Leitsatz (redaktionell)
1. Das Fehlen eines wirksamen Antrags auf Beitragserstattung hat die Nichtigkeit des Erstattungsbescheides zur Folge (Anschluß an BSG 1978-09-14 11 RA 36/77 = SozR 2200 § 1303 Nr 12).
2. Zur Anscheinsvollmacht und zur vermuteten Bevollmächtigung durch Ehegatten im sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren.
3. Die Antragstellung bei einem deutschen Träger der Rentenversicherung durch einen ausländischen Staatsangehörigen richtet sich allein nach deutschem Verwaltungsverfahrensrecht.
Orientierungssatz
Einmalige Leistung - Zulässigkeit der Berufung:
Die Berufung ist zulässig, wenn Gegenstand eines Rechtsstreits nicht die Durchführung der Beitragserstattung als einmaliger Leistung iS des § 144 Abs 1 Nr 1 SGG, sondern die Wirksamkeit des Erstattungsbescheides und damit auch der Bestand des Versicherungsverhältnisses ist (vergleiche BSG 1978-09-14 11 RA 36/77 = SozR 2200 § 1303 Nr 12).
Leitsatz (amtlich)
1. Das Fehlen eines wirksamen Antrags auf Beitragserstattung hat die Nichtigkeit des Erstattungsbescheides zur Folge (Anschluß an BSG 1978-09-14 11 RA 36/77 = SozR 2200 § 1303 Nr 12).
2. Zur Anscheinsvollmacht und zur vermuteten Bevollmächtigung durch Ehegatten im sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren.
3. Die Antragstellung bei einem deutschen Träger der Rentenversicherung durch einen ausländischen Staatsangehörigen richtet sich allein nach deutschem Verwaltungsverfahrensrecht.
Normenkette
VwVfG § 14; RVO § 1303 Abs. 1; SGB X § 13 Fassung 1980-08-18; SGG § 144 Abs. 1 Nr. 1 Fassung 1953-09-0
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 20.05.1980; Aktenzeichen L 5 Ar 394/78) |
SG Nürnberg (Entscheidung vom 29.06.1978; Aktenzeichen S 4 Ar 167/76) |
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte eine Beitragserstattung iSd § 1303 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) rechtswirksam vorgenommen hat.
Die am 10. April 1939 geborene Klägerin, die türkische Staatsangehörige ist, war in der Zeit von März 1964 bis Ende Juli 1968 in der Bundesrepublik versicherungspflichtig beschäftigt und hat in dieser Zeit 50 Monatsbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet. Anschließend kehrte sie in die Türkei zurück. Die Klägerin war mit dem seinerzeit ebenfalls in der Bundesrepublik tätigen M K verheiratet. Die Ehe wurde am 19. Februar 1975 geschieden. Nach Angaben der Klägerin lebte sie bereits seit 1968 von ihrem Mann getrennt.
Der Ehemann der Klägerin beantragte im Oktober 1970 beim Versicherungsamt der Stadt Nürnberg unter Vorlage einer Vollmacht, die mit "S K" unterzeichnet war, die Erstattung der für die Klägerin entrichteten Beiträge. Die Beklagte entsprach diesem Antrag mit Bescheid vom 29. Januar 1971. Sie sandte den Bescheid an: "K S, E/ K, T, Y sok Nr 7". Die Beklagte erhielt über die Aushändigung des Bescheides einen Rückschein der Deutschen Bundespost mit einer unleserlichen Unterschrift des Empfängers. Nach Angaben der Klägerin handelt es sich bei der genannten Anschrift um diejenige ihres früheren Schwiegervaters. Sie habe seinerzeit dort nicht gewohnt. Für die Überweisung des Erstattungsbetrages auf ein Konto des damaligen Ehemannes der Klägerin verlangte die Beklagte von diesem eine amtlich beglaubigte Vollmacht der Klägerin. Der Ehemann legte daraufhin ein Schreiben vor, wonach ihn seine Ehefrau bevollmächtigte, den Geldbetrag aus der Beitragserstattung in Empfang zu nehmen. Das Schreiben ist mit "K S " unterzeichnet; außerdem befinden sich auf ihm drei unleserliche Unterschriften und ein nicht lesbarer Stempelaufdruck. Die Beklagte überwies hierauf den Erstattungsbetrag in Höhe von 2.118,20 DM auf das Konto des früheren Ehemannes der Klägerin.
Die Klägerin, die seit de 1. Oktober 1973 wieder in der Bundesrepublik beschäftigt ist, erbat im November 1974 von der Beklagten Ersatzausfertigungen ihrer die Zeit von 1964 bis 1968 erfassenden Versicherungskarten, da sie befürchtete, ihr damaliger Ehemann habe sich die Karten unrechtmäßig angeeignet. Auf die Mitteilung der Beklagten, die Beiträge seien erstattet und der Erstattungsbetrag sei an den früheren Ehemann überwiesen worden, erklärte die Klägerin, sie habe diesem nie Vollmacht für einen Erstattungsantrag erteilt; auch die Inkasso-Vollmacht sei gefälscht. Im Juni 1975 beantragte die Klägerin - nachdem sie zuvor gegen ihren Ehemann Strafanzeige erstattet hatte - bei der Beklagten, sie hinsichtlich ihrer Rentenversicherung wieder in den alten Stand zurückzuversetzen. Die Beklagte erklärte sich mit Schreiben vom 25. August 1975 zur Aufhebung des Erstattungsbescheides bereit, falls der Erstattungsbetrag vom Ehemann der Klägerin oder der Klägerin selbst zurückgezahlt werde. Das Schreiben enthielt keine Rechtsmittelbelehrung. Die Beklagte forderte in der Folgezeit den Ehemann der Klägerin erfolglos zur Rückzahlung des Geldbetrages auf.
Auf die im April 1976 erhobene Klage verpflichtete das Sozialgericht (SG) die Beklagte, "die Klägerin in ihre bis 31. Juli 1968 erworbenen Rechte in der gesetzlichen Rentenversicherung wieder einzusetzen". Das SG hatte über die vom Ehemann der Klägerin vorgelegten Vollmachten ein Gutachten eines Schriftsachverständigen eingeholt. Der Gutachter war zu dem Ergebnis gekommen, daß die Unterschriften auf den Vollmachten sehr wahrscheinlich nicht von der Klägerin, sondern mit einiger Wahrscheinlichkeit von ihrem früheren Ehemann stammen. Das SG hielt die Berufung nicht für zulässig und hat sie auch nicht zugelassen. Auf die von der Beklagten eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 20. Mai 1980 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, die Klage betreffe die Feststellung der Wirksamkeit des Erstattungsbescheides. Sie sei somit nicht gegen eine einmalige Leistung iSd § 144 Abs 1 NR 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gerichtet. In der Sache hat das LSG die Beitragserstattung durch die Beklagte für wirksam gehalten. Zwar habe der geschiedene Ehemann der Klägerin ohne deren Wissen mit wahrscheinlich gefälschter Vollmacht den Erstattungsantrag gestellt und den ausgezahlten Geldbetrag in Empfang genommen, doch müsse sich die Klägerin das Vorgehen ihres geschiedenen Ehegatten nach den Grundsätzen über die Anscheinsvollmacht zurechnen lassen. Danach sei die Klägerin im Erstattungsverfahren gegenüber der Beklagten durch ihren geschiedenen Ehemann wirksam vertreten worden.
Hiergegen hat die Klägerin die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie ist der Auffassung, daß die von der Beklagten eingelegte Berufung unzulässig war. Sachlich habe das Berufungsgericht zu Unrecht die Grundsätze über die Anscheinsvollmacht herangezogen. Diese seien im Verkehr mit juristischen Personen des öffentlichen Rechts nicht anwendbar. Der allgemeine Grundsatz, daß Ehegatten sich gegenseitig bevollmächtigten und dies im Rechtsverkehr auch ohne Vollmacht anerkannt werde, reiche nicht aus. Die Beklagte sei selbst davon ausgegangen, daß für die Beitragserstattung eine Vollmacht erforderlich sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Bayerischen LSG vom 20. Mai 1980 aufzuheben und
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Nürnberg
vom 29. Juni 1978 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und das Vorbringen der Revision für nicht erheblich.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Klägerin ist sachlich begründet. Der Beitragserstattungsbescheid der Beklagten vom 29. Januar 1971 ist nichtig. Das Versicherungsverhältnis der Klägerin besteht daher für die Zeit vom 1. März 1964 bis 31. Juli 1968 in dem Umfang fort, wie dies ohne die von der Beklagten zu Unrecht durchgeführte Beitragserstattung der Fall war.
Das LSG ist zutreffend von der Zulässigkeit der Berufung ausgegangen. Gegenstand des Rechtsstreits ist nicht die Durchführung der Beitragserstattung als einmaliger Leistung iSd § 144 Abs 1 Nr 1 SGG, sondern die Wirksamkeit des Erstattungsbescheides und damit auch der Bestand des Versicherungsverhältnisses der Klägerin in der Zeit von März 1964 bis Juli 1968 (vgl BSG SozR 2200 § 1303 Nr 12). Die fehlende Zulassung der Berufung im erstinstanzlichen Urteil ist von daher unerheblich, da der Zulässigkeit keiner der in den §§ 144 ff SGG genannten Gründe entgegenstand.
Die Nichtigkeit des Beitragserstattungsbescheides ergibt sich daraus, daß für ihn der gemäß § 1303 Abs 1 RVO erforderliche - wirksame - Erstattungsantrag fehlt. Ein Verwaltungsakt, der nur auf Antrag ergehen darf, ist in der Regel nichtig, wenn kein wirksamer Antrag vorliegt (BSGE 12, 265, 268; BSG SozR 2200 § 1303 Nr 12; vgl auch: Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts I, 10. Aufl, S 226). Das Fehlen eines erforderlichen Antrags stellt grundsätzlich einen besonders schwerwiegenden und offenkundigen Fehler dar, der die Nichtigkeit des Verwaltungsaktes zur Folge hat (vgl auch § 40 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - -SGB 10- und § 44 Verwaltungsverfahrensgesetz -VwVfG-). Dieser Grundsatz gehört zu den elementaren Regeln des allgemeinen Verwaltungsrechts und ist nicht erst durch das VwVfG bzw das SGB 10 eingeführt worden (BSG SozR 2200 aaO). Der Senat folgt deshalb der Entscheidung des 11. Senats des BSG im Urteil vom 14. September 1978 (11 RA 36/77, SozR 2200 aaO) wonach gerade bei einer Beitragserstattung, die zumeist mit schwerwiegenden Konsequenzen für den Versicherten verbunden ist, das Fehlen eines Antrages die Nichtigkeit des Erstattungsbescheides zur Folge hat.
Dem Erstattungsbescheid der Beklagten vom 29. Januar 1971 liegt kein wirksamer Antrag, den allein die Klägerin als Versicherte stellen konnte, zugrunde. Der geschiedene Ehemann der Klägerin hat diese bei der Stellung des Erstattungsantrages nicht wirksam vertreten. Eine Vertretungsbefugnis des Ehemannes aus der vorgelegten Vollmacht scheidet schon deswegen aus, weil nur eine echte Vollmachtsurkunde (vgl Palandt-Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch -BGB-, 40. Aufl., § 170 ff Anm 3a), die dem Bevollmächtigten vom Vollmachtgeber wissentlich ausgehändigt worden ist (vgl BGHZ 65, 13), eine wirksame Vertretung begründen kann. Die Klägerin wußte indes weder etwas von der Stellung des Erstattungsantrages noch hatte sie ihren damaligen Ehemann mit ihrer Vertretung bevollmächtigt.
Das Berufungsgericht und die Beklagte sind der Ansicht, nach den Grundsätzen über eine Anscheinsvollmacht könne die Klägerin sich nicht darauf berufen, daß ihr geschiedener Ehemann ohne ihr Wissen und Wollen bei der Beitragserstattung tätig geworden sei. Auch wenn man das Rechtsinstitut der Anscheinsvollmacht bei der Vertretung des Bürgers gegenüber der Verwaltung anwendet, so setzt es voraus (vgl BGHZ 1956, 1673; Palandt-Heinrichs aaO, §§ 170 ff Anm 4c aa; Staudinger-Dilcher BGB, 12. aufl, § 167 Rdnr 28 ff), daß der Vertretene das wiederholte und sich über einen gewissen Zeitraum erstreckende Verhalten des Vertreters zwar nicht kannte, es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen müssen und verhindern können. Ferner muß der Geschäftsgegner nach Treu und Glauben annehmen dürfen, der Vertretene dulde und billige das Handeln des Scheinvertreters (vgl BGH LM § 167 Nrn 4 und 17). Es ist von daher zunächst nicht entscheidend, ob man der Beklagten keinen Vorwurf machen kann, daß sie auf die Vertretungsbefugnis des Ehemannes vertraut hat. Wesentlich ist vielmehr, ob die Klägerin das Vorgehen ihres Ehemannes bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen müssen und verhindern können. Das Vertrauen der Beklagten in die Vertretungsbefugnis des Ehemannes kann nur dann bedeutsam werden, wenn der Klägerin eine Verletzung ihrer Sorgfaltspflichten vorgehalten werden kann. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Klägerin war nicht verpflichtet und auch gar nicht in der Lage, jedem denkbaren Mißbrauch vorzubeugen, den ihr Ehemann während ihres Aufenthaltes in der Türkei betreiben konnte. Sie hätte sich allenfalls dann zu einem präventiven Verhalten veranlaßt sehen müssen, wenn sie konkrete Anhaltspunkte dafür gehabt hätte, daß ihr Mann vermögensschädigend für sie auftrat. Für das Vorliegen derartiger Umstände vor der Stellung des Erstattungsantrages ergeben sich aus den unangegriffenen Feststellungen des LSG keine Anhaltspunkte.
Die Vertretung der Klägerin durch ihren Ehemann war auch nicht deswegen wirksam, weil aus dem ehelichen verhältnis - wie das LSG wohl annimmt - der Rechtsschein einer Vollmacht erwächst. Eine grundsätzliche Vermutung der Vertretungsbefugnis unter Ehegatten ohne eine ausdrückliche Bevollmächtigung iSd §§ 167ff BGB ist dem deutschen Recht entgegen der Auffassung des LSG fremd. Die vom LSG angeführten speziellen Vorschriften gestatten nicht ohne weiteres eine Verallgemeinerung und Ausdehnung auf andere Rechtsgebiete. Aus der Tatsache, daß im sozialgerichtlichen Verfahren (§ 73 Abs 2 Satz 2 SGG) und- bis zum 31. Dezember 1980- im Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (§ 10 Abs 2 Satz 2 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung -KOVVfG-) eine Bevollmächtigung unter Ehegatten unterstellt werden kann bzw konnte, kann ein allgemeingültiger Rechtsgrundsatz nicht hergeleitet werden. § 73 Abs 2 Satz 2 SGG kann schon deshalb nicht herangezogen werden, weil das Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit von anderen Grundgedanken (Prinzip der Mündlichkeit, Verpflichtung des Gerichts, auf die Abstellung von Verfahrensmängel hinzuwirken) bestimmt und deshalb anders geregelt ist als das Verwaltungsverfahren (vgl BSG BVBl 1963, 58, 59). § 10 Abs 2 Satz 2 KOVVfG in der bis zum 31. Dezember 1980 gültigen Fassung stellte auf dem Gebiet des Verwaltungsverfahrensrechts eine Ausnahme dar. Im allgemeinen Verwaltungsrecht ist der Grundsatz einer Vollmachtsvermutung unter Ehegatten nicht verbreitet. Indiz hierfür ist die Tatsache, daß das VwVfG vom 25. Mai 1976 (BGBl I 1253) eine entsprechende Vermutung bei der Regelung der Bevollmächtigung (§ 14) nicht enthält und eine solche im Gesetzgebungsverfahren (vgl BT-Druchs 7/910, S 44) auch nicht erörtert wurde. Eine den §§ 10 abs 2 Satz 2 KOVVfG und 73 Abs 2 Satz 2 SGG entsprechende Regelung ist auch nicht in das am 1. Januar 1981 in Kraft getretene SGB 10 aufgenommen worden. Die Vorschrift über die Bevollmächtigung (§ 13) wurde bis auf geringfügige Änderungen aus dem VwVfG des Bundes (§ 14) übernommen. In § 13 Abs 5 Satz 2 SGB 10 hat der Gesetzgeber jedoch durch Verweisung auf § 73 Abs 6 Satz 3 SGG einer Besonderheit des sozialrechtlichen Verwaltungsverfahrens ausdrücklich Rechnung getragen (Bevollmächtigung von Verbandsvertretern). Eine Verweisung auf § 73 Abs 2 Satz 2 SGG fehlt dagegen. Im Gesetzgebungsverfahren wurde allerdings die Auffassung vertreten, im Rahmen des § 13 Abs 1 Satz 3 SGB 10 könne bei Ehegatten in der Regel vermutet werden, daß sie bei einem Auftreten für den anderen Ehegatten bevollmächtigt seien (vgl BT-Drucks 8/2034, S 31 zu § 13; Neumann-Duesberg, Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft 1980, 475). In den Gesetzestext hat eine solche - den allgemeinen Grundsätzen und Regelungen über die Bevollmächtigung nicht entsprechende - Vollmachtsvermutung indes keine Aufnahme gefunden.
Ob im sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren ein Versicherungsträger bei der Vertretung eines Ehegatten gleichwohl grundsätzlich von einer Vollmachtsvermutung ausgehen darf, kann hier letztlich dahingestellt bleiben. Denn die zuvor genannten Regelungen (§ 73 Abs 2 Satz 2 SGG, § 10 Abs 2 KOVVfG und die im Gesetzgebungsverfahren zu § 13 Abs 1 Satz 3 SGB 10 geäußerte Auffassung geben der Verwaltungsbehörde ja nur die Befugnis, bei Ehegatten auf die Vorlage einer schriftlichen Vollmacht verzichten zu können. Folgt man dieser Auffassung, so steht es im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde, ob sie im Einzelfall auch bei der Vertretung von Ehegatten die Vorlage einer schriftlichen Vollmacht verlangt oder auf eine solche verzichtet. Bei der Ausübung ihres Ermessens hat die Behörde dann entscheidend auf die Bedeutung des jeweiligen Vorgangs für den Versicherten abzustellen. Hierbei ist - bezogen auf den vorliegenden Fall - zu berücksichtigen, daß gerade die Beitragsrückerstattung zu den schwerwiegendsten Maßnahmen im Rahmen des Versicherungsverhältnisses zählt, da sie mit ganz einschneidenden Konsequenzen für den Versicherten verbunden ist, die zudem nach dem Eintritt der Bestandskraft nicht mit einem Verfahren nach § 1300 RVO aF korrigiert werden konnten (vgl BSG SozR 2200 § 1303 Nr 1 und Nr 12). Ob sich in einem derartigen Fall der Versicherungsträger überhaupt auf eine vermutete oder unterstellte Bevollmächtigung unter Ehegatten berufen könnte, braucht hier aber nicht entschieden zu werden, weil die Beklagte weder eine Vollmacht des Ehemannes der Klägerin unterstellt noch eine Bevollmächtigung vermutet hat. Vielmehr hat sie letztere in schriftlicher Form für erforderlich gehalten und ist aufgrund der ihr vorgelegten Vollmachtsurkunde von einer Vertretungsbefugnis ausgegangen, die in Wirklichkeit nicht bestand. Bei einer gefälschten Vollmachtsurkunde kann es indes keinen Vertrauensschutz geben. Auch die Besonderheiten einer Massenverwaltung, die bei der Beklagten als Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zu berücksichtigen sind, lassen insoweit keine abweichende Handhabung zum Nachteil des Versicherten zu. Der Beklagten bleibt es unbenommen, die Anforderungen an die Verläßlichkeit einer Vollmachtsurkunde überall dort, wo ein Mißbrauch oder eine Irreführung zu befürchten ist, im Rahmen des gesetzlich Zulässigen besonders hoch anzusetzen. So kann sie in Fällen, in denen sich der vertretene Versicherte im Ausland aufhält, eine durch eine konsularische Vertretung der Bundesrepublik Deutschland beglaubigte Vollmachtsurkunde verlangen.
Die vom LSG ferner genannte Vorschrift des § 1422 BGB betrifft ein Handeln in eigenen Namen mit Wirkung für den anderen Ehegatten. Sie gilt nicht für das hier relevante Handeln in fremden Namen. Der Verwalter des Gesamtgutes iSd § 1422 BGB ist keineswegs der Vertreter des nicht vertretungsberechtigten Ehegatten (vgl Palandt-Diederichsen aaO § 1422 Anm 1). Außerdem können Vorschriften des deutschen ehelichen Güterrechts schon deshalb nicht herangezogen werden, weil sich die Rechtsbeziehungen zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann auf diesem Gebiet nach türkischem Recht richteten (Art 15 EGBGB iVm dem in der Türkei auf dem Gebiet des internationalen Privatrechts herrschenden Staatsangehörigkeitsprinzips; vgl Bergmann-Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Bd VIII, Türkei S 11). Im türkischen ehelichen Güterrecht gilt in der Tat die Regelung, daß der Mann der Vertreter der ehelichen Gemeinschaft ist (Art 154 1. Buch, 1. Titel, 1. Kapitel des BGB der Türkei vom 17.2.1926); doch bleibt das türkische Güterrecht bei Rechtsbeziehungen zwischen einem deutschen Versicherungsträger und einem türkischen Staatsangehörigen auf dem Gebiet der Bundesrepublik außer Betracht.
Zum einen fallen Anwartschaften aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht unter das eheliche Güterrecht. Zum anderen ist die Stellung eines Antrages bei einem deutschen Rentenversicherungsträger durch einen ausländischen Staatsangehörigen allein nach deutschem Verwaltungsverfahrensrecht zu beurteilen und zwar selbst dann, wenn im Einzelfall das materielle deutsche Recht nicht zur Anwendung kommt. Das Verwaltungsverfahrensrecht rekurrierte zur Zeit der Antragstellung im Jahre 1970 auf die Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts, da spezielle Vorschriften für den hier zu beurteilenden Sachverhalt noch nicht zur Verfügung standen. Auf dem Gebiet des Verwaltungsverfahrensrechts gibt es keine dem Internationalen Privatrecht vergleichbaren Kollisionsregelungen (vgl Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, § 27 IVa). Vielmehr untersteht auch das Verwaltungsverfahren - wie grundsätzlich das gesamte Verfahrensrecht (vgl Firsching, Einführung in das Internationale Privatrecht, S 24 f) - der lex fori. Soweit das Verwaltungsverfahrensrecht auf allgemeine Rechtsnormen zurückgreift - wie zB bei der Frage der Vertretungsbefugnis - können demzufolge nur allgemeine Regelungen des deutschen Rechts herangezogen werden. Dies ergibt sich zudem auch aus dem Gesichtspunkt des Verkehrsschutzes (vgl Kegel, Internationales Privatrecht, 4. Aufl, S 38 und 191): Wegen des Erfordernisses einer einheitlichen Verfahrenspraxis muß die Verwaltung auch bei einer Beteiligung von ausländischen Staatsangehörigen stets einheitliche Verfahrensregelungen zugrundelegen.
Da somit ein wirksamer Antrag der Klägerin auf Beitragserstattung fehlt, ist der Bescheid der Beklagten vom 29. Januar 1971 nichtig. Ansprüche der Klägerin aus den in der Zeit vom 1. März 1964 bis zum 31. Juli 1968 entrichteten Beiträgen sind deshalb nicht ausgeschlossen. Auf die Revision der Klägerin mußte das Urteil des LSG aufgehoben und das im Ergebnis zutreffende Urteil des SG bestätigt werden (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
BSGE 52, 245-250 (LT1-3) |
BSGE, 245 |
RegNr, 9506 |
Das Beitragsrecht Meuer, B 9 A 12a 18 (LT1-3) |
HVGBG, RdSchr VB 147/82 (LT1-3) |
NVwZ 1983, 767 |
NVwZ 1983, 767-768 (LT1-3) |
USK, 81312 (LT1-2) |
EzS, 60/35 |
SGb 1982, 403-407 (LT1-3) |
SozR 2200 § 1303, Nr 22 (LT1-3) |