Tenor
Auf die Sprungrevision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 17. Dezember 1968 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beklagte gewährte dem Kläger, der weiterhin in einem knappschaftlichen Betrieb als Kauenwärter tätig war, mit Bescheid vom 28. Juli 1967 die Knappschaftsrente (Gesamtleistung) wegen Berufsunfähigkeit (BU). Den knappschaftlichen Anteil berechnete sie mit 1,2 v.H. der persönlichen Rentenbemessungsgrundlage. Vom 9. Mai 1967 an war der Kläger arbeitsunfähig krank. An diesem Tage erstattete Dr. H. ein Gutachten, in dem er annahm, der Kläger sei wegen einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes gegenüber der Begutachtung vom 19. Oktober 1966 seit dem 1. Januar 1967 nur noch in der Lage, halbschichtig leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten; eine Besserung sei nicht zu erwarten. Der Kläger schied am 14. August 1967 aus dem Bergbau aus. Die Beklagte gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 30. Juli 1968 die auf 2 v.H. der persönlichen Rentenbemessungsgrundlage erhöhte Knappschaftsrente wegen BU vom 1. September 1967 an. Der Widerspruch des Klägers, mit dem dieser die Erhöhung der Gesamtleistung wegen BU vom 1. Juni 1967 an begehrte, wurde am 23. September 1968 zurückgewiesen.
Das Sozialgericht (SG) Dortmund hat die Beklagte mit Urteil vom 17. Dezember 1968 antragsgemäß unter Abänderung des angefochtenen Bescheides vom 30. Juli 1968 in der Fassung des Bescheides der Widerspruchsstelle vom 25. September 1968 verurteilt, die Erhöhung der Knappschaftsrente (Gesamtleistung) wegen BU gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) bereits vom 1. Juni 1967 an durchzuführen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, nach § 53 Abs. 2 Satz 2 RKG komme es nicht auf die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses, sondern auf das Ausscheiden des Versicherten aus einer knappschaftlich versicherten Beschäftigung an. Der Kläger sei bereits am 9. Mai 1967 endgültig ausgeschieden, nachdem er am 8. Mai 1967 die letzte Schicht in einem knappschaftlichen Betrieb verfahren habe. Das gelte um so mehr, als aus dem Gutachten vom 9. Mai 1967 eindeutig hervorgehe, daß der Kläger von jetzt an gesundheitlich nur noch halbschichtige, leichte Invalidentätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten könne. In Fällen dieser Art, in denen also von vornherein feststehe, daß ein Versicherter für knappschaftliche Tätigkeiten aus gesundheitlichen Gründen endgültig untauglich sei, könne es nur auf den Zeitpunkt der endgültigen Aufgabe der knappschaftlichen Beschäftigung, nicht aber auf den durch die anschließende Krankfeierzeit hinausgeschobenen Zeitpunkt der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses ankommen. Das SG hat die Berufung zugelassen.
Die Beklagte hat mit schriftlicher Einwilligung des Klägers am 26. Februar 1969 Sprungrevision eingelegt. Sie rügt die unrichtige Anwendung des § 53 Abs. 2 Satz 2 RKG. Sie ist der Ansicht, aus dieser Vorschrift ergebe sich, daß nicht die tatsächliche Beendigung der Arbeit, sondern das Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis, also die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses, maßgebend sei. Das folge auch daraus, daß dem Rentner mit dieser Regelung ein Anreiz geboten werden sollte, die knappschaftliche Tätigkeit aufzugeben und damit den Bergbau von der übergroßen Zahl von Invaliden zu befreien. Dieses Motiv des Gesetzgebers werde dadurch verdeutlicht, daß die Verrichtung einer innerhalb wie außerhalb des Bergbaus vorkommenden, im Rahmen des § 46 Abs. 2 RKG nicht zumutbaren Arbeit außerhalb des Bergbaus, der Zahlung der höheren Knappschaftsrente wegen BU nicht entgegenstehe. Folglich sei der Schnitt zwischen der niedrigeren und der höheren Knappschaftsrente wegen BU dort vorzunehmen, wo der Versicherte den Bergbau verlasse. Wolle man der Auslegung des SG folgen, so müsse man einem Versicherten, der das Beschäftigungsverhältnis nach seiner letzten Arbeitsleistung mit Tarifurlaub beende, die erhöhte Knappschaftsrente wegen BU trotz Lohnzahlung schon für die Zeit des Tarifurlaubs gewähren, da er während dieser Zeit nicht mehr gearbeitet habe. Das könne aber ebenso wenig gewollt sein wie die Gewährung der höheren Knappschaftsrente wegen BU für einen Angestellten, der während der Arbeitsunfähigkeit das volle Arbeitsentgelt erhalte und dann erst aus dem Bergbau ausscheide.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für richtig; er ist insbesondere der Ansicht, der Wortlaut des § 53 Abs. 2 RKG sei eindeutig und lasse keine andere Auslegung zu. Das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis ende bereits mit dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit.
II
Die zulässige Sprungrevision der Beklagten ist begründet; denn das SG hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, dem Kläger die erhöhte Knappschaftsrente wegen BU bereits vom 1. Juni 1967 zu gewähren. Die auf 2 v.H. der persönlichen Rentenbemessungsgrundlage erhöhte Knappschaftsrente wegen BU steht dem Kläger nach § 53 Abs. 2 RKG erst vom 1. September 1967 an zu, so daß der Bescheid der Beklagten vom 30. Juli 1968 und der ihn bestätigende Widerspruchsbescheid rechtmäßig sind.
Der Wortlaut des § 53 Abs. 2 RKG ist – entgegen der vom Kläger vertretenen Ansicht – keineswegs eindeutig in dem Sinne, daß es auf den Zeitpunkt der letzten Schicht in einem knappschaftlichen Betrieb ankäme. Die Sätze 1 und 2 des § 53 Abs. 2 RKG enthalten verschiedene Ausdrucksweisen für dasselbe Ereignis, das den Anspruch auf die höhere Knappschaftsrente wegen BU begründen soll. Die in Satz 1 geregelte Dauer der geringeren Knappschaftsrente muß unbedingt mit dem in Satz 2 geregelten Beginn der höheren Knappschaftsrente korrespondieren, d. h. die beiden Leistungen müssen zeitlich nahtlos aneinander anschließen. Das Ende des Verrichtens einer knappschaftlich versicherungspflichtigen Beschäftigung im Sinne des Satzes 1 muß also identisch sein mit dem Ausscheiden aus einer knappschaftlich versicherungspflichtigen Beschäftigung im Sinne des Satzes 2. Daher ist weder allein der Wortlaut des Satzes 1 noch allein der des Satzes 2 für die Auslegung maßgebend; vielmehr ist aus beiden der ihnen gemeinsame Sinn des Gesetzes zu ermitteln.
Bedeutsam ist zunächst, daß der Gesetzgeber es mit beiden Ausdrucksweisen auf die Dauer der knappschaftlich versicherungspflichtigen Beschäftigung abstellt. Die knappschaftliche Versicherungspflicht besteht nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 RKG aber so lange, wie der Arbeitnehmer in einem knappschaftlichen Betrieb beschäftigt ist. Auch nach dem Wortlaut dieser Vorschrift kommt es also ebenso wie nach § 53 Abs. 2 RKG auf die Dauer der Beschäftigung in einem knappschaftlichen Betrieb an. § 1 RKG macht die Versicherungspflicht bewußt nicht von dem Bestehen eines Arbeitsvertrages abhängig, weil er auch die faktischen Beschäftigungsverhältnisse erfassen will. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, daß Versicherungspflicht nur solange besteht, wie der Arbeitnehmer tatsächlich Arbeit leistet. Ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis besteht z. B. auch während des Tarifurlaubs oder während einer sonstigen Unterbrechung der Beschäftigung bei Fortzahlung des Entgelts – etwa bei Arbeitsunfähigkeit von Angestellten und jetzt auch von Arbeitern – fort. Ein durch Arbeitsantritt wirksam gewordenes Beschäftigungsverhältnis dauert – solange es nicht gelöst worden ist – während solcher Zeiten auch dann fort, wenn keine Arbeit geleistet wird. Hat danach aber das knappschaftlich versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis des Klägers auch in der Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zum 14. August 1967 fortbestanden, so war der Kläger auch noch nicht aus der knappschaftlich versicherungspflichtigen Beschäftigung ausgeschieden.
Diese Auslegung, die schon der Wortlaut des Gesetzes nahelegt, entspricht auch dem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck der Differenzierung in der Höhe der Knappschaftsrente wegen BU. Wenn der Gesetzgeber mit der unterschiedlichen Rentenhöhe auch vermeiden wollte, daß der berufsunfähige Rentner ein höheres Gesamteinkommen hat als der Vollbeschäftigte, so fällt doch auf, daß eine nicht knappschaftliche Beschäftigung ohne Rücksicht auf die Höhe des Entgelts den Anspruch auf die höhere Knappschaftsrente wegen BU nicht beeinträchtigt. Nur die Beschäftigung in einem knappschaftlichen Betrieb hat die Verringerung des Rentenanspruchs zur Folge, und zwar ohne Rücksicht auf die Höhe des Einkommens aus dieser Beschäftigung. Daraus ergibt sich, daß für den Gesetzgeber das Innehaben eines Arbeitsplatzes in einem knappschaftlichen Betrieb der entscheidende Gesichtspunkt war. Die Beklagte weist mit Recht darauf hin, daß der Gesetzgeber mit § 53 Abs. 2 RKG arbeitsmarktpolitische Ziele verfolgt. Der Bergbau krankt schon lange an dem sogenannten Invalidenproblem, d. h. daran, daß die leichteren Tätigkeiten über Tage überbesetzt sind, weil die Zechenverwaltungen aus sozialen Gründen vielfach Hauern, die nicht mehr unter Tage arbeiten können, leichtere Arbeit über Tage anbieten, um sie nicht entlassen zu müssen. Mit der Erhöhung der Knappschaftsrente wegen BU soll den berufsunfähigen Inhabern solcher Arbeitsplätze ein Anreiz gegeben werden, aus dem Bergbau auszuscheiden und ihren Arbeitsplatz für andere, nicht mehr voll leistungsfähige Beschäftigte freizumachen. Solange das Beschäftigungsverhältnis aber noch nicht beendet ist, hat der Versicherte den Arbeitsplatz noch nicht freigemacht, auch wenn er etwa wegen Krankheit bereits vorher die letzte Schicht verfahren hat und nicht beabsichtigt, auf den Arbeitsplatz zurückzukehren. Solange das einmal begründete Beschäftigungsverhältnis noch nicht gelöst wurde, hat der Versicherte einen Anspruch auf den Arbeitsplatz, so daß der Arbeitgeber ihn nicht anderweitig besetzen kann. Der mit der Rentenerhöhung verfolgte Zweck tritt also erst mit der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses und nicht schon mit der tatsächlichen Nichtausübung von Arbeit ein.
Die danach begründete Sprungrevision der Beklagten muß somit zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage führen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Unterschriften
Dr. Dapprich, Schröder, May
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 19.03.1970 durch Mackenroth Reg.Hauptsekretär Schriftführer
Fundstellen