Verfahrensgang
Thüringer LSG (Urteil vom 05.10.1993) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 5. Oktober 1993 in folgendem Umfang abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin über den 31. Dezember 1990 hinaus monatlich 700,00 DM unter Anrechnung geleisteter Vorschüsse bis auf weiteres zu zahlen.
Im übrigen wird die Revision der Beklagten zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist die Zahlung einer als zusätzliche Hinterbliebenenversorgung bewilligten Rente von monatlich 700,00 DM ab 1. Januar 1991.
Die im Oktober 1933 geborene Klägerin war nach Abitur und Fachschulbesuch als veterinärmedizinische Assistentin von Juli 1961 bis Mai 1933 im Staatlichen Veterinärwesen des Kreises S.… /T.… beschäftigt. Im Juni 1961 heiratete sie den im April 1929 geborenen Tierarzt Dr. Dr. F.…, in dessen staatlicher Tierarztpraxis sie bis 1977 mitarbeitete; nachfolgend war sie Sachbearbeiterin in der Staatlichen tierärztlichen Gemeinschaftspraxis E.…. Seit April 1982 war ihr Ehemann infolge eines Schlaganfalls mit halbseitiger Lähmung schwerstpflegebedürftig. Die Klägerin gab deswegen ihre Berufstätigkeit auf und übernahm die Pflege. Ihr Ehemann starb am 20. Oktober 1990. Er war pflichtversichert in der Sozialpflichtversicherung der ehemaligen DDR und hatte hieraus bis zu seinem Tode eine Invalidenrente bezogen. Außerdem gehörte er gemäß der (amtlich nicht veröffentlichten) Anordnung über die Freiwillige zusätzliche Versorgung für Tierärzte und andere Hochschulkader in Einrichtungen des staatlichen Veterinärwesens vom 17. Mai 1988 (FZVAO-TÄ) dieser zusätzlichen Versorgung kraft Beitrittserklärung an; die Beitrittsberechtigung hing von dem Beitritt zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung der Sozialversicherung (FZR) ab; die Versorgungsrenten wegen Alters, Invalidität, Berufsunfähigkeit und wegen Todes waren von der Verwaltung der Sozialversicherung als FZR-Renten, dh als Zusatzrenten der Sozialversicherung zu den Renten aus der Sozialpflichtversicherung einschließlich Festbetrag zu gewähren.
Die Verwaltung der Sozialversicherung gewährte der Klägerin mit Rentenbescheid vom 19. November 1990 ab 1. November 1990 je eine Leistung aus der Sozialpflichtversicherung und aus der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung/Freiwilligen zusätzlichen Versorgung: Zum einen wurde eine Übergangswitwenrente iS von § 20 der Verordnung über die Gewährung und Berechnung von Renten der Sozialpflichtversicherung (Rentenverordnung ≪RentenVO≫) vom 23. November 1979 (GBl I Nr 38 S 401) in Höhe von monatlich 270,00 DM bewilligt; zum anderen wurde eine zusätzliche Hinterbliebenenversorgung iS von § 14 FZVAO-TÄ in Höhe von monatlich 700,00 DM zuerkannt. Die Gesamtrentenleistung wurde auf 970,00 DM festgesetzt und im November und Dezember 1990 gezahlt.
Ab 1. Januar 1991 zahlte der Rentenversicherungsträger monatlich nur noch 270,00 DM. Eine Aufhebung oder Abänderung des Bewilligungsbescheides vom 19. November 1990 unterblieb auch nach der schriftlichen Eingabe der Klägerin vom 16. Januar 1991. Ihr wurde mündlich erläutert, nach § 26 Abs 1 des Gesetzes zur Angleichung der Bestandsrenten an das Nettorentenniveau der Bundesrepublik Deutschland und zu weiteren rentenrechtlichen Regelungen (Rentenangleichungsgesetz ≪RAG≫) vom 28. Juni 1990 (GBl I Nr 38 S 495, ber S 1457), das nach dem Einigungsvertrag (EV), dort in Anlage II Kapitel VIII, Sachgebiet F (Sozialversicherung ≪Allgemeine Vorschriften≫), Abschnitt III Nr 8 (EV Nr 8) als Bundesrecht fortgelte, stehe ihr ab Januar 1991 nur noch das Witwenübergangsgeld aus der Sozialpflichtversicherung von monatlich 270,00 DM zu.
Ein Antrag der Klägerin auf Gewährung von Invalidenrente aus eigener Versicherung wurde durch Bescheid vom 23. Mai 1991 abgelehnt. Die Klägerin stand von April 1991 bis zum 26. Februar 1993 als gemeldete Arbeitslose der Arbeitsvermittlung ohne Leistungsbezug zur Verfügung.
Der Träger der Rentenversicherung teilte der Klägerin in einem Bescheid ohne Datumsangabe und ohne Rechtsbehelfsbelehrung mit, die Anwendung der 2. Rentenanpassungsverordnung führe ab 1. Juli 1991 zu keiner Veränderung des Zahlbetrages der Übergangswitwenrente. Ferner setzte er in dieser Mitteilung den “neuen Gesamtauszahlbetrag ab 1. Juli 1991” auf 270,00 DM fest.
Nachdem die Klägerin am 1. Oktober 1991 Klage auf Abänderung der Rentenmitteilung zum 1. Juli 1991 und auf Auszahlung der bewilligten Hinterbliebenenversorgung erhoben hatte, verfügte die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) durch Bescheid vom 28. November 1991, die bislang gezahlte Übergangshinterbliebenenrente werde ab 1. Januar 1992 als Große Witwenrente geleistet. Bis zur Neuberechnung und Anpassung dieser Rente nach den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) würden die bislang gezahlten Beträge weitergezahlt. Die Rente belaufe sich ab Januar 1992 auf 288,47 DM monatlich abzüglich des Beitragsanteils zur Krankenversicherung der Rentner von 18,46 DM, so daß monatlich 270,01 DM auszuzahlen seien. Ferner bewilligte die BfA durch Bescheid vom 8. Januar 1993 für die Zeit ab 1. Januar 1992 einen Vorschuß auf die Hinterbliebenenrente von zunächst monatlich 540,00 DM, ab Juli 1992 von 592,00 DM und ab Juli 1993 von 675,00 DM; hierauf rechnete sie die bereits seit Januar 1992 geleisteten Zahlungen von monatlich 270,00 DM an.
Der Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 28. November 1991, den die Klägerin ebenso wie ihre Eingabe vom 16. Januar 1991 aufrechterhalten hat, ist vom Leistungsträger gemäß verwaltungsinterner Richtlinien (Info Nr 33 der Überleitungsanstalt Sozialversicherung – Hauptverwaltung – vom 19. August 1991, Abschnitt II Nr 4) nicht beschieden worden.
Das Kreisgericht Erfurt, 1. Kammer für Sozialrecht, hat die Beklagte unter Abänderung der Mitteilung über die Rentenanpassung zum 1. Juli 1991 verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 1. Januar 1991 bis zum 31. Dezember 1991 eine Übergangshinterbliebenenrente, vom 1. Januar 1992 bis 31. Oktober 1992 eine Übergangshinterbliebenenrente und eine Witwenrente sowie ab 1. November 1992 eine Witwenrente von monatlich mindestens 970,00 DM zu zahlen (Urteil vom 1. Dezember 1992).
Auf die Berufung der Beklagten hat das Thüringer Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 5. Oktober 1993 das Urteil des Kreisgerichts Erfurt vom 1. Dezember 1992 wie folgt abgeändert: “Unter Abänderung der Mitteilung über die Rentenanpassung gemäß der 2. Rentenanpassungsverordnung (ohne Datum) sowie des Bescheides vom 28. November 1991 wird a) (Zeitraum 1. Januar 1991 bis 30. Juni 1991) festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, bzw b) (Zeitraum ab 1. Juli 1991) die Beklagte verurteilt, der Klägerin (neben der im Zeitraum vom 1. November 1990 bis 31. Oktober 1992 zu zahlenden Übergangshinterbliebenenrente von monatlich 270,00 DM) auch über den 31. Dezember 1990 hinaus eine Witwenzusatzversorgung (ab 1. Januar 1992: Große Witwenrente) von monatlich mindestens 700,00 DM zu zahlen.
Im übrigen hat das LSG die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Klage auf sofortige endgültige Berechnung der Großen Witwenrente nach dem SGB VI abgewiesen. Das Berufungsgericht ist im wesentlichen folgender Ansicht: Die Berufung der Beklagten sei zulässig, weil sie wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr betreffe (§ 144 Abs 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫). Die Klage sei als Feststellungsklage bezüglich der Zahlungseinstellung ohne Bescheid zum 1. Januar 1991 bzw als Anfechtungs- und Leistungsklage bezüglich der Mitteilung über die Rentenanpassung zum 1. Juli 1991 sowie bezüglich des Umwertungsbescheides vom 28. November 1991 zulässig, und zwar trotz Fehlens von Widerspruchsbescheiden als Untätigkeitsklage gemäß § 88 SGG. Sie sei auch im wesentlichen begründet. Die Zahlungseinstellung sei rechtswidrig gewesen; hierbei könne offenbleiben, ob dies schon aus dem Fehlen eines schriftlichen Einstellungsbescheides folge, den die Klägerin bislang nicht erhalten habe. Die Zahlungseinstellung lasse sich nämlich auch nicht mit § 26 Abs 1 Satz 2 RAG rechtfertigen. Nach dieser Vorschrift werden bereits laufende Versorgungsleistungen an erwerbsfähige Witwen und Witwer mit Wirkung vom 31. Dezember 1990 eingestellt. Die Klägerin sei nicht erwerbsfähig iS dieser Vorschrift. Diese Regelung setze nämlich im wesentlichen voraus, daß gesundheitlich erwerbsfähige Witwen und Witwer auch tatsächlich eine Beschäftigung erhalten könnten, wie dies in der ehemaligen DDR durch staatliche Vermittlungshilfe und das verfassungsmäßig garantierte “Recht auf Arbeit” gesichert gewesen und durch die zweijährige Zahlung der Übergangshinterbliebenenrente abgestützt worden sei. Diese Verhältnisse hätten sich mit der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion zum 1. Juli 1990, vor allem aber durch das Außerkrafttreten der DDR-Verfassung zum 3. Oktober 1990 grundlegend geändert. Deswegen müsse das Gesetz iS einer brauchbaren Lösung für die neue Situation interpretiert werden. Wenn erwerbsfähigen Witwen aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen aus Gründen der Gleichbehandlung und des Privilegienabbaus der Wiedereintritt ins Arbeitsleben zugemutet werde, könne das nur für solche Personen gelten, die auch nach dem 1. Juli 1990 noch eine realistische Chance auf dem Arbeitsmarkt hatten. Eine arbeitsmarkttechnische Erwerbsfähigkeit einer 57jährigen Sachbearbeiterin im Beitrittsgebiet habe aber im Januar 1991 nicht mehr vorgelegen. Hinterbliebene von Versicherten, die ausschließlich in der Sozialpflichtversicherung und in der freiwilligen Zusatzrentenversicherung gewesen waren, hätten sich schon früher auf das Erfordernis eigener Erwerbstätigkeit einstellen können und seien daher in aller Regel erwerbstätig geblieben. Demgegenüber hätten die Berechtigten aus zusätzlichen Hinterbliebenenversorgungen deswegen durchaus ihre Arbeit aufgeben können. Sie würden durch § 26 RAG nicht den anderen Hinterbliebenen gleichgestellt, sondern in Wahrheit doppelt bestraft und weit unter deren sozialen Standard gedrückt. Darüber hinaus habe zum Zeitpunkt der Zahlungseinstellung am 1. Januar 1991 aufgrund des EV bereits festgestanden, daß die Nichtgewährung einer Witwenrente in den von § 26 RAG erfaßten Fällen nur für das Jahr 1991 gelten würde, weil ab 1. Januar 1992 gemäß § 46 SGB VI eine Witwenrente, im Falle der Klägerin sogar eine Große Witwenrente zu zahlen sein würde. Ein Sachgrund für den einjährigen Wegfall der zusätzlichen Witwenversorgung sei jedenfalls für die Fälle der praktisch nicht erwerbsfähigen Witwen nicht ersichtlich. Der Anspruch der Klägerin folge also für das Jahr 1991 aus dem fortgeltenden Bescheid vom 19. November 1990, ab 1. Januar 1992 aus § 307b Abs 3 Satz 2 SGB VI. Hingegen habe die Übergangshinterbliebenenrente gemäß § 20 der RentenVO nur für zwei Jahre, dh bis einschließlich Oktober 1992, gewährt werden dürfen. Im übrigen sei die Klage auf sofortige Festsetzung der Großen Witwenrente unzulässig.
Zur Begründung der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 26 RAG. Diese Vorschrift enthalte keine unbeabsichtigte Regelungslücke. Die Volkskammer habe den Ausdruck “erwerbsfähig” als Gegensatz zu dem in § 19 Abs 1 Buchst b der RentenVO verwendeten Ausdruck der “Invalidität” verstanden. Die Klägerin sei nicht invalide. Diese Frage sei in der DDR nur nach medizinischen Gesichtspunkten, also aufgrund einer abstrakten Betrachtungsweise zu entscheiden gewesen. Die Volkskammer habe gerade mit dem RAG solche Leistungen beseitigen wollen, die es im allgemeinen Rentensystem nicht gegeben habe. Auch die weitere Gesetzgebungsgeschichte spreche gegen die Auslegung des LSG. Der Bundesrat habe bei der Erarbeitung des Rentenüberleitungsgesetzes (RÜG) vorgeschlagen, in § 26 Abs 1 Satz 2 RAG die Zahl 1990 durch 1991 zu ersetzen, um die vor allem arbeitsmarktbedingten Härtefälle für das Jahr 1991 zu überbrücken (BT-Drucks 12/630 S 18 f). Dem sei die Bundesregierung (aaO S 20 f) mit der Begründung entgegengetreten, es bestehe keine Veranlassung, der Entscheidung der Volkskammer über die Beseitigung von Leistungen, die es nur in Zusatz- und Sonderversorgungssystemen gegeben habe, entgegenzutreten, zumal dadurch die Ungleichheit im Beitrittsgebiet wiederhergestellt würde. Ab Januar 1992 gelte dann ohnehin für diesen Personenkreis das Hinterbliebenenrecht des SGB VI. Im übrigen vermische die Rechtsauffassung des LSG unzulässigerweise die Risiken der Arbeitslosen- und der Rentenversicherung. Die Maßgeblichkeit der abstrakten Betrachtungsweise im DDR-Recht habe der 5. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) im Urteil vom 8. September 1993 (5 RJ 2/93) bestätigt. Die eindeutige Regelung des § 26 RAG mit ihren klaren Zeitvorgaben (keine Neufestsetzung von Versorgungen an erwerbsfähige Witwen in der zweiten Jahreshälfte 1990; laufende Leistungen werden mit Wirkung vor Ablauf des 31. Dezember 1990 eingestellt) erlaube auch keine extensive Auslegung, die Leistungen bis zur Überführung am 1. Januar 1992 zu verlängern. Schon der DDR-Gesetzgeber habe das Prinzip des kontinuierlichen Übergangs des bisherigen Versorgungsrechts in das Rentenrecht der Bundesrepublik Deutschland durchbrochen. Daran ändere die neue Zeitvorgabe im EV, Anlage II, Kapitel VIII, Sachgebiet H, Abschnitt III Nr 9 (im folgenden: EV Nr 9) nichts. Denn dort sei bestimmt, daß die Regelungen für Zusatz- und Sonderversorgungssysteme den allgemeinen Regelungen der Sozialversicherung der DDR anzupassen seien. DDR-Gesetzgeber und Bundesgesetzgeber hätten die Gleichbehandlung zum maßgeblichen Prinzip erhoben, hingegen die Bewahrung von Besitzständen als nachrangig eingestuft. Daher sei die Entziehung der Witwenrente aus dem Zusatzversorgungssystem auch nicht unverhältnismäßig, zumal der Gleichbehandlungsgrundsatz anders nicht zu verwirklichen gewesen sei. Durch die Weitergewährung der Hinterbliebenenversorgung an erwerbsfähige Witwen würde die Entscheidung des Gesetzgebers korrigiert und der ungleiche Zustand bei den in der allgemeinen Sozialversicherung Versicherten einerseits und den Angehörigen bestimmter Versorgungssysteme andererseits fortgeschrieben (Hinweis auf BT-Drucks 12/630 S 20 f). § 4 Abs 1 Nr 3 des Gesetzes zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen des Beitrittsgebietes (Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz ≪AAÜG≫) begründe das Festhalten an der strittigen Versorgung nicht. Diese Vorschrift betreffe nur die Zusatzversorgung der erwerbsunfähigen Hinterbliebenen. Das BSG (Urteil vom 8. September 1993 – 5 RJ 2/93) habe den Fortbestand von unterschiedlichem Recht für die Versicherten im Beitrittsgebiet und im übrigen Bundesgebiet für die Übergangszeit als verfassungsgemäß erachtet. Im übrigen hätte die zusätzliche Hinterbliebenenversorgung der Klägerin wegen des Todesfalles im Oktober 1990 nach § 26 Abs 1 Satz 1 RAG nicht mehr zuerkannt werden dürfen. Die Leistungseinstellung sei kraft Gesetzes erfolgt. Mitteilungen der Verwaltung hierüber hätten nur noch deklaratorische Bedeutung. Ferner dürfe man die fehlende förmliche Aufhebung des Bewilligungsbescheides nicht mit den jetzt geltenden Verwaltungsmaßstäben messen. Das Zehnte Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) sei – anders als das SGG – erst am 1. Januar 1991 in Kraft getreten. Zu diesem Zeitpunkt sei aber schon kraft Gesetzes die Zusatzwitwenrente nicht mehr existent gewesen. Demgemäß sei die Rentenanpassungsmitteilung zum 1. Juli 1991 nicht als Verfügung über die Einstellung/Entziehung der Versorgung anzusehen. Ein Bescheid über die Neufeststellung der Witwenrente nach § 307a Abs 11 SGB VI sei noch nicht erteilt. Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die Schriftsätze vom 17. Januar 1994 (Bl 22 bis 30 der BSG-Akte), vom 22. Februar 1994 (Bl 36 bis 38 der BSG-Akte) und vom 22. November 1994 (Bl 59 bis 67 der BSG-Akte) Bezug genommen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 5. Oktober 1993 abzuändern, das Urteil des Kreisgerichts Erfurt vom 1. Dezember 1992 aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Die Klägerin ist durch keinen beim BSG zugelassenen Prozeßbevollmächtigten vertreten und hat sich zur Sache nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist zulässig. Das LSG hat ungerügt und damit rechtskräftig entschieden, daß der Klägerin die Übergangshinterbliebenenrente aus der Sozialpflichtversicherung ihres verstorbenen Ehemannes in Höhe von monatlich 270,00 DM noch bis zum 31. Oktober 1992 zusteht. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist daher allein die Frage, ob sie außerdem die Zahlung von monatlich (jedenfalls) 700,00 DM als Hinterbliebenenversorgung aus der FZVAO-TÄ ihres verstorbenen Ehemannes über den 31. Dezember 1990 hinaus beanspruchen kann.
In dieser Hinsicht ist allerdings der Tenor des angefochtenen Urteils klarstellend abzuändern: Das Berufungsgericht hat nämlich in seinem Urteilsausspruch nicht berücksichtigt, daß die Beklagte der Klägerin seit dem 1. Januar 1992 Vorschüsse auf die ihr zustehende Große Witwenrente (§ 46 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB VI) gezahlt hat, deren Zahlbetrag noch bescheidmäßig festgesetzt werden muß, und die seit dem 1. Januar 1992 rechtlich an die Stelle der nach dem Recht der früheren DDR erworbenen Hinterbliebenenversorgungsansprüche getreten ist (BSGE 72, 50, 56 f = SozR 3-8570 § 10 Nr 1, dazu BVerfG, Beschluß vom 7. Juli 1993, 1 BvR 620/93). Insoweit war auf die Revision der Beklagten im Urteilsausspruch auszudrücken, daß die Klägerin sich diese Vorschüsse auf ihren fortbestehenden Anspruch auf Zahlung von (wenigstens) monatlich 700,00 DM (bis einschließlich Oktober 1992: – wenigstens – 970,00 DM) anrechnen lassen muß.
Die Revision ist jedoch im übrigen und damit im wesentlichen unbegründet.
Weil gemäß § 17a Abs 5 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) ua bei der Entscheidung über eine Revision nicht zu prüfen ist, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist, bedarf keiner Darlegung, daß die Vorinstanzen zu Recht den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gemäß § 51 Abs 1 Regelung 1 SGG, das seit dem 3. Oktober 1990 auch im Beitrittsgebiet gilt, für eröffnet erachtet haben (näher dazu: BSG SozR 3-8570 § 17 Nr 1 mwN).
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann die Klägerin ihr hier maßgebliches Begehren (§ 123 SGG), die Beklagte zur Zahlung der im Bescheid vom 19. November 1990 bewilligten Rente zu verurteilen, nicht mit der nachrangigen Feststellungsklage (§ 55 Abs 1 SGG), sondern mit der allgemeinen Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG) verfolgen. Nur mit dieser Klageart kann sie effektiven Rechtsschutz (Art 19 Abs 4 Satz 1 Grundgesetz ≪GG≫) dadurch erlangen, daß sie einen gegen die Beklagte vollstreckbaren Titel erhält. Sie begehrt auch eine Leistung, auf die ihrer Art nach ein Rechtsanspruch besteht, also – was keiner Darlegung bedarf – keine Ermessensentscheidung eines Verwaltungsträgers voraussetzt. Die allgemeine Leistungsklage wird durch eine kombinierte Anfechtungsund Leistungsklage iS von § 54 Abs 4 SGG nicht verdrängt. Zum einen hat die Beklagte – wie das LSG richtig gesehen hat – für den Zeitraum vom 1. Januar 1991 bis zum 30. Juni 1991 keinen den Bewilligungsbescheid vom 19. November 1990 aufhebenden Verwaltungsakt erlassen, der mit der Anfechtungsklage angegriffen werden könnte; zum anderen hat der zuständige Verwaltungsträger bereits über den von der Klägerin mit der Klage zur Entscheidung gestellten Anspruch einen bewilligenden Verwaltungsakt erlassen, nämlich den Rentenbescheid vom 19. November 1990. Da die Beklagte für den Zeitraum ab 1. Juli 1991 eine neue Sachentscheidung über den Gesamtzahlungsanspruch der Klägerin getroffen hat, steht ihr – worauf zurückzukommen ist – im Blick hierauf neben ihrer allgemeinen Leistungsklage auch noch eine isolierte Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 Regelung 1 SGG) zu Gebote.
Die bei der allgemeinen Leistungsklage entsprechend § 54 Abs 1 Satz 2 SGG erforderliche Klagebefugnis, dh die Möglichkeit, daß die Klägerin dadurch in eigenen Rechten verletzt ist, daß die Beklagte das begehrte Verhalten, nämlich die Zahlung der Rente, unterlassen hat, liegt vor. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist nicht ausgeschlossen (sondern im Gegenteil wirklich der Fall; dazu unten), daß die Klägerin einen Anspruch auf Rentenzahlungen von monatlich 700,00 DM auch über den 31. Dezember 1990 hinaus hat. In diesem Zusammenhang bedarf keiner Erörterung, ob § 14 FZVAO-TÄ als Anspruchsgrundlage gemäß § 26 Abs 1 Satz 1 Regelung 2 und Satz 2 RAG untergegangen oder aber nach EV Nr 9 Buchst b Satz 2 weiterhin anzuwendendes Recht geblieben ist. Denn dadurch wäre die Möglichkeit nicht entfallen, daß die Klägerin ihren Zahlungsanspruch allein auf den Bewilligungsbescheid vom 19. November 1990 stützen kann. Auch im Sozialverwaltungsrecht sind nämlich drei eigenständige Arten von Anspruchsgrundlagen zu unterscheiden: Gesetz, Vertrag und Verwaltungsakt. Dabei verdrängt der Vertrag den Verwaltungsakt und das Gesetz, der bindende Verwaltungsakt das Gesetz. Ein verwaltungsrechtlicher Vertrag liegt nicht vor, jedoch ein bindender Verwaltungsakt. Der Leistungsbewilligungsbescheid vom 19. November 1990 ist nämlich gemäß § 77 SGG, das seit dem 3. Oktober 1990 auch im Beitrittsgebiet galt, im Zeitpunkt seiner Bekanntgabe wirksam und bindend geworden. Das bedeutet, daß der Verfügungssatz dieses Bescheides für die Beteiligten in der Sache rechtlich maßgeblich ist, ein im begünstigenden Verwaltungsakt zuerkannter Zahlungsanspruch also auch dann fortbesteht, wenn die Bewilligung im Zeitpunkt ihres Erlasses rechtswidrig (gesetzwidrig) oder dies später geworden war. Der Verwaltungsakt geht als selbständige Anspruchsgrundlage grundsätzlich nur unter, wenn sein Verfügungssatz sich erledigt hat (vgl § 39 Abs 2 SGB X; § 43 Abs 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes ≪BVwVfG≫) oder “vollziehbar” aufgehoben wird. Da die Festsetzung der Rechtsfolgen im Einzelfall zum Kernbereich der vollziehenden Gewalt iS von Art 1 Abs 3, 20 Abs 2 Satz 2 und Abs 3 GG gehört, bedarf es hierfür prinzipiell eines Verwaltungsaktes. Nur ausnahmsweise kann es aufgrund besonderer verfassungsrechtlicher Legitimation gerechtfertigt werden, daß das Gesetz selbst einen bindenden Verwaltungsakt, dh die im Verfügungssatz bestimmte Rechtsfolge, im Wege des sog Selbstvollzuges des Gesetzes aufhebt oder abändert (vgl BSG SozR 3-1300 § 48 Nr 13). Es ist zumindest – und dies reicht für die Klagebefugnis der Klägerin aus – nicht ausgeschlossen, daß der Bewilligungsbescheid vom 19. November 1990 weder durch “vollziehbaren” Verwaltungsakt noch durch Gesetz aufgehoben worden ist.
Im Blick auf die Neufeststellung des Gesamtzahlbetrages auf 270,00 DM zum 1. Juli 1991 hat die Klägerin ihre allgemeine Leistungsklage zulässigerweise mit einer isolierten Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 Regelung 1 SGG) verbunden. Die Anfechtungsklage ist statthaft, weil der Rentenanpassungsbescheid (und der Bescheid vom 28. November 1991, der diesen Gesamtzahlbetrag für die Zeit bis zur Erteilung eines endgültigen Bescheides über die Große Witwenrente fortschreibt) ein Verwaltungsakt ist. Bei Erlaß des Rentenanpassungsbescheides galt auch im Beitrittsgebiet das SGB X (seit dem 1. Januar 1991 gemäß EV Kapitel VIII, Sachgebiet D ≪Übergreifende Vorschriften des Sozialrechts≫ Abschnitt III Nr 2). Schon deshalb ist hier nicht aufzuzeigen, daß auch in der Zeit vom 3. Oktober 1990 bis zum 31. Dezember 1990 im Beitrittsgebiet – wohl entgegen der Ansicht der Beklagten – kein Zustand gegeben war, in dem ein rechtsstaatliches Verwaltungsverfahrensrecht – zu Lasten der Bürger – nicht gegolten hätte. Daß der Rentenanpassungsbescheid durch die Festsetzung des neuen Gesamtzahlbetrages von 270,00 DM aus der hier maßgeblichen Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers einen Verwaltungsakt enthält, liegt auf der Hand; daß die Beklagte dies in Frage stellt, ist nicht nachvollziehbar. Es handelt sich vielmehr sogar um einen belastenden Zweitbescheid (vgl schon BSGE 72, 50 ≪siehe oben≫, mwN). Nicht darstellungsbedürftig ist auch, daß die Klägerin die Klage rechtzeitig erhoben und zur Anfechtung der Festsetzung ihrer neuen Rentenhöhe befugt (iS von § 54 Abs 1 Satz 2 SGG) ist; denn durch diese Verwaltungsakte wird sie – möglicherweise – zumindest in dem sich aus dem Bescheid vom 19. November 1990 ergebenden Recht verletzt, weil ihr Gesamtzahlungsanspruch von 970,00 DM auf 270,00 DM gekürzt worden ist.
Zutreffend ist das Berufungsgericht auch davon ausgegangen, daß die isolierte Anfechtungsklage auch ohne abgeschlossenes Vorverfahren gemäß § 88 Abs 2 iVm § 88 Abs 1 SGG zulässig ist. Danach ist “die Klage” zulässig, wenn über einen Widerspruch ohne zureichenden Grund binnen drei Monaten seit seiner Einlegung nicht entschieden worden ist. Diese Voraussetzungen liegen vor: Die Beklagte hat als sog Abhilfebehörde (§ 85 Abs 1 SGG) dem Widerspruch der Klägerin (Eingabe vom 16. Januar 1991, die aufrechterhalten wurde, und dem Widerspruchsschreiben vom 6. Januar 1992) weder abgeholfen noch das Verfahren der Widerspruchsstelle zur Entscheidung vorgelegt; sie hat sich überdies geweigert, den Widerspruch nach den gesetzlichen Bestimmungen zu behandeln. Hierfür gab es keinen sachlichen Grund. Gerade wenn die Beklagte der Ansicht war, der Widerspruch der Klägerin sei unstatthaft, hätte ein gesetzmäßiges Verhalten allein darin bestanden, die Sache an die Widerspruchsstelle abzugeben, die dann, wenn sie diese Ansicht geteilt hätte, den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid gemäß § 85 Abs 2 und 3 SGG als unzulässig verworfen hätte. Die Weigerung der Beklagten führt zur Zulässigkeit der Klage nach § 88 Abs 2 iVm Abs 1 SGG (BSGE 72, 118, 121 = SozR 3-7833 § 6 Nr 2 mwN). Der 14. Senat des BSG (als 14b Senat: BSGE 72, 118, aaO; als 14a Senat in BSGE 73, 244 ff = SozR 3-1500 § 88 Nr 1; vgl schon BSG SozR 2200 § 622 Nr 1; BSG SozR Nr 1 zu § 88 SGG) hat an der Rechtsprechung festgehalten, § 88 SGG gebe eine sog echte Untätigkeitsklage, die nicht auf Erlaß eines Verwaltungsaktes mit bestimmtem Inhalt, sondern auf bloße Bescheidung gerichtet sei. Der Senat hat Bedenken, sich dieser Rechtsauffassung anzuschließen. Der Wortlaut der Vorschrift (gerade im Vergleich zu § 75 der Verwaltungsgerichtsordnung ≪VwGO≫ und zu § 46 der Finanzgerichtsordnung ≪FGO≫), ihre systematische Stellung im Gesetz, die Ausgestaltung der “Urteilsformel” in § 131 Abs 3 SGG und insbesondere der Zweck der Vorschrift, iS eines effektiven, wirksamen und prozeßökonomischen Rechtschutzes den Bürger vor Beeinträchtigungen seiner Rechte durch Untätigkeit seitens des Verwaltungsträgers zu schützen, sprechen gewichtig dafür, § 88 SGG grundsätzlich auch als Eröffnung der Klage in der Sache selbst, nicht nur als bloß formelle Bescheidungsklage auszulegen. Darüber hinaus ist es aber Sinn gerade des § 88 Abs 2 SGG, den Kläger wegen der grundlosen Untätigkeit der Abhilfe- oder Widerspruchsbehörde vom Vorverfahren zu befreien (zutreffend Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl 1993, § 88 Rz 9, § 131 Rz 14; jeweils mwN). Dem ist hier nicht weiter nachzugehen: Der vorliegende Fall unterscheidet sich nämlich von den bisher vom BSG entschiedenen Streitigkeiten vor allem dadurch, daß über den streitgegenständlichen Anspruch (Zahlung von monatlichen Rentenbeträgen) bereits eine bindende Verwaltungsentscheidung vorliegt, deren Maßgeblichkeit für das Rechtsverhältnis ( § 77 SGG) der Träger durch einen Eingriffsbescheid in Frage gestellt und sich gleichwohl (sogar über einen Zeitraum von mehr als drei Jahren) geweigert hat, das Vorverfahren als verwaltungsinternes Überprüfungsverfahren ordnungsgemäß zu betreiben; zugleich wurde die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs (§ 86 Abs 2 SGG) nicht beachtet. Jedenfalls in derartigen Fallgestaltungen, in denen der durch einen bindenden leistungsbewilligenden Verwaltungsakt Begünstigte sich mit dem Widerspruch gegen einen Eingriff in die ihm bindend zuerkannte Rechtsposition wehrt, ist gemäß § 88 Abs 2 SGG die Anfechtungsklage ohne abgeschlossenes Vorverfahren unmittelbar gegeben, der Kläger also nicht nur auf eine “echte” Untätigkeitsklage (formelle Bescheidungsklage) beschränkt. Denn regelmäßig nur dadurch kann der Betroffene die von der Behörde rechtswidrig geschaffene und aufrechterhaltene Lage der Ungewißheit über den Fortbestand der ihm bindend zuerkannten Rechtsposition effektiv, dh auch möglichst zeitnah, beseitigen.
Die objektive Klagehäufung von allgemeiner Leistungsklage und isolierter Anfechtungsklage ist gemäß § 56 SGG zulässig.
Die Klagen sind begründet. Die Klägerin hat allein schon aufgrund des Rentenbewilligungsbescheides vom 19. November 1990 Anspruch auf Zahlung von monatlich (wenigstens) 700,00 DM als dauerhafte Hinterbliebenenversorgung auch über den 31. Dezember 1990 hinaus; die Neufestsetzung des Gesamtzahlbetrages zum 1. Juli 1990 und die dies für den Zahlbetrag der Großen Witwenrente ab 1. Januar 1992 im wesentlichen fortschreibende Entscheidung im Bescheid vom 28. November 1991 sind insoweit zu Recht aufgehoben worden.
Der Rentenbewilligungsbescheid vom 19. November 1990 ist ein Verwaltungsakt. Es kann dahingestellt bleiben, ob als Maßstabsnorm für die Beurteilung der Rechtsnatur dieser Maßnahme der Verwaltung der Sozialversicherung § 31 SGB X in lückenfüllender Rechtsanalogie, der im gemeindeutschen Bundes- und Landesrecht wurzelnde Verwaltungsaktsbegriff oder der in Art 19 EV vorausgesetzte bundesrechtliche Begriff des Verwaltungsaktes heranzuziehen ist. Denn nach dem für das BSG allein maßgeblichen Bundesrecht (§ 162 SGG; ständige Rechtsprechung seit BSGE 72, 50, 52) ist unter “Verwaltungsakt” jede Maßnahme zu verstehen, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Dies ist bei der Rentenbewilligung vom 19. November 1990 ohne Frage der Fall. Dieser Bescheid hat die Klägerin ausschließlich begünstigt, ihr nämlich einen (Gesamt-)Anspruch auf Zahlung von monatlich 970,00 DM (bis einschließlich Oktober 1992) und als Teilrecht hierzu sowie als dauerhaftes Recht auch über den Oktober 1992 hinaus einen Anspruch auf Zahlung von 700,00 DM als (dauerhafte) Hinterbliebenenversorgung gewährt. Dieser begünstigende Verwaltungsakt (vgl § 45 Abs 1 SGB X) ist im Zeitpunkt seiner Bekanntgabe wirksam (vgl § 39 Abs 1 SGB X) und bindend (§ 77 SGG) geworden.
Der Wirksamkeit der Rentenbewilligung steht – entgegen den Andeutungen der Revisionsklägerin – nicht entgegen, daß nach § 26 Abs 1 Satz 1 RAG, der in der DDR seit dem 1. Juli 1990 galt, derartige Renten nicht neu festgesetzt werden durften. Selbst wenn man zu Gunsten der Beklagten unterstellt, diese Vorschrift sei hier anwendbar, wäre die Bewilligung nicht nichtig (dh unwirksam), sondern anfänglich rechtswidrig, aber wirksam. Denn es ist kein Nichtigkeitsgrund iS der verwaltungsverfahrensrechtlichen Grundsätze des Bundes- oder gemeindeutschen Rechts ersichtlich (vgl § 40 SGB X, § 44 BVwVfG). Auch ein anfänglich rechtswidriger Verwaltungsakt bleibt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, anderweitig aufgehoben oder erledigt ist (vgl § 39 Abs 2 SGB X). Die Rentenbewilligung war ausschließlich begünstigend; daher ist dieser Verwaltungsakt schon mit seiner Bekanntgabe für die Klägerin und die “Rechtsvorgängerin” der Beklagten (und damit auch für diese) bindend geworden. Das bedeutet – wie bereits gesagt –, daß es für die Frage, ob die Klägerin den im Verfügungssatz dieses Bescheides genannten Anspruch gegen die Beklagte wirklich hat, rechtlich ausschließlich auf diesen Verfügungssatz ankommt, solange er wirksam ist; denn der wirksame Verwaltungsakt verdrängt das Gesetz. Gemäß § 77 SGG kann etwas anderes nur durch Gesetz bestimmt werden, so daß ein “einfachgesetzlicher” Gesetzesvorbehalt (neben dem des § 31 Erstes Buch Sozialgesetzbuch ≪SGB I≫) besteht, der aber ua vom Grundrecht auf Freiheit von unnötigen, unverhältnismäßigen und unzulässig “ rückwirkenden” Belastungen umfangen wird (BSGE 72, 50, 59 mwN). Daher hätte die Revision nur dann Erfolg haben können, wenn der Rentenbewilligungsbescheid vom 19. November 1990 (“vollziehbar”) aufgehoben worden wäre oder sich auf sonstige Weise erledigt hätte (vgl auch § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB X). Beides ist nicht der Fall.
Für den streitigen Zeitraum bis Ende Juli 1991 ist ein die Bewilligung aufhebender Verwaltungsakt nicht ergangen. Der Umstand, daß die Beklagte ab Januar 1991 nicht mehr gezahlt hat, verlautbart keine Maßnahme zur Regelung eines Einzelfalles. Es ist schlichtes Verwaltungsverhalten (hier: “reales Unterlassen”), das nur unter besonderen Voraussetzungen als Maßnahme zur Regelung eines Einzelfalles auszulegen ist (vgl Zahlung beantragten Kindergeldes). Wenn ein Verwaltungsträger erklärtermaßen nicht zahlt, weil er meint, ohnehin nicht mehr Schuldner zu sein, spricht dies ausschlaggebend dagegen, das Nichthandeln als Maßnahme mit Regelungsabsicht zu verstehen. Die Erläuterungen, welche die Beklagte der Klägerin auf deren Widerspruch vom 16. Januar 1991 gegeben hat, verdeutlichen außerdem, daß die Beklagte wegen § 26 Abs 1 RAG eine Entziehungsentscheidung weder für erforderlich noch für rechtlich möglich erachtet hat. Schon deswegen bedarf keiner Erörterung, daß und weshalb die Beklagte die Rentenbewilligung vom 19. November 1990 nur durch schriftlichen Verwaltungsakt hätte aufheben dürfen (vgl §§ 1633, 1631 der Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫; §§ 73, 74 der RentenVO).
Der die streitige Rente bewilligende Verwaltungsakt hat sich auch nicht auf sonstige Weise erledigt. Hierfür käme gemäß § 77 SGG nur eine Aufhebung unmittelbar durch ein sich selbst vollziehendes Bundesgesetz in Betracht. Die Revision meint, eine solche gesetzliche Regelung finde sich in § 26 Abs 1 RAG. Dem ist nicht zu folgen.
Wird zugunsten der Beklagten unterstellt, diese Bestimmung enthalte anwendbares Recht, läge zwar eine bundesgesetzliche Regelung vor. Denn nach Art 9 Abs 2 und Abs 4 EV iVm Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet F (Sozialversicherung ≪Allgemeine Vorschriften≫), Abschnitt III Nr 8 (also kraft Bundesrechts) bleibt das RAG mit den dort genannten Maßgaben als Bundesrecht in Kraft, solange und soweit der EV die Geltung oder Anwendung von originärem Bundesrecht hintangehalten, im anwendbaren Bundesrecht keine spezielle oder abschließende Regelung getroffen und insoweit die Maßgeblichkeit von Recht der früheren DDR angeordnet hat (BSG SozR 3-8570 § 11 Nr 3 mwN). Dem steht nicht entgegen, daß das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) durch Beschluß der 2. Kammer des 1. Senats vom 30. Oktober 1993 (1 BvL 42/92 in: SozR 3-8560 § 26 Nr 1) entschieden hat, es seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß der Bundesgesetzgeber nach dem Inkrafttreten des GG im Beitrittsgebiet § 26 Abs 1 Satz 2 RAG in seinen Willen aufgenommen und damit bestätigt habe. Dieser Beschluß betrifft nämlich lediglich die Frage, ob das durch Art 9 Abs 2 und Abs 4 EV iVm der Anlage II für eine Übergangszeit als Bundesrecht in Kraft gesetzte oder für anwendbar erklärte Recht der DDR allein aus diesem Grunde schon “nachkonstitutionelles”, dh nach Ursprung und Inhalt dem parlamentarischen Bundesgesetzgeber selbst zuzurechnendes Recht geworden oder aber – gemäß der historischen Entstehung – vorkonstitutionelles Recht geblieben ist.
Durch § 26 Abs 1 Satz 2 RAG ist die der Klägerin erteilte Rentenbewilligung vom 19. November 1990 schon deswegen weder aufgehoben noch für unwirksam erklärt worden, weil dieses Gesetz keinen sich selbst vollziehenden Inhalt hat:
§ 26 Abs 1 RAG bestimmt: (Versorgungen wegen Teilberufsunfähigkeit und) Versorgungen an erwerbsfähige Witwen und Witwer werden nicht neu festgesetzt. Bereits laufende Leistungen werden mit Wirkung vom 31. Dezember 1990 eingestellt. Diese Vorschrift steht im sechsten Abschnitt des RAG, in dem die Zusatzversorgungssysteme speziell geregelt sind. Dort befindet sie sich in dem Unterabschnitt über die “Beseitigung ungerechtfertigter Leistungen”. Ihrem Wortlaut nach schreibt sie die Einstellung bereits laufender Versorgungsleistungen ua an “erwerbsfähige” Witwen mit Wirkung vom 31. Dezember 1990 vor. Hingegen ordnet das Gesetz selbst nicht an, daß mit Ablauf des 31. Dezember 1990 alle bindenden Verwaltungsakte, in denen Hinterbliebenenrenten aus Zusatzversorgungssystemen an Witwen und Witwer gewährt worden sind, außer Kraft treten. Schon daraus wird deutlich, daß § 26 Abs 1 Satz 2 RAG keine des Selbstvollzuges fähige Regelung enthält, sondern der rechtsstaatsgemäßen Umsetzung durch die Verwaltung bedarf. Diese wird dort ermächtigt, ua gegenüber rentenberechtigten Witwen, welche sie möglicherweise für erwerbsfähig hält, das durch den Rentenbewilligungsbescheid abgeschlossene Verwaltungsverfahren wieder aufzugreifen und jetzt erstmals die neue materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzung der Erwerbsunfähigkeit zu prüfen sowie bei Bejahung der Erwerbsfähigkeit die Leistungsbewilligung aufzuheben. Entgegen der Ansicht der Beklagten hat § 26 Abs 1 Satz 2 RAG, seine Anwendbarkeit unterstellt, also nicht selbst Rentenbewilligungsbescheide aufgehoben, sondern allenfalls eine Ermächtigung erteilt, sie unter weiteren, in jedem Einzelfall zu prüfenden Voraussetzungen durch Verwaltungsakt aufzuheben. Damit steht zugleich fest, daß die im Bescheid vom 19. November 1990 getroffene Regelung sich auch nicht auf sonstige Weise erledigt hat. Denn das in § 26 Abs 1 Satz 2 RAG enthaltene Gebot, laufende Leistungen, dh Zahlungen zur Erfüllung von Ansprüchen, die bereits am 1. Juli 1990 bestanden haben, mit Wirkung vom 31. Dezember 1990 einzustellen, soll ersichtlich nur Rentenberechtigte treffen, die iS von Satz 1 aaO erwerbsfähig sind und deren Rentenbewilligungen aufgrund des seit dem 1. Juli 1990 geänderten Rechts rechtswidrig geworden und deswegen im Einzelfall aufgehoben worden sind. Demgegenüber liefe das von der Beklagten gewählte Verständnis des Gesetzes darauf hinaus, daß § 26 Abs 1 RAG nicht darauf beschränkt wäre, (angeblich) “ungerechtfertigte Leistungen” zu beseitigen; von der Renteneinstellung (dh dem Rentenentzug durch Gesetz) betroffen wären dann nämlich auch Berechtigte, die objektiv erwerbsunfähig waren.
Die allgemeine Leistungsklage ist aber auch für den streitigen Zeitraum vom 1. Juli 1991 bis zum Erlaß des endgültigen Bescheides über die Festsetzung der Höhe der Großen Witwenrente nach dem SGB VI begründet, weil der Rentenbewilligungsbescheid vom 19. November 1990 wirksam und bindend geblieben ist. Die mit der isolierten Anfechtungsklage (Abänderungsklage) angefochtenen Bescheide zum 1. Juli 1991 und vom 28. November 1991 sind, soweit darin der Anspruch auf Zahlung einer dauerhaften Witwenrente von monatlich 700,00 DM abgelehnt worden ist, rechtswidrig und von den Vorinstanzen zu Recht aufgehoben worden. Denn für diesen Eingriff in den durch den Bescheid vom 19. November 1990 zuerkannten Rechtsanspruch gibt es keine Ermächtigung:
Es kann offenbleiben, ob diese streitigen Bescheide schon mangels hinreichender Anhörung iS von § 24 Abs 1 SGB X, der seit dem 1. Januar 1991 auch im Beitrittsgebiet ua für das Recht der gesetzlichen Rentenversicherung gilt, insoweit rechtswidrig und abzuändern sind. Die Beklagte war nämlich überhaupt nicht befugt, den streitigen Zahlungsanspruch zu entziehen. Sie hat aber den bindend zuerkannten Gesamtzahlbetrag von 970,00 DM ab 1. Juli 1991 aufgrund einer neuen Sachentscheidung auf 270,00 DM festgesetzt und damit insoweit den früheren Bescheid aufgehoben und durch eine andere, für die Klägerin um monatlich 700,00 DM ungünstigere Regelung ersetzt. In dem Bescheid vom 28. November 1991 hat sie zwar zugunsten der Klägerin endgültig entschieden, dieser stehe ab 1. Januar 1992 die Große Witwenrente iS von § 46 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB VI zu; zugleich ist aber im Verfügungssatz über die Rentenhöhe im Wege eines insoweit einstweiligen Verwaltungsaktes (dazu BSG SozR 3-1300 § 32 Nrn 2, 4; SozR 3-1200 § 42 Nr 2; jeweils mwN) bestimmt, daß diese Rente bis zur Neuberechnung und Anpassung nur in Höhe der durch den Bescheid zum 1. Juli 1991 festgesetzten Beträge weiterzuzahlen sei. Nur auf dieser Grundlage kam es ab Januar 1992 zur Erhöhung der Rente auf 288,47 DM (vor Abzug des Beitrags zur Krankenversicherung). Auf diese Weise wurde die zum 1. Juli 1991 durchgeführte Rentenentziehung modifiziert fortgesetzt.
Auf § 45 Abs 1 SGB X (vgl § 73 Abs 1 der RentenVO) kann die Beklagte sich nicht stützen. Denn der Rentenbewilligungsbescheid vom 19. November 1990 war im Zeitpunkt seines Erlasses rechtmäßig. Zwar untersagte § 26 Abs 1 Satz 1 Regelung 2 RAG die Neufestsetzung derartiger Versorgungsleistungen für Witwen, die – wie inzwischen für die Klägerin festgestellt worden ist – nicht erwerbsunfähig waren. Daher durften in der DDR in der Zeit vom 1. Juli 1990 bis zum Ablauf des 2. Oktober 1990 nach dieser Bestimmung solche Renten nicht neu bewilligt werden. Jedoch ist am 29. September 1990 der EV in Kraft getreten und hat mit Beginn des 3. Oktober 1990 in vollem Umfang auch seine innere Wirksamkeit erlangt. Damit wurde § 26 Abs 1 RAG, soweit darin die Renten an erwerbsfähige Witwen und Witwer geregelt sind, für seinen gesamten Geltungsbereich, dh auch für die Zeit ab 1. Juli 1990, jedenfalls unanwendbar; denn die Vorschrift ist spezialgesetzlich durch EV Nr 9 Buchst b verdrängt worden. Deshalb kann offen bleiben, ob sie überhaupt gültig, dh mit höherrangigem Recht iS von Art 9 Abs 2 EV vereinbar ist.
EV Nr 9 hat für die Frage, ob und in welchem Umfang in einem Sonder- oder Zusatzversorgungssystem erworbene Anwartschaften oder Ansprüche (in die Rentenversicherung ≪SGB VI≫ überführt werden oder außerhalb hiervon) weiterbestehen, eine spezialgesetzliche Regelung getroffen. Sie ist nur insoweit nicht abschließend, als sich “aus diesem Vertrag” anderes ergibt (dazu oben und schon BSG SozR 3-8570 § 11 Nr 3 mwN). § 26 Abs 1 RAG ist keine Regelung in diesem Vertrag. Dessen Anordnung, ua das RAG bleibe (mit Maßgaben) in Kraft, enthält nur eine allgemeine, von allen speziellen Regelungen im Vertrag selbst verdrängte Bestimmung. Als dem Bundesgesetzgeber wegen des Einigungsvertragsgesetzes vom 23. September 1990 (BGBl II S 885) direkt zuzurechnende Sachregelung geht EV Nr 9 also allen allgemeinen Bestimmungen in der Anlage II des EV vor, in denen lediglich (übergangsrechtlich) die Fortgeltung oder weitere Anwendung von Recht der früheren DDR angeordnet wird. Die Spezialregelung tritt ihrerseits nur zurück, soweit im Text des EV selbst oder in den Anlagen hierzu eine originär dem Bundesgesetzgeber zuzurechnende abweichende Sachregelung getroffen worden ist. Diese kann zB in Maßgaben des EV zu fortgeltendem oder weiter anzuwendendem Recht der früheren DDR liegen. Hinsichtlich § 26 Abs 1 RAG hat der EV selbst aber keine derartige, die Spezialregelung in EV Nr 9 verdrängende, besondere Sachregelung getroffen, sondern lediglich in den allgemeinen Vorschriften zur Sozialversicherung das Inkraftbleiben des RAG angeordnet. Die dort zu einzelnen Vorschriften des RAG ausgestalteten Maßgaben betreffen § 26 RAG nicht und sind auch sonst ersichtlich nicht einschlägig.
§ 26 Abs 1 RAG wäre daher seit dem 3. Oktober 1990 nur dann anwendbares Recht geblieben, wenn die Vorschrift mit den in EV Nr 9 Buchst b getroffenen Regelungen vereinbar wäre. Das ist aber nicht der Fall. Sie steht vielmehr hierzu derart in Widerspruch, daß sie für den gesamten Zeitraum, für den Bundesrecht rückwirkend Anwendung findet, dh seit dem 1. Juli 1990 (ständige Rechtsprechung seit BSGE SozR 3-1300 § 44 Nr 8), nicht angewandt werden darf:
§ 26 Abs 1 RAG ist Bestandteil des zum 1. Juli 1990 von der demokratisierten DDR aufgrund Art 20 des Vertrages über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vom 18. Mai 1990 (BGBl II S 537) inkraftgesetzten Konzepts zur Angleichung des Rentenrechts der DDR an das Rentenversicherungsrecht der Bundesrepublik Deutschland. Da bei Abschluß dieses Staatsvertrages und auch bei Beschluß des RAG am 28. Juni 1990 noch nicht abzusehen war, wann die Wiedervereinigung Deutschlands würde erreicht werden können, beruhen die Regelungen des RAG auf dem Grundgedanken, die für die vereinbarte Angleichung notwendigen Änderungen möglichst zum 1. Januar 1991 in Kraft zu setzen. Angestrebt wurde, zu diesem Zeitpunkt ein in den wesentlichen Grundstrukturen einheitliches, von sachfremden Vergünstigungen bereinigtes Rentenversicherungsrecht der DDR zu schaffen, das im wesentlichen dem Rentenversicherungsrecht der Bundesrepublik Deutschland entsprach.
Deshalb sah der Sechste Abschnitt des RAG über Zusatzversorgungssysteme auch für die zusätzlichen Versorgungen, die dem Recht der gesetzlichen Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland fremd sind, deren Überführung im zweiten Halbjahr 1990 durch Neufestsetzung von Renten der Sozialversicherung vor (§ 24 Abs 1 Satz 1 RAG). Durch die Regelung über die Überführung bereits festgesetzter zusätzlicher Versorgungen (§§ 23, 24 RAG) und über die Überführung bisher erworbener Anwartschaften (§ 25 RAG) sollten die Berechtigten aus zusätzlichen Versorgungssystemen grundsätzlich den in der allgemeinen Sozialpflichtversicherung der DDR Versicherten gleichgestellt werden. Sachwidrig überhöhte Ansprüche und Anwartschaften sollten abgebaut werden, jedoch auch sachlich begründete Differenzierungen fortgeführt werden (vgl die Dynamisierung auch der auf Zusatzversorgungszeiten beruhenden Rententeile und die schonende Abschmelzung der noch gezahlten Teile der zusätzlichen Versorgung in §§ 24 Abs 5 und 25 Abs 2 RAG). Zur Beseitigung von – immer gemessen an dem Standard des DDR-Rentenversicherungsrechts, das ab 1. Januar 1991 gelten sollte – ungerechtfertigten Leistungen dienten die §§ 26 und 27 RAG.
Dabei bestand die nach Auffassung der Volkskammer durch § 26 Abs 1 RAG abzuschaffende sachwidrige Ungleichheit im Blick auf die Versorgung erwerbsfähiger Witwen und Witwer im Kern in folgendem:
Gemäß § 19 der RentenVO bestand in der allgemeinen Sozialpflichtversicherung der früheren DDR Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente für Frauen ab Vollendung des 60. Lebensjahres und für Männer ab Vollendung des 65. Lebensjahres, ferner bei Vorliegen von Invalidität oder für Witwen mit einem Kind unter drei Jahren oder mit zwei Kindern unter acht Jahren, wenn der Verstorbene die finanziellen Aufwendungen für die Familie überwiegend erbracht und zum Zeitpunkt seines Todes die Voraussetzungen zum Bezug einer Alters-, Invaliden- oder Kriegsbeschädigtenrente erfüllt hatte (vgl auch Art 2 § 11 RÜG). Demgegenüber sahen die zusätzlichen Versorgungssysteme – bei im einzelnen unterschiedlicher Ausprägung – die Gewährung einer Hinterbliebenenversorgung auch schon für Witwen bzw Witwer ohne weitere Voraussetzungen vor, die das 60. bzw das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten. So war es möglich, daß – wie im Falle der Klägerin – eine Witwe, die nach § 19 RentenVO eine Witwenrente aus der Sozialpflichtversicherung noch nicht beanspruchen konnte, gleichwohl eine Hinterbliebenenversorgung aus dem zusätzlichen Versorgungssystem erhalten konnte (zzgl der Übergangshinterbliebenenrente nach § 20 RentenVO).
§ 26 Abs 1 RAG sollte diese Besserstellung in den zusätzlichen Versorgungssystemen beseitigen. Dies klingt in dem mehrdeutigen Wortlaut der Vorschrift noch hinreichend klar an. Gerade deshalb aber ist er mit EV Nr 9 Buchst b nicht vereinbar. Deswegen ist nicht darauf einzugehen, daß das Berufungsgericht weder die bei Anwendbarkeit der Vorschrift notwendige teleologische Reduktion auf die in § 19 RentenVO geregelten Fallgruppen noch die rechtsstaatlich und insbesondere durch den Gleichbehandlungsgrundsatz gebotene verfassungskonforme Restriktion vorgenommen und durch Anwendung außer Kraft getretenen früheren DDR-Rechts und durch eigene sozialpolitische Wertungen die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung deutlich überschritten hat.
EV Nr 9 hat das im RAG konkretisierte Konzept zur Überführung von Rentenansprüchen aus Zusatzversorgungssystemen in das Rentenrecht der DDR entscheidend verändert (ständige Rechtsprechung seit BSGE 72, 50, 65). Der vom RAG vorgesehene Zwischenschritt auf dem Weg zur Wiederherstellung der Rechtseinheit in Deutschland auch auf dem Gebiet des Rentenversicherungsrechts, nämlich die Schaffung eines DDR-Rentenversicherungsrechts, das im wesentlichen dem Rentenversicherungsrecht der Bundesrepublik Deutschland entsprach (Art 20 Abs 1 des Staatsvertrages), wurde im Blick auf das ohnehin anstehende Inkrafttreten des SGB VI zum 1. Januar 1992 fallengelassen; gemäß EV Nr 9 Buchst b Satz 1 waren nunmehr die in (Sonder- und) Zusatzversorgungssystemen erworbenen Ansprüche und Anwartschaften auf Leistungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, Alter und Tod – soweit noch nicht geschehen – bis zum 31. Dezember 1991 in die Rentenversicherung zu überführen; gleiches galt nach EV Nr 9 Buchst a für das Versicherungs- und Beitragsrecht (näher zur Struktur von EV Nr 9 BSG SozR 3-8570 § 11 Nr 3 S 27 f; zur Bedeutung des neuen Überführungszeitpunktes “31. Dezember 1991” schon BSGE 72, 50, 56, 66). Damit aber hat EV Nr 9 schon den für die Qualifikation der Hinterbliebenenversorgung als ungerechtfertigte Leistung maßgeblichen Vergleichsmaßstab, nämlich das für die Zeit ab Januar 1991 vorgesehene bereinigte Rentenversicherungsrecht der DDR, durch das neue Ziel der Überleitung, nämlich das SGB VI ersetzt.
Nicht stichhaltig ist in diesem Zusammenhang das Vorbringen der Beklagten, in EV Nr 9 Buchst b Satz 3 Nr 1 sei vorgeschrieben, die zum 31. Dezember 1991 nach Satz 1 aaO überführbaren Ansprüche und Anwartschaften an das Rentenversicherungsrecht der DDR anzupassen. Denn die dort genannten “allgemeinen Regelungen der Sozialversicherung in dem in Art 3 des Vertrages genannten Gebiet” bestehen nach dem Geltungsanspruch des EV höchstrangig aus den Vorschriften des GG (Art 3 EV), sodann aus denjenigen des EV selbst sowie des sonstigen im Beitrittsgebiet anwendbaren originären Bundesrechts einschließlich der unmittelbar in Anlage II Kapitel VIII und speziell in EV Nr 9 getroffenen Sachregelungen; nur nachrangig, lückenfüllend und übergangsrechtlich ist auf die fortgeltenden bzw weiter anzuwendenden Regelungen des Rechts der früheren DDR kraft bundesrechtlichen Anwendungsbefehls und in dessen Grenzen zurückzugreifen.
Dies bedarf im vorliegenden Fall im einzelnen keiner (erneuten – siehe oben) Darlegung, weil jedenfalls der in EV Nr 9 Buchst f ermächtigte Verordnungsgeber, die Bundesregierung, bei der in EV Nr 9 Buchst b Satz 3 vorgesehenen Anpassung von vornherein hätte berücksichtigen müssen, daß jede Angleichung von Regelungen des Rentenrechts der früheren DDR im Blick auf die Überführung in das seit dem 1. Januar 1992 in ganz Deutschland geltende SGB VI zu keinen sachlich unvertretbaren, insbesondere unverhältnismäßigen Ungleichheiten führen durfte (Art 3 Abs 1 GG). EV Nr 9 Buchst b Satz 1 hat aber schon am 3. Oktober 1990, also zu einem Zeitpunkt, zu dem Rentenansprüche “erwerbsfähiger” Hinterbliebener auf Hinterbliebenenrenten aus Zusatzversorgungssystemen noch bestanden, ausdrücklich bestimmt, daß die erworbenen Ansprüche auf Leistungen wegen Tod in die Rentenversicherung zu überführen sind Das originäre Bundesrecht hat also nicht zwischen erwerbsfähigen und nicht erwerbsfähigen Witwen bzw Witwern unterschieden. Dementsprechend hat der parlamentarische Bundesgesetzgeber auch in § 4 Abs 1 AAÜG, das seit dem 1. August 1991 (statt EV Nr 9 Buchst f) gilt, ebenfalls vorgesehen, daß die “in Zusatzversorgungssystemen erworbenen Ansprüche auf zusätzliche Hinterbliebenenversorgung (Abs 1 Nr 3 aaO) in die Rentenversicherung zu überführen sind”. Darüber hinaus ist in EV Nr 9 Buchst b Satz 2 bestimmt worden, daß bis zur Überführung (am 31. Dezember 1991) die leistungsrechtlichen Regelungen der jeweiligen Versorgungssysteme weiter anzuwenden sind, soweit sich “aus diesem Vertrag, insbesondere den nachfolgenden Regelungen”, nichts anderes ergibt. Außer in dem nachfolgenden Satz 3 Nr 1 finden sich aber “in diesem Vertrag” im Blick auf Renten ua wegen Todes keine anderweitigen Sachregelungen, die dem Bundesgesetzgeber originär zuzurechnen sind. In Satz 3 wird das (nach dem Konzept von EV Nr 9 gemäß Buchst f aaO durch die Bundesregierung als Verordnungsgeber durchzusetzende) Überführungs- und Anpassungsprogramm (in Anlehnung an Art 20 des Staatsvertrages) einer künftigen bundesrechtlichen Regelung zugewiesen. Schließlich wird in EV Nr 9 Buchst c Satz 1 gemäß der neuen Zielvorgabe des Überführungsprozesses bestimmt, daß die Versorgungssysteme bis zur Überführung der darin erworbenen Ansprüche und Anwartschaften in die Rentenversicherung weitergeführt werden. Demnach durfte nach EV Nr 9 Buchst f der Verordnungsgeber nur diejenigen Angleichungen vornehmen, die im Blick auf das Angleichungsziel, das ab dem 1. Januar 1992 in ganz Deutschland gültige SGB VI, sachgerecht und verhältnismäßig waren. Nach § 46 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI haben Witwen oder Witwer, die – wie die Klägerin – nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tode des versicherten Ehegatten, der – wie der Ehemann der Klägerin – die allgemeine Wartezeit erfüllt hatte, Anspruch auf große Witwenrente/Witwerrente, wenn sie – wie die Klägerin – das 45. Lebensjahr vollendet haben.
Das in EV Nr 9 Buchst b angestrebte Angleichungsziel kann also auf dem durch § 26 Abs 1 Regelung 2 RAG beschrittenen Weg schlechthin nicht erreicht werden. Die Anwendung dieser Vorschrift ist daher – und zwar für ihren gesamten zeitlichen Geltungsbereich ab 1. Juli 1990 – nach Maßgabe von EV Nr 9 Buchst b ausgeschlossen. § 26 Abs 1 Satz 1 und 2 RAG ist kein anwendbares Recht, soweit darin Regelungen über Versorgungen an erwerbsfähige Witwen und Witwer getroffen waren.
Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, daß der Bundesrat in seiner Initiative zur Abänderung von § 26 Abs 1 Satz 2 RAG und die Bundesregierung in ihrer Erwiderung hierauf (BT-Drucks 12/630 S 18 f; 20 f) von der Annahme ausgegangen sind, das Bundsrecht sehe die Anwendung von § 26 Abs 1 RAG vor. Diese dort nicht näher begründete Rechtsauffassung findet – wie dargelegt – im EV keine hinreichende Grundlage. Das BVerfG hat ferner keinen Bestätigungswillen des parlamentarischen Bundesgesetzgebers iS von Art 100 Abs 1 GG festgestellt (SozR 3-8560 § 26 Nr 1); er habe sich diese Vorschrift weder aufgrund der vorgenannten Bundesratsinitiative noch aufgrund des EV oder der Beratungen zum RÜG zu eigen gemacht. Mit dem BVerfG ist der erkennende Senat der Ansicht, daß der parlamentarische Gesetzgeber diese Regelung nur für eine von vornherein begrenzte Übergangszeit bis zum 31. Dezember 1991 hingenommen, eine Prüfung ihrer Vereinbarkeit mit dem vorrangigen Inhalt des EV nicht vorgenommen und lediglich eine ausdrückliche Änderung vorerst unterlassen hat. Soweit das BVerfG (S 10 f aaO) im Blick auf die Beratungen zum RÜG angesprochen hat, diese seien erst im Mai 1991 erfolgt, “also zu einer Zeit, in der die von dieser Norm angeordnete Rechtsfolge, nämlich die Einstellung der Witwenrenten aus den Zusatzversorgungen an erwerbsfähige Witwen zum 31. Dezember 1990, bereits eingetreten” gewesen sei, handelt es sich um eine bloße Wiedergabe des Inhalts des § 26 Abs 1 RAG sowie der Verwaltungspraxis. Insbesondere hat das BVerfG selbst nicht geprüft, ob die ihm vorgetragenen Rechtsansichten und die Verwaltungspraxis mit der objektiven Rechtslage vereinbar sind. Der erkennende Senat ist durch diese beiläufige Formulierung im Beschluß der 2. Kammer des 1. Senats des BVerfG nicht gebunden (iS von § 31 Abs 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes ≪BVerfGG≫). Er hat in eigener Kompetenz das “einfache” Gesetzesrecht, zu dem auch der EV Nr 9 und das RAG gehören, auszulegen und über die Anwendbarkeit des § 26 Abs 1 RAG zu entscheiden.
Die Rentenbewilligung vom 19. November 1990 war also im Zeitpunkt ihres Erlasses nicht rechtswidrig iS von § 45 Abs 1 SGB X. Keiner Darlegung bedarf, daß somit am 31. Dezember 1990 oder später auch keine wesentliche Rechtsänderung iS von § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X eingetreten war. Aufgrund des sie begünstigenden Verwaltungsaktes vom 19. November 1990 kann die Klägerin daher bis zum 31. Dezember 1991 die Zahlung von monatlich 700,00 DM als dauerhafte Hinterbliebenenversorgung beanspruchen. Dieser Anspruch ist gemäß § 4 Abs 1 Nr 3 AAÜG am 1. August 1991 zum 31. Dezember 1991 fiktiv als Hinterbliebenenrente in die Rentenversicherung, wie sie damals im Beitrittsgebiet bestand, überführt worden (§ 4 Abs 3 Satz 2 Nr 3 aaO; vgl dazu BSG SozR 3-8570 § 11 Nrn 1 und 2). Sie stellt deshalb gemäß § 307b Abs 3 Satz 3 SGB VI eine überführte Leistung dar. Diese endet mit dem Beginn des Kalendermonats, der auf den Monat folgt, in dem der Bescheid über die neuberechnete SGB VI-Rente (evtl zzgl eines Rentenzuschlags iS von § 307b Abs 3 Satz 2 SGB VI; dazu BSGE 72, 50, 55 f, 58, 65, 66) bekanntgegeben wird; insoweit bedürfte es dann keiner Aufhebung oder Änderung des Bescheides vom 19. November 1990 (§ 307b Abs 7 SGB VI).
Nach alledem war die im wesentlichen unbegründete Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und Abs 4 SGG.
Fundstellen