Beteiligte
Kläger und Revisionsbeklagter |
Tatbestand
I.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die beklagte Berufsgenossenschaft (BG) berechtigt ist, mit Ermächtigung der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) H…, der Beigeladenen zu 2), aus der dem Kläger gegenüber der Beklagten zustehenden laufenden Geldleistung zur Tilgung einer Beitragsschuld des Klägers gegenüber der Beigeladenen zu 2) einen bestimmten Betrag zu verrechnen.
Der Kläger bezieht von der beklagten BG eine Dauerteilrente und von der Beigeladenen zu 1) außerdem Sozialhilfe. Er schuldet der Beigeladenen zu 2) Sozialversicherungsbeiträge von rund 4.500,-- DM. Im Januar 1976 ermächtigte die Beigeladene zu 2) die Beklagte, die Rente mit den ausstehenden Sozialversicherungsbeiträgen zu verrechnen. Aufgrund dieser Ermächtigung behielt die Beklagte ab 1. Juni 1976 monatlich laufend einen Betrag von 100,-- DM von der Rente des Klägers ein, den sie an die Beigeladene zu 2) zur ratenweisen Tilgung der geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge überwies (Bescheid vom 26. April 1976). Widerspruch und Klage blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 2. August 1976; Urteil des Sozialgerichts - SG - Hamburg vom 28. Januar 1977).
Aufgrund der Verrechnung erhöhte die Beigeladene zu 1) die dem Kläger zustehende Sozialhilfe um den Kürzungsbetrag von 100.-- DM.
Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG und die angefochtenen Bescheide aufgehoben (Urteil vom 8. November 1977).
Gegen dieses Urteil hat die Beigeladene zu 2) die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sinngemäß rügt sie eine Verletzung der §§ 52, 51 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil (SGB 1). Sie beruft sich u.a. auf BSGE 45, 271.
Der Senat hat mit Beschluß vom 6. Dezember 1978 beim 4. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) angefragt, ob er an seiner Rechtsprechung zu § 51 Abs. 2 SGB 1 (BSGE 45, 271) festhalte, weil der erkennende Senat im Hinblick auf den Entwurf von Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB 10) - BR-Drucks. 170/78 - und die Stellungnahme des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) vom 26. August 1977 beabsichtige, davon abzuweichen, da ein Sozialversicherungsträger seine Ansprüche nicht letztlich auf Kosten eines Trägers der Sozialhilfe befriedigen dürfe. Der 4. Senat des BSG hat in seinem Beschluß vom 28. Juni 1979 an seiner im Urteil vom 9. Januar 1978 wiedergegebenen Rechtsauffassung festgehalten. Die Anfrage des Senats beim BMA, wann mit dem Inkrafttreten von SGB 10, insbesondere dessen Art. II § 26 Nr. 2 gerechnet werden könne, und ob beabsichtigt sei, ihn zu einem früheren Zeitpunkt in Kraft zu setzen als die übrigen Bestimmungen des SGB 10, hat der BMA dahin beantwortet, daß im Sommer 1980 mit der Verabschiedung des Gesetzes gerechnet werden könne und daß nach Art. II § 35 Abs. 4 des Entwurfes Art. II § 26 Nr. 2 am Tage der Verkündung in Kraft treten solle. Darauf hat der erkennende Senat am 31. Januar 1980 beschlossen, dem Großen Senat des BSG gemäß § 42 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorzulegen: Kann der Versicherungsträger Beitragsansprüche eines anderen Trägers mit laufenden Geldleistungen (z.B. Renten) selbst dann bis zur Hälfte der Geldleistungen verrechnen, wenn dadurch der Leistungsberechtigte in höherem Maße als bisher sozialhilfebedürftig wird?". Auf Anfrage des Vorsitzenden des Großen Senats (GS 1/80) vom 31. Oktober 1980 hat sich der 4. Senat im Beschluß vom 5. November 1980 dahin erklärt, daß die neuen Rechtsvorschriften (Art. 2 § 28 Nr. 4, Art. 2 § 37 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 § 40 Abs. 1 und 5 SGB 10) zu einer anderen Betrachtung der Rechtslage zwingen und zu dem Ergebnis führen, daß das Urteil des Senats vom 19. Januar 1978 (BSGE 45, 271) der vom 8a Senat beabsichtigten Entscheidung nicht mehr entgegenstehe. Er - der 4. Senat -würde, wenn er jetzt die streitige Rechtsfrage zu entscheiden hätte, im gleichen Sinne entscheiden, wie es der 8a Senat beabsichtige, d.h. zu einem anderen Ergebnis als im Urteil vom 19. Januar 1978 kommen. Dabei ließ sich der 4. Senat von der Erwägung leiten, daß der Gesetzgeber mit der bereits in Kraft getretenen Neuregelung des § 51 Abs. 2 SGB 1 eine Änderung herbeigeführt habe, so daß das bereits begonnene Verfahren nach der Neuregelung zu Ende zu führen sei. Im Hinblick auf das sofortige Inkrafttreten des Art. 2 § 28 Nr. 4 SGB 10 könne die Überleitungsvorschrift nur den Sinn haben, alle Verfahren, in denen die Aufrechnung vor Inkrafttreten des neuen Rechts vorgenommen worden sei und in denen noch kein bindend gewordener Verwaltungsakt vorliege, nach neuem Recht zu Ende zu führen. Danach stehe seine Entscheidung vom 19. Januar 1978 der beabsichtigten Entscheidung des 8a Senats nicht entgegen. Auf diese Erklärung hin hat der erkennende Senat am 27. November 1980 den Vorlagebeschluß vom 31. Januar 1980 aufgehoben und die Anfrage an den Großen Senat zurückgenommen, weil damit die Voraussetzungen für die Anrufung weggefallen und die streitige Rechtsfrage für die Zukunft nicht mehr klärungsbedürftig sei.
Die Beigeladene zu 2) beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Beklagte schließt sich dem Antrag und dem Vorbringen der Beigeladenen zu 2) an.
Die Beigeladene zu 1) verweist auf die ihr durch die §§ 1531 f. der Reichsversicherungsordnung (RVO) eingeräumte Sonderstellung, die ihr einen vorrangigen Ersatzanspruch einräume, bei dessen Anmeldung für eine Verrechnung keine Unfallrente mehr zur Verfügung stünde.
Der Kläger hat sich zur Sache nicht geäußert.
Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG).
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Beigeladenen zu 2) ist nicht begründet. Sie ist zurückzuweisen.
Dem LSG ist darin zuzustimmen, daß die Klage zulässig ist und die angefochtenen Bescheide nicht deshalb rechtswidrig sind, weil die Beklagte den Kläger vor Erlaß des Bescheides nicht angehört hat. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG zu § 34 SGB 1 (SozR 1200 34 Nrn. 1, 4, 6, 7; Wannagat, Kommentar zum SGB 1, Anm. 5 zu § 34) reicht die Gelegenheit der Anhörung im Vorverfahren - wie hier - aus; entscheidend ist, daß die Anhörung noch im Organisationsbereich der Beklagten erfolgt, weil dann der Mangel der Anhörung noch geheilt werden kann.
Im Ergebnis, wenn auch nicht in der Begründung, ist dem LSG auch in der Sache selbst zu folgen. Ein Sozialversicherungsträger - hier die beigeladene AOK - ist nicht berechtigt, sich im Wege der Verrechnung letztlich auf Kosten des Trägers der Sozialhilfe wegen eigener Forderungen gegen den Empfänger von Sozialhilfe - hier des Klägers - zu befriedigen.
Durch Art. II § 28 Nr. 4 SGB 10 (BGBl. I, 1469) wurde mit Wirkung ab 19. August 1980 (§ 40 Abs. 1 und 5 SGB 10) § 51 Abs. 2 SGB 1 geändert. Der Punkt wurde durch ein Komma ersetzt und folgender Halbsatz angefügt: "Soweit der Leistungsberechtigte nicht hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften BSHG über die Hilfe zum Lebensunterhalt wird". Mit dieser formellen Änderung ist materiell-rechtlich klargestellt, daß sich ein Leistungsträger nicht letztlich auf Kosten eines Trägers der Sozialhilfe befriedigen darf (vgl. Entwurfsbegründung zu Art. II § 26 Nr. 2 SGB 10 - BT-Drucks. 8/2034, S. 42). Damit wurde ausdrücklich einer Auslegung des § 51 Abs. 2 SGB 1 durch Schrifttum und Praxis widersprochen, die der Konzeption des SGB entgegensteht. Sie soll wegen des subsidiären Charakters der Sozialhilfe und des Schutzes der Leistungsberechtigten (vgl. Stellungnahme des BMA vom 26. August 1977 - Die Beiträge 1978, 16) nicht hingenommen werden. Danach durfte die Rechtsprechung des BSG zu § 1299 RVO (BSGE 27, 54; SozR Nr. 13 zu § 1299 RVO; Nr. 10 zu § 1301 RVO) nicht auf das SGB 1 übertragen werden (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung Bd. III, 1980, S. 741e, 741f). Diese rückwirkende Klarstellung wird durch das vorzeitige Inkrafttreten (§ 40 Abs. 1 und 5 SGB 10) der Änderung des § 51 Abs. 2 SGB 1 besonders hervorgehoben.
§ 51 Abs. 2 SGB 1 war danach schon immer in seiner jetzigen Fassung zu verstehen. Daher ist die gemäß § 40 Abs. 1 SGB 10 am 1. Januar 1981 in Kraft tretende Überleitungsvorschrift des § 37 Abs. 1 SGB 10 nicht anzuwenden, so daß auch auf den in Art. II zu § 33 SGB 10 des Entwurfes enthaltenen Hinweis auf § 96 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG), der § 2 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG unbeachtet läßt, nicht abzuheben ist, wie dies offenbar der 4. Senat in seinem Beschluß vom 5. November 1980 - wohl mit Rücksicht auf das Urteil des 9. Senats des BSG vom 19. September 1979 (SozR 1200 § 44 Nr. 1) - angenommen hat. Vielmehr bleibt entscheidend, daß § 51 Abs. 2 SGB 1 schon immer so anzuwenden gewesen ist, wie dies in der jetzigen Fassung zum Ausdruck kommt. Eine vermehrte Sozialhilfebedürftigkeit des Klägers durch Verrechnung ist rechtswidrig gewesen. Damit kommt es auch nicht mehr darauf an, ob § 54 SGB 1 Abs. 2 und 3 auch auf § 51 Abs. 2 SGB 1 zu beziehen war. Die durch § 51 Abs. 2 SGB 1 getroffene Regelung ergreift jedenfalls uneingeschränkt den vorliegenden Fall, so daß es keiner Erörterung mehr bedarf, ob der 11. Ausschuß mit der Einfügung des § 54 Abs. 2 und 3 in § 51 SGB 1 auch § 51 Abs. 2 SGB 1 erfassen wollte. Die aufgestellten Grundsätze gelten uneingeschränkt wegen der pauschalen Bezugnahme des § 52 SGB 1 auch für die Verrechnung.
Diesem Ergebnis kann nicht mit Erfolg das Urteil des 4. Senats vom 19. Januar 1978 (BSGE 45, 271) entgegengehalten werden. Zwar hat der 4. Senat des BSG dort für Fälle des Rentenbezuges ab 1. Januar 1976 (Art. 2 § 23 Abs. 1 SGB 1) gegenteilig entschieden und seine Rechtsauffassung zunächst weiterhin aufrechterhalten. Da er aber inzwischen im Beschluß vom 5. November 1980 auf Anfrage des Großen Senats erklärt hat, sein Urteil vom 9. Januar 1978 stehe der beabsichtigten Entscheidung des 8a Senats nicht mehr entgegen und er nach Verkündung von SGB 10 im Hinblick auf die Überleitungsvorschrift in Art. II § 28 Nr. 4, § 37 Abs. 1, § 40 Abs. 1 und 5 SGB 10 zu einem anderen Ergebnis als im Urteil vom 19. Januar 1978 kommen würde, ist der Senat nicht mehr gehindert, in der Sache abschließend zu entscheiden (vgl. Buchholz, BVerwG § 11 VerwGO Nr. 4).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen