Entscheidungsstichwort (Thema)
Maurermeister. Handwerksmeister, selbständiger. Bauunternehmer. Beruf, bisheriger. besonders hoch qualifizierter Facharbeiter. Facharbeiter mit Vorgesetztenfunktion. Berufsunfähigkeit. Verweisbarkeit. Verweisungstätigkeit
Leitsatz (amtlich)
- Ein selbständiger Handwerksmeister, der trotz gesundheitlicher Leistungseinschränkungen noch Tätigkeiten in seinem eigenen Betrieb verrichten kann, deren Wert mindestens die Hälfte des vor Eintritt dieser Leistungseinschränkungen erzielten “Unternehmerlohns” erreicht, ist nicht berufsunfähig.
- Die Verweisung eines selbständigen Handwerksmeisters auf unselbständige Tätigkeiten ist auch dann nicht unzumutbar, wenn dieser zur Aufnahme einer solchen Beschäftigung den eigenen Betrieb schließen bzw zur Weiterführung des Betriebes einen Betriebsmeister einstellen muß.
Normenkette
RVO § 1246 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 9. April 1992 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt die Gewährung von Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit (BU). Streitig ist insbesondere, ob er als selbständiger Maurermeister auf eine unselbständige Tätigkeit verwiesen werden kann, zu deren Ausübung er den eigenen Betrieb aufgeben müßte.
Der 1956 geborene Kläger hat nach dreijähriger Lehrzeit 1973 die Maurergesellenprüfung bestanden, eine zweijährige Ausbildung zum Bautechniker 1977 erfolgreich abgeschlossen und nach entsprechender Fortbildung 1982 die Maurermeisterprüfung abgelegt. Seit 1983 führt er ein eigenes Bauunternehmen, in dem er einen gelernten und drei “angelernte” Maurer beschäftigt. Er hat zuletzt Pflichtbeiträge nach dem Handwerkerversicherungsgesetz (HwVG) geleistet.
Den im November 1987 gestellten Antrag auf Gewährung von Rente wegen BU oder Erwerbsunfähigkeit (EU) lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 29. März 1988 ab, weil der Kläger weiterhin aufsichtsführende Tätigkeiten im eigenen Betrieb vollschichtig verrichten könne. Das Sozialgericht für das Saarland (SG) wies die Klage mit Urteil vom 20. August 1991 ab; der Kläger könne mit seinem Restleistungsvermögen seine bisherige Tätigkeit als Maurer zwar nicht mehr ausüben, sei aber zumutbar auf die (unselbständige) Tätigkeit eines Bautechnikers im Bürobereich (Bauplanungstechniker, Baukonstruktionstechniker oder Baukalkulator) zu verweisen.
Auf die Berufung des Klägers verurteilte das Landessozialgericht für das Saarland (LSG) die Beklagte mit Urteil vom 9. April 1992 unter Aufhebung des Urteils des SG und des Bescheides vom 29. März 1988, dem Kläger “Übergangsgeld bzw Versichertenrente wegen BU nach einem Versicherungsfall im November 1987 zu gewähren”. Zur Begründung führte es aus, der Kläger könne auf die Tätigkeit im eigenen Betrieb nicht verwiesen werden, weil es sich dabei um einen kleinen, allenfalls mittleren Handwerksbetrieb handele, wo der Inhaber selbst körperlich mitzuarbeiten habe. Die Ausübung einer Tätigkeit als Bautechniker im Bürobereich oder einer gleichwertigen Tätigkeit sei ihm nicht zuzumuten. Zwar müsse er sich als Meister mit Vorgesetztenfunktion generell auf eine Facharbeitertätigkeit verweisen lassen, die er nach seinen gesundheitlichen und persönlichen Fähigkeiten verrichten könne, und er sei aufgrund seiner fachlichen Qualifikation auch geeignet und in der Lage, die Tätigkeit eines Bauplanungstechnikers, Bautechnikers in der Konstruktion oder Baukalkulators bei einer Einarbeitungszeit bis zu drei Monaten vollwertig auszuüben. Bei Annahme einer vollschichtigen Tätigkeit außerhalb des eigenen Betriebes wäre der Kläger aber aufgrund der bei ihm vorliegenden Gesundheitsstörungen nicht mehr in der Lage, in seinem Bauunternehmen zusätzlich aufsichtsführende oder überwachende Tätigkeiten zu verrichten; er wäre gezwungen, den eigenen Betrieb aufzugeben oder einen Betriebsmeister einzustellen. Dies könne ihm nicht zugemutet werden.
Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision macht die Beklagte eine Verletzung des § 1246 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und des § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) geltend. Der Kläger sei sozial zumutbar zumindest auf die Tätigkeit eines Bautechnikers im Bürobereich verweisbar. Die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit und die Pflichtversicherung stünden der Verweisbarkeit auf eine abhängige Beschäftigung nicht entgegen, ein “Gruppenschutz” sei mit der sozialen Rentenversicherung nicht vereinbar. Das Risiko eines selbständigen Handwerksmeisters, seinen Betrieb aus gesundheitlichen Gründen nicht weiterführen zu können, sei nicht der gesetzlichen Rentenversicherung zuzuordnen.
Auch wenn der Kläger nicht auf eine abhängige Beschäftigung verwiesen werden könne, müsse das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an das LSG zurückverwiesen werden. Das Berufungsgericht habe zwar zutreffend ausgeführt, daß der Kläger bei einer allenfalls mittleren Betriebsgröße nicht auf eine Tätigkeit im eigenen Betrieb verwiesen werden könne. Es habe jedoch nicht näher geprüft, ob seine körperliche Mitarbeit wegen der Ausstattung und Organisation des Betriebes entbehrlich gewesen sei und er schon immer nur die planenden und organisierenden Tätigkeiten übernommen gehabt habe; in diesem Falle könne er noch seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit ausüben, so daß es auf eine Verweisungstätigkeit nicht ankäme. Insbesondere habe das LSG feststellen müssen, wie der Betrieb in der Zeit vor Eintritt des Versicherungsfalls im November 1987 organisiert gewesen sei. BU läge nur dann vor, wenn der Kläger aufgrund seines Gesundheitszustands genötigt gewesen wäre, die eigentlich ihm zufallenden, nicht unerheblichen handwerklichen Tätigkeiten durch einen Gehilfen ausführen zu lassen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG vom 9. April 1992 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und führt ergänzend aus, er habe im eigenen Betrieb überwiegend körperlich mitgearbeitet. In Ausdehnung des anerkannten Grundsatzes, daß ein Angehöriger seiner Versichertengruppe nicht allein auf Tätigkeiten überwiegend überwachender Art verwiesen werden könne, habe das LSG zu Recht die Aufgabe des eigenen Unternehmens mit ihren sozialen Folgen infolge der Aufnahme einer Tätigkeit in einem Fremdbetrieb als sozial nicht zumutbar angesehen.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist zulässig und begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das LSG. Die berufungsgerichtlichen Feststellungen reichen für die Beurteilung, ob das LSG die Beklagte zu Recht unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils zur Gewährung von BU-Rente verurteilt hat, nicht aus. Es sind ergänzende Feststellungen zum bisherigen Beruf des Klägers, zu seiner Fähigkeit, mit seinem Restleistungsvermögen noch im eigenen Betrieb die “Lohnhälfte” zu erzielen, und ggf zu einer zumutbaren Verweisungstätigkeit erforderlich.
Der Anspruch des Klägers auf Versichertenrente wegen BU richtet sich noch nach der Vorschrift des § 1246 RVO, die für den Bereich der Handwerkerversicherung entsprechend anwendbar ist (§ 1 Abs 5 HwVG; vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 32, 54). Der Rentenantrag ist nämlich bereits im November 1987 – also bis zum 31. März 1992 – gestellt worden und bezieht sich auch auf die Zeit vor dem 1. Januar 1992 (§ 300 Abs 2 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Rentenversicherung – ≪SGB VI≫). Dies gilt auch für einen möglichen Anspruch auf vorgezogenes Übergangsgeld gem § 1241d Abs 1 RVO.
Berufsunfähig ist nach § 1246 Abs 2 RVO ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können.
Ausgangspunkt für die Prüfung der BU ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) der “bisherige Beruf”, den der Versicherte ausgeübt hat (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 107, 169). In der Regel ist dies die letzte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit, von der auch bei nur kurzfristiger Ausübung auszugehen ist, wenn sie zugleich die qualitativ höchste im Berufsleben des Versicherten gewesen ist (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 130, 164).
Nach den Feststellungen des LSG, die für den Senat bindend sind (§ 163 SGG), war der Kläger zuletzt als selbständiger Maurermeister mit einem eigenen Bauunternehmen tätig und hat Pflichtbeiträge nach dem HwVG entrichtet. Diese Tätigkeit war daher der “bisherige Beruf” des Klägers. Das LSG ist hingegen vom “erlernten Beruf des Maurers” ausgegangen, den der Kläger angesichts seiner gesundheitlichen Leistungseinschränkungen nicht mehr ausüben könne. Sodann hat es ausgeführt, auf die Tätigkeit im eigenen Betrieb könne der Kläger nicht “verwiesen” werden, weil es sich dabei um einen “kleinen, allenfalls mittleren” Betrieb handele, in dem der Inhaber körperlich mitzuarbeiten habe. Das LSG ist also bei der Beurteilung der BU statt vom “bisherigen” vom “erlernten” Beruf ausgegangen und hat die zuletzt versicherungspflichtig ausgeübte “Tätigkeit im eigenen Betrieb” nicht als “bisherigen Beruf”, sondern bereits als mögliche Verweisungstätigkeit behandelt. Auf die Fähigkeit zur Ausübung eines erlernten Berufs kommt es bei der Beurteilung der BU im Rahmen des § 1246 Abs 2 RVO jedoch nur an, wenn dieser – anders als hier – zugleich der “bisherige Beruf” ist oder wenn er als Verweisungstätigkeit in Betracht kommt.
Ob der Kläger seinen “bisherigen Beruf” als selbständiger Maurermeister noch ausüben kann, ist den Feststellungen des LSG nicht mit hinreichender Sicherheit zu entnehmen. Angesichts der Vielgestaltigkeit des Berufsbildes des selbständigen handwerklichen Unternehmers (Einmannbetrieb, mittlerer Betrieb und Großbetrieb, vgl BSGE 48, 65, 67 = SozR 2200 § 1246 Nr 39) kann nach der ständigen Rechtsprechung des BSG von einem pflichtversicherten Handwerker, der keinen Einmannbetrieb führt, sondern Arbeitnehmer beschäftigt, nicht ohne weiteres gesagt werden, ob und in welchem Umfang sein bisheriger Beruf iS des § 1246 Abs 2 RVO körperliche Mitarbeit erfordert. Dies bedarf vielmehr der Untersuchung und Feststellung im Einzelfall (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 39, 54; Verbandskommentar, § 43 SGB VI, RdNr 11).
Das LSG hat aus der Betriebsgröße geschlossen, daß körperliche Mitarbeit des Klägers erforderlich war. Diese Folgerung ist zwar nicht ohne weiteres überzeugend (vgl BSG aaO); zulässige und begründete Verfahrensrügen hiergegen sind aber nicht erhoben worden. Es fehlen aber noch Feststellungen darüber, in welchem Umfang der Kläger körperlich mitarbeiten mußte. Diese sind erforderlich, weil nur nach genauer Kenntnis von Art und Umfang der körperlichen Mitarbeit beurteilt werden kann, welchen Anteil und welche Bedeutung die körperliche Mitarbeit im Rahmen der Berufsausübung hatte und ob dadurch die Erwerbsfähigkeit des Klägers in seinem bisherigen Beruf auf weniger als die Hälfte derjenigen eines vergleichbaren gesunden Versicherten herabgesunken ist. Falls die Ermittlungen ergeben, daß der Kläger schon früher aus gesundheitlichen Gründen gezwungen war, die an sich erforderliche körperliche Mitarbeit in seinem Betrieb einzuschränken, so ist von der Mitarbeit auszugehen, die er in gesundem Zustand erbracht hätte. Dies gilt auch dann, wenn er aus gesundheitlichen Gründen genötigt war, die körperliche Mitarbeit vollständig aufzugeben, und er diesen Ausfall zB durch Einstellung eines sonst nicht benötigten Arbeitnehmers ausgeglichen (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 39) oder wenn er den Betrieb eingeschränkt hat. Da der erkennende Senat die dazu erforderlichen Feststellungen nicht selbst treffen kann, war die Sache an das LSG zurückzuverweisen.
Ergeben die Ermittlungen, daß der Kläger infolge der eingetretenen gesundheitlichen Leistungseinschränkungen nur noch einen Teil der Tätigkeiten, die er als körperlich Gesunder in seinem Betrieb ausgeführt hat, verrichten kann, so ist – auch wenn er nicht mehr körperlich mitarbeiten kann – zu untersuchen, ob er mit seinem Restleistungsvermögen noch in der Lage ist, mindestens die Hälfte des Wertes seiner bisherigen Arbeit (des “Unternehmerlohnes”) zu erzielen. Auf einen Vergleich des tatsächlich erzielten Einkommens aus der selbständigen Tätigkeit vor und nach Eintritt der gesundheitlichen Leistungseinschränkungen kann dabei nicht abgestellt werden.
Die Höhe der Einkünfte aus einem Handwerksbetrieb beruht nicht allein auf dem Wert der beruflichen Arbeit des Selbständigen; sie ist vielmehr von zahlreichen anderen Faktoren wie etwa der Risikobereitschaft, dem Kapitaleinsatz, der wirtschaftlichen Konjunktur, strukturellen und regionalen Wirtschaftsbedingungen und dem Arbeitseinsatz der Beschäftigten abhängig (vgl BSG SozR 3100 § 30 Nr 77). Diese Faktoren sind wie die Arbeitskraft des Versicherten Veränderungen unterworfen. Versichertes Risiko in der gesetzlichen Rentenversicherung – auch der Handwerkerversicherung – ist jedoch nur die Erwerbsminderung des Versicherten durch Krankheit oder Behinderung. Um dies zu berücksichtigen, müssen bei dem Vergleich der Erwerbsfähigkeit vor und nach Eintritt der Leistungsminderung die vom Wert der Arbeitskraft unabhängigen Faktoren außer Betracht bleiben, so daß nur die Entwicklung des durch Einsatz der Arbeitskraft des Selbständigen erzielten “Unternehmerlohns” zu prüfen ist.
Die vergleichende Untersuchung des Wertes der beruflichen Tätigkeit des Selbständigen in diesem Sinne vor und nach Eintritt der leistungsmindernden Gesundheitsstörungen kann etwa durch Hinzuziehung eines berufskundlichen Sachverständigen und ggf auch eines Wirtschaftsprüfers erfolgen. Kommt sie zu dem Ergebnis, daß der Kläger trotz der gesundheitlichen Leistungseinschränkungen noch einen Teil seiner bisher im Betrieb ausgeübten Tätigkeiten verrichten kann und daß deren Wert für den Betrieb mindestens die Hälfte des Wertes der bisherigen Tätigkeit erreicht, so liegt BU nicht vor. Bleibt der Wert dagegen unter dieser Grenze oder ist seine Arbeitskraft – auch nach einer zumutbaren Änderung der Organisationsstruktur – in dem Handwerksbetrieb in wirtschaftlich vertretbarer Weise überhaupt nicht zu verwerten, so ist damit festgestellt, daß der Kläger seinen “bisherigen Beruf” nicht mehr ausüben kann.
Erst dann ist zu prüfen, ob der Kläger zumutbar auf andere Tätigkeiten zu verweisen ist. Dabei kann sich das LSG nicht auf den Standpunkt stellen, die Verweisung auf eine unselbständige Tätigkeit sei für den Kläger wegen der damit verbundenen Notwendigkeit der Betriebsschließung bzw der dann zur Weiterführung erforderlichen Einstellung eines Betriebsleiters unzumutbar. Für die Versicherung der Handwerker gelten die Vorschriften des Vierten Buches der RVO entsprechend (so), somit auch diejenigen über die Verweisung, insbesondere § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO (vgl BSG Urteil vom 21. Februar 1985 – 4 RJ 25/84 – ≪VdKMitt 1985, Nr 8, 34≫). Für den Anspruch auf vorgezogenes Übergangsgeld nach § 1241d Abs 1 RVO gelten hinsichtlich der Verweisbarkeit auf zumutbare Tätigkeiten dieselben Voraussetzungen (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 84). Ein selbständiger Handwerksmeister kann grundsätzlich auf andere selbständige, aber auch auf unselbständige Tätigkeiten verwiesen werden (st Rspr, vgl zB BSG SozR Nr 69 zu § 1246 RVO mit eingehender Begründung; Urteil vom 21. Februar 1985 – 4 RJ 25/84 – ≪VdKMitt 1985, Nr 8, 34≫; Verbandskommentar, § 43 SGB VI, RdNr 11).
Die Aufnahme einer unselbständigen vollschichtigen Tätigkeit wird für den Inhaber eines kleinen oder mittleren Handwerksbetriebs im Regelfall die Notwendigkeit der Schließung des eigenen Betriebes oder der Einstellung eines Betriebsleiters für die Weiterführung mit sich bringen. Darin allein kann eine soziale Unzumutbarkeit für den Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung nicht gesehen werden, denn die Fähigkeit zur Weiterführung des eigenen Betriebes gehört nicht zum dort versicherten Risiko. Versichert ist allein der Wert der eigenen Arbeitskraft, nicht jedoch der aus dem Einsatz von Kapital und fremder Arbeitskraft erzielte Gewinn. BU-Rente kann demnach nur dann gewährt werden, wenn der “Unternehmerlohn” unter die Hälfte desjenigen sinkt, was der selbständige Handwerker als Gesunder verdienen könnte, und wenn zudem Verweisungstätigkeiten nicht in Betracht kommen.
Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, muß sich der Handwerker entscheiden, ob es für ihn wirtschaftlich sinnvoller ist, seine verbleibende Arbeitskraft weiterhin im eigenen Betrieb einzusetzen oder eine zumutbare Verweisungstätigkeit in einem fremden Betrieb auszuüben mit der Folge, daß er den eigenen Betrieb durch einen Angestellten weiterführen, verpachten oder schließen muß. Der in § 1246 Abs 2 RVO verwendete Begriff der Zumutbarkeit erlaubt nicht allgemein eine Berücksichtigung von Härtefällen (vgl BSG SozR Nr 41 zu § 1246 RVO). Dementsprechend hat das BSG auch im Besitz eines Hauses und eines Bäckereibetriebes kein unzumutbares Hindernis für eine Wohnsitzverlegung zur Erlangung einer Arbeitsstelle gesehen (SozEntsch BSG 5 § 1246 (B) Nr 30).
Die Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit beurteilt sich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufs. Zur Erleichterung dieser Beurteilung hat die Rechtsprechung des BSG ein Mehrstufenschema entwickelt, das die Berufstätigkeiten in Gruppen unterteilt, die – von oben nach unten – durch den Leitberuf des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters, des angelernten Arbeiters und des ungelernten Arbeiters charakterisiert sind (vgl zB BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 138, 140). Das LSG hat den Kläger im Ergebnis zutreffend der obersten Gruppe mit dem Leitbild des Facharbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters zugeordnet. In diese Gruppe gehören Versicherte, die ihre zur Gruppe der Facharbeiter zählenden Arbeitskollegen wegen der qualitativen, insbesondere geistigen und persönlichen Anforderungen ihrer bisherigen, tatsächlich verrichteten Arbeiten deutlich überragt haben. Besonders hoch qualifizierte Facharbeiter sind ua Versicherte, die eine Tätigkeit ausgeübt haben, zu der sie sich zusätzlich zu einer vorgeschriebenen, mit einer Facharbeiter- oder Gehilfenprüfung abgeschlossenen Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf durch eine längere planmäßige spezielle weitere Ausbildung mit Prüfungsabschluß qualifiziert haben (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 37, 103, 144 mwN). Facharbeiter mit Vorgesetztenfunktion müssen Weisungsbefugnis gegenüber mehreren anderen Facharbeitern gehabt haben und dürfen selbst nicht Weisungen eines anderen Beschäftigten im Arbeiterverhältnis unterlegen haben (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 44, 145 mwN).
Ob die Tätigkeit des Klägers als selbständiger Maurermeister als die eines Facharbeiters mit Vorgesetztenfunktion zu qualifizieren war, kann auf Grund der Feststellungen des LSG zwar nicht mit der erforderlichen Sicherheit beurteilt werden. Danach beschäftigte der Kläger einen “gelernten” und drei “angelernte” Maurer. Weisungsbefugnis gegenüber mehreren anderen Facharbeitern hätte der Kläger nur dann gehabt, wenn mindestens einer der “Angelernten” die Facharbeitertätigkeit eines Maurers nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübt, die Qualität seiner Arbeit also diesem Berufsbild entsprochen hat (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 150); entsprechende Feststellungen fehlen.
Die Feststellungen des LSG reichen aber dafür aus, die Tätigkeit des Klägers der eines besonders hoch qualifizierten Facharbeiters gleichzustellen. Durch die Absolvierung der mit der Gesellenprüfung abgeschlossenen Maurerausbildung und der durch Ablegung der Meisterprüfung beendeten zusätzlichen Ausbildung zum Maurermeister hat er eine die der übrigen Facharbeiter erheblich übertreffende Qualifikation erlangt. Er hat durch die Meisterprüfung seine Fähigkeit nachgewiesen, einen Handwerksbetrieb selbständig zu führen, Lehrlinge ordnungsgemäß auszubilden sowie die in seinem Handwerk gebräuchlichen Arbeiten meisterhaft verrichten zu können, und er hat dargetan, daß er die notwendigen Fachkenntnisse sowie die erforderlichen betriebswirtschaftlichen, kaufmännischen, rechtlichen und berufserzieherischen Kenntnisse besitzt (s §§ 48, 49 der Handwerksordnung ≪HwO≫; vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 145 mwN). Da der Kläger einen Handwerksbetrieb mit mehreren Arbeitnehmern über einen längeren Zeitraum hinweg selbständig geleitet hat, muß davon ausgegangen werden, daß er überwiegend mit Arbeiten befaßt war, welche die durch die Zusatzausbildung zum Meister vermittelten besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten auf betriebswirtschaftlichem, kaufmännischem, rechtlichem und berufserzieherischem Gebiet erforderten, daß seine meisterlichen Kenntnisse und Fähigkeiten für diese Tätigkeit also prägend gewesen sind.
Da der Kläger in die oberste Gruppe des Mehrstufenschemas einzustufen ist, kann er sozial zumutbar nur auf Tätigkeiten dieser und der nächstniedrigen Gruppe des Mehrstufenschemas, also die mit dem Leitberuf des Facharbeiters verwiesen werden (BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 31, 37, 49, 70). Bei der Suche nach einer Verweisungstätigkeit ist vorrangig zu versuchen, dem bisherigen Beruf verwandte Tätigkeiten aufzufinden (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 16; Urteil des erkennenden Senats vom 25. August 1993 – 13 RJ 59/92 –, zur Veröffentlichung vorgesehen). Zu prüfen wäre daher zunächst etwa eine Bürotätigkeit oder eine aufsichtsführende Tätigkeit in einem größeren Bauunternehmen, einem Architekturbüro oä. Ob die vom LSG für den Kläger grundsätzlich für zumutbar gehaltene Tätigkeit als “Bautechniker im Bürobereich” den Anforderungen an eine Verweisungstätigkeit entspricht, kann den Feststellungen des LSG nicht mit hinreichender Sicherheit entnommen werden. Es finden sich dort weder Ausführungen über den qualitativen Wert, noch differenzierte Angaben über die körperlichen und geistigen Anforderungen einer solchen Tätigkeit noch darüber, ob der Kläger diesen entsprechen kann. Die Feststellung, diese Tätigkeit werde ausschließlich “im Bürobereich” ausgeübt, ist für die Bestimmung des Anforderungsprofils zu unbestimmt, da auch hier verschiedenartige körperliche Belastungen auftreten können (zB Zwangshaltungen, häufiges Bücken).
Bei der Prüfung, ob eine bestimmte – sozial zumutbare – berufliche Tätigkeit als Verweisungstätigkeit in Betracht kommt, muß im einzelnen festgestellt werden, welche Anforderungen in gesundheitlicher und fachlicher Hinsicht diese berufliche Tätigkeit stellt und ob der Versicherte diesen Anforderungen nach seinem gesundheitlichen und geistigen Leistungsvermögen sowie seinem beruflichen Können und Wissen gewachsen ist (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 36, 68, 72, 98; SozR 3-2200 § 1246 Nr 29). Es ist also eine typisierende Arbeitsplatzbeschreibung über den tatsächlichen Umfang der Anforderungen sowie den Arbeitsablauf und typische Belastungssituationen einzuholen (vgl BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr 8 und SozR 3-2200 § 1246 Nr 29).
In der Frage, wie es sich die Kenntnisse über die betreffenden Berufe beschaffen will, steht dem Gericht ein weites Ermessen zu (BSGE 30, 192, 205). Es kann Beschreibungen aus der Literatur heranziehen (zB Arbeitsmedizinische Berufskunde, Sonderbeilage der Zeitschrift “Arbeitsmedizin, Sozialmedizin, Präventivmedizin”), Sachverständigengutachten aus früheren Verfahren einführen oder selbst arbeitswissenschaftliche Institute (zB Universität Stuttgart-Hohenheim, Universität Siegen, Gesamthochschule/Universität Kassel), die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Sachverständige von Innungen, Verbänden oder sonstigen fachkundigen Stellen (zB Arbeitsverwaltung) hören. Regelmäßig unzulässig ist es jedoch, sogenanntes Alltagswissen zugrunde zu legen, weil der tatsächliche Umfang der Anforderungen und des Ablaufs der dem Versicherten zugemuteten Arbeiten von Außenstehenden nur selten vollständig erkannt und richtig eingeschätzt werden kann. Auf berufskundliche Ermittlungen darf ein Gericht deshalb nur dann verzichten, wenn es über eigene Sachkunde verfügt und diese den Beteiligten im Laufe des Verfahrens offenbart hat. Es darf nicht von sich aus ungeprüft berufliche Anforderungen annehmen und entscheiden, inwieweit es die ermittelten gesundheitlichen Leistungseinschränkungen dem Versicherten erlauben, diesen Anforderungen in zumutbarer Weise gerecht zu werden (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 29).
Bei seiner erneuten Entscheidung wird das LSG auch zu beachten haben, daß die Verurteilung zur Gewährung von “Übergangsgeld bzw Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit” unzulässig ist. Der Urteilstenor ist insoweit nicht bestimmt genug; aus ihm geht – auch bei Berücksichtigung des im Berufungsverfahren gestellten (alternativ gefaßten) Antrages und der Entscheidungsgründe – nicht hervor, welche Leistung – Übergangsgeld oder Versichertenrente – für welchen Zeitraum zugesprochen worden ist (s dazu BSG Urteil vom 17. September 1982 – 4 RJ 65/80 – VdKMitt 1982, Nr 3, 32).
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen