbezug anzunehmen, wenn ein Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters durch eine Rente der betrieblichen Altersversorgung vollständig ersetzt werde. Da sich die Anrechnung auf den Ausgleichsanspruch unter Billigkeitsgesichtspunkten ohnehin nur auf die vom Unternehmer finanzierten Teile der Kapitalleistung beziehen könne, sei es unerheblich, dass in dem früheren vom BSG entschiedenen Verfahren der Handelsvertreter nur geringe eigene Beiträge zur Altersversorgung aufgebracht habe (Urteil vom 16.6.2020).
Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung von §§ 237, 229 Abs 1 Satz 1, Satz 2 Nr 5 SGB V sowie Art 3 und 14 GG. Wegen der konkreten Umstände des Falls handele es sich bei der Lebensversicherung um keine betriebliche Altersversorgung. K sei nur versehentlich Versicherungsnehmerin geblieben. Die Beiträge habe er auch nicht aus Arbeitsentgelt erbracht, sondern aus bereits versteuerten und verbeitragten Einnahmen. Es fehle an einem betrieblichen Bezug, weil die Direktversicherung mangels Arbeitsverhältnis nicht mit einem Arbeitgeber bestanden habe. Zudem verkenne das LSG die Wirkungen des Ausgleichsanspruchs auf die Auszahlung der Versicherungssumme. Im Rahmen der Billigkeit iS des § 89b HGB habe er sich einen beträchtlichen Teil der erhaltenen Lebensversicherung anrechnen lassen müssen. Dadurch habe sich sein Ausgleichsanspruch erheblich verringert. Im umgekehrten Fall einer Anrechnung des Ausgleichsanspruchs auf die Lebensversicherung würde keine Beitragspflicht drohen.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Juni 2020 und des Sozialgerichts Reutlingen vom 10. Juli 2019 sowie die Bescheide der Beklagten vom 7. September 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. April 2017 und des Teilanerkenntnisses vom 12. Dezember 2018 aufzuheben.
Die Beklagten beantragen,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Die Revision des Klägers sei bereits unzureichend begründet worden und deshalb unzulässig. Er sei auf die konkreten Gedankengänge, erheblichen Argumente und tatsächlichen Feststellungen sowie die in Bezug genommene Rechtsprechung (ua) des BSG im angefochtenen Urteil nicht oder nur am äußersten Rande eingegangen. Abgesehen davon weise das angefochtene Urteil keine Rechtsfehler zu Lasten des Klägers auf.
Entscheidungsgründe
A. Die Revision des Klägers ist zulässig.
Nach § 164 Abs 2 Satz 1 und 3 SGG ist die Revision fristgerecht zu begründen; die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben. Diese gesetzlichen Anforderungen hat das BSG in ständiger Rechtsprechung präzisiert. Danach muss, wenn mit der Revision - wie hier - die Verletzung einer Rechtsnorm gerügt wird, in der Begründung dargelegt werden, weshalb eine Vorschrift im materiellen Sinn von der Vorinstanz nicht oder nicht richtig angewendet worden ist (vgl § 546 ZPO). Mit diesem Erfordernis soll zur Entlastung des Revisionsgerichts erreicht werden, dass der Revisionskläger bzw sein Prozessbevollmächtigter die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels eingehend prüft und von aussichtslosen Revisionen rechtzeitig Abstand nimmt. Dabei darf die Revisionsbegründung nicht nur die eigene Meinung wiedergeben, sondern muss sich - zumindest kurz - mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils auseinandersetzen sowie erkennen lassen, dass sich der Revisionsführer mit der angefochtenen Entscheidung befasst hat und inwieweit er bei der Auslegung der dort angewandten Rechtsvorschriften anderer Auffassung ist. Der Revisionsführer darf sich nicht darauf beschränken, die angeblich verletzte Rechtsnorm zu benennen oder auf die Unvereinbarkeit der von der Vorinstanz vertretenen Rechtsauffassung mit der eigenen hinzuweisen. Notwendig ist vielmehr eine Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung, indem dargelegt wird, dass das LSG sein Urteil auf eine Verletzung von Bundesrecht gestützt habe, und mit rechtlichen Erwägungen aufgezeigt wird, dass und weshalb die Rechtsansicht des Tatsachengerichts nicht geteilt wird. Erforderlich sind Rechtsausführungen, die aus der Sicht des Revisionsführers geeignet sind, zumindest einen der das angefochtene Urteil tragenden Gründe in Frage zu stellen (vgl ua BSG Beschluss vom 13.6.2018 - GS 1/17 - BSGE 127, 133 = SozR 4-1500 § 164 Nr 9, RdNr 33; BSG Urteil vom 31.3.2017 - B 12 KR 16/14 R - BSGE 123, 40 = SozR 4-2600 § 163 Nr 1, RdNr 12 ff mwN; BSG Urteil vom 31.3.2017 - B 12 KR 5/16 R - juris RdNr 11 mwN). Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung gerecht.
Der Kläger hat den Antrag gestellt, die Urteile der Vorinstanzen und Verwaltungsakte der Beklagten aufzuheben, soweit darin über das angenommene Teilanerkenntnis hinaus Beiträge gefordert werden, und die streitentscheidenden Normen (§§ 237 und 229 SGB V) benannt. Er hat im Revisionsverfahren mit der Besonderheit des handelsrechtlichen Ausgleichsanspruchs nach § 89b HGB argumentiert und dabei erläutert, weshalb sich die Abzugsfähigkeit der Altersvorsorgeaufwendungen der Arbeitgeberin auf die Verbeitragung der Kapitalleistung auswirken müsse.
B. Die Revision des Klägers ist aber unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen. Die Bescheide der Beklagten vom 7.9.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.4.2017 sind in dem nach angenommenen Teilanerkenntnis verbliebenen Umfang rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
Rechtsgrundlage für die Beitragserhebung auf die Kapitalleistung ist § 237 Satz 1 Nr 2 in Verbindung mit § 229 Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB V idF des Gesundheits-Reformgesetzes vom 20.12.1988 (BGBl I 2477) sowie § 57 Abs 1 Satz 1 SGB XI idF des Gesetzes zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf vom 23.12.2014 (BGBl I 2462). Danach wird der Bemessung der Beiträge bei in der GKV und sPV pflichtversicherten Rentnern neben dem Zahlbetrag der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) auch der Zahlbetrag der der Rente vergleichbaren Einnahmen zugrunde gelegt. Als der Rente vergleichbare Einnahmen (Versorgungsbezüge) gelten "Renten der betrieblichen Altersversorgung", soweit sie wegen einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit oder zur Alters- oder Hinterbliebenenversorgung erzielt werden. Tritt an die Stelle der Versorgungsbezüge eine nicht regelmäßig wiederkehrende Leistung oder ist eine solche Leistung vor Eintritt des Versicherungsfalls vereinbart oder zugesagt worden, gilt nach § 229 Abs 1 Satz 3 SGB V idF des GKV-Modernisierungsgesetzes vom 14.11.2003 (BGBl I 2190) ein 1/120 der Leistung als monatlicher Zahlbetrag der Versorgungsbezüge, längstens jedoch für 120 Monate.
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die dem Kläger ausgezahlte Kapitalleistung erfüllt die wesentlichen Merkmale der betrieblichen Altersversorgung (dazu 1.) und dient seiner Versorgung im Alter (dazu 2.). Daran ändert die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit zum 1.1.1995 (dazu 3.), die Reduzierung des Ausgleichsanspruchs nach § 89b HGB (dazu 4.) und die konkrete Finanzierung der Lebensversicherung (dazu 5.) nichts. Schließlich begegnet die Heranziehung von Versorgungsbezügen bei der Beitragsbemessung in der GKV und sPV keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (dazu 6.).
1. Die dem Kläger ausgezahlte Lebensversicherung ist eine betriebliche Altersversorgung iS des § 229 Abs 1 Nr 5 SGB V. Wesentliche Merkmale einer Rente der betrieblichen Altersversorgung als einer mit der Rente aus der GRV vergleichbaren Einnahme im Sinn des Beitragsrechts der GKV und sPV sind ein Zusammenhang zwischen dem Erwerb dieser Rente und der früheren Beschäftigung sowie ihre Entgelt-Ersatzfunktion. Hierzu gehören auch Leistungen, die aus einer vom Arbeitgeber für den Arbeitnehmer vereinbarten Direktversicherung iS des § 1 Abs 2 Nr 4 Betriebsrentengesetz (idF des Hüttenknappschaftlichen Zusatzversicherungs-Neuregelungs-Gesetzes vom 21.6.2002, BGBl I 2167) gezahlt werden. Um eine solche Direktversicherung handelt es sich, wenn - wie hier - für die betriebliche Altersversorgung eine Lebensversicherung auf das Leben des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber als Versicherungsnehmer abgeschlossen wird und der Arbeitnehmer oder seine Hinterbliebenen hinsichtlich der Leistung des Versicherers ganz oder teilweise bezugsberechtigt sind (stRspr; zuletzt BSG Urteil vom 23.2.2021 - B 12 KR 32/19 R - SozR 4-2500 § 229 Nr 30 RdNr 24 mwN; BSG Urteil vom 12.5.2020 - B 12 KR 22/18 R - BSGE 130, 116 = SozR 4-2500 § 229 Nr 29, RdNr 17; BSG Urteil vom 26.2.2019 - B 12 KR 17/18 R - BSGE 127, 254 = SozR 4-2500 § 229 Nr 24, RdNr 14 mwN). Dass die Direktversicherung durch eine Umwandlung einer zuvor vom Kläger als Versicherungsnehmer abgeschlossenen Versicherung zum 1.7.1993 entstanden ist, ändert daran nichts. Zu diesem Zeitpunkt waren der Kläger Arbeitnehmer und K seine Arbeitgeberin.
2. Die im Januar 2016 ausgezahlte Direktversicherung diente der Versorgung des Klägers im Alter. Eine Versicherungsleistung ist dann der betrieblichen Altersversorgung im Sinn des Beitragsrechts der GKV und sPV zuzurechnen, wenn sie die Versorgung des Arbeitnehmers im Alter oder bei Invalidität bezweckt, also der Sicherung des Lebensstandards nach dessen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben dienen soll. Dieser Versorgungszweck kann sich auch aus der vereinbarten Laufzeit ergeben (BSG Urteil vom 26.2.2019 - B 12 KR 13/18 R - SozR 4-2500 § 229 Nr 25 RdNr 11 mwN) und dadurch objektivieren. Eine zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausdrücklich vereinbarte Zweckbestimmung ist hingegen nicht erforderlich. Bei einem im Versicherungsvertrag geregelten Laufzeitende mit dem "rechnungsmäßige(n) Endalter 65 Jahre" (vgl Nr 3 der Vereinbarung vom 2.8.1993) ist der Versorgungszweck schon deshalb erfüllt, weil der Kläger zu diesem Zeitpunkt nach dem bei Vertragsumwandlung im Jahre 1993 geltenden Recht das erforderliche Alter für den Bezug einer Altersrente (Vollendung des 65. Lebensjahres, vgl § 35 Nr 1 SGB VI idF des Rentenreformgesetzes 1992 vom 18.12.1989, BGBl I 2261) erreicht hatte.
3. An dem Charakter der Direktversicherung als betriebliche Altersversorgung hat sich dadurch nichts geändert, dass der Kläger ab 1.1.1995 wieder als selbstständiger Handelsvertreter tätig war. Nach ständiger Rechtsprechung sowohl des BSG (zuletzt Urteil vom 12.5.2020 - B 12 KR 22/18 R - BSGE 130, 116 = SozR 4-2500 § 229 Nr 29, RdNr 17; Urteil vom 26.2.2019 - B 12 KR 13/18 R - SozR 4-2500 § 229 Nr 25 RdNr 13) als auch des BVerfG (zuletzt ≪Kammer≫ Beschluss vom 17.6.2020 - 1 BvR 1134/15 - juris RdNr 15; ≪Kammer≫ Beschluss vom 28.9.2010 - 1 BvR 1660/08 - SozR 4-2500 § 229 Nr 11 RdNr 12) zur Einordnung als Leistung der betrieblichen Altersversorgung ist es notwendig, aber auch ausreichend, dass der Durchführungsweg der Direktversicherung gewählt und der institutionelle Rahmen des Betriebsrentenrechts genutzt wird, weil der Arbeitgeber Versicherungsnehmer und der Arbeitnehmer Begünstigter des Versicherungsvertrags ist. Auch nach dem Ende eines Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer eingezahlte Beiträge sind betrieblich veranlasst, solange der institutionelle Rahmen des Betriebsrentenrechts zur Durchführung der betrieblichen Altersversorgung nicht verlassen wird (hierzu zuletzt BSG Urteil vom 26.2.2019 - B 12 KR 13/18 R - SozR 4-2500 § 229 Nr 25 RdNr 13 mwN). Den institutionellen Rahmen des Betriebsrentenrechts hat der Kläger nicht verlassen. Denn dem Tätigkeitswechsel wurde nicht durch eine Änderung des Versicherungsvertrags, insbesondere eine (Rück-)Übertragung der Eigenschaft als Versicherungsnehmer auf den Kläger, Rechnung getragen. Dass ein Wechsel in der Versicherungsnehmereigenschaft nach den Angaben des Klägers beabsichtigt gewesen sei, ändert nichts daran, dass er nicht vollzogen wurde. Ohne Einrücken in die Position des Versicherungsnehmers ist es unerheblich, dass ein ursprünglich von einem Arbeitgeber als Direktversicherung abgeschlossener Vertrag nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers von Letzterem bis zum Auszahlungstermin mit eigenen Beiträgen fortgeführt wird (vgl insoweit bereits BSG Urteil vom 12.11.2008 - B 12 KR 10/08 R - SozR 4-2500 § 229 Nr 6 RdNr 14; BSG Urteil vom 12.12.2007 - B 12 KR 6/06 R - juris). Mangels Einrücken des Klägers in die Position des Versicherungsnehmers ist es daher auch ohne Bedeutung, dass K bzw W als durchgehende Versicherungsnehmerin ab 1.1.1995 nicht mehr Arbeitgeberin des Klägers waren.
4. Die Berechnung des dem Kläger nach dem Ende seiner Tätigkeit als Handelsvertreter zustehenden Ausgleichsanspruchs nach § 89b Abs 1 Satz 1 HGB (idF des Gesetzes zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse bei Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen und zur verbesserten Durchsetzbarkeit von Ansprüchen von Anlegern aus Falschberatung vom 31.7.2009, BGBl I 2512) unter Abzug der von der K bzw W erbrachten Altersvorsorgeleistungen ändert ebenfalls am Charakter der Kapitalleistung als betriebliche Altersversorgung nichts. Der (reduzierte) Ausgleichsanspruch steht mit der Kapitalleistung in keinem unmittelbaren Zusammenhang.
Nach § 89b Abs 1 Satz 1 HGB kann der Handelsvertreter von dem Unternehmer nach Beendigung des Vertragsverhältnisses einen angemessenen Ausgleich verlangen, wenn und soweit 1. der Unternehmer aus der Geschäftsverbindung mit neuen Kunden, die der Handelsvertreter geworben hat, auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile hat und 2. die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der dem Handelsvertreter aus Geschäften mit diesen Kunden entgehenden Provisionen, der Billigkeit entspricht. Anders als Versorgungsrenten knüpft der Ausgleichsanspruch nicht an den Umstand einer Erwerbsminderung oder das Erreichen einer bestimmten Altersgrenze an. Daher hat der Senat bereits entschieden, dass in der GKV eine Rente der betrieblichen Altersversorgung auch dann zu den beitragspflichtigen Versorgungsbezügen gehört, wenn sie den Ausgleichsanspruch eines Handelsvertreters ersetzt (BSG Urteil vom 10.3.1994 - 12 RK 30/91 - SozR 3-2500 § 229 Nr 3).
Nichts anderes gilt, wenn der Abzug im Rahmen der Billigkeit (§ 89b Abs 1 Satz 1 Nr 2 HGB) nicht die Rente aus der Direktversicherung betrifft, sondern - wie hier allenfalls - die Beiträge des Arbeitgebers zum Aufbau der Altersversorgung. Anders als der Kläger vorträgt, stützen die Feststellungen des LSG und des LG H jedenfalls nicht dessen Behauptung, er habe sich einen beträchtlichen Teil der "erhaltenen" Lebensversicherung anrechnen lassen müssen. Ausweislich der Feststellungen des LG H im Urteil vom 31.5.2017 (2 O 42/17) bewerteten der Kläger und W den Ausgleichsanspruch unstreitig mit 77 960,09 Euro. Hiervon brachte W einen Betrag von 37 733,96 Euro in Abzug, der den Leistungen "in die betriebliche Altersversorgung des Klägers" entsprach. Unabhängig davon, dass damit ein Betrag von (lediglich) 29,69 vH der ausgezahlten Kapitalleistung angerechnet worden ist, bestehen Zweifel, ob es sich dabei überhaupt um die von K und W im Rahmen der Direktversicherung erbrachten Beitragsanteile handelt. Denn das LG hat auch festgestellt, dass nach den Ausführungen der W "Ansprüche und Leistungen aus dem Versorgungswerk … auf den Ausgleichsanspruch anzurechnen" seien, "soweit sie nicht aus den vom Kläger selbst entrichteten Beträgen resultieren". Nicht ausgeschlossen ist daher eine Reduzierung des Ausgleichsanspruchs aufgrund anderer von K bzw W an ein Versorgungswerk erbrachten Altersvorsorgeleistungen. Einer abschließenden Klärung bedarf dies jedoch nicht. Selbst wenn es sich bei dem von W in Abzug gebrachten Betrag um die von ihr bzw K zur Direktversicherung erbrachten Beitragsanteile handeln sollte, hätte dies wirtschaftlich betrachtet nur zur Folge, dass die Direktversicherung überwiegend oder sogar vollständig vom Kläger selbst finanziert worden wäre. Für die Beitragspflicht einer Kapitalleistung aus einer Direktversicherung ist deren Finanzierung jedoch ohne Relevanz. Es ist unerheblich, ob der Versorgungsbezug im Einzelfall ganz oder zum Teil auf Leistungen des Arbeitgebers oder allein auf Leistungen des Arbeitnehmers oder des Bezugsberechtigten beruht (vgl ua BSG Urteil vom 26.2.2019 - B 12 KR 17/18 R - BSGE 127, 254 = SozR 4-2500 § 229 Nr 24, RdNr 16 mwN; vgl auch BVerfG ≪Kammer≫ Nichtannahmebeschluss vom 17.6.2020 - 1 BvR 1134/15 - juris RdNr 15).
Der Einwand des Klägers, im umgekehrten Fall einer "Anrechnung des Ausgleichsanspruchs auf die Lebensversicherung" würde hinsichtlich der Ausgleichsleistung "keine Beitragspflicht drohen", trägt nicht. Es ist in der Rechtsprechung des BGH anerkannt, dass die einem Handels- oder Versicherungsvertreter gewährte Alters- und Hinterbliebenenversorgung, soweit sie aus Mitteln des Unternehmens finanziert wird, auf den Ausgleichsanspruch angerechnet werden kann, wenn das nach den gesamten Umständen des Falles der Billigkeit entspricht (BGH Urteil vom 14.6.2006 - VIII ZR 261/04 - NJW-RR 2006, 1542; BGH Urteil vom 23.5.1966 - VII ZR 268/64 - BGHZ 45, 268). Die Abzugsmöglichkeit von Altersvorsorgeaufwendungen ist dem Ausgleichsanspruch aufgrund ihrer "funktionellen Verwandtschaft" immanent (vgl hierzu Thume in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, HGB, 5. Aufl 2019, § 89b RdNr 110 mwN; von Hoyningen-Huene in Münchener Kommentar, HGB, 4. Aufl 2016, § 89b RdNr 108). Die Minderung des Ausgleichsanspruchs um Altersvorsorgeaufwendungen gehört damit von vornherein zu seinem "nachrangigen" Wesen (vgl BSG Urteil vom 10.3.1994 - 12 RK 30/91 - SozR 3-2500 § 229 Nr 3 S 12 = juris RdNr 21). Sie beruht nicht auf einer externen Ursache und Rechtsgrundlage; daher kann es in diesem Zusammenhang von vornherein nicht zu einer Anrechnung mit umgekehrten Vorzeichen kommen. Soweit die Argumentation des Klägers darauf abzielt, eine wirtschaftliche "Entwertung" der Kapitalleistung zu behaupten, folgt daraus nichts anderes. Ebenso wie Verfügungen des originär Berechtigten über den Zahlbetrag einer Kapitalleistung ist auch der um Beitragsanteile zur Direktversicherung reduzierte Ausgleichsanspruch nicht geeignet, die Beitragspflicht der Kapitalleistung zu beeinflussen (vgl zuletzt BSG Urteil vom 10.10.2017 - B 12 KR 1/16 R - BSGE 124, 188 = SozR 4-2500 § 240 Nr 33, RdNr 14 mwN).
5. Es ist ferner unerheblich, ob die Beiträge zur Lebensversicherung aus dem Brutto- oder Nettoarbeitsentgelt aufgebracht worden sind. Ein Anspruch auf Erhalt der in der Ansparphase gegebenen Beitragsfreiheit bis in die Auszahlphase lässt sich aus dem Gesetz und der Verfassung nicht herleiten. Auch kommt es nicht darauf an, dass die Lebensversicherung gegebenenfalls aus einem Arbeitsentgelt oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze finanziert wird (BSG Urteil vom 26.2.2019 - B 12 KR 17/18 R - BSGE 127, 254 = SozR 4-2500 § 229 Nr 24, RdNr 17 mwN). Zudem existiert kein Grundsatz, dass mit aus bereits der Beitragspflicht unterliegenden Einnahmen vom Versicherten selbst finanzierte Versorgungsbezüge der Beitragspflicht überhaupt nicht oder jedenfalls nicht mit dem vollen Beitragssatz unterworfen werden dürfen (BSG Urteil vom 8.10.2019 - B 12 KR 2/19 R - SozR 4-2500 § 229 Nr 28 RdNr 19 mwN; vgl auch BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 6.9.2010 - 1 BvR 739/08 - SozR 4-2500 § 229 Nr 10 RdNr 10).
6. Schließlich begegnet die Heranziehung von Versorgungsbezügen bei der Beitragsbemessung in der GKV im Grundsatz keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl zuletzt BSG Urteile vom 18.8.2020 - ua B 12 KR 4/19 R - juris RdNr 22 mit Hinweisen auf die Rspr des BVerfG und des BSG; zuletzt BVerfG ≪Kammer≫ Nichtannahmebeschluss vom 17.6.2020 - 1 BvR 1134/15 - juris). Das BVerfG hat nur in Sonderfällen bestimmte Leistungsanteile von der Beitragspflicht als Versorgungsbezug ausgenommen. Voraussetzung dafür ist einerseits die Auflösung des beruflichen Bezugs und andererseits der Wechsel in der Versicherungsnehmereigenschaft. Kapitalleistungen aus Direktversicherungen iS von § 229 Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB V dürfen (nur) insoweit nicht als Versorgungsbezüge der Beitragspflicht unterworfen werden, als sie auf Prämien beruhen, die ein Arbeitnehmer nach dem Ende seines Arbeitsverhältnisses auf einen Kapitallebensversicherungsvertrag unter Einrücken in die Stellung des Versicherungsnehmers eingezahlt hat (BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 28.9.2010 - 1 BvR 1660/08 - SozR 4-2500 § 229 Nr 11 RdNr 15 ff). Letzteres war von Juli 1993 bis Dezember 2015 (s hierzu 3.) nicht der Fall. Auch liegt eine gegen das verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot des Art 3 Abs 1 GG verstoßende Doppelverbeitragung nicht vor. Der Senat hat bereits entschieden, dass die Beitragspflicht auf einen Versorgungsbezug nach §§ 237, 229 Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB V nicht den allgemeinen Gleichheitssatz verletzt, soweit ungerechtfertigte Ungleichbehandlungen bei der Verbeitragung von Aufwendungen für die betriebliche Altersversorgung in der Ansparphase geltend gemacht werden. Dem Gesetzgeber ist es grundsätzlich nicht verboten, "Doppelverbeitragungen" zu regeln (vgl zuletzt BSG Urteile vom 18.8.2020 - ua B 12 KR 4/19 R - juris RdNr 20 mwN).
7. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte die Höhe der berechneten Beiträge unzutreffend festgesetzt hätte, sind nicht ersichtlich. Die Beklagten haben nur den Teil der Kapitalleistung der Beitragserhebung unterworfen, der auf Zahlungen während der Zeit beruht, in der der Kläger nicht Versicherungsnehmer war (1.7.1993 bis 31.12.2015). Die konkrete Beitragsberechnung wird vom Kläger auch nicht beanstandet.
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8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. |
Heinz |
Bergner |
Beck |
Fundstellen
Haufe-Index 15673648 |
NZS 2023, 797 |
NZS 2023, 837 |
ZVertriebsR 2023, 292 |