Entscheidungsstichwort (Thema)
Stützrente. Notwendige Beiladung. Isolierte Leistungsklage. Rentengewährung. Feststellung. Versicherungsfall. Bindung. Staatliche Versicherung der DDR. Sozialgerichtliches Verfahren. Anwendbarkeit der unechten Leistungsklage gem § 54 Abs 4 SGG auf Zahlung einer Stützrente: Verwaltungsentscheidung über Vorliegen eines Versicherungsfalls. gesetzliche Unfallversicherung. Übergangsrecht. Verletztenrente. Bescheid bzw Verwaltungsakt der staatlichen Sozialversicherung der ehemaligen DDR. Bindungswirkung. Verdrängung der Regelung in Art 19 EinigVtr durch RVO-Vorschriften. Geltung des Vertrauensschutzes gem § 1154 Abs 1 S 1 RVO: nur für bereits bewilligte Renten
Leitsatz (amtlich)
1. Die unechte Leistungsklage auf Zahlung einer sog Stützrente setzt voraus, dass der Sozialleistungsträger über das Vorliegen eines Versicherungsfalls entschieden hat und kommt daher vor Erlass einer Verwaltungsentscheidung über den Arbeitsunfall nicht in Betracht.
2. Zur Fortgeltung von Verwaltungsakten der Deutschen Demokratischen Republik in der gesetzlichen Unfallversicherung und zur fiktiven Gleichstellung des im Beitrittsgebiet zugrunde gelegten Grads des Körperschadens mit der Minderung der Erwerbsfähigkeit.
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei einem Streit um eine Stützrente sind beide Renten derart verknüpft, dass eine Entscheidung über sie nur einheitlich ergehen kann und folglich ein für die andere Rente zuständiger Versicherungsträger gemäß § 75 Abs. 2 Alt. 1 SGG notwendig beizuladen ist.
2. Solange der zuständige Unfallversicherungsträger nicht über das Vorliegen eines Arbeitsunfalls i.S. des § 8 Abs. 1 SGB VII entschieden hat, kann der Versicherte, außer bei rechtswidriger Untätigkeit der Behörde, kein berechtigtes Interesse an einer gerichtlichen Verurteilung zur Leistung haben.
3. Eine (isolierte) Leistungsklage auf eine Rentengewährung ohne vorherige Feststellung eines Versicherungsfalls ist nicht zulässig.
4. Ist Gegenstand des Verwaltungsverfahrens und der Bescheide lediglich gewesen, ob dem Versicherten ein Recht auf (Stütz-)Rente zusteht, ohne dass das Vorliegen eines Versicherungsfalls überhaupt thematisiert wurde, ist die erhobene Klage bereits deshalb unzulässig, weil es an einem Verwaltungsverfahren (Vorverfahren) über das Vorliegen eines Versicherungsfalls fehlt.
5. Eine Bindung des Unfallversicherungsträgers an die Feststellung der Staatlichen Versicherung der DDR über einen Körperschaden besteht nicht.
Normenkette
RVO §§ 548, 581, 1150 Abs. 2 S. 2 Nr. 1, § 1154 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Halbs. 1; SGB VII § 8 Abs. 1, § 56 Abs. 1 S. 2, § 215 Abs. 6; SGB X § 31; SGG § 54 Abs. 1 Sätze 1-2, Abs. 4, § 75 Abs. 2 Alt. 1, § 128
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 8. September 2014 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt eine Verletztenrente als Stützrente. Streitig ist dabei insbesondere, ob die Beklagte an eine von der Staatlichen Versicherung der DDR getroffene Feststellung eines Körperschadens iHv 10 vH gebunden ist.
Der Kläger erlitt am 7.9.1987 als Beschäftigter der Produktionsgenossenschaft des Handwerks B. in E. einen Unfall, bei dem er sich eine isolierte Innenknöchelfraktur zuzog. Auf Grundlage einer Begutachtung vom 12.12.1988 erließ die Staatliche Versicherung der DDR am 23.12.1988 einen "Bescheid über Ihren Leistungsanspruch zum Unfallschaden". Sie führte darin aus, dass das aufgrund des Unfalls vom 7.9.1987 eingeholte ärztliche Gutachten einen unfallbedingten Körperschaden von 10 vH bestätige und dieser dauernde Körperschaden anerkannt werde.
Die Beklagte erhielt durch Ermittlungen der Verwaltungs-BG zu einem weiteren Unfallereignis im Jahre 2004 (hierzu war beim LSG ein Verfahren unter dem Az L 2 U 168/10 anhängig) Kenntnis von dem Unfallereignis aus dem Jahr 1987 und nahm daraufhin ihrerseits Ermittlungen zu einem (Stütz-)Rententatbestand auf. Die Beklagte lehnte die Bewilligung einer Rente mit Bescheid vom 3.4.2007 ab. Der Widerspruch blieb erfolglos. In ihrem Widerspruchsbescheid vom 25.10.2007 führte sie aus, eine Bindung an die Feststellung der Staatlichen Versicherung der DDR bestehe nicht, weil diese als private Versicherung und nicht als Sozialversicherung tätig geworden sei. Eine Anerkennung des Ereignisses aus dem Jahre 1987 durch die Sozialversicherung habe nicht ermittelt werden können. Dies gehe zu Lasten des Klägers.
Die Klage hat das SG durch Gerichtsbescheid vom 9.9.2010 abgewiesen. Das SG hat eine Bindungswirkung des Bescheids der Staatlichen Versicherung der DDR verneint und die infolge des Unfalls vom 7.9.1987 verbliebene Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) nach medizinischen Ermittlungen mit unter 10 vH geschätzt. Die Berufung des Klägers blieb erfolglos. Zur Begründung seines Urteils vom 8.9.2014 hat das LSG ausgeführt, es könne offenbleiben, ob die Staatliche Versicherung der DDR als privates Versicherungsunternehmen tätig geworden sei. Entscheidend sei, dass es hier an einer "vor dem 1.1.1992 festgestellten Rente" iS des § 1154 Abs 1 Satz 2 Nr 2 Halbs 1 RVO fehle, denn dem Kläger sei gerade keine Rente zugesprochen worden. In Bestandskraft könne zudem nur der Verfügungssatz eines Verwaltungsakts der DDR erwachsen, der eine Rente gewährt habe. Diese Auslegung werde durch die Regelungen des in der DDR geltenden Rechts gestützt. Damals habe es lediglich eine Rechtsgrundlage für die Gewährung einer Rente gegeben, jedoch keine Rechtsgrundlage für die isolierte Feststellung eines geringeren Körperschadens ohne Gewährung einer Rente. Ein Verfügungssatz, der neben einer Rentenablehnung ausdrücklich eine niedrigere MdE als 20 vH feststelle, könne an der Bestandskraft des Bescheids nicht teilnehmen (Verweis auf BSG vom 22.6.2004 - B 2 U 36/03 R ). Die nach dem Unfall aus dem Jahr 1987 tatsächlich verbliebene MdE sei durch das SG mit unter 10 vH zutreffend geschätzt worden.
In der mündlichen Verhandlung vor dem LSG hat die in dem Verfahren wegen des weiteren Unfalls aus dem Jahr 2004 (L 2 U 168/10) beklagte Verwaltungs-BG eine MdE in Höhe von 10 vH wegen der dort strittigen Lungenfunktionseinschränkung anerkannt. Der Kläger hat die Berufung in diesem Verfahren daraufhin zurückgenommen.
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung des Art 19 Einigungsvertrag (vom 31.8.1990 - BGBl II 889 - EinigVtr) und der § 215 Abs 6 SGB VII iVm § 1154 Abs 1 Satz 2 Nr 2 Halbs 1 RVO. Der Bescheid der Staatlichen Versicherung der DDR sei als Verwaltungsakt zu behandeln. Die Staatliche Versicherung der DDR sei keine private Versicherung, sondern Träger der Sozialversicherung gewesen. Diese habe die Höhe des Körperschadens verbindlich festgestellt und das Ereignis als Arbeitsunfall anerkannt. Der Wortlaut des Art 19 EinigVtr beziehe sich unmissverständlich auf den gesamten Bescheid. Eine Aufteilung eines Verwaltungsakts sei nicht möglich, sodass er im Hinblick auf den gesamten Inhalt des Bescheids Vertrauensschutz genieße, auch wenn ihm vor der Wiedervereinigung noch keine Rente gewährt worden sei. Deshalb sei auch § 215 Abs 6 SGB VII nicht einschlägig. Käme man allerdings zu einer Anwendbarkeit des § 1154 Abs 1 Satz 2 Nr 2 Halbs 1 RVO, so müsse berücksichtigt werden, dass eine Minderung des festgestellten Grads der Erwerbsfähigkeit bzw des Körperschadens nur bei einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse seit der Erstfeststellung möglich sei. Dies könne den medizinischen Ermittlungen nicht entnommen werden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 8. September 2014 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 9. September 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 3. April 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Oktober 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Verletztenrente ab dem 22. Januar 2005 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie trägt vor, sie sei nicht an die Feststellungen der Staatlichen Versicherung der DDR gebunden.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist unbegründet. Zu Recht hat das LSG die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Die unterlassene notwendige Beiladung der Verwaltungs-BG gemäß § 75 Abs 2 Alt 1 SGG stellt einen im Revisionsverfahren von Amts wegen beachtlichen Verfahrensmangel dar (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 75 RdNr 13a mwN aus der Rspr des BSG). Das LSG hätte die Verwaltungs-BG zwar gemäß § 75 Abs 2 Alt 1 SGG notwendig beiladen müssen. Denn Voraussetzung für eine sog Stützrente ist, dass die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert ist und die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20 erreichen (§ 56 Abs 1 Satz 2 SGB VII). Bei einem Streit um eine Stützrente sind beide Renten derart verknüpft, dass eine Entscheidung über sie nur einheitlich ergehen kann und folglich ein für die andere Rente zuständiger Versicherungsträger gemäß § 75 Abs 2 Alt 1 SGG notwendig beizuladen ist (zuletzt: BSG vom 20.3.2007 - B 2 U 21/06 R - SozR 4-1300 § 48 Nr 11 RdNr 13 mwN). Das Unterlassen der notwendigen Beiladung steht aber einer Sachentscheidung des Revisionsgerichts nicht entgegen, weil eine Entscheidung aufgrund der tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz möglich ist und diese die beizuladende Verwaltungs-BG weder materiell- noch verfahrensrechtlich benachteiligt (vgl BSG vom 31.7.1991 - 6 RKa 12/89 - BSGE 69, 138 ff = SozR 3-2500 § 106 Nr 6; BSG vom 24.10.2013 - B 13 R 35/12 R - SozR 4-2600 § 118 Nr 12 RdNr 18). Da der Kläger auch im Revisionsverfahren nicht obsiegt, ist eine Benachteiligung der Verwaltungs-BG nicht ersichtlich.
Die Revision des Klägers ist schon deshalb unbegründet, weil die beklagte BG bislang nicht über das Vorliegen eines Arbeitsunfalls im Jahre 1987 entschieden hat und die Klage insofern unzulässig war (dazu 1.) Unabhängig davon sind auch die Voraussetzungen für die Gewährung einer (Stütz-)Rente nicht erfüllt (dazu 2.).
1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 SGG), mit der unter Aufhebung entgegenstehender Verwaltungsakte die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer Stützrente begehrt wird. Eine solche Anfechtungsklage ist, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt beschwert zu sein (§ 54 Abs 1 Satz 2 SGG). An dieser Klagebefugnis fehlt es, wenn eine Verletzung subjektiver Rechte nicht in Betracht kommt (BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 2/14 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; BSG vom 14.11.2002 - B 13 RJ 19/01 R - BSGE 90, 127, 130 = SozR 3-5795 § 10d Nr 1 S 4), weil hinsichtlich des Klagebegehrens eine gerichtlich überprüfbare Verwaltungsentscheidung nicht vorliegt (BSG vom 28.10.2008 - B 8 SO 33/07 R - SozR 4-1500 § 77 Nr 1 RdNr 13). Solange der zuständige Unfallversicherungsträger nicht über das Vorliegen eines Arbeitsunfalls iS des § 8 Abs 1 SGB VII entschieden hat, kann der Versicherte, außer bei rechtswidriger Untätigkeit der Behörde, kein berechtigtes Interesse an einer gerichtlichen Verurteilung zur Leistung haben (§ 54 Abs 4 SGG). Die unechte Leistungsklage setzt voraus, dass der Sozialleistungsträger das Vorliegen eines Versicherungsfalls nicht bindend abgelehnt oder bejaht hat und kommt daher vor dem Erlass einer Verwaltungsentscheidung über den Arbeitsunfall nicht in Betracht (vgl BSG vom 21.9.2010 - B 2 U 25/09 R - Juris RdNr 17). Eine (isolierte) Leistungsklage auf eine Rentengewährung ohne vorherige Feststellung eines Versicherungsfalls ist mithin nicht zulässig (BSG vom 13.12.2005 - B 2 U 29/04 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 16 RdNr 10; BSG vom 7.9.2004 - B 2 U 46/03 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 3 RdNr 11 f).
Die Auslegung der angefochtenen Verwaltungsakte der Beklagten vom 3.4.2007 und 25.10.2007 ergibt, dass die Beklagte jeweils nur eine "Entscheidung über die Gewährung einer Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung" treffen wollte. Weder den Verfügungssätzen noch der Begründung der Bescheide ist auch nur im Ansatz zu entnehmen, dass die Beklagte (auch) eine Entscheidung über das Vorliegen eines Versicherungsfalls vom 7.9.1987 treffen wollte. Hierzu wäre die Beklagte aber in jedem Fall verpflichtet gewesen, weil ihr der Unfall aus dem Jahre 1987 erst nach dem 31.12.1993 bekannt geworden ist und sie daher gemäß § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO zu prüfen gehabt hätte, ob der behauptete Versicherungsfall aus dem Jahre 1987 auch nach dem Recht der RVO zu entschädigen gewesen wäre (zum Prüfansatz vgl BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 5/12 R - SozR 4-2200 § 1150 Nr 2 RdNr 15 ff; zur Geltung des § 1150 RVO für den vorliegenden Fall vgl BSG vom 26.6.2001 - B 2 U 31/00 R - Juris). Den angefochtenen Bescheiden ist hingegen noch nicht einmal zu entnehmen, dass die Beklagte die Prüfung eines Versicherungsfalls iS des § 548 RVO deshalb unterlassen hat, weil sie sich insoweit an die Feststellung der Staatlichen Versicherung der DDR gebunden gefühlt hätte. Vielmehr ist Gegenstand des Verwaltungsverfahrens und der Bescheide lediglich gewesen, ob dem Kläger ein Recht auf (Stütz-)Rente zusteht, ohne dass das Vorliegen eines Versicherungsfalls überhaupt thematisiert wurde. Mithin ist die erhobene Klage bereits deshalb unzulässig gewesen, weil es an einem Verwaltungsverfahren (Vorverfahren) über das Vorliegen eines Versicherungsfalls fehlt. Eine solche Feststellung müsste die Beklagte zunächst treffen, bevor über Leistungsansprüche im Wege der unechten Leistungsklage gemäß § 54 Abs 4 SGG befunden werden könnte.
Die Klage ist auch nicht deshalb zulässig, weil die Staatliche Versicherung der DDR mit dem Bescheid vom 23.12.1988 einen unfallbedingten Körperschaden von 10 vH bestätigt hat und damit zugleich eine Regelung iS des § 31 SGB X über das Vorliegen eines Arbeitsunfalls getroffen hätte. In diesem Zusammenhang kann dahinstehen, ob die Staatliche Versicherung der DDR überhaupt als zum Erlass von Verwaltungsakten berechtigte Behörde iS des § 31 SGB X gehandelt hat und die Beklagte an deren Verwaltungsentscheidung gebunden sein könnte (vgl hierzu noch unter 2). Denn mit dem Bescheid vom 23.12.1988 ist lediglich über das Vorliegen eines dauernden Körperschadens entschieden worden. Die Staatliche Versicherung der DDR hat 1988 gerade keine Entscheidung über das Vorliegen eines Arbeitsunfalls getroffen, vielmehr wird der Kläger in dem "Bescheid" ausdrücklich darauf verwiesen, dass hierzu noch ein gesonderter Antrag "bei der Sozialversicherung" zu stellen wäre.
2. Nur beiläufig weist der Senat daraufhin, dass dem Kläger der geltend gemachte Stütz-Rentenanspruch auch dann nicht zustehen kann, wenn die Beklagte in einem erneuten Verwaltungsverfahren zu dem Ergebnis käme, dass es sich bei dem Ereignis vom 7.9.1987 um einen Arbeitsunfall iS des § 548 RVO gehandelt hat (der hier gemäß § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO einschlägig wäre).
Rechtsgrundlage für den Rentenanspruch des Klägers wäre dann § 56 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB VII iVm § 215 Abs 6 Satz 1 SGB VII iVm § 1154 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RVO. Danach haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vH gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente.
Unfallfolgen, die eine MdE im rentenberechtigenden Bereich begründen könnten, sind nach dem Unfall vom 7.9.1987 jedoch nicht verblieben. Die Feststellung des Grades der MdE ist eine reine Tatsachenfeststellung (§ 128 SGG; stRspr vgl nur BSG vom 18.1.2011 - B 2 U 5/10 R - SozR 4-2700 § 200 Nr 3 RdNr 16 mwN). Die Folgen des Unfalls vom 7.9.1987 sind nach den bindenden, weil vom Kläger nicht mit Verfahrensrügen angefochtenen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) hingegen mit unter 10 vH zu bewerten.
Ein Anspruch auf eine (Stütz-)Rente könnte sich folglich nur aus einer Bindung der Beklagten an die Feststellung der Staatlichen Versicherung der DDR ergeben, dass ein Körperschaden von "10 %" vorliegt. Eine solche Bindung der Beklagten an die Feststellung der Staatlichen Versicherung der DDR über einen Körperschaden besteht jedoch nicht, wobei es auf die Frage, ob die Staatliche Versicherung der DDR einen Körperschaden in Höhe von "10 %" durch Verwaltungsakt festgestellt hat, nicht ankommt. Denn selbst wenn die Staatliche Versicherung der DDR am 23.12.1988 durch Verwaltungsakt den Körperschaden des Klägers festgestellt hätte, wogegen allerdings bereits spricht, dass es sich bei der Staatlichen Versicherung insoweit um keine "Behörde" iS des § 31 SGB X gehandelt haben dürfte (den Behördencharakter bezweifelt auch BSG vom 5.3.2002 - B 2 U 4/01 R - Juris), wäre die Beklagte jedenfalls aufgrund des Überleitungsrechts an einen solchen "Verwaltungsakt" nicht gebunden.
Zwar bestimmt Art 19 EinigVtr , dass vor dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland ergangene Verwaltungsakte der DDR wirksam bleiben und nur aufgehoben werden können, wenn sie mit rechtsstaatlichen Grundsätzen oder mit den Regelungen dieses Vertrags unvereinbar sind. Art 30 Abs 5 Satz 1 EinigVtr behielt die Einzelheiten der Überleitung des Unfallversicherungsrechts der Bundesrepublik Deutschland jedoch einem zu erlassenden besonderen Bundesgesetz vor. Diesem Gesetzgebungsauftrag kam der Gesetzgeber mit Art 8 des Gesetzes zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung (Renten-Überleitungsgesetz - RÜG - vom 25.7.1991, BGBl I 1606) nach. In die damals für die gesetzliche Unfallversicherung maßgebliche RVO wurden Sonder- und Überleitungsvorschriften für das Beitrittsgebiet eingefügt (§§ 1150 ff RVO), welche über § 215 SGB VII weiterhin gelten. Die Sonderregelungen der RVO verdrängen insofern, wie der Senat bereits entschieden hat, die Regelung in Art 19 EingVtr (BSG vom 5.3.2002 - B 2 U 4/01 R - Juris RdNr 43; BSG vom 26.6.2001 - B 2 U 31/00 R, Juris RdNr 25).
Nach § 215 Abs 6 SGB VII ist für die Feststellung und Zahlung von Renten bei Versicherungsfällen, die vor dem 1.1.1992 eingetreten sind, § 1154 RVO in der am Tag vor Inkrafttreten des SGB VII geltenden Fassung weiter anzuwenden mit der Maßgabe, dass an die Stelle der dort genannten Vorschriften der RVO die §§ 56 und 81 bis 91 SGB VII treten. Nach § 1154 Abs 1 Satz 2 RVO ist für Arbeitsunfälle, die vor dem 1.1.1992 eingetreten sind, für die Bemessung des Körperschadens § 581 RVO (seit dem 1.1.1997 § 56 SGB VII) anzuwenden, wenn entweder Renten nach dem 31.12.1991 erstmals festgestellt werden (Nr 1) oder wenn bei vor dem 1.1.1992 festgestellten Renten wegen der Bewertung des Körperschadens oder einer den Körperschaden betreffenden wesentlichen Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eine neue Feststellung beantragt wird oder von Amts wegen vorgenommen wird (Nr 2 Halbs 1).
Anzuwenden ist hier, wovon SG und LSG zutreffend ausgegangen sind, § 1154 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RVO, weil es an einer vor dem 1.1.1992 festgestellten Rente fehlt und der Kläger nunmehr die erstmalige Feststellung einer Rente begehrt. Für den Fall der erstmaligen Feststellung einer Rente nach dem 31.12.1991 ist der Vorschrift jedoch gerade nicht zu entnehmen, dass die Beklagte an etwaige frühere Feststellungen gebunden sein soll. Die Vorschrift des § 1154 Abs 1 RVO normiert Sonderregelungen für die Rentenfeststellung bei "alten" Versicherungsfällen und normiert einen Vertrauensschutz (nur) für bereits "festgestellte" Renten, denn § 1154 Abs 1 Satz 1 RVO setzt ausdrücklich voraus, dass (nur) bei einer im Beitrittsgebiet "festgestellten Rente" der zugrunde gelegte Grad des Körperschadens als Minderung der Erwerbsfähigkeit gilt.
Die Ablehnung einer Rente kann - entgegen dem Vorbringen der Revision - nicht als "besondere Form der Rentenfeststellung" betrachtet werden, wobei dem Bescheid der Staatlichen Versicherung der DDR vom 23.12.1988 allerdings noch nicht einmal eine solche (konkludente) Rentenablehnung entnommen werden kann. Wenn kein Rentenanspruch besteht und daher eine Rente abgelehnt wird, wird gerade kein Recht auf Rente festgestellt. Ebenso wenig kann die am 23.12.1988 erfolgte Anerkennung eines dauernden unfallbedingten Körperschadens in Höhe von 10 vH als Feststellung einer Rente iS des § 1154 Abs 1 Satz 1 RVO interpretiert werden. Das LSG hat hierzu zutreffend ausgeführt, dass der Kläger damit eine Rechtsposition geltend macht, die ihm schon nach dem Recht der DDR nicht zukam. Erst im Geltungsbereich der RVO bzw des SGB VII und der dort normierten Möglichkeit einer Stützrente ist überhaupt denkbar, dem Bescheid der Staatlichen Versicherung der DDR eine Rechtsposition zu entnehmen. Denn im Recht der DDR gab es keinen Stützrententatbestand. Stattdessen kam es darauf an, ob aus mehreren Versicherungsfällen gemeinsam zu bewertende Unfallfolgen einen Körperschaden von mindestens 20 vH ergeben haben (vgl § 23 Abs 2 der Verordnung über die Gewährung von Renten der Sozialpflichtversicherung - Rentenverordnung - vom 23.11.1979, GBl DDR I S 401). Bei jedem weiteren Versicherungsfall musste eine Gesamtbetrachtung der Folgen stattfinden und dann erst ein Gesamtkörperschaden gebildet werden. Eine Addition von Körperschäden aus verschiedenen Versicherungsfällen war dem Recht der DDR fremd, sodass unter keinem Gesichtspunkt die Anerkennung eines Körperschadens in Höhe von 10 vH (konkludent) als "Feststellung einer Rente" durch die Behörden der DDR betrachtet werden kann.
Dieses Ergebnis entspricht im Übrigen auch dem Zweck der Norm des § 1154 RVO. Nach der Empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zum RÜG (BT-Drucks 12/786 S III) sollte eine Neuberechnung von laufenden Renten vermieden und eine Besitzstandswahrung erreicht werden. Einen Besitzstand hatte der Kläger nach dem soeben Ausgeführten auch in der DDR aber gerade nicht erreicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 9259027 |
SGb 2016, 151 |
Breith. 2017, 83 |