Leitsatz (amtlich)
1. Arbeitseinkommen iS von AVG § 25 Abs 4 S 1 Buchst b (= RVO § 1248 Abs 4 S 1 Buchst b) sind auch die Einkünfte des Alleingesellschafters und Alleingeschäftsführers einer GmbH aus der Verpachtung ihm gehörender Anlagen an die GmbH.
2. Wird einem Versicherungsträger vorgehalten, er habe zu Unrecht entrichtete Beiträge schon früher beanstanden können, so kann die spätere Beanstandung jedenfalls dann nicht treuwidrig und damit unzulässig sein, wenn die frühere Unterlassung die Lage des Versicherten nicht verschlechtert hat.
Normenkette
AVG § 25 Abs. 4 S. 1 Buchst. b Fassung: 1973-03-30; RVO § 1248 Abs. 4 S. 1 Buchst. b Fassung: 1973-03-30; AVG § 112 Abs. 3 Buchst. b Fassung: 1972-10-16; RVO § 1385 Abs. 3 Buchst. b Fassung: 1972-10-16; AVG § 145 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1423 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; SGB 4 § 15 Fassung: 1976-12-23; EStG § 2 Abs. 1 Nrn. 2-3, Abs. 2 Nr. 1, § 21 Abs. 3; BGB § 242 Fassung: 1896-08-18
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 05.04.1977; Aktenzeichen L 16 An 62/76) |
SG München (Entscheidung vom 04.12.1975; Aktenzeichen S 14 An 481/73) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 5. April 1977 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der 1908 geborene Kläger war bis 1964 als Betriebsleiter und Geschäftsführer Angestellter einer GmbH und versicherungspflichtig; seitdem ist er Alleingesellschafter und Geschäftsführer dieser GmbH und freiwillig versichert.
Den im Dezember 1972 gestellten Antrag auf flexibles Altersruhegeld lehnte die Beklagte zunächst mit der Begründung ab, daß die Wartezeit von 35 Versicherungsjahren nicht erfüllt sei; gleichzeitig beanstandete sie die in einer 1961 ausgestellten Versicherungskarte für 1958 und die in einer 1965 ausgestellten Versicherungskarte für 1961 verwendeten Beiträge. Im Verlauf des folgenden Streitverfahrens entrichtete der Kläger Beiträge für 1971 nach. Darauf bewilligte ihm die Beklagte flexibles Altersruhegeld für die Zeit vom 1. Januar bis 30. März 1973 und Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres ab 1. Oktober 1973; die Gewährung eines flexiblen Altersruhegeldes für die Zwischenzeit lehnte sie ab.
Den wegen der Beanstandung der Beiträge erhobenen Widerspruch wies die Beklagte zurück. Die Klage, mit der der Kläger die Gewährung von Altersruhegeld für die Zeit vom 1. April bis 30. September 1973 und die Berücksichtigung der für 1958 und 1961 entrichteten Beiträge begehrt, hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Zur Begründung seiner Entscheidung über die vom Sozialgericht (SG) zugelassene Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) ausgeführt, ein Anspruch auf Altersruhegeld für die streitige Zeit sei nach § 25 Abs. 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) i.d.F. des 4. Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (RVÄndG) vom 30. März 1973 (BGBl I 257) ausgeschlossen, da das Arbeitseinkommen des Klägers die Grenze von 690,- DM monatlich überschritten habe. Arbeitseinkommen sei nicht nur das Geschäftsführerentgelt in Höhe von 550,- DM monatlich gewesen, sondern auch das Einkommen aus Gewerbebetrieb im Sinne des Steuerrechts; es habe, weil der Kläger geschäftsführender Alleingesellschafter sei, die Miet- und Pachteinnahmen für die vom Kläger der GmbH überlassenen Anlagen eingeschlossen und nach dem Steuerbescheid für 1973 DM 13.361,- betragen. Die beanstandeten Beiträge seien verspätet entrichtet worden und damit unwirksam. Die Beklagte habe sie rechtzeitig beanstandet; die Beanstandung verstoße nicht gegen Treu und Glauben.
Das LSG hat die Revision zugelassen. Der Kläger hat dieses Rechtsmittel eingelegt und beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Beklagte zur Gewährung von Altersruhegeld für die Zeit vom 1. April bis 30. September 1973 und zur Berücksichtigung der für 1958 und 1961 entrichteten freiwilligen Beiträge bei der Rentenberechnung zu verurteilen,
hilfsweise, den Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Er wendet sich dagegen, daß das LSG auch die Einkünfte aus der Vermietung und Verpachtung zum Arbeitseinkommen gerechnet hat; nach bürgerlichem Recht handele es sich um Einkünfte aus Vermögen; bei der Einbeziehung hätte das LSG überdies Ausgaben und Verluste mitberücksichtigen müssen. Die Beanstandung der Beiträge für 1958 und 1961 verstoße gegen Treu und Glauben. Ein Versicherungsträger müsse schon vor Ablauf der Zehnjahresfrist des § 145 Abs. 2 AVG diejenigen Fehler aufdecken, die sogleich festgestellt werden könnten; die verspätete Beitragsentrichtung sei ohne weiteres erkennbar gewesen.
Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Das LSG hat die Revision mit der Begründung zugelassen, daß die Frage, was Arbeitseinkommen eines Selbständigen i.S. von § 25 Abs. 4 Satz 1 Buchst. b AVG sei, grundsätzliche Bedeutung habe. Diese Frage ist nur für den Anspruch auf das flexible Altersruhegeld vom 1. April bis 30. September 1973 von Bedeutung, nicht für das weitere Klagebegehren auf Anrechnung der beanstandeten Beiträge bei der Rentenberechnung. Ob das LSG auch insoweit der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat beimessen wollen, ist zweifelhaft, kann jedoch dahingestellt bleiben. War das nicht der Fall, hätte es zwar die Revision nur eingeschränkt zulassen sollen. Da indessen im Zulassungsausspruch keine Einschränkung erfolgt ist, gilt die Revision als uneingeschränkt zugelassen; hieran ist der Senat gebunden (§ 160 Abs. 3 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -, vgl. auch SozR 1500 § 160 Nr. 21).
Die Revision ist daher zulässig, sie ist jedoch nicht begründet.
Nach § 25 Abs. 4 Satz 1 Buchst. b AVG in der hier anwendbaren Fassung des 4. RVÄndG vom 30. März 1973 (BGBl I 257) bestand kein Anspruch auf Altersruhegeld nach § 25 Abs. 1 AVG, wenn der Versicherte ein Arbeitseinkommen aus einer Erwerbstätigkeit erzielte, das durchschnittlich im Monat drei Zehntel der für Monatsbezüge geltenden Beitragsbemessungsgrenze - 690,- DM im Jahre 1973 - überschritt. Das war hier der Fall. Zu Recht hat nämlich das LSG zum Arbeitseinkommen auch die Einnahmen des Klägers aus der Verpachtung von Grundstücken an die GmbH gerechnet. Bei deren Einbeziehung hat das durchschnittliche monatliche Arbeitseinkommen des Klägers in der Zeit vom 1. April bis 30. September die maßgebende Grenze weit überschritten. Hierzu bedarf es keiner weiteren tatsächlichen Feststellungen. Denn die Differenz zwischen dieser Grenze und dem Geschäftsführergehalt betrug ohnedies nur 140,- DM monatlich; andererseits hat der Kläger nicht näher beziffert, welche "Ausgaben und Verluste" die zuzurechnenden Miet- und Pachteinnahmen so erheblich mindern würden, daß davon nicht mehr mindestens 140,- DM monatlich anrechenbar blieben.
Der Begriff des Arbeitseinkommens ist allerdings in § 25 Abs. 4 AVG nicht definiert. Daraus, daß es ebenso wie in anderen Vorschriften des Rentenversicherungsrechts (vgl. insbesondere § 112 Abs. 3 Buchst. b AVG) dem Arbeitsentgelt gegenübergestellt wird, folgt indessen, daß darunter das Einkommen aus einer selbständigen Tätigkeit zu verstehen ist. Darin unterscheidet sich § 25 Abs. 4 AVG von § 850 der Zivilprozeßordnung (ZPO), der als "Arbeitseinkommen" grundsätzlich nur (vgl. § 850 Abs. 2 ZPO) Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit versteht.
Arbeitseinkommen im hier in Betracht kommenden Sinne ist das Bruttoeinkommen aus der selbständigen Tätigkeit nach Abzug von Werbungskosten und Betriebsausgaben, aber ohne Abzug von steuerlich begünstigten Sonderausgaben und Freibeträgen (vgl. BSGE 30, 61, 64 und auch § 8 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des § 33 des Bundesversorgungsgesetzes - BVG -). Damit deckt sich das Arbeitseinkommen mit dem Gewinn aus dem Gewerbebetrieb oder der selbständigen Arbeit im Sinne des § 2 Abs. 1 Nrn. 2, 3, Abs. 2 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG), ohne daß freilich eine Bindung an Entscheidungen der Finanzbehörden und der Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit besteht (vgl. BSGE 20, 6, 9 f). Daß diese Auslegung dem Willen des Gesetzgebers entspricht, wird durch § 15 Sozialgesetzbuch (SGB) IV bestätigt; danach ist Arbeitseinkommen "der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommenssteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit"; auch wenn diese Vorschrift erst am 1. Juli 1977 in Kraft getreten ist (Art. II § 21 SGB IV), bringt sie nur zum Ausdruck, was bisher schon rechtens war.
Dem Arbeitseinkommen sind dabei Einkünfte aus anderen Einkunftsarten zuzurechnen, soweit sie zu diesem gehören (vgl. § 21 Abs. 3 EStG). Das war hinsichtlich der Einnahmen des Klägers aus der Verpachtung von Grundstücken an die GmbH der Fall. Die vom Kläger gewünschte bürgerlich-rechtliche Wertung würde hier dem Sinn und Zweck des § 25 Abs. 4 AVG nicht gerecht. Denn hätte der Kläger das Unternehmen als Einzelkaufmann betrieben, so könnte es keinem Zweifel unterliegen, daß sein Arbeitseinkommen auch die Einkünfte aus der Nutzung seiner dem Unternehmen dienenden Grundstücke umfassen würde; nicht anders wäre es ferner, wenn er diese Grundstücke durch Übereignung an die GmbH, deren einziger Gesellschafter er ist, in sie eingebracht hätte. Wenn er demgegenüber das Unternehmen gleichsam zum Teil als alleiniger Gesellschafter einer GmbH und zum Teil als Verpächter betrieb, so rechtfertigt das keine andere Betrachtungsweise. Es war in sein Belieben gestellt, wie er den Ertrag des Unternehmens aufteilte, d.h. inwieweit er ihn sich als Gewinnanteil, Geschäftsführerentgelt oder Pachtzins zuführte; gleichwohl war alles, was er aus dem Unternehmen unter Einschluß der in den Betrieb einbezogenen Grundstücke erzielte, Ertrag des Unternehmens und damit sein Arbeitseinkommen. Zu Unrecht beruft sich der Kläger darauf, seine Pachteinkünfte seien rechtlich unabhängig davon gewesen, ob er überhaupt eine Tätigkeit ausübte. Nur, wenn der Kläger seine Geschäftsführertätigkeit aufgegeben und sämtliche Geschäftsanteile, nicht aber die Grundstücke, veräußert hätte, würden seine Pachteinnahmen kein Arbeitseinkommen i.S. von § 25 Abs. 4 AVG dargestellt haben; das hätte aber auch dann zugetroffen, wenn er als Einzelkaufmann die Erwerbstätigkeit eingestellt und die zum Unternehmen gehörenden Grundstücke behalten und verpachtet hätte.
Auch der Anspruch auf eine höhere Rentenberechnung ist, wie das LSG zutreffend erkannt hat, unbegründet. Daß die beanstandeten Beiträge verspätet entrichtet worden sind, zieht der Kläger nicht in Zweifel. Die Beklagte hat mit der Beanstandung dieser Beiträge aber auch nicht gegen Treu und Glauben (§ 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) verstoßen. Es mögen zwar Umstände denkbar sein, unter denen eine Beanstandung von Beiträgen noch innerhalb der Zehnjahresfrist des § 145 Abs. 2 AVG treuwidrig und damit unzulässig ist. Ein schutzwürdiges Interesse des Versicherten daran, daß eine nicht sogleich ausgesprochene Beanstandung später unterbleibt, kommt indessen allenfalls in Betracht, wenn die frühere Unterlassung des Versicherungsträgers die Lage des Versicherten verschlechtert hat. Eine solche Verschlechterung ist hier nicht eingetreten. Denn auch bei einer Beanstandung der Beiträge sogleich nach dem Eingang der Versicherungskarten bei der Beklagten wäre es dem Kläger nicht mehr möglich gewesen, für die freigewordenen Monate Beiträge nachzuentrichten; an der sich aus der Feststellung unwirksamer Beiträge für diese Zeit ergebenden Rechtslage hätte er damals schon nichts mehr ändern können. Auch soweit der Kläger bei der Stellung des Rentenantrages darauf vertraut hat, es bedürfe zur Erfüllung der Wartezeit keiner Beitragsleistung mehr, hat er durch ein solches Vertrauen keinen Nachteil erlitten; er hat nämlich die für die Wartezeit fehlenden Beiträge noch nachentrichten können mit der Folge, daß das Altersruhegeld zum frühestmöglichen Zeitpunkt beginnen konnte.
Nach alledem war die Revision mit der sich aus § 193 SGG ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Fundstellen
Haufe-Index 1650815 |
BSGE, 244 |