Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufrechnung. Verrechnung. Konkurs. Beitragserstattung. Ermessensentscheidung. Abtretung. Entstehungszeitpunkt. Erfüllung durch Verrechnung
Leitsatz (amtlich)
- Wird eine Beitragserstattung abgelehnt, weil der Anspruch durch Verrechnung erloschen sei, ist die verbundene Anfechtungs- und Leistungsklage die richtige Klageart.
- § 55 KO steht einer Verrechnung nach § 28 Nr 1 SGB IV während des Konkursverfahrens nicht entgegen, wenn die verrechneten Ansprüche auf Beitragserstattung und auf rückständige Beiträge vor der Eröffnung des Konkursverfahrens entstanden sind.
Normenkette
SGG § 54 Abs. 4; SGB IV §§ 26, 28; AVG § 147 (= RVO § 1425); AFG § 141n; KO §§ 54-55; BGB §§ 392, 387; SGB X § 35
Verfahrensgang
SG Mannheim (Urteil vom 06.08.1992; Aktenzeichen S 3 An 2124/91) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 6. August 1992 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist die Verrechnung von Ansprüchen im Konkurs.
Über das Vermögen der B.… K.… GmbH wurde am 1. Februar 1990 das Anschlußkonkursverfahren eröffnet und der Kläger zum Konkursverwalter bestellt. Die GmbH hatte für die Zeit vom 1. November 1989 bis 31. Januar 1990 keine Gesamtsozialversicherungsbeiträge mehr entrichtet, so daß die Bundesanstalt für Arbeit (BA) im Rahmen der Konkursausfall-Versicherung dafür aufkommen mußte. Die Einzugsstelle meldete zunächst Beitragsansprüche und Säumniszuschläge in Höhe von 113.983,22 DM mit dem Vorrecht des § 61 Abs 1 Nr 1 Buchst e der Konkursordnung (KO) zur Konkurstabelle an; durch Zahlungen und Berichtigungen ermäßigte sich die Forderung bis auf 90.798,14 DM. Der Kläger hat die Anmeldung zur Konkurstabelle anerkannt.
Ab März 1983 waren von der GmbH für ihre Geschäftsführerin, die zugleich Gesellschafterin war, wie für eine versicherungs- und beitragspflichtige Arbeitnehmerin Gesamtsozialversicherungsbeiträge entrichtet worden; der für die Zeit bis zum 31. Oktober 1989 abgeführte Arbeitgeberanteil an den Rentenversicherungsbeiträgen betrug 21.460,51 DM. Im Oktober 1990 stellte die Einzugsstelle fest, daß die Geschäftsführerin nicht in einem versicherungs- und beitragspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden habe. Mit Bescheid vom 24. September 1991 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Erstattung der zu Unrecht entrichteten Beiträge ab. Die Beiträge würden in Höhe von 21.460,51 DM auf ein entsprechendes Verrechnungsersuchen vom 6. Dezember 1990 an die Einzugsstelle überwiesen. Das Widerspruchsverfahren blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 6. Januar 1992).
Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 6. August 1992 die Klage abgewiesen. Nach seiner Ansicht steht das Aufrechnungsverbot des § 55 KO der Verrechnung nicht entgegen, weil kein Forderungserwerb nach Eröffnung des Konkursverfahrens vorliege. Die Verrechnungslage werde nicht wie die Aufrechnungslage durch Abtretung oder sonstigen Erwerb einer Forderung geschaffen, so daß keiner der in § 55 KO geregelten Fälle vorliege. Die Ermächtigung zur Verrechnung sei kein Rechtsgeschäft, das dem Forderungserwerb iS des § 55 KO gleichgesetzt werden könne. Ohne die sozialversicherungsrechtliche Besonderheit einer von der Beklagten getrennten Einzugsstelle für die Beiträge zur Rentenversicherung wäre die Beklagte durch konkursrechtliche Vorschriften an einer Aufrechnung nicht gehindert gewesen.
Der Kläger rügt mit der Sprungrevision eine Verletzung des § 55 KO. Die Verrechnung durch die Beklagte komme in der Wirkung einer nach § 55 Nr 2 und 3 KO unzulässigen Aufrechnung gleich. Für eine Besserstellung von Sozialversicherungsträgern gegenüber anderen Konkursgläubigern seien keine überzeugenden Gründe ersichtlich. Die Verrechnungsermächtigung sei als Übertragung des Beitragsanspruchs anzusehen; zusammen mit der Verrechnung wirke sie wie eine Beschlagnahme des zur Konkursmasse gehörenden Anspruchs auf Beitragserstattung oder wie die Verschaffung einer Art dinglichen Rechts, so daß auch die §§ 14, 15 KO verletzt seien. Der Anspruch der Einzugsstelle, mit dem verrechnet worden sei, ergebe sich aus der Konkursausfall-Versicherung und sei erst mit dem Antrag auf diese Leistung entstanden.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 6. August 1992 und den Bescheid der Beklagten vom 24. September 1991 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Januar 1992 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, ihm zur Konkursmasse die für die Geschäftsführerin der B.… K.… GmbH für die Zeit vom 1. März 1983 bis 31. Oktober 1989 entrichteten Arbeitgeberanteile an den Beiträgen zur Rentenversicherung zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Sprungrevision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat die Einzugsstelle beigeladen, die sich jedoch nicht geäußert hat.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist neben dem Begehren nach Aufhebung der angefochtenen Bescheide der Anspruch des Klägers auf Erstattung der für die Geschäftsführerin entrichteten Rentenversicherungsbeiträge in Höhe von 21.460,51 DM (Arbeitgeberanteil). Allerdings hat das SG in seinem Urteil, das ohne mündliche Verhandlung ergangen ist, den mit der Klageschrift angekündigten Klageantrag unvollständig wiedergegeben, indem es den Antrag auf Verurteilung zur Erstattung nicht erwähnt und nur den Antrag auf Aufhebung des Bescheids vom 24. September 1991 mitgeteilt hat. Das wird entgegen § 123 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) dem in der Klageschrift zum Ausdruck gekommenen Begehren des Klägers nicht gerecht; im Revisionsverfahren war der Kläger infolgedessen an einem verbundenen Aufhebungs- und Leistungsantrag nicht gehindert. Die Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs 4 SGG ist die richtige Klageart. Mit dem angefochtenen Bescheid hat die Beklagte erstmals über den Beitragserstattungsanspruch des Klägers entschieden. Eine Aufspaltung des angefochtenen Bescheids in mehrere Verfügungssätze, in denen getrennt voneinander die Feststellung des Erstattungsanspruchs, die Verrechnung und die Verweigerung der Auszahlung angeordnet werden, entspricht weder dem Wortlaut noch dem erkennbaren Sinn des Bescheids. Da demnach eine bindende Feststellung des Erstattungsanspruchs nicht vorliegt, kann der Kläger sein Ziel weder mit der reinen Anfechtungsklage noch mit der reinen Leistungsklage erreichen (zur letzteren bei bindender Leistungsbewilligung vgl BSGE 67, 143 = SozR 3-1200 § 52 Nr 1; 64, 17 = SozR 1200 § 54 Nr 13). Ob in der ursprünglich vom Kläger erhobenen Erstattungsforderung von nur 10.730,18 DM eine unschädliche, irrtümlich falsche Bezeichnung zu sehen ist oder ob es sich um eine bewußte Beschränkung der Klage handelt, die hinsichtlich der jetzt erhobenen Mehrforderung bereits deshalb zur Zurückweisung der Revision führen würde, braucht bei einer auch im übrigen unbegründeten Revision nicht entschieden zu werden.
Der Kläger hat keinen Beitragserstattungsanspruch mehr gegen die Beklagte, weil sein Anspruch durch Verrechnung nach § 28 Nr 1 des Sozialgesetzbuchs – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) entsprechend § 389 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) erloschen ist. Das in § 28 Nr 1 SGB IV iVm § 387 BGB hierfür vorausgesetzte Zusammentreffen von Schuldner- und Gläubigerstellung hinsichtlich gleichartiger und fälliger bzw erfüllbarer Ansprüche im Verhältnis zur Beklagten und einem anderen Sozialleistungsträger ist in der Person des Klägers gegeben. Sein Beitragserstattungsanspruch in Höhe von 21.460,51 DM ergab sich aus § 26 Abs 2 SGB IV, weil die GmbH in diesem Umfang Arbeitgeberbeiträge zur Rentenversicherung zu Unrecht entrichtet hatte; Gründe für einen Ausschluß des Anspruchs wegen Verwirkung des Beanstandungsrechts nach § 26 Abs 1 SGB IV oder wegen Leistungserbringung nach § 26 Abs 2 SGB IV sind nicht ersichtlich. Die Beklagte hat die Arbeitgeberanteile an den entrichteten Rentenversicherungsbeiträgen an die Einzugsstelle überwiesen und damit den Erstattungsanspruch dem Grunde nach anerkannt. Der gegen den Kläger gerichtete Beitragsanspruch gilt nach § 145 Abs 2 KO durch die anerkannte Eintragung in die Konkurstabelle als rechtskräftig festgestellt. Die Einzugsstelle hat die Beklagte zur Verrechnung mit diesem Beitragsanspruch ermächtigt.
Die Zuständigkeit der Beklagten für die Entscheidung über die Beitragserstattung und damit für die Verrechnung nach § 28 SGB IV ergab sich bei Erlaß der angefochtenen Bescheide aus § 147 Abs 1 Nr 2 des bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG). Danach war der Rentenversicherungsträger für die Erstattung zu Unrecht gezahlter Beiträge zuständig, soweit eine Vereinbarung nach § 147 Abs 2 AVG nichts anderes bestimmte. Für Beiträge, die nicht auf dem Bezug von Sozialleistungen beruhten (Abs 2 Nr 2), konnte nach § 147 Abs 2 Nr 1 die Zuständigkeit der Einzugsstelle vereinbart werden, wenn der Erstattungsanspruch noch nicht verjährt war und die Beiträge noch nicht beanstandet worden waren. Hier war der Erstattungsanspruch jedoch teilweise iS dieser Vorschrift “verjährt”. Dieses ist ausschließlich vom Zeitablauf zwischen der Beitragsentrichtung und dem Erstattungsantrag (vgl § 27 Abs 3 Satz 2 SGB IV) bzw der Erstattungsentscheidung abhängig; es ist also nicht zu prüfen, ob der Anspruch wirklich verjährt oder ob die Verjährung etwa unterbrochen oder gehemmt bzw ihr Beginn aufgeschoben ist (zB nach § 27 Abs 2 Satz 2 SGB IV). Sonst wäre die Zuständigkeit des Versicherungsträgers von der Entscheidung einer Frage (der Verjährung) abhängig, über die nur der zuständige Träger entscheiden dürfte. Die Beiträge für die Geschäftsführerin der GmbH sind ab März 1983 und damit (teilweise) mehr als vier Kalenderjahre vor dem frühestens im Jahre 1990 gestellten Erstattungsantrag entrichtet. Damit scheidet die Zuständigkeit der Einzugsstelle für die Beitragserstattung aus. (Das trifft auch nach dem seit 1. Januar 1992 geltenden § 211 iVm § 125 SGB VI zu.)
Die Vorschriften der Konkursordnung stehen der Wirksamkeit der Verrechnung nicht entgegen. § 55 KO erklärt die Aufrechnung gegen bzw mit Forderungen, die nach Eröffnung des Konkursverfahrens bzw in Kenntnis der Zahlungsschwierigkeiten entstanden sind oder erworben wurden, während des Konkursverfahrens für unzulässig. Nach dem Wortlaut werden nur Aufrechnungen und nicht Verrechnungen von dem in § 55 KO ausgesprochenen Verbot erfaßt. Aber auch die Einbeziehung von Verrechnungen in den Anwendungsbereich von § 55 KO rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Die Nr 1 der Vorschrift greift nicht ein, weil die Beitragserstattungsschuld der Beklagten bereits vor Eröffnung des Konkursverfahrens entstanden ist. Mit der Entrichtung der Beiträge für die Geschäftsführerin für die Zeit bis Oktober 1989 war nach § 26 Abs 2 SGB IV der Erstattungsanspruch entstanden. Ein anderer Entstehungszeitpunkt kommt nicht in Betracht, weil die Verjährung, die nach § 27 Abs 2 Satz 1 SGB IV mit dem Jahr der Entrichtung beginnt, nicht vor der Entstehung einsetzen kann.
Durch § 55 Nr 2 oder Nr 3 KO ist die Verrechnung ebenfalls nicht ausgeschlossen. Die Beitragsforderung, mit der die Beklagte verrechnet hat, ist vor der Eröffnung des Konkursverfahrens entstanden. Sie bezieht sich auf versicherungs- und beitragspflichtige Beschäftigungen der Arbeitnehmer der GmbH, die zwischen dem 1. November 1989 und dem 31. Januar 1990 ausgeübt wurden, und enthält Säumniszuschläge, die wegen vor dem Konkurs aufgelaufener Beitragsrückstände fällig geworden waren. Daß die Beitragsforderung für Januar 1990 nach § 23 Abs 1 Satz 2 SGB IV möglicherweise erst im Februar 1990, also nach der Eröffnung des Verfahrens am 1. Februar 1990, fällig geworden ist, steht nach § 54 Abs 1 KO ihrer Berücksichtigung nicht entgegen. Das dem Anschlußkonkurs vorausgegangene Vergleichsverfahren bewirkt keine Vorverlegung des maßgeblichen Zeitpunkts für die Entstehung in den Januar 1990. Das zu Beginn des Vergleichsverfahrens erlassene Veräußerungsverbot ist entgegen der Ansicht des Klägers keine Beschlagnahme iS des § 392 BGB; vielmehr führt es nach § 54 der Vergleichsordnung lediglich zur Anwendbarkeit der §§ 54, 55 KO, die dem § 392 BGB vorgehen (Palandt/Heinrichs, BGB 53. Aufl, § 392 RdNr 1 aE). Dadurch war zwar die Aufrechnungsbefugnis ebenso eingeschränkt wie nach § 55 KO; diese Beschränkung wirkte aber nur bis zum Ende des Vergleichsverfahrens. Eine Fortwirkung während des Anschlußkonkursverfahrens sieht das Gesetz nicht vor (Kuhn/Uhlenbruck, Komm zur KO, 10. Aufl 1986, § 55 RdNr 8). Daher braucht nicht geklärt zu werden, auf welchen Zeitraum sich der durch Verrechnung getilgte oder nach § 396 Abs 1 Satz 2 iVm § 366 Abs 2 BGB als getilgt geltende Teil der Beitragsschuld bezieht.
Entgegen der Ansicht des Klägers hat sich die Entstehung der Beitragsforderung durch das Eintreten der Konkursausfall-Versicherung nicht auf einen Zeitpunkt nach Konkurseröffnung verschoben. Zwar hat die Einzugsstelle die von der GmbH geschuldeten Beiträge von der BA als Trägerin dieser Versicherung erhalten. Dadurch ist die Beitragsforderung aber weder erloschen noch durch eine Forderung auf anderer Rechtsgrundlage ersetzt worden. § 141n AFG, der die BA zur Übernahme der Beiträge verpflichtet, bestimmt in Abs 2 ausdrücklich, daß die Beitragsansprüche gegenüber dem Arbeitgeber “bestehenbleiben”.
Ein “Erwerb” der Beitragsforderung iS des § 55 Nr 2 oder 3 KO durch die Beklagte liegt nicht vor. Die Besonderheit der Verrechnung gegenüber der Aufrechnung besteht darin, daß der verrechnende Leistungsträger nicht Inhaber der verrechneten Forderung wird. Ein Rechtsübergang findet nicht statt. Die Ermächtigung ist keine Abtretung durch den ersuchenden Leistungsträger, denn dieser bleibt zum Einzug der Forderung berechtigt und verpflichtet, wie im vorliegenden Fall an der unbestrittenen Anmeldung zur Konkurstabelle deutlich wird.
Weder die Ermächtigung zur Verrechnung noch die Verrechnungserklärung selbst ist als schädlicher Forderungserwerb nach § 55 KO zu behandeln. Insoweit unterscheidet sich die gesetzliche Verrechnungsbefugnis nach § 28 Nr 1 SGB IV von einem vertraglich vereinbarten Verzicht auf das Aufrechnungserfordernis der Gegenseitigkeit, wie er in sogenannten “Konzernverrechnungsklauseln” verwendet wird, um die Aufrechnung mit Forderungen anderer Unternehmen desselben Konzerns zu ermöglichen. Eine Verrechnung aufgrund einer derartigen Vereinbarung ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) im Konkurs so zu behandeln, als sei die gegen die Konkursmasse gerichtete Forderung im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung an den Aufrechnenden abgetreten worden. Denn erst in diesem Zeitpunkt ergebe sich, welches der berechtigten Konzernunternehmen von der Aufrechnungsmöglichkeit Gebrauch mache (BGHZ 81, 15, 19 f). Anders als die vertragliche dient die gesetzliche Verrechnungsbefugnis nach § 28 Nr 1 SGB IV nicht einer konkursrechtlich möglicherweise bedenklichen “Verdoppelung der Aufrechnungsmöglichkeit” (BGH LM Nr 16 zu § 55 KO = ZIP 1991, 110, 112). Vielmehr soll § 28 Nr 1 SGB IV Nachteile der unterschiedlichen Zuständigkeit für Beitragseinzug und Beitragserstattung ausgleichen und eine durch die gemeinsame Zielsetzung aller Sozialleistungen gebotene funktionale Einheit der Leistungsträger herstellen (vgl BSGE 67, 143, 156 f = SozR 3-1200 § 52 Nr 1 S 16 unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung zur Verrechnung im Leistungsrecht in BT-Drucks 7/868 S 32, dort zu § 51). Das wird gerade am vorliegenden Fall deutlich. In den ersten vier Kalenderjahren nach der erstmaligen Beitragsentrichtung für die Geschäftsführerin wäre die Einzugsstelle für die Beitragserstattung zuständig gewesen, so daß sich Erstattungsforderung und Beitragsforderung auch im Konkurs aufrechenbar gegenübergestanden hätten. Nach Überschreiten der Vier-Jahres-Frist sind die verrechneten Forderungen wiederum insofern gegenseitig, als der rentenversicherungsrechtliche Anteil an den von der Einzugsstelle geltend gemachten Gesamtsozialversicherungsbeiträgen materiell der Beklagten zusteht. Das Auseinanderfallen der sich durch Zeitablauf ändernden Zuständigkeit für die Einziehung und Zahlung einerseits und der materiellen Berechtigung andererseits bewirkt im Sozialversicherungsrecht eine Art “hinkende” Gegenseitigkeit, der § 28 Nr 1 SGB IV Rechnung trägt, indem vom Gegenseitigkeitserfordernis ganz abgesehen wird. Anderenfalls würde sich die Aufrechnungsbefugnis (auch im Konkurs) nach den insoweit zufälligen Regeln der Zuständigkeit für Beitragseinzug und Beitragserstattung richten.
Das Bundessozialgericht (BSG) hat bereits in anderem Zusammenhang ausgesprochen, daß die Verrechnungsbefugnis an den Zeitpunkt anknüpft, in dem die Forderungen entstanden sind (BSGE 67 aaO). Dabei handelte es sich um die Verrechnung gegen eine Forderung, die nach Einstellung eines vorangegangenen Konkursverfahrens gepfändet worden war, so daß sich die Zulässigkeit der Verrechnung nicht (mehr) nach § 55 KO, sondern nach § 392 BGB richtete (vgl Palandt/Heinrichs, Komm zum BGB, 53. Aufl 1994, § 392 RdNr 1 aE). Nach dieser Entscheidung schließt § 392 BGB die Verrechnung trotz Beschlagnahme (Pfändung) der Forderung unabhängig vom Zeitpunkt der Verrechnungserklärung nicht aus, wenn die Verrechnungslage bereits vor der Beschlagnahme bestanden hat. Da § 392 BGB ebenso wie § 55 KO auf den Zeitpunkt des Erwerbs der Forderung abstellt, gilt die damals gegebene Begründung auch gegenüber dem Einwand aus § 55 KO. Ein sozialversicherungsrechtlicher Beitragserstattungsanspruch ist von seiner Entstehung an mit der Verrechenbarkeit nach § 28 Nr 1 SGB IV belastet und nur dann als durchsetzbarer Zahlungsanspruch zu werten, wenn der Berechtigte der Sozialversicherung im übrigen nichts schuldet. Gegenüber einem Erstattungsanspruch ist die Verrechnung mit einer versicherungsrechtlichen Beitragsschuld im Konkurs nicht anders zu behandeln als die Aufrechnung mit einer Forderung, die zwar erst im Konkurs erworben wird, deren Erwerb aber bereits vor dem Konkurs nur noch von einer Bedingung abhängig ist (vgl dazu Urteil des Senats vom 15. Dezember 1994 – 12 RK 69/93, zur Veröffentlichung bestimmt).
Die Verrechnung nach § 28 Nr 1 SGB IV setzt keine Ermessensentscheidung voraus. § 76 Abs 1 SGB IV verpflichtet die Sozialversicherungsträger, Einnahmen rechtzeitig und vollständig zu erheben. Der Wortlaut des § 28 Nr 1 SGB IV verlangt nicht, daß Ermessen ausgeübt wird. Das Wort “kann” bedeutet hier lediglich, daß der Versicherungsträger unter mehreren Möglichkeiten der Erfüllung des Beitragserstattungsanspruchs die Verrechnung wählen kann. Der Senat hat im erwähnten Urteil vom 15. Dezember 1994 (12 RK 69/93) entschieden, daß die Aufrechnung gegen einen Beitragserstattungsanspruch keine ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage voraussetzt. Da nähere gesetzliche Vorschriften über die Erfüllung eines Beitragserstattungsanspruchs durch Aufrechnung fehlen, besteht keine Rechtsgrundlage dafür, daß sie von einer Ermessensentscheidung abhängig ist. Dann kann für die Verrechnungsbefugnis nach § 28 Nr 1 SGB IV, welche die Erfüllungsmöglichkeiten lediglich erweitert, nichts anderes gelten.
Die Beklagte hat somit die Auszahlung der zu Unrecht entrichteten Beiträge an den Kläger zu Recht abgelehnt. Die Revision gegen das klageabweisende Urteil des SG ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 921709 |
ZIP 1995, 400 |