Beteiligte

…, Kläger und Revisionskläger

Westfälische landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft, Münster, Hoher Heckenweg 76-80, Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

G r ü n d e :

I

Die Beteiligten streiten, ob dem Kläger Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen der Folgen eines am 25. November 1988 erlittenen Verkehrsunfalls zusteht.

Der im Jahre 1947 geborene Kläger betrieb ein landwirtschaftliches Unternehmen auf etwa 30 ha landwirtschaftlicher Fläche mit Viehhaltung. Zum Haushalt des Klägers gehörten seine Ehefrau, die am 1. Oktober 1970 geborene Tochter Irene sowie zwei in den Jahren 1973 und 1980 geborene Söhne. Die Tochter besuchte eine Handelsschule; der Schulabschluß war für den Sommer 1989 vorgesehen. Sie half im landwirtschaftlichen Betrieb und im Haushalt mit.

Der Kläger fuhr am 25. November 1988 seine Tochter mit dem Pkw zu einer "Eignungsfeststellung" für den mittleren Postdienst bei der Oberpostdirektion (OPD) Münster. Auf dieser gegen 7.00 Uhr morgens angetretenen Fahrt erlitten sie einen Verkehrsunfall, bei dem sich die Tochter tödliche Verletzungen zuzog und der Kläger schwer verletzt wurde. Wegen der Unfallfolgen ist der Kläger seinen Angaben zufolge erwerbsunfähig; er bezieht von der landwirtschaftlichen Alterskasse vorzeitige Altersrente.

Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 23. November 1989 eine Entschädigung an den Kläger ab, weil private Bemühungen zur Anbahnung eines Arbeitsverhältnisses dem eigenwirtschaftlichen Bereich zuzurechnen und daher unversichert seien. Es fehle an einem Zusammenhang zwischen der unfallbringenden Fahrt und dem versicherten landwirtschaftlichen Unternehmen.

Der Kläger beantragte im Dezember 1991 bei der Beklagten, den Bescheid vom 23. November 1989 nach § 44 des Zehntes Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) zurückzunehmen und ihm wegen der Folgen des Unfalls Entschädigungsleistungen zu gewähren. Die Beklagte lehnte diesen Antrag durch Bescheid vom 15. Januar 1992 idF des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 1992 ab. Der Kläger habe die unfallbringende Fahrt durchgeführt, um seine 18-jährige und damit volljährige Tochter zu einem Vorstellungsgespräch zur OPD in Münster zu bringen. Bei dieser Fahrt habe es sich um eine unversicherte, dem eigenwirtschaftlichen Bereich dienende Betätigung gehandelt; eine Tätigkeit für die Haushaltung seines landwirtschaftlichen Betriebes sei nicht vorgenommen worden.

Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 16. April 1993). Die unfallbringende Fahrt nach Münster könne dem landwirtschaftlichen Unternehmen nicht zugerechnet werden; der Umfang der Haushaltstätigkeiten sei auf die Verrichtungen elementarer Art zu begrenzen, und zwar auf Verrichtungen, die mehr oder minder im Ablauf des täglichen Lebens gewöhnlich und regelmäßig anfielen. Die Fahrt nach Münster stelle kein derartiges alltägliches Ereignis dar.

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 10. Mai 1994). Der Kläger habe keinen Anspruch auf Rücknahme des bestandskräftigen Bescheides vom 23. November 1989. Bei seiner Fahrt mit der Tochter nach Münster habe es sich nicht um eine Tätigkeit für seine landwirtschaftliche Haushaltung gehandelt. Zwar sei die Betreuung der im Haushalt lebenden Personen, in erster Linie die Wartung, Pflege und Erziehung der Kinder, als eine unter Versicherungsschutz nach § 777 Nr 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) stehende Verrichtung anzusehen. Dementsprechend habe das Bundessozialgericht (BSG) auch in seinem Urteil vom 9. März 1978 (- 2 RU 47/76 - USK 7869) die Fahrt eines landwirtschaftlichen Unternehmers zur zahnärztlichen Behandlung seiner fast 9-jährigen Tochter wegen Betreuung eines im Haushalt lebenden Familienangehörigen als eine der Haushaltung zuzurechnende Tätigkeit bewertet, weil das Kind den Weg allein nicht habe zurücklegen können. Zwar habe das BSG es in dieser Entscheidung offengelassen, ob die Notwendigkeit der Begleitung eines Kindes Voraussetzung für die Zurechnung des dabei zurückgelegten Weges zur landwirtschaftlichen Haushaltung sei. Der Senat halte aber die Notwendigkeit der Betreuung bzw Begleitung eines Angehörigen auf einem Weg für unerläßlich, um diesen Weg dem in § 770 Nr 1 RVO normierten Versicherungsschutz zu unterstellen. Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor, weil die Begleitung der am Unfalltag volljährigen Tochter des Klägers zum Vorstellungsgespräch durch den Kläger nicht notwendig gewesen sei. Eine Notwendigkeit werde in aller Regel bei der Begleitung insbesondere jüngerer, minderjähriger Kinder anzunehmen sein. Es lägen hier auch keine Anhaltspunkte dafür vor, daß die Tochter des Klägers wegen körperlicher Gebrechen oder aus psychischen Gründen einer Begleitung im Sinne einer Betreuung bedurft hätte. Es treffe auch nicht zu, daß die Tochter wegen unzureichender Verkehrsverbindungen den Vorstellungstermin mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht hätte wahrnehmen können.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§ 777 Nr 1 iVm § 776 Abs 1 Nr 1 RVO). Das BSG habe in seinem auch vom LSG angeführten Urteil vom 9. März 1978 (aaO) entschieden, daß die Betreuung der zum Haushalt gehörenden Personen - in erster Linie die Wartung, Pflege und Erziehung der Kinder - zu den sonstigen häuslichen Betätigungen gehöre. Es könne also auch die Betreuung erwachsener Personen in Betracht kommen, insbesondere wenn diese Tätigkeit - wie im vorliegenden Fall - im Interesse und zum Nutzen einer zum Haushalt gehörenden Person, hier der Tochter, vorgenommen werde. Entgegen der Auffassung des LSG sei nicht darauf abzustellen, ob die Begleitung der in der landwirtschaftlichen Haushaltung lebenden Person aus objektiven Gründen geboten sei; maßgebend sei vielmehr, daß sie tatsächlich erfolgt sei. Davon abgesehen sei die Begleitung seiner Tochter auf der Fahrt am 25. November 1988 aber auch notwendig gewesen. Sie habe sich in Münster nicht ausgekannt, sei zum Unfallzeitpunkt gerade 18 Jahre alt gewesen und habe ihren Vater gebeten, sie zu dem Vorstellungstermin nach Münster zu fahren.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Mai 1994 und das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 16. April 1993 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 15. Januar 1992 idF des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 1992 zu verurteilen, den Bescheid vom 23. November 1989 zurückzunehmen und ihm wegen der Folgen des Unfalls vom 25. November 1988 Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]).

II

Die Revision ist unbegründet.

Das LSG hat zu Recht entschieden, daß die Voraussetzungen des § 44 Abs 1 SGB X nicht erfüllt sind. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, daß die Beklagte den rechtsverbindlichen Bescheid vom 23. November 1989 zurücknimmt. Dieser Bescheid ist rechtmäßig. Der Kläger stand bei der zum Unfall führenden Fahrt mit seiner Tochter am 25. November 1989 nicht unter Versicherungsschutz. Er hat folglich keinen Arbeitsunfall erlitten.

Der Kläger war im Zeitpunkt des Unfalls im Jahre 1988 landwirtschaftlicher Unternehmer, Mitglied der beklagten landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft (BG) und dementsprechend gegen Arbeitsunfall versichert (§ 539 Abs 1 Nr 5 RVO). Nach dieser Vorschrift besteht Versicherungsschutz nur, solange und soweit der Unternehmer Mitglied der landwirtschaftlichen BG ist. Landwirtschaftliche Unternehmer sind demnach nur "als solche", dh nur mit ihrer Tätigkeit im landwirtschaftlichen Unternehmen iS der §§ 776, 777 RVO versichert (KassKomm-Ricke, § 539 RVO RdNr 19). Damit unterliegen dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung alle von einem landwirtschaftlichen Unternehmer ausgeübten Tätigkeiten, die im inneren Zusammenhang mit dem Betrieb stehen (BSG SozR 2200 § 539 Nr 129).

Die landwirtschaftliche Unfallversicherung umfaßt die Unternehmen nach § 776 Abs 1 RVO. Als Teile des landwirtschaftlichen Unternehmens gelten nach § 777 Nr 1 RVO ua auch die Haushaltungen des Unternehmens, wenn sie dem Unternehmen der Landwirtschaft iS des § 776 Abs 1 Nr 1 RVO wesentlich dienen. Der Begriff der Haushaltung ist im Gesetz nicht bestimmt oder erläutert. Die Einbeziehung der Haushaltung in die landwirtschaftliche Unfallversicherung und die damit verbundene Versicherung landwirtschaftlicher Unternehmer gegen Unfälle bei Tätigkeiten, die mit der Haushaltung zusammenhängen, beruht auf dem Fünften Gesetz über Änderungen in der Unfallversicherung (5. ÄndG) vom 17. Februar 1939 (RGBl I 267). Dazu hat der Senat in seinem Urteil vom 9. März 1978 (- 2 RU 47/76 - USK 7869) dargelegt, daß die Haushaltung nach der Amtlichen Begründung zu Art 1 Nr 56 dieses Gesetzes (wiedergegeben bei Lauterbach/Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 777 Anm 1) sowohl die hauswirtschaftliche als auch die sonstige häusliche Betätigung, nicht jedoch Angelegenheiten rein persönlicher Art, wie zB die Einnahme von Mahlzeiten, An- und Auskleiden uä Verrichtungen umfaßt. Versichert sind nur solche Tätigkeiten, die mit der Haushaltung in innerer Beziehung stehen (RVA EuM 48, 8, 9,), also auch die reinen Haushaltstätigkeiten (Einkauf von Lebensmitteln, Zubereitung der Mahlzeiten, Instandhaltung der Wohnung), selbst wenn diese Betätigungen keine Beziehung zum landwirtschaftlichen Betrieb haben (Lauterbach/Watermann aaO § 777 Anm 4).

Rechtsprechung und Schrifttum sind dieser Abgrenzung der dem Haushalt im Sinne des Gesetzes zuzurechnenden Tätigkeiten gefolgt (BSG SozR Nr 2 zu § 777 RVO; BSG Urteil vom 9. März 1978 - aaO; Boller SozVers 1967, 107, 112 ff; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 496a; KassKomm-Ricke aaO § 777 RdNr 5, jeweils mwN). Insoweit hatte bereits das Reichsversicherungsamt (RVA) insbesondere die Betreuung der zum Haushalt gehörenden Personen - hier in erster Linie die Wartung, die Pflege und die Erziehung der Kinder - zu den sonstigen häuslichen Betätigungen gerechnet, die mit der Haushaltung in innerer Beziehung stehen und im Interesse der Haushaltung vorgenommen werden (RVA EuM 48, 168). Entscheidend ist, daß die Zweckrichtung der Betätigung zumindest wesentlich dem Haushalt selbst zu dienen bestimmt war. Dabei bieten die Begriffe Wartung, Pflege und Erziehung der Kinder im Einzelfall Indizien für die Zweckrichtung des Handelns.

Diese Voraussetzungen hat der Senat auch seiner Entscheidung vom 9. März 1978 (aaO) zum Versicherungsschutz eines landwirtschaftlichen Unternehmers beim Arztbesuch mit seinem erkrankten Kind zugrunde gelegt und ausgeführt, daß Verrichtungen, die der landwirtschaftliche Unternehmer im Interesse und zum Nutzen einer zum Haushalt gehörenden Person vornimmt, dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung unterliegen. Allerdings kann dies nach Auffassung des erkennenden Senats nur in den Fällen zutreffen, in denen es sich um Tätigkeiten handelt, die einer zum Haushalt gehörenden Person konkret auch als Haushaltstätigkeit zugute kommen (s KassKomm-Ricke aaO § 777 RdNr 8). Die Zweckrichtung des Handelns muß - wie oben dargelegt - erkennbar wesentlich dem Haushalt selbst und damit dem landwirtschaftlichen Unternehmen zu dienen bestimmt sein. Andernfalls würde nicht nur das Begleiten eines volljährigen Haushaltsangehörigen zu einem Vorstellungsgespräch, sondern zu jeder - auch privaten - Veranstaltung unter Versicherungsschutz stehen. Deshalb können Betätigungen dem Haushalt nicht mehr zugerechnet werden, wenn auf Entschluß und Verhalten des landwirtschaftlichen Unternehmers persönliche Bedürfnisse und Interessen des Angehörigen derart eingewirkt haben, daß die Beziehung dieser Tätigkeit zum Haushalt bei der Bewertung als nicht wesentlich außer Betracht zu bleiben hat (Boller aaO 113). Dabei läßt sich die Grenzlinie zwischen versicherter Haushaltstätigkeit und unversichertem Privatbereich nur von Fall zu Fall nach den Anschauungen des täglichen Lebens ziehen (BSG SozR Nr 2 zu § 777 RVO).

Von diesen Grundsätzen ausgehend läßt sich ein Versicherungsschutz des Klägers nicht begründen. Nach den Feststellungen des LSG ist die Betätigung des Klägers zum Unfallzeitpunkt, indem er seine Tochter zum vorgesehenen "Eignungstest" fuhr, weder als Wartung noch als Pflege eines zum Haushalt gehörenden Kindes anzusehen. Auch der Begriff Erziehung ist nicht nur wegen Volljährigkeit der Tochter nicht erfüllt (s BSG SozR 2200 § 1268 Nr 22). Vielmehr stellt sich die Begleitung der Tochter durch den Kläger entsprechend den Feststellungen des LSG als eine persönliche Unterstützung der eigenwirtschaftlichen Interessen der Tochter dar. Dabei strebten - worauf die Beklagte zutreffend hinweist - die Interessen der Tochter von dem von der landwirtschaftlichen Unfallversicherung umfaßten Unternehmen Haushalt weg. In diesen eigenständigen, persönlich geprägten Rechtskreis der Tochter hat sich der Kläger aus persönlich motivierter Gefälligkeit in Form von unterstützenden Handlungen, hier der Fahrt zu dem Eignungstest, eingegliedert. Er hat damit auch selbst den Bereich der landwirtschaftlichen Haushaltstätigkeit verlassen. Seine Betätigungen zum Unfallzeitpunkt sind dem persönlichen unversicherten Bereich der Tochter zuzuordnen. Das Begleiten der Tochter hat damit den Charakter einer rein persönlichen Unterstützungshandlung durch den Kläger und unterscheidet sich damit von hauswirtschaftlichen Tätigkeiten. Bei dieser privaten Unterstützungshandlung stand er nicht unter dem Schutz der landwirtschaftlichen Unfallversicherung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.BUNDESSOZIALGERICHT

 

Fundstellen

Haufe-Index 517716

Breith. 1995, 927

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