Entscheidungsstichwort (Thema)
Kinderzuschlag. Einkommens- bzw Vermögensberücksichtigung. Erbschaft. Zufluss nach Antragstellung. Dauertestamentsvollstreckung. Verfügungsbeschränkung. Beratungspflichten des Leistungsträgers
Leitsatz (amtlich)
Bei der Beurteilung, ob ein Anspruch auf Kinderzuschlag nach Kindergeldrecht besteht, kann der Verwertbarkeit eines Erbes als bereites Mittel eine vom Erblasser angeordnete Dauertestamentsvollstreckung entgegenstehen.
Leitsatz (redaktionell)
1. Entscheidend für die Abgrenzung von Einkommen und Vermögen ist, ob der Erbfall jedenfalls vor der (ersten) Antragstellung eingetreten ist; liegt der Erbfall vor der ersten Antragstellung, handelt es sich um Vermögen.
2. Unbeschadet der Einordnung des Erbes als Einkommen oder als Vermögen setzt die Berücksichtigung jeweils voraus, dass das Erbe als bereite Mittel zur Verfügung steht.
3. Der Verwertbarkeit eines Erbes als bereite Mittel kann eine vom Erblasser angeordnete Dauertestamentsvollstreckung entgegenstehen, da der Testamentsvollstrecker den Nachlass zu verwalten hat, der Erbe insofern nicht verfügen kann und Gläubiger des Erben, die nicht zu den Nachlassgläubigern gehören, sich nicht an die der Verwaltung des Testamentsvollstreckers unterliegenden Nachlassgegenstände halten können.
4. Wenn die Behörde ein Vorgehen der Antragstellerin gegen den Testamentsvollstrecker für angezeigt hält, hat sie diese dabei zu unterstützen, da sie Beratungspflichten aus dem zwischen ihnen bestehenden Sozialrechtsverhältnis hat.
Orientierungssatz
1. Entscheidend für die Abgrenzung von Einkommen und Vermögen bei einem Erbfall ist, ob dieser vor der (ersten) Antragstellung eingetreten ist. Liegt der Erbfall vor der ersten Antragstellung, handelt es sich um Vermögen; liegt er danach, handelt es sich um Einkommen.
2. Trotz des sich aus dem Todestag des Erblassers ergebenden Stichtags für die (normative) Abgrenzung von Einkommen und Vermögen ist das Erbe dem Bedarf als Einkommen bzw Vermögen erst ab dem Zeitpunkt gegenüberzustellen, in dem es dem Hilfebedürftigen tatsächlich als bereite Mittel zur Deckung seines Bedarfs zur Verfügung steht.
3. Der Leistungsträger hat gegenüber dem Hilfebedürftigen Beratungspflichten aus dem zwischen ihnen bestehenden Sozialrechtsverhältnis (§ 14 SGB 1) und muss, wenn er ein Vorgehen gegen den Testamentsvollstrecker für angezeigt hält, den Hilfebedürftigen dabei unterstützen.
Normenkette
BKGG § 6a Abs. 1 Nr. 4; BKGG 1996 § 6a Abs. 1 Nr. 4; SGB 2 § 11 Abs. 1 S. 1; SGB 2 § 12 Abs. 1; BGB § 1922 Abs. 1, § 2205 S. 1, § 2211 Abs. 1, § 2214 Abs. 1, § 2216 Abs. 2; SGB 1 § 14
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird der Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 3. Juni 2013 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Umstritten ist ein Anspruch der Klägerin auf Kinderzuschlag ab Oktober 2009.
Die im Jahr 1975 geborene Klägerin bezog von der beklagten Familienkasse bei der Bundesagentur für Arbeit Kinderzuschlag für fünf Kinder von Oktober 2008 bis September 2009, zuletzt in Höhe von 700 Euro monatlich. Der Ehemann der Klägerin erzielt monatlich ein Arbeitsentgelt von brutto 1521,35 Euro. Mit Schreiben vom 14.9.2009 zeigte die Klägerin der Beklagten an, sie sei Miterbin des am 14.1.2009 verstorbenen L geworden, ihr Erbanteil belaufe sich auf 86 926,94 Euro, nach ihrer späteren Angabe auf 110 444,30 Euro. Das Testament des L enthält folgende Maßgabe: "Der Testamentsvollstrecker soll A G und ihrem Kind nach Möglichkeit aus den Früchten des Vermögens dauerhafte Zuwendungen sichern. Er soll versuchen, den Stamm des ererbten Vermögens zu erhalten. Ist dies nach seinem freien Ermessen untunlich, soll er das ererbte Vermögen in angemessenen, seiner freien Ermessensentscheidung unterliegenden Raten an die Erbin auszahlen." Die Klägerin bat die Beklagte um Mitteilung hinsichtlich der Höhe eines Schonvermögens und bestimmter Verwendungen des Erbes.
Vom 22.9.2009 bis zum 28.2.2010 wurden der Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in unterschiedlicher Höhe vorläufig bewilligt, ab 1.3.2010 wurde die Bewilligung wegen fehlender Hilfebedürftigkeit abgelehnt, weil die Klägerin Kinderzuschlag und Wohngeld erhalten könne. Die beklagte Familienkasse lehnte die Gewährung von Kinderzuschlag ab 1.10.2009 ab, weil das zu berücksichtigende Vermögen in Höhe von 67 886,90 Euro den errechneten Bedarf der Bedarfsgemeinschaft von 1459,17 Euro übersteige (Bescheid vom 9.4.2010; Widerspruchsbescheid vom 31.8.2010).
Im erstinstanzlichen Verfahren hat die Klägerin angegeben, "derzeit eine monatliche Zahlung in Höhe von 500 Euro zur Absicherung des Lebensunterhalts und zur Kompensierung des Ausfalls des Kinderzuschlags" vom Testamentsvollstrecker zu erhalten. Mit Abtretungsvereinbarung vom 21.9.2010 hat die Klägerin ihre Ansprüche gegen die Beklagte auf Kinderzuschlag an den Testamentsvollstrecker abgetreten. Außerdem hat sie Verträge über den Kauf eines Kfz durch den Testamentsvollstrecker und die unentgeltliche Überlassung dieses Kfz an sie vorgelegt. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 11.10.2012), aufgrund des Erbes sei die Klägerin nicht hilfebedürftig gewesen. Trotz der vom Erblasser angeordneten Dauertestamentsvollstreckung sei das Erbe verwertbares Vermögen iS des § 12 SGB II gewesen. Nach dem Testament solle der Testamentsvollstrecker (nur) nach Möglichkeit eine dauerhafte Zuwendung sichern. Vielmehr werde aus dem "Untunlich" deutlich, dass auf die Bedürftigkeit der Klägerin und ihre persönlichen Lebensumstände abgestellt werden solle. Eine Verfügungsbeschränkung der Klägerin müsse als sittenwidrig und unwirksam gemäß § 138 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) beurteilt werden. Die zum "Behinderten-Testament" entwickelten Grundsätze könnten nicht auf den vorliegenden Sachverhalt übertragen werden, weil zwischen der Klägerin und dem Erblasser keine verwandtschaftliche Beziehung bestanden habe und er ihr und ihren Kindern gegenüber nicht unterhaltspflichtig gewesen sei. Dass der Testamentsvollstrecker selbst von keiner Verfügungsbeschränkung ausgehe, zeige die Anschaffung eines Kfz für die Klägerin, die Begleichung von Verbindlichkeiten ihrerseits und die monatliche Zuwendung von 500 Euro als Ausgleich für die nicht erfolgte Zahlung von Kinderzuschlag. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Beschluss vom 3.6.2013) und zur Begründung auf das Urteil des SG Bezug genommen. Ergänzend hat es ausgeführt, die vom Erblasser angeordnete Dauertestamentsvollstreckung von 20 Jahren stehe der Verwertbarkeit des Vermögens nicht entgegen, weil nach dem Testament das Erbe in angemessenen Raten ausgezahlt werden solle, sofern die Erhaltung des Erbstammes nach dem Ermessen des Testamentsvollstreckers untunlich sei.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin unter Hinweis auf Entscheidungen anderer LSG die Verletzung von § 12 Abs 1 SGB II. Aufgrund der vom Erblasser angeordneten Dauertestamentsvollstreckung könne sie nicht über ihr Erbe verfügen. Sie könne das entgegenstehende Hindernis auch nicht in absehbarer Zeit - in der Regel sechs Monate - beseitigen. Es sei nicht ersichtlich, dass ein Festhalten an der bloßen Zuwendung von Früchten des Vermögens im Sinne des Testaments untunlich sei.
Die Klägerin beantragt,
den Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 3. Juni 2013 und das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 11. Oktober 2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 9. April 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. August 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Kinderzuschlag in gesetzlicher Höhe ab dem 1. Oktober 2009 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist insofern begründet, als der Beschluss des LSG Nordrhein-Westfalen vom 3.6.2013 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist (§ 170 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Die Feststellungen des LSG reichen nicht zur Beurteilung der Frage, ob das von der Klägerin gemachte Erbe trotz der angeordneten Dauertestamentsvollstreckung als verfügbares Einkommen oder Vermögen anzusehen ist.
1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind neben der Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidungen und der ablehnenden Bescheide der Beklagten die Zahlung von Kinderzuschlag an die Klägerin ab dem 1.10.2009. Bei einer vollständigen Ablehnung einer Leistung, wie vorliegend, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) über den geltend gemachten Anspruch ohne Begrenzung auf einen Bewilligungsabschnitt zu entscheiden (vgl nur BSG Urteil vom 25.5.2005 - B 11a/11 AL 73/04 R - SozR 4-4220 § 6 Nr 3 RdNr 4; BSG Urteil vom 16.5.2007 - B 11b AS 37/06 R - BSGE 98, 243 = SozR 4-4200 § 12 Nr 4).
2. Prozessrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Solche ergeben sich insbesondere nicht aus der vom LSG festgestellten Abtretung des Anspruchs der Klägerin auf Kinderzuschlag gegen die Beklagte an den Testamentsvollstrecker, weil bei einer solchen nach § 53 Abs 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) zulässigen Übertragung nur der Auszahlungsanspruch abtretbar ist, während der Anspruch dem Grunde nach bei dem Zedenten verbleibt (vgl nur Lilge, SGB I, 3. Aufl 2012, § 53 RdNr 8; Pflüger in jurisPK-SGB I, 2. Aufl 2011, § 53 RdNr 34). Nichts anderes ist der genannten Abtretungsvereinbarung zu entnehmen.
Die Klägerin verfolgt den von ihr geltend gemachten und von der Beklagten mit dem angefochtenen Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheids abgelehnten Anspruch auf Kinderzuschlag zu Recht mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1, 5 SGG).
3. Rechtsgrundlage für diesen von SG und LSG verneinten Anspruch auf Kinderzuschlag ist § 6a Bundeskindergeldgesetz (≪BKGG≫ idF aufgrund der Neubekanntmachung vom 28.1.2009, BGBl I 142, zuletzt geändert durch Gesetz vom 18.7.2014, BGBl I 1042), der seit der Neubekanntmachung keine nach den derzeitigen Feststellungen des LSG entscheidungserhebliche Änderung erfahren hat. Danach erhalten Personen für in ihrem Haushalt lebende unverheiratete Kinder, die noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben, einen Kinderzuschlag, wenn sie 1. für diese Kinder Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz erhalten, 2. über ein bestimmtes Mindesteinkommen verfügen, 3. ein bestimmtes Höchsteinkommen und -vermögen nicht überschreiten, 4. durch den Kinderzuschlag Hilfebedürftigkeit nach § 9 Abs 2 SGB II vermieden wird, was voraussetzt, dass die Klägerin ohne den Kinderzuschlag hilfebedürftig ist (vgl BSG Urteil vom 14.3.2012 - B 14 KG 1/11 R - SozR 4-5870 § 6a Nr 3).
Ob die Klägerin diese Voraussetzungen in der strittigen Zeit erfüllt oder zumindest eine Voraussetzung nicht erfüllt hat, sodass die Klage abgewiesen werden kann, ist aufgrund der Feststellungen des LSG nicht zu beurteilen, insbesondere kann die Hilfebedürftigkeit der Klägerin nicht aufgrund der Berücksichtigung des umstrittenen Erbes als Vermögen verneint werden. Diese Hilfebedürftigkeit im Rahmen des § 6a BKGG ist nach dem SGB II zu beurteilen (dazu 4.). Es ist unklar, inwieweit das Erbe nicht nur als Vermögen, sondern auch als Einkommen zu berücksichtigen ist (dazu 5.). Sowohl eine Berücksichtigung des Erbes als Einkommen als auch eine als Vermögen setzt jedoch voraus, dass das Erbe als bereite Mittel durch die Klägerin verwertbar ist (dazu 6.). Hinsichtlich der notwendigen Schritte, um diese Verwertbarkeit zu erreichen, hat die Beklagte die Klägerin zu unterstützen (dazu 7.). Soweit die Klägerin Zahlungen seitens des Testamentsvollstreckers aus dem Erbe erhalten hat, mangelt es an der Ermittlung deren genauen Höhe und der näheren Umstände zur Beurteilung deren Rechtscharakters (dazu 8.). Darüber hinaus fehlen nähere Feststellungen zu den übrigen Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Klägerin, ihres Ehemannes sowie der Kinder, für die Kinderzuschlag begehrt wird, einschließlich des notwendigen Kindergeldbezugs.
4. Zur Beurteilung der Hilfebedürftigkeit nach § 6a BKGG ist auf den Begriff des Einkommens und des Vermögens nach den §§ 11 bis 13 SGB II abzustellen. Für das Einkommen hat das BSG dies schon ausgeführt (BSG Urteil vom 10.5.2011 - B 4 KG 1/10 R - BSGE 108, 144 = SozR 4-5870 § 6a Nr 2, RdNr 13 ff), für das Vermögen gilt aufgrund der in der genannten Entscheidung ausgeführten Gründe nichts anderes. Insbesondere die gesetzliche Zielsetzung, das Aufeinander-bezogen-Sein und das sich wechselseitige Ausschließen der Leistungssysteme nach dem SGB II und nach § 6a BKGG sprechen für eine Parallelität der Rechtsanwendung.
5. Ob das Erbe ab 1.10.2009 als Einkommen - und ggf bis wann - oder als Vermögen zu berücksichtigen ist, kann mangels Feststellungen des LSG nicht beurteilt werden.
Gemäß § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II in der bis zum 31.3.2011 geltenden Fassung (des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954, zuletzt geändert durch Gesetz vom 3.8.2010, BGBl I 1112, im Folgenden: SGB II aF) sowie nach dem seit dem 1.4.2011 geltenden § 11 Abs 1 Satz 1, § 11a Abs 1, 2 SGB II (idF der Neubekanntmachung vom 13.5.2011, BGBl I 850, im Folgenden: SGB II nF) sind als Einkommen Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach dem SGB II, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen, und der Renten oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schäden an Leben sowie an Körper und Gesundheit erbracht werden, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem BVG zu berücksichtigen. Wie die für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG zur Abgrenzung von Einkommen und Vermögen in ständiger Rechtsprechung entscheiden, ist Einkommen dabei grundsätzlich alles, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält, und Vermögen das, was er vor Antragstellung bereits hatte. Auszugehen ist vom tatsächlichen Zufluss, es sei denn rechtlich wird ein anderer Zufluss als maßgeblich bestimmt (stRspr seit BSG Urteil vom 30.7.2008 - B 14 AS 26/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 17 RdNr 23; letztens etwa BSG Urteil vom 25.1.2012 - B 14 AS 101/11 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 47 RdNr 19).
Ein solcher Zufluss ergibt sich bei einem Erbfall aus § 1922 Abs 1 BGB, nach dem mit dem Tode einer Person deren Vermögen als Ganzes auf den oder die Erben übergeht (Gesamtrechtsnachfolge). Bereits ab diesem Zeitpunkt kann ein Erbe aufgrund seiner durch den Erbfall erlangten Position über seinen Anteil am Nachlass verfügen und diesen zB nach § 2371 BGB verkaufen. Diese Besonderheiten der Gesamtrechtsnachfolge im BGB sind für die Abgrenzung von Einkommen und Vermögen nach dem SGB II zu beachten. Ob der Erbe schon zum Zeitpunkt des Erbfalls tatsächlich - nach dem SGB II zu berücksichtigende - Vorteile aus seiner Erbenstellung ziehen kann, ist dabei zunächst ohne Belang. § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II setzt nicht voraus, dass der Einnahme bereits ein "Marktwert" zukommt. Entscheidend für die Abgrenzung von Einkommen und Vermögen ist daher, ob der Erbfall jedenfalls vor der (ersten) Antragstellung eingetreten ist (BSG Urteil vom 25.1.2012 - B 14 AS 101/11 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 47 RdNr 20 mwN). Liegt der Erbfall vor der ersten Antragstellung, handelt es sich um Vermögen. Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt, weil die Klägerin seit Oktober 2008 Kinderzuschlag bezog und der Erblasser erst am 14.1.2009 verstarb.
Trotz des sich aus dem 14.1.2009 als Todestag des Erblassers ergebenden Stichtags für die (normative) Abgrenzung von Einkommen und Vermögen im Falle der Klägerin ist das Erbe dem Bedarf als Einkommen erst ab dem Zeitpunkt gegenüberzustellen, in dem es der Klägerin tatsächlich als bereite Mittel zur Deckung ihres Bedarfs zur Verfügung stand (BSG Urteil vom 18.2.2010 - B 14 AS 32/08 R - SozR 4-4200 § 9 Nr 9 RdNr 20; BSG Urteil vom 21.6.2011 - B 4 AS 21/10 R - BSGE 108, 258 = SozR 4-4200 § 11 Nr 39, RdNr 29; speziell zum Erbe: BSG Urteil vom 25.1.2012 - B 14 AS 101/11 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 47 RdNr 22 mwN).
An welchem Tag der Klägerin - vorbehaltlich der noch zu erörternden Dauertestamentsvollstreckung - das Erbe als bereite Mittel zur Verfügung stand, kann dem Beschluss des LSG nicht entnommen werden. Er enthält nur die Aussage, dass zum Erbe eine erst durch einen Kaufvertrag zu verwertende Eigentumswohnung gehörte, sodass von einem gewissen Abstand zum Todestag auszugehen ist.
In Abhängigkeit von diesem Tag ist zunächst ein Verteilzeitraum zu bestimmen, erst anschließend kann das Erbe als Vermögen - vorbehaltlich der Testamentsvollstreckung - zu berücksichtigen sein (vgl BSG Urteil vom 25.1.2012 - B 14 AS 101/11 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 47 RdNr 23 ff; zur aktuellen Rechtslage § 11 Abs 3 SGB II nF; dazu Geiger in LPK-SGB II, 5. Aufl 2013, § 11 RdNr 42; Söhngen in jurisPK-SGB II, 3. Aufl 2012, § 11 RdNr 59 ff).
6. Unbeschadet der Einordnung des Erbes als Einkommen oder als Vermögen und der angesprochenen zeitlichen Dimension setzt die Berücksichtigung jeweils voraus, dass das Erbe als bereite Mittel zur Verfügung steht (vgl zu diesem Erfordernis für Einnahmen, die als Einkommen berücksichtigt werden sollen zB BSG Urteil vom 25.1.2012 - B 14 AS 101/11 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 47 RdNr 22 mwN). Für Vermögen gilt das Gleiche, wie schon aus dem Adjektiv "verwertbar" in § 12 Abs 1 SGB II folgt. Der Begriff "Verwertbarkeit" enthält eine tatsächliche Komponente, weil solche Vermögensgegenstände nicht verwertbar sind, für die in absehbarer Zeit kein Käufer zu finden sein wird und auch keine andere Verwertungsmöglichkeit ersichtlich ist. Ein Aspekt dieser tatsächlichen Verwertbarkeit ist die für sie benötigte Zeit, die ggf eine Prognose erforderlich macht, für die auf den bevorstehenden Bewilligungszeitraum abzustellen ist und hinsichtlich der die mit einer langfristigen Prognose verbundenen Unsicherheiten zu beachten sind (stRspr: BSG Urteil vom 6.12.2007 - B 14/7b AS 46/06 R - BSGE 99, 248 = SozR 4-4200 § 12 Nr 6, RdNr 11; BSG Urteil vom 12.7.2012 - B 14 AS 158/11 R - SozR 4-4200 § 12 Nr 20 RdNr 15; BSG Urteil vom 18.9.2014 - B 14 AS 58/13 R - vorgesehen für SozR 4-4200 § 12 Nr 24 - RdNr 15, jeweils mwN).
Der Verwertbarkeit des Erbes der Klägerin als bereite Mittel kann die vom Erblasser angeordnete Dauertestamentsvollstreckung entgegenstehen, die aus der Anweisung im Testament gegenüber dem Testamentsvollstrecker folgt. Zur Rechtsstellung des Erben und des Testamentsvollstreckers bestimmt das BGB, dass der Testamentsvollstrecker den Nachlass zu verwalten hat (§ 2205 Satz 1 BGB), der Erbe insofern nicht verfügen kann (§ 2211 Abs 1 BGB) und Gläubiger des Erben, die nicht zu den Nachlassgläubigern gehören, sich nicht an die der Verwaltung des Testamentsvollstreckers unterliegenden Nachlassgegenstände halten können (§ 2214 Abs 1 BGB). Anordnungen, die der Erblasser für die Verwaltung durch letztwillige Verfügung getroffen hat, sind von dem Testamentsvollstrecker zu befolgen; sie können jedoch auf Antrag des Testamentsvollstreckers oder eines anderen Beteiligten von dem Nachlassgericht außer Kraft gesetzt werden, wenn ihre Befolgung den Nachlass erheblich gefährden würde (§ 2216 Abs 2 Satz 1, 2 BGB). Bei einer schuldhaften Pflichtverletzung haftet der Testamentsvollstrecker dem Erben für den daraus entstehenden Schaden (§ 2219 BGB).
Nach diesen gesetzlichen Vorgaben darf der Testamentsvollstrecker von einer im Testament enthaltenen Anordnung nicht ohne Weiteres abweichen, und der Erbe kann ein bestimmtes Verhalten des Testamentsvollstreckers letztlich nur mittels einer Klage erzwingen, zB wenn der Testamentsvollstrecker sein ihm eingeräumtes Ermessen anders ausübt, als der Erbe meint, dass es ausgeübt werden sollte. Das LSG Baden-Württemberg hat demgemäß bei einem durch Testamentsvollstreckung beschränkten Vermächtnis in Form eines Geldbetrages, aus dem der Testamentsvollstrecker nach seinem billigen Ermessen dem Vermächtnisnehmer neben seinen "normalen" Einnahmen für seine Lebensführung und den Lebensunterhalt die notwendigen Beträge zu überlassen hatte, unter Heranziehung auch aller Umstände außerhalb des Testaments angenommen, dass nicht der allgemeine Lebensunterhalt finanziert werden soll, und das Vorliegen von verwertbarem Vermögen iS von § 12 Abs 1 SGB II verneint (LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 9.10.2007 - L 7 AS 3528/07 ER-B - juris RdNr 10 ff; ähnlich LSG Hamburg Urteil vom 13.9.2012 - L 4 AS 167/10; im Ergebnis ebenso LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 13.11.2014 - L 15 AS 457/12 - juris RdNr 29 ff, das nur die vom Testamentsvollstrecker dem dortigen Kläger zugewiesenen Mittel aus der Erbschaft als bereite Mittel berücksichtigte; dem zustimmend: Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, Stand der Einzelkommentierung September 2008, § 12 RdNr 118e).
Übertragen auf das vorliegende Verfahren und die Anordnung des Erblassers, den Stamm des Vermögens zu erhalten und der Klägerin aus den Früchten des Vermögens eine dauerhafte Zuwendung zu sichern, bedeutet dies: Wenn der Testamentsvollstrecker dem folgt, ständen der Klägerin nur die genannten Früchte des Vermögens als bereite Mittel zur Verfügung, nicht aber das gesamte Vermögen in Höhe von 86 926,94 Euro oder 110 444,30 Euro. Nur wenn dies "nach seinem (des Testamentsvollstreckers) freien Ermessen untunlich (ist), soll er das ererbte Vermögen in angemessenen, seiner freien Ermessensentscheidung unterliegenden Raten an die Erbin auszahlen". Auch diese Anordnung bewirkt seitens der Klägerin keinen gesicherten Anspruch gegenüber dem Testamentsvollstrecker auf einen bestimmten monatlichen Betrag aus dem Erbe und erst recht nicht eine Verfügbarkeit über das gesamte Erbe durch sie. Dass der Testamentsvollstrecker der Klägerin nach ihren vom LSG wiedergegebenen Aussagen, ohne dass es dazu selbst Feststellungen getroffen hat, zB einen Pkw zur Verfügung gestellt hat, ändert an dieser Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses und den rechtlichen sowie den daraus folgenden tatsächlichen Möglichkeiten seitens der Klägerin nichts.
Aus der Rechtsprechung zum so genannten "Behinderten-Testament" (vgl nur BGH Urteil vom 21.3.1990 - IV ZR 169/89 - BGHZ 111, 36 ff) folgt nichts Abweichendes, vielmehr wird die vorliegende Entscheidung dadurch bestätigt, denn das LSG hat nicht festgestellt, dass die Klägerin in einer besonderen Beziehung zum Erblasser stand, sondern ihr das Erbe (wohl) nur im Rahmen einer freien Entscheidung des Erblassers zugedacht wurde.
7. Angesichts dieser rein gewillkürten Erbeinsetzung der Klägerin durch den Erblasser ist nicht zu erkennen, wieso die Dauertestamentsvollstreckung wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten zu Lasten der öffentlichen Hand nach § 138 BGB anfechtbar sein soll. Aber selbst wenn eine Sittenwidrigkeit der Anordnung der Dauertestamentsvollstreckung angenommen werden sollte, folgt daraus nicht, dass die Klägerin zum Zeitpunkt des Zuflusses des Erbes über dieses verfügen konnte, weil zu diesem Zeitpunkt die Dauertestamentsvollstreckung noch bestand. Die Klägerin müsste erst die Anordnung der Dauertestamentsvollstreckung durch den Erblasser erfolgreich anfechten (vgl zu solchen Selbsthilfemöglichkeiten auch bei der Beantragung von Kinderzuschlag: BSG Urteil vom 10.5.2011 - B 4 KG 1/10 R - BSGE 108, 144 = SozR 4-5870 § 6a Nr 2, RdNr 23).
Insofern ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Beklagte gegenüber der Klägerin Beratungspflichten aus dem zwischen ihnen bestehenden Sozialrechtsverhältnis hat (§ 14 SGB I) und, wenn sie ein Vorgehen der Klägerin gegen den Testamentsvollstrecker für angezeigt hält, diese dabei zu unterstützen hat (BSG Urteil vom 24.11.2011 - B 14 AS 15/11 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 53 RdNr 17 ff). Im Übrigen hat die Klägerin ihrerseits - nach den unbestrittenen Feststellungen des LSG - um eine solche Beratung der Beklagten hinsichtlich eines möglichen Schonvermögens und anderer Punkte nachgesucht, mangels dahingehender Feststellungen des LSG ist aber ungewiss, ob eine Reaktion der Beklagten erfolgt ist.
8. Soweit das LSG, ohne dies selbst festzustellen, in Verbindung mit der Abtretung des Anspruchs der Klägerin auf Kinderzuschlag an den Testamentsvollstrecker die Angaben im Urteil des SG wiedergibt, die "Klägerin erhalte derzeit (vom Testamentsvollstrecker) eine monatliche Zahlung in Höhe von 500 Euro zur Absicherung ihres Lebensunterhalts und zur Kompensierung des Ausfalls des Kinderzuschlags", wird das LSG zu ermitteln und zu beurteilen haben, von wann bis wann eine Zahlung in welcher Höhe erfolgte und welchen Rechtscharakter diese Zahlung hatte (zB "normale" bereite Mittel oder bloßes Darlehen wegen der Abtretung des Anspruchs auf Kinderzuschlag; vgl zu Darlehen nur BSG Urteil vom 17.6.2010 - B 14 AS 46/09 R - BSGE 106, 185 = SozR 4-4200 § 11 Nr 30; letztens etwa BSG Urteil vom 18.9.2004 - B 14 AS 48/13 R - zur Veröffentlichung in SozR 4-4200 § 22 Nr 79 vorgesehen), um über eine Berücksichtigung der Zahlung bei der Prüfung des Anspruchs der Klägerin auf Kinderzuschlag zu entscheiden.
Über die Kosten des Revisionsverfahrens wird das LSG auch zu befinden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 7660851 |
FamRZ 2015, 1286 |
DNotI-Report 2015, 166 |
MittBayNot 2017, 97 |
ZEV 2015, 484 |
ZEV 2016, 381 |
SGb 2015, 211 |
SGb 2016, 292 |
ZfF 2015, 162 |
ErbR 2015, 585 |
ErbR 2016, 11 |
ErbR 2016, 204 |
AiSR 2016, 48 |
info-also 2015, 138 |