Beteiligte
Kläger und Revisionskläger |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I
Der Kläger ist bei der Beklagten gegen Krankheit versichert. Er ist Brillenträger. Im anhängigen Verfahren ist die Frage zu entscheiden, ob die Beklagte ihm die Kosten für den Kauf einer abgelehnten und selbstbeschafften Korrektions-Schutzbrille erstatten muß.
Der Kläger arbeitet vorwiegend als Staubmesser in einem Bergwerk unter Tage. Seine Arbeitgeberin hält es für unumgänglich, daß er die beschriebene Schutzbrille trägt. Den Antrag des Klägers, ihm die Beschaffungskosten in Höhe von 55,50 DM zu erstatten, lehnte die Beklagte durch ihren Bescheid vom 21. November 1986 unter Hinweis auf das Ergebnis der Beratungen der Spitzenverbände der Krankenkassen, Arbeitssicherheits- und Unfallverhütungsschutzvorschriften sowie die Heilmittel- und Hilfsmittelrichtlinien vom 26. Februar 1982 (BAnz Nr. 125 vom 13. Juli 1982) in der Fassung vom 10. Dezember 1985 (Deutsches Ärzteblatt 1986 S. 816) ab. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 8. April 1987).
Das Sozialgericht (SG) hat durch das mit der Sprungrevision angefochtene Urteil vom 23. Juni 1988 die Klage abgewiesen. Nach Auffassung des SG würde die Gewährung der Korrektions-Schutzbrille bzw. die entsprechende Kostenerstattung das Maß des Notwendigen im Sinne von § 182 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung in der bis zum 31. Dezember 1988 geltenden Fassung (RVO) überschreiten, weil die Brille nur in einem besonderen Lebensbereich einen Ausgleich für die Sehbehinderung des Klägers schaffen soll. Es handele sich um ein Arbeitsschutzmittel, das nicht zu Lasten der Krankenversicherung angeschafft werden dürfe.
Nach Auffassung des Klägers benötigt er angesichts der Arbeitsbedingungen unter Tage und zur Vermeidung von Augenverletzungen die Korrektions-Schutzbrille, da die üblichen Brillen keine bruchsicheren Gläser und ein zerbrechliches Gestell hätten. Die Brille gehöre zum unmittelbaren Behinderungsausgleich und sei im beruflichen Bereich ein notwendiges Hilfsmittel. Primäre Ursache für die Notwendigkeit der Bereitstellung der Brille sei seine Fehlsichtigkeit. Die Versorgung mit einer normalen Brille sei unzureichend und die Gewährung der Korrektions-Schutzbrille für die normale Lebensführung, zu welcher auch die Wahrnehmung von arbeitsrechtlichen Pflichten gehöre, unerläßlich. Die Beklagte müsse angesichts ihrer rechtswidrigen Weigerung die entstandenen Kosten erstatten.
Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 21. November 1986, des Widerspruchsbescheides vom 8. April 1987 sowie des Urteils des Sozialgerichts Duisburg vom 23. Juni 1988 zu verurteilen, an den Kläger 55,50 DM zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Nach ihrer Auffassung handelt es sich bei der Korrektions-Schutzbrille um ein Arbeitsschutzmittel, welches der Unfallverhütung diene und dessen Gewährung damit in die Leistungspflicht des Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung falle. Nach den einschlägigen Unfallverhütungsvorschriften habe der Unternehmer die Kosten für eine solche Brille zu tragen. Als Trägerin der gesetzlichen Krankenversicherung habe sie ihre Pflicht durch die Gewährung einer gewöhnlichen Brille erfüllt. Wenn der Kläger jetzt eine identische Sehhilfe mit Arbeitsschutzeigenschaften verlange, gehe das über den vom Gesetz gegebenen Grundanspruch hinaus. Die Schutzbrille sei praktisch ein Arbeitsgerät. Um ein Hilfsmittel im Sinne von § 182 Abs. 1 Nr. 1 Buchst c RVO handele es sich dagegen nicht.
II
Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das zuständige Landessozialgericht (LSG).
Die Tatsachenfeststellungen des SG reichen nicht aus, um über den geltend gemachten Anspruch abschließend zu entscheiden. Der Bescheid der Beklagten vom 21. November 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. April 1987 kann nur Bestand haben, wenn und soweit es sich bei der vom Kläger beanspruchten Korrektions-Schutzbrille nicht um ein Hilfsmittel im Sinne von § 182 Abs. 1 Nr. 1b und c RVO in der bis zum 31. Dezember 1988 geltenden Fassung handelt. Da es um den Anspruch auf eine einmalige Leistung geht und die Angelegenheit insoweit von der Beklagten vor Inkrafttreten des Gesundheitsreformgesetzes (SGB V) geregelt worden ist, scheidet die Anwendung der Vorschriften des SGB V wegen des Fehlens einer entsprechenden Übergangsvorschrift aus (vgl. BSG SozR 2200 § 182b Nrn. 3 und 10).
Die der Beklagten obliegende Krankenpflege umfaßt nach § 182 Abs. 1 Nr. 1b RVO u.a. auch die Gewährung von Brillen als Hilfsmittel. Nach § 182 Abs. 2 RVO muß die Krankenpflege ausreichend und zweckmäßig sein; sie darf das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Da es sich bei der Gewährung von Hilfsmitteln um einen Teil der Krankenpflege im Sinne des § 182 RVO handelt, hat die Rechtsprechung von jeher angenommen, daß das Hilfsmittel erforderlich sein muß, um ausgefallene oder beeinträchtigte körperliche Funktionen ganz oder teilweise zu ersetzen (vgl. BSG SozR 2200 § 182b Nrn. 8 und 23 m.w.N. sowie zuletzt Nr. 36). Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, daß eine gegebene Behinderung ein ausreichender medizinischer Grund für die Bereitstellung des Hilfsmittels ist (BSG SozR 2200 § 182 Nr. 73 und § 182b Nr. 25).
Die Leistungspflicht des Krankenversicherungsträgers ist nach § 182 Abs. 2 RVO auf die Gewährung eines ausreichenden Hilfsmittels beschränkt, welche das Maß des Notwendigen nicht überschreitet. Ob diese Voraussetzungen im vorliegenden Falle erfüllt sind, läßt sich aufgrund der in dem angefochtenen Urteil enthaltenen Feststellungen nicht abschließend entscheiden. Nach den Feststellungen des SG wurde dem Kläger von seiten der Krankenversicherung bereits eine gewöhnliche Brille gewährt, mit deren Hilfe er die bei ihm vorhandene Sehbehinderung im allgemeinen vollauf ausgleichen kann. Nur wenn und soweit dieses Hilfsmittel zur Krankenpflege nicht ausreicht und demgemäß ein weiteres notwendig ist, hat der Kläger einen Anspruch auf die begehrte Leistung, deren Zurverfügungstellung die Beklagte abgelehnt hat und für die sie demgemäß dem Kläger die aufgewendeten Kosten ersetzen müßte.
Nach den Feststellungen des SG besteht der Arbeitgeber des Klägers darauf, daß er am Arbeitsplatz eine Korrektions-Schutzbrille trägt. Das damit entstandene Bedürfnis zur Anschaffung einer besonders ausgestatteten Brille ist demgemäß im Arbeitsleben des Klägers entstanden. Die Schutzbrille ist offensichtlich nur in diesem Bereich erforderlich und angemessen; die normale Brille, welche dem Kläger bereits gewährt worden war, reicht für die Bewältigung seiner Pflichten im Arbeitsleben nicht aus. SG und die Beklagte haben - wie bereits gesagt - zutreffend hervorgehoben, daß es sich bei der Gewährung von Krankenpflege - hier: in der Form eines Hilfsmittels - um eine medizinische Maßnahme handelt und die Krankenversicherungsträger demgemäß solche Leistungen grundsätzlich nicht zu erbringen brauchen, welche etwa der beruflichen Eingliederung der Versicherten der allgemeinen Unfallverhütung dienen (zB BSG SozR 2200 § 182b Nrn. 33 und 36). Aus diesem Grunde ergeben sich bei der Abgrenzung der Leistungsverpflichtung von Krankenversicherungsträgern Schwierigkeiten, wenn es um den Ausgleich einer Behinderung im Berufsleben geht. Die Rechtsprechung hat aber die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit als solche als ein elementares Grundbedürfnis angesehen (s BSG SozR 2200 § 182b Nrn. 36 und 37). Dem stimmt der erkennende Senat zu. Handelt es sich bei der Erledigung von beruflicher Tätigkeit um ein Grundbedürfnis des Menschen, für das die Krankenversicherung Hilfsmittel zur Verfügung stellen muß, dann hat die Krankenkasse für den medizinischen Ausgleich der Behinderungen einzustehen. Inwieweit die Korrektions-Schutzbrille in diesem Sinne notwendig ist, läßt sich nicht abschließend entscheiden. Soweit diese Brille mit unzerbrechlichen Korrektionssichtscheiben ausgestattet ist, weil die besonderen Umstände des Berufslebens dies verlangen und soweit es nur um den Ausgleich der Sichtminderung geht, steht die Hilfsmitteleigenschaft der Brille nicht in Frage; sie ist lediglich aus besonderem Material gefertigt, welches in dem elementaren Lebensbereich Berufstätigkeit des Klägers notwendig ist. Dasselbe gilt auch für das zugehörige Brillengestell.
Das angefochtene Urteil enthält keinerlei Ausführungen über die tatsächliche Beschaffenheit der angeschafften Korrektions-Arbeitsschutzbrille. Allein vom Begriff her ist denkbar, daß ein solches Gerät Teile enthält, welche nicht dem spezifischen Ausgleich einer Behinderung dienen und daher von der Beklagten nicht zu gewähren sind. Sollte dies der Fall sein und die Korrektions-Schutzbrille beispielsweise mit Seitenschilden ausgestattet sein, die ihrerseits den beim Kläger vorhandenen Funktionsausfall nicht mindern helfen, so hätte die Brille insoweit keinen Hilfsmittelcharakter. Auch sonstige besondere Vorkehrungen an der Korrektions-Schutzbrille, die ganz allgemein nur den Zwecken der Unfallverhütung dienen, muß die Beklagte nicht bezahlen. Demzufolge läßt sich nicht abschließend entscheiden, ob eine Korrektions-Schutzbrille, wie sie von dem Kläger getragen werden muß, in allen Teilen als notwendiges Hilfsmittel im Sinne von § 182 RVO angesehen werden muß.
Der Inhalt der Heilmittel- und Hilfsmittel-Richtlinien würde dem Anspruch des Klägers so wenig entgegenstehen wie etwaige Unfallverhütungsvorschriften. Diese Regeln können einen bestehenden Anspruch des Klägers auf Erstattung der Kosten für ein selbstbeschafftes Hilfsmittel nicht einengen (vgl. hierzu BSG SozR 2200 § 182 Nr. 109).
Es war zweckmäßig, die Rechtssache an das zuständige LSG zurückzuverweisen, damit es die fehlenden Feststellungen trifft. Dieses Gericht hat auch über die außergerichtlichen Kosten der Revisionsinstanz zu entscheiden.8 RKn 13/88
BSG
Fundstellen