Beteiligte
Klägerin und Revisionsklägerin |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I
Die Klägerin begehrt die Gewährung von Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU); vornehmlich streitig ist, ob sie aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs berechtigt ist, die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des Art 2 § 6 Abs. 2 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) durch Beitragsnachentrichtung zu erfüllen.
Die im Jahre 1926 geborene Klägerin war zuletzt von 1965 bis 1972 versicherungspflichtig als Briefträgerin bei der Deutschen Bundespost beschäftigt, bevor sie am 1. Juli 1972 in das Beamtenverhältnis übernommen wurde. Der letzte Beitrag zur Arbeiterrentenversicherung wurde für sie im Juni 1972 entrichtet. Am 1. März 1986 wurde sie in den Ruhestand versetzt.
Im September 1985 beantragte die Klägerin Versichertenrente wegen EU oder Berufsunfähigkeit (BU). Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14. Februar 1986 ab; die Klägerin sei zwar seit dem 4. Januar 1985 erwerbsunfähig, erfülle jedoch nicht die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für diese Leistung.
Das Sozialgericht Braunschweig (SG) wies die Klage mit Urteil vom 28. Juni 1988 ab. Auch die Berufung der Klägerin blieb erfolglos; das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen (LSG) vom 14. März 1990 ist im wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt: Zwar sei zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitig, daß bei der Klägerin seit dem 4. Januar 1985 EU vorliege. Dennoch stehe ihr Rente wegen EU oder BU nicht zu, weil sie die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des Abs. 2a der §§ 1246, 1247 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht erfülle. Während der letzten 60 Kalendermonate vor der Rentenantragstellung seien für sie Beiträge für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit unstreitig nicht mehr entrichtet worden. Eine versicherungspflichtige Beschäftigung habe sie zuletzt 1972 ausgeübt, "Streckungszeiten" lägen nicht vor; insbesondere komme ihre Tätigkeit als Beamtin hierfür nicht in Betracht. Auch über Art 2 § 6 Abs. 2 ArVNG lasse sich ein Anspruch nicht herleiten, weil nicht alle Monate seit dem 1. Januar 1984 bis zum 31. Dezember 1984 durchgehend mit Zeiten belegt seien. Wegen Fristablaufs könne sie die Voraussetzungen des Art 2 § 6 Abs. 2 Nr. 2 ArVNG nicht mehr durch Nachentrichtung freiwilliger Beiträge erfüllen. Auch im Wege eines Herstellungsanspruchs könne sie die Zulassung zur Beitragsnachentrichtung und damit ihr Klageziel nicht erreichen, weil es an einem pflichtwidrigen Verhalten der Beklagten fehle. Diese sei nicht verpflichtet gewesen, die Klägerin nach Inkrafttreten der neu gefaßten Bestimmungen der §§ 1246, 1247 RVO individuell über die neue Rechtslage aufzuklären. Eine Beratungspflicht bestehe nur bei einem - hier nicht gegebenen - konkreten Anlaß.
Die Klägerin macht mit ihrer vom erkennenden Senat zugelassenen Revision eine Verletzung der §§ 1, 4, 13 und 14 Abs. 1 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuchs - Allgemeiner Teil - (SGB I) i.V.m. § 1325 Abs. 1 RVO a.F. und des § 17 der Zweiten Datenerfassungs-Verordnung (DEVO) i.V.m. §§ 1246, 1247 RVO a.F. geltend. Die Erschwerung der Zugangsvoraussetzungen für die Renten wegen Erwerbsminderung durch das Haushaltsbegleitgesetz (HBegleitG) 1984 sei ein wesentlicher Einschnitt im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung gewesen, der vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seiner Entscheidung vom 8. April 1987 letztlich nur deshalb für verfassungsgemäß erklärt worden sei, weil der Gesetzgeber ein Übergangsrecht zur Aufrechterhaltung der Anwartschaft vorgesehen habe. Die Möglichkeit der Aufrechterhaltung der Rentenanwartschaft durch die Entrichtung freiwilliger Beiträge sei wesentlicher Bestandteil dieser Regelung. Das Recht zur freiwilligen Nachentrichtung von Beiträgen könne daher im Rahmen des § 4 SGB I mit dem Zugang zur Sozialversicherung umschrieben werden. Dabei handele es sich um ein einklagbares Sozialrecht, für dessen Verwirklichung die Versicherungsträger die gleiche Verantwortung wie für die Gewährung von Sozialleistungen trügen. Unter Beachtung der in besonders schwerwiegender Weise in die Rechte der Versicherten eingreifenden Gesetzesänderung, des Sozialstaatsprinzips, der Verpflichtung zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und der sozialen Rechte (§§ 1, 2 SGB I), des Gebotes ausreichender Information und Beratung sowie der Verpflichtung zur Führung von Versicherungskonten gem § 1325 Abs. 1 RVO seien die Rentenversicherungsträger verstärkt zur Information verpflichtet gewesen. Sie hätten im Januar 1984 alle Versicherten, deren Versicherungskonten in den letzten vier Jahren davor keine 36 mit Pflichtbeiträgen belegten Kalendermonate aufwiesen, auf die seit Januar 1984 geltenden Änderungen für den Anspruch auf Versichertenrenten wegen Erwerbsminderung hinweisen und zur Überprüfung ihres Versicherungsverhältnisses auffordern müssen.
Eine solche Aktion sei auch ohne großen Verwaltungs- und Zeitaufwand im Wege eines einfachen Programmes möglich gewesen. Die Beklagte habe sich jedoch wie andere Rentenversicherungsträger auf die allgemeine Veröffentlichung in der Presse beschränkt. Dies reiche nicht aus, weil der breiten Masse der Versicherten Fachpresse, Aufklärungsbroschüren und Informationsblätter nicht zugänglich seien, die allgemeinen Hinweise in Presse, Funk und Fernsehen aber nur geringen Raum eingenommen hätten. Die Beklagte habe selbst dem Grunde nach eine gesteigerte Aufklärungspflicht anerkannt und zugegeben, den Versicherten, die im Jahre 1983 freiwillige Beiträge oder als pflichtversicherte Selbständige oder versicherungspflichtige Handwerker Beiträge entrichtet hätten, ein Anschreiben mit Hinweisen auf die verschärften Voraussetzungen für den Anspruch auf EU- oder BU-Rente übersandt zu haben. Im Hinblick auf Art 3 des Grundgesetzes (GG) sei nicht einzusehen, aus welchem Grunde die "latent Versicherten" (wie sie) nicht ebenfalls direkt aufgeklärt worden seien. Die Unterlassung der Beklagten, sie im Jahre 1984 über die Notwendigkeit der Anwartschaftserhaltung durch Beitragsentrichtung aufzuklären, sei ursächlich dafür gewesen, daß sie keine freiwilligen Beiträge für das Jahr 1984 entrichtet habe.
Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des LSG vom 14. März 1990 sowie das Urteil des SG vom 28. Juni 1988 und den Bescheid der Beklagten vom 14. Februar 1986 aufzuheben und |
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die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 1. Oktober 1985 Rente wegen EU zu gewähren, und sie zu verpflichten, die freiwillige Beitragsnachentrichtung vom 1. Januar 1984 bis 31. Dezember 1984 entgegenzunehmen. |
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Die Beklagte beantragt,
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die Revision zurückzuweisen. |
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Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt ergänzend vor, die Versicherten seien hinreichend über die neue Rechtslage aufgeklärt worden. Der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) und die einzelnen Versicherungsträger seien im Herbst 1983 und in der ersten Hälfte des Jahres 1984 an Lokalzeitungen und Anzeigenblätter herangetreten, um für Publikationen zu diesem Thema zu sorgen; dies sei auch mit vorgefertigten Druckvorlagen geschehen. Auf die Veröffentlichung in Fachzeitschriften und die Verbreitung der Informationen durch dpa habe man sich nicht verlassen. Bei der Erfüllung ihres Aufklärungsauftrages habe sie auch die jeweiligen Dienstherren - wie insbesondere die Deutsche Bundespost - in ihre Aktivitäten einbezogen, die ihre beamteten Mitarbeiter auf die veränderten Anspruchsvoraussetzungen hingewiesen hätten.
Für die von der Klägerin geltend gemachte individuelle Aufforderung gebe es keine gesetzliche Grundlage. Ein Anschreiben der "latent Versicherten" würde die Aufklärungspflicht überdehnen; es müsse darüber hinaus wegen der erheblichen tatsächlichen Schwierigkeiten fraglich bleiben, ob ein solches Vorgehen den Erfolg gehabt hätte, den sich die Revision davon verspreche. Angesichts dessen und des sehr erheblichen Aufwands hätten die Rentenversicherungsträger auf die bewährten Mittel zur Aufklärung zurückgreifen dürfen. Schließlich sei nicht geklärt, ob die Klägerin bei entsprechender Information tatsächlich im Jahre 1984 die Zahlung freiwilliger Beiträge aufgenommen hätte. Zu berücksichtigen sei auch, daß die Klägerin als Beamtin über § 14a des Beamtenversorgungsgesetzes (BeamtVG) einen Ausgleich für den verlorengegangenen Anspruch auf EU-Rente erhalten habe.
II
Die Revision der Klägerin ist zulässig.
Eine im Revisionsverfahren unzulässige Klageänderung (§ 168 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]) liegt nicht vor. Das mit der Revision verfolgte Klagebegehren entspricht ungeachtet der Fassung der Anträge (§ 123 SGG) im wesentlichen dem im Berufungsverfahren geltend gemachten Anspruch. Dort hat die Klägerin zwar nach dem Wortlaut ihres Antrages die - unbedingte - Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von EU-, hilfsweise BU-Rente schlechthin, im Revisionsverfahren indessen nunmehr die Verurteilung der Beklagten zur Rentengewährung und - in Verbindung damit - zur Entgegennahme einer freiwilligen Beitragsnachentrichtung beantragt. Nach der für die Auslegung von Prozeßhandlungen einschließlich der Klageanträge entsprechend anzuwendenden Auslegungsregel des § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), wonach der wirkliche Wille zu erforschen und zu berücksichtigen ist (BSGE 63, 93, 94 = SozR 2200 § 205 Nr. 65; BSG SozR 3-7140 § 90a Nr. 1), muß das im Berufungsverfahren hilfsweise verfolgte Begehren aber i.S. des mit der Revision verfolgten Begehrens verstanden werden. Die Klägerin hat nämlich den von ihr geltend gemachten Rentenanspruch im Berufungsverfahren einmal darauf gestützt, ihre Dienstzeit als Beamtin sei als "Streckungstatbestand" anzusehen und ihr stehe daher die geltend gemachte Versichertenrente ohne weiteres zu; zum anderen hat sie (hilfsweise) vorgetragen, sie müsse wegen des Fehlverhaltens der Beklagten im Wege des Herstellungsanspruchs zur Beitragsnachentrichtung zugelassen werden, um die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die begehrte Leistung zu erfüllen. Das Revisionsbegehren und das hilfsweise verfolgte Berufungsbegehren betreffen die durch fristgemäße Beitragsnachentrichtung bedingte Verurteilung der Beklagten zur Gewährung der Versichertenrente. Dieses Klageziel kann die Klägerin zulässigerweise mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) verfolgen (vgl. BSG SozR 3-1500 § 54 Nr. 3).
Die Revision ist aber nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung von EU-Rente nach fristgemäßer Beitragsentrichtung, wie das LSG zutreffend entschieden hat.
Maßgeblich für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch ist das bis zum 31. Dezember 1991 geltende Recht, denn der Rentenantrag ist bereits im September 1985 - also bis zum 31. März 1992 - gestellt worden und bezieht sich auch auf die Zeit vor dem 1. Januar 1992 (§ 300 Abs. 2 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Rentenversicherung - [SGB VI]; vgl. BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 29; SozR 3-1200 § 14 Nr. 6).
Der hiernach anzuwendende § 1247 RVO i.d.F. des HBegleitG 1984 setzt voraus, daß die erwerbsunfähige Versicherte die allgemeine Wartezeit erfüllt und zuletzt vor Eintritt der EU eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat. Unter welchen Voraussetzungen zuletzt vor Eintritt des Versicherungsfalles eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt worden ist, regelt § 1246 Abs. 2a RVO i.d.F. des HBegleitG 1984, auf den § 1247 Abs. 2a RVO verweist. Grundsätzlich fordert § 1246 Abs. 2a Satz 1 Nr. 1 RVO, daß von den letzten 60 Kalendermonaten vor Eintritt der BU mindestens 36 Kalendermonate mit Beiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind. Nach der Übergangsregelung in Art 2 § 6 Abs. 2 Satz 1 ArVNG gilt § 1247 Abs. 1 RVO in der am 31. Dezember 1983 geltenden Fassung auch für Versicherungsfälle nach diesem Zeitpunkt, wenn der Versicherte vor dem 1. Januar 1984 eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt (Nr 1 a.a.O.) und jeden Kalendermonat in der Zeit vom 1. Januar 1984 bis zum Ende des Kalenderjahres vor Eintritt des Versicherungsfalles mit Beitragszeiten oder mit Aufschubzeiten nach § 1246 Abs. 2a RVO belegt hat (Nr 2 a.a.O.).
Da für die Klägerin nach den bindenden Feststellungen (§ 163 SGG) des LSG Pflichtbeiträge lediglich bis Juni 1972 entrichtet worden sind, erfüllt sie die Erfordernisse des § 1246 Abs. 2a RVO nicht. Auch unter Beachtung der Übergangsregelung des Art 2 § 6 Abs. 2 ArVNG sind die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die begehrte Leistung nicht gegeben. Die Klägerin hat zwar nach der Rentenakte der Beklagten, auf die das LSG zur Ergänzung des Tatbestandes seines Urteils Bezug genommen hat, bereits vor dem 1. Januar 1984 die erforderliche Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt (Art 2 § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ArVNG). Die weiteren Voraussetzungen dieser Vorschrift könnte sie nur durch freiwillige Beitragsentrichtung erfüllen; sämtliche Monate von Januar 1984 bis zum Ablauf des Kalenderjahres vor Eintritt der EU (1985), also bis Dezember 1984, müßten mit Beiträgen belegt sein. Das ist nicht der Fall. Sie ist auch nicht zur Nachentrichtung der fehlenden Beiträge berechtigt.
Die Klägerin kann die erforderlichen Beiträge wegen § 1418 Abs. 1 RVO grundsätzlich nicht mehr wirksam entrichten, weil nach dieser Vorschrift freiwillige Beiträge unwirksam sind, wenn sie nach Ablauf des Kalenderjahres, für das sie gelten sollten, entrichtet werden. Der im September 1985 gestellte Rentenantrag konnte die in diesem Zeitpunkt bereits verstrichene Frist zur Beitragsentrichtung für das Jahr 1984 nicht mehr gem § 1420 Abs. 2 RVO hemmen.
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist zur Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen ist nach § 27 Abs. 5 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs - Verwaltungsverfahren - (SGB X) unzulässig, weil sie nach Sinn und Zweck des § 1418 RVO ausgeschlossen ist. Diese Vorschrift enthält eine detaillierte Regelung, unter welchen Voraussetzungen eine spätere Entrichtung von Beiträgen noch in Betracht kommt, wenn die Versicherte die Frist ohne ihr Verschulden versäumt hat (BSG SozR 2200 § 1418 Nr. 8). Die abgestufte Regelung des § 1418 Abs. 2 und 3 RVO bezieht sich nur auf Pflichtbeiträge; daraus ist zu schließen, daß eine Wiedereinsetzung für die Entrichtung freiwilliger Beiträge nicht möglich sein soll.
Eine "Nachsichtgewährung" kommt nicht mehr in Betracht, weil derartige Erwägungen nunmehr in § 27 SGB X gesetzlich konkretisiert und bei Versäumung materiell-rechtlicher Ausschlußfristen nur noch ausnahmsweise anzuwenden sind (vgl. BSGE 64, 153, 157 = SozR 1300 § 27 Nr. 4; Urteile des erkennenden Senats vom 25. August 1993 - 13 RJ 27/92 - und - 13 RJ 43/92 -, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Auch im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs kann der Klägerin ein Recht zur Nachentrichtung von Beiträgen für das Jahr 1984 nicht eingeräumt werden. Zwar stehen die Abs. 2 und 3 des § 1418 RVO einem solchen Anspruch nicht entgegen, denn diese Vorschriften sind auf die Nachentrichtung von Pflichtbeiträgen beschränkt (vgl. BSG SozR 2200 § 1418 Nr. 8; SozR 3-1200 § 14 Nr. 5). Die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Herstellungsanspruchs sind jedoch nicht gegeben.
Der von der Rechtsprechung entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist auf Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung des Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Versicherungsträger die ihm aufgrund eines Gesetzes oder konkreten Sozialrechtsverhältnisses dem Versicherten gegenüber erwachsenden Pflichten, insbesondere zur Auskunft und Beratung, ordnungsgemäß wahrgenommen hätte (ständige Rechtsprechung; vgl. BSG SozR 1200 § 14 Nrn 8, 9 mwN; Urteile des erkennenden Senats vom 29. Oktober 1991 - 13/5 RJ 38/89 -und vom 25. August 1993 - 13 RJ 27/92 - und - 13 RJ 43/92 -).
Auf eine Verletzung der allgemeinen Aufklärungspflicht nach § 13 SGB I kann die Klägerin ihren Herstellungsanspruch nicht stützen. Nach § 13 SGB I sind die Leistungsträger, ihre Verbände und die sonstigen im SGB genannten öffentlich-rechtlichen Vereinigungen verpflichtet, im Rahmen ihrer Zuständigkeit die Bevölkerung über ihre Rechte und Pflichten nach dem SGB aufzuklären. Unter "Aufklärung" ist dabei die allgemeine und abstrakte Unterrichtung der Bevölkerung, insbesondere aller von den sozialen Rechten und Pflichten möglicherweise Betroffenen, die im einzelnen in der Regel nicht bekannt sind, zu verstehen (vgl. Hauck/Haines, SGB I, K § 13 Rz 5). Diese Aufklärungspflicht begründet nach der Rechtsprechung des BSG regelmäßig kein subjektives Recht des Versicherten gegenüber dem Versicherungsträger; aus ihrer Verletzung erwächst dem Betroffenen daher grundsätzlich kein Herstellungsanspruch (vgl. BSGE 67, 90, 94 = SozR 3-1200 § 13 Nr. 1 mwN; BSG Urteil vom 21. April 1993 - 5 RJ 58/91 -).
Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn ein Versicherungsträger eine unrichtige oder mißverständliche Allgemeininformation, z.B. in einem von ihm herausgegebenen Merkblatt, verbreitet hat und ein Versicherter dadurch etwa von der rechtzeitigen Ausübung eines Gestaltungsrechts abgehalten worden ist (vgl. BSG SozR 3-1200 § 13 Nr. 1; Urteil vom 15. Dezember 1983 - 12 RK 6/83 - USK 83163). Einen solchen Informationsfehler trägt die Klägerin aber nicht vor. Da ihr mithin unter dem Gesichtspunkt der Verletzung von Aufklärungspflichten ein Herstellungsanspruch auf Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen in keinem Fall zustehen kann, ist nicht zu untersuchen, ob die Beklagte ihrer generellen Aufklärungspflicht in vollem Umfang nachgekommen ist oder ob sie - wie die Klägerin meint - insoweit größere Anstrengungen unternehmen mußte.
Die Beklagte hat auch keine der Klägerin gegenüber gem § 14 SGB I bestehende Pflicht zur Beratung verletzt. In der Regel wird eine solche Pflicht erst durch ein entsprechendes Begehren ausgelöst (vgl. BSG SozR 1200 § 14 Nrn 9, 12). Allerdings ist der Versicherungsträger, auch wenn ein Beratungsbegehren - wie hier -nicht vorliegt, gehalten, die Versicherte bei Vorliegen eines konkreten Anlasses von sich aus "spontan" auf klar zutage liegende Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen, die sich offensichtlich als zweckmäßig aufdrängen und die von jeder verständigen Versicherten mutmaßlich genutzt werden (so schon BSG SozR Nr. 3 zu § 1233 RVO; vgl. ferner BSG SozR 1200 § 14 Nrn 15, 25; SozR 3-1200 § 14 Nrn 5, 6). Ein solcher konkreter Anlaß kann sich nach der Rechtsprechung des BSG etwa aus einem laufenden Rentenfeststellungsverfahren (vgl. BSGE 46, 124, 126 = SozR 2200 § 1290 Nr. 11; BSG SozR 5750 Art 2 § 6 Nr. 4) oder nach dem erfolglosen Abschluß eines Rentenverfahrens bzw. eines Rechtsstreits über die beanspruchte Rente ergeben (vgl. BSGE 41, 126, 128 = SozR 7610 § 242 Nr. 5; BSG Urteil vom 23. April 1990 - 5 RJ 65/89 -; Urteil des erkennenden Senats vom 25. August 1993 - 13 RJ 43/92 -).
Ein konkreter Anlaß zur Beratung im Hinblick auf die gesetzlichen Änderungen im HBegleitG 1984 ergab sich für die Beklagte nicht bereits anläßlich des Kontenklärungsverfahrens im Jahre 1982; sie konnte damals die erst am 22. Dezember 1983 vom Bundestag beschlossenen gesetzlichen Neuregelungen noch nicht kennen. Bei Einleitung des Rentenverfahrens im Jahre 1985, dem nächsten direkten Kontakt zwischen der Klägerin und der Beklagten, war die Beitragsentrichtungsfrist bereits abgelaufen.
Zwar hat das BSG entschieden, daß konkreter Anlaß zu einer Beratung auch schon dann gegeben sein kann, wenn zu erkennen ist, daß die Versicherte zu einem Personenkreis gehört, auf den eine für die Ansprüche aus der Rentenversicherung bedeutsame gesetzliche Regelung Anwendung findet (BSG SozR 1200 § 14 Nr. 15). Auch diese Entscheidung bezieht sich aber nur auf Fälle, in denen sich bei der Bearbeitung der Rentenakten (zB im Kontenklärungsverfahren) ein konkreter Anlaß ergab, der Versicherten einen Hinweis auf Gestaltungsmöglichkeiten zu geben.
Eine Beratungspflicht ließe sich hier mithin nur begründen, wenn der Versicherungsträger verpflichtet wäre, bei gesetzlichen Änderungen mit schwerwiegenden Folgen für die Ansprüche aus der Rentenversicherung alle bei ihm geführten Versicherungskonten daraufhin zu überprüfen, ob sie Anlaß für eine spontane Beratung geben. Dies meint offenbar auch die Klägerin, wenn sie die Beklagte für verpflichtet hält, durch ein "einfaches Programm" diejenigen Versicherten zu ermitteln, für die die Gesetzesänderung bedeutsam sein könnte. Diesen Vorstellungen liegt jedoch ein Konzept der Beratung zugrunde, das nicht mehr von einem erkennbaren Beratungsanlaß ausgeht, sondern eine Verpflichtung des Versicherungsträgers zur gezielten Prüfung der konkreten Betroffenheit ohne Rücksicht auf ein individuelles Beratungsbedürfnis konstituiert. Ob eine solche Ausweitung der Beratungspflicht generell ausgeschlossen oder in bestimmten Ausnahmefällen geboten ist, muß hier nicht abschließend entschieden werden. Ausnahmen müßten sich jedenfalls auf Fälle beschränken, in denen das vom Gesetzgeber mit der Rechtsänderung verfolgte Anliegen anders nicht oder nur sehr unvollkommen erreicht, insbesondere der soziale Schutz nicht gewährleistet werden könnte (s dazu BSG SozR 1200 § 14 Nr. 16). Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor.
Die Klägerin war Beamtin und erfüllte nach den Feststellungen des LSG die Voraussetzungen des § 14a BeamtVG in der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Fassung, die auf sie Anwendung findet. Diese Vorschrift ist durch das Vierte Gesetz zur Änderung besoldungsrechtlicher Vorschriften vom 20. Dezember 1985 (BGBl. I S. 2466) in das BeamtVG eingefügt worden. Sie hat den Zweck, die Folgen jedenfalls zum Teil auszugleichen, die sich durch die mit dem HBegleitG 1984 durchgeführten Sparmaßnahmen für Beamtinnen und Beamte mit Vorversicherungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung ergeben, die also trotz Erfüllung der nach bisherigem Recht erforderlichen Wartezeit von 60 Kalendermonaten und Vorliegens von BU oder EU keine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit erhalten (vgl. Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, BeamtVG, § 14a Rz 1). Die Regelung ist so ausgestaltet, daß der von der betroffenen Beamtin oder dem betroffenen Beamten erdiente Ruhegehaltssatz nach Maßgabe der Pflichtbeitragszeiten, die bei der Rente für die Erfüllung der Wartezeit zu berücksichtigen sind, bis längstens zum 65. Lebensjahr - dann besteht aufgrund der Rentenanwartschaft Anspruch auf das Regelaltersruhegeld - erhöht wird; die Pflichtbeitragszeiten werden also (vorübergehend) in die Beamtenversorgung einbezogen, wobei sogar eine Besserstellung nicht ausgeschlossen ist (vgl. Stegmüller/Schmalhofer/Bauer a.a.O.). Zwar bleibt den durch die Regelungen im HBegleitG 1984 betroffenen Beamtinnen und Beamten das Recht, sich neben der Beamtenversorgung die Anwartschaften auf Renten wegen Erwerbsminderung zu erhalten; deshalb besteht auch ihnen gegenüber grundsätzlich eine Aufklärungspflicht und eine Beratungspflicht. Sie sind jedoch im Hinblick auf ihre Beamtenversorgung und die Vergünstigung in § 14a BeamtVG, durch die die Versorgungslücke uU vollständig ausgefüllt wird, nicht in so schwerwiegendem Maße betroffen, daß eine "Beratungspflicht besonderer Art" im Wege richterlicher Rechtsfortbildung entwickelt werden müßte, um dem gesetzgeberischen Anliegen, mit der Gewährleistung der Anwartschaftserhaltung durch freiwillige Beitragsentrichtung soziale Sicherheit zu gewährleisten, Rechnung zu tragen.
Der Herstellungsanspruch kann auch nicht auf ein pflichtwidriges Verhalten eines Dritten - etwa des Dienstherrn der Klägerin (Deutsche Bundespost) - gestützt werden (s dazu BSG SozR 1200 § 14 Nr. 20). Soweit sich die Beklagte zur Erfüllung ihrer Aufklärungspflicht nach § 13 SGB I des Dienstherrn bedient hat, gilt für etwaige Versäumnisse bei diesem das gleiche wie für die Beklagte selbst. Eine Fehlinformation durch die Deutsche Bundespost, die sie von der rechtzeitigen Beitragsentrichtung abgehalten hätte, trägt die Klägerin jedoch nicht vor. Anders als in der zitierten Entscheidung des BSG (a.a.O.) war der Dienstherr hier auch nicht in ein konkretes das Versicherungsverhältnis betreffendes Verfahren, aus dem sich eine Beratungspflicht hätte ergeben können, eingeschaltet. Außer der allgemeinen Aufklärung nach § 13 SGB I war versicherungsrechtlich nichts zu veranlassen.
Es kann dahingestellt bleiben, ob der Dienstherr der Klägerin im Rahmen seiner Fürsorgepflicht zur Beratung über die durch das HBegleitG eingeführten Rechtsänderungen verpflichtet war. Dabei würde es sich nicht um eine im Rahmen des Rentenversicherungsverhältnisses, sondern des Beamtenverhältnisses der Klägerin bestehende Pflicht handeln, aus der sich kein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch herleiten ließe und über die im übrigen die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nicht zu entscheiden hätten.
Die gesetzlichen Regelungen, nach denen die Klägerin nach alledem nicht in den Genuß einer Rente wegen Erwerbsminderung kommt, sind auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das BVerfG hat bereits entschieden, daß diese Regelungen mit Art 14 Abs. 1 und Art 3 Abs. 1 GG vereinbar sind, soweit danach Versicherte, die vor dem 1. Januar 1984 eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt hatten, ihre Anwartschaften nur durch Weiterzahlung von Beiträgen aufrechterhalten können (BVerfG Beschluß vom 8. April 1987 - 1 BvR 564/84 u.a. - BVerfGE 75, 78ff. = SozR 2200 § 1246 Nr. 142). Einer der Beschwerdeführer in diesen Verfahren war Beamter, also insoweit in derselben Situation wie die Klägerin; es ist daher davon auszugehen, daß das BVerfG bei seiner Entscheidung auch die Gruppe der Beamten mit Vorversicherungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung berücksichtigt hat. Gerade bei diesem Personenkreis sind verfassungsrechtliche Bedenken nicht angezeigt, weil er im Hinblick auf die Regelung des § 14a BeamtVG durch die Modifikation der Anwartschaften auf Renten wegen Erwerbsminderung weniger betroffen ist als andere Gruppen, die ohne einen entsprechenden Ausgleich auf Beitragszahlung zur Aufrechterhaltung ihrer Anwartschaften angewiesen sind.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.13 RJ 19/92
BUNDESSOZIALGERICHT
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