Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesundheitseinrichtungen. ärztlich geleitete kommunale. ärztliches Fachgebiet. Facharzt. fachärztliche Versorgung. Vorrang freiberuflicher Tätigkeit. freie Praxis. Privatisierungsgebot. Strukturwandelgebot. Zulassungsstatus. Bestandsschutz. Kostenerstattungsanspruch. Kostenentscheidung. Aufwendungen von Behörden. Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts. Erstattungsfähigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Ärztlich geleitete kommunale Gesundheitseinrichtungen im Beitrittsgebiet haben keinen Anspruch auf Genehmigung der Anstellung eines Arztes, wenn dieser fachärztlich auf einem Gebiet tätig werden soll, das am 1.10.1992 nicht Bestandteil des Leistungsangebotes der Einrichtung war.
2. Eine zum Verfahren notwendig beigeladene Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts hat keinen Anspruch auf Erstattung ihrer Aufwendungen für das gerichtliche Verfahren, auch wenn sie allein Berufung oder Revision eingelegt und im Rechtsmittelverfahren obsiegt hat.
Normenkette
SGG § 193; SGB V § 311
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beigeladenen zu 8) werden die Urteile des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg vom 13. Juni 1995 und des Sozialgerichts Potsdam vom 28. September 1994 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat dem Beklagten die Kosten des Klage- und Berufungsverfahrens zu erstatten. Im übrigen sind außergerichtliche Kosten für alle Rechtszüge nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die klagende kommunale Gesundheitseinrichtung in Lübbenau/Kreis Oberspreewald-Lausitz; zuvor Kreis Calau (Brandenburg) beabsichtigt, ihr Versorgungsangebot über die am 1. Oktober 1992 bei ihr vertretenen Fachgebiete (Allgemeinmedizin, Dermatologie, Chirurgie, Gynäkologie, Innere Medizin und Kinderheilkunde) hinaus auf das Gebiet der Urologie auszudehnen, und beantragte deshalb bei dem Zulassungsausschuß im Januar 1994 die Genehmigung zur Anstellung des zu 9) beigeladenen Facharztes für Urologie. Der Zulassungsausschuß genehmigte die Anstellung des seit 1990 in das Arztregister der zu 8) beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) eingetragenen Arztes zum 1. Mai 1994. Daraufhin stellte der zu 10) beigeladene Landesausschuß der Ärzte und Krankenkassen für den Planungsbereich Calau im Fachgebiet Urologie eine Überversorgung fest und ordnete Zulassungsbeschränkungen an.
Auf den Widerspruch der Beigeladenen zu 8) hob der beklagte Berufungsausschuß die Entscheidung des Zulassungsausschusses auf und lehnte den Antrag auf Genehmigung der Anstellung des Beigeladenen zu 9) ab. Der Bestandsschutz der kommunalen Gesundheitseinrichtungen sei nach § 311 Abs. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) auf die Fachrichtungen beschränkt, die am 1. Oktober 1992 betrieben worden seien, und dazu gehöre bei der Klägerin die Urologie nicht (Beschluß vom 8. Juni 1994).
Das Sozialgericht (SG) hat den Beschluß des Beklagten aufgehoben (Urteil vom 28. September 1994). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufungen des Beklagten und der Beigeladenen zu 8) zurückgewiesen und auf die Anschlußberufung der Klägerin den Beklagten verpflichtet, ihr die Genehmigung zur Anstellung des Beigeladenen zu 9) zu erteilen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die in § 311 Abs. 2 Satz 1 BGB V genannten Gesundheitseinrichtungen hätten einen Rechtsanspruch auf Genehmigung der Anstellung von Ärzten, soweit im betroffenen Planungsbereich keine Überversorgung festgestellt sei und der anzustellende Arzt die Voraussetzungen für die Eintragung in das Arztregister erfülle. Dem Gesetz sei nicht zu entnehmen daß die Erteilung der Genehmigung von weiteren Voraussendungen abhängig gemacht werden dürfe insbesondere davon, daß der anzustellende Arzt in einer Fachrichtung tätig werden solle, die von der Gesundheitseinrichtung bereits am 1. Oktober 1992 vorgehalten worden sei. Wenn das Gesetz den in § 311 Abs. 2 Satz 1 SGB V genannten Einrichtungen einen Rechtsanspruch auf Genehmigung der Anstellung von weiteren Ärzten unter bestimmten – hier erfüllten – Voraussetzungen zubillige, seien allgemeine Grundsätze wie das in § 311 Abs. 10 SGB V niedergelegte Gebot des Strukturwandels nicht geeignet, diesen Rechtsanspruch einzuschränken (Urteil vom 13. Juni 1995).
Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die beigeladene KÄV eine Verletzung des § 311 Abs. 2 Satz 1 SGB V. Aus dieser Vorschrift iVm dem Strukturwandelgebot des § 311 Abs. 10 SGB V ergebe sich, daß der Bestandsschutz der zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Gesundheitseinrichtungen auf die ärztlichen Fachgebiete beschränkt sei, die in der jeweiligen Einrichtung am 1. Oktober 1992 vorhanden gewesen seien. Bereits in § 311 SGB V idF des Einigungsvertrages (EinigVtr) vom 31. August 1990 sei durch die Befristung der Zulassung der damals vorhandenen Gesundheitseinrichtungen und durch die Verpflichtung zum Strukturwandel der politische Wille zum Ausdruck gekommen, die ambulante ärztliche Versorgung im Beitrittsgebiet dem in den alten Bundesländern bewährten System der Versorgung durch in freier Praxis tätige Ärzte schrittweise anzunähern. Durch das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) vom 21. Dezember 1992 sei § 311 Abs. 2 SGB V lediglich insoweit geändert worden, als die ursprünglich bis zum 31. Dezember 1995 vorgesehene Befristung des Bestandsschutzes der kommunalen Gesundheitseinrichtungen aufgehoben worden sei. Daraus könne nicht geschlossen werden, daß der Gesetzgeber nunmehr einen weiteren Ausbau dieser Einrichtungen habe ermöglichen und von dem Grundsatz habe abweichen wollen, daß mittel- und langfristig die ambulante Versorgung der Versicherten in erster Linie durch niedergelassene Ärzte gewährleistet werden solle.
Die Beigeladene zu 8) beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg vom 13. Juni 1995 und des Sozialgerichts Potsdam vom 29. September 1994 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und weist darauf hin, daß dem Strukturwandelgebot des § 311 Abs. 10 SGB V bereits durch die Schließung einer Vielzahl von Polikliniken und anderen Gesundheitseinrichtungen Rechnung getragen worden sei, so daß sich die Struktur der ambulanten Versorgung in Brandenburg weitgehend derjenigen in den alten Bundesländern angenähert habe. Eine Notwendigkeit, den weiterbestehenden kommunalen Gesundheitseinrichtungen das Angebot einer fachärztlichen Versorgung in allen Disziplinen zu versagen, bestehe so lange nicht, wie nicht bereits eine Überversorgung festgestellt worden sei.
Die Beigeladenen zu 1) und zu 9) beantragen ebenfalls,
die Revision zurückzuweisen.
Der Beklagte schließt sich der Auffassung der Beigeladenen zu 8) an, stellt aber keinen Antrag.
Die übrigen Beigeladenen haben sich im Revisionsverfahren nicht geäußert,
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der zu 8) beigeladenen KÄV ist zulässig, insbesondere fehlt es nicht an der für eine Nachprüfung des Berufungsurteils im Revisionsverfahren erforderlichen Rechtsmittelbefugnis. Beigeladene sind rechtsmittelbefugt, wenn die angefochtene Entscheidung sie beschwert, dh in ihren berechtigten Interessen berührt und dem Inhalt nach für sie ungünstig ist (BSG SozR 1500 § 161 Nr. 1; Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫, 5. Aufl 1993, vor § 143 RdNr. 4). Eine entsprechende materielle Beschwer der beigeladenen KÄV ist hier gegeben, weil die KÄVen aufgrund der ihnen übertragenen Verantwortung für eine den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entsprechende Durchführung der vertragsärztlichen Versorgung (§ 75 Abs. 1 SGB V) durch Entscheidungen der Zulassungs- und Berufungsausschüsse stets und unmittelbar in eigenen Rechten betroffen werden (BSG SozR 3-2500 § 119 Nr. 1 S 2).
Die Revision ist auch begründet. Das LSG hat zu Unrecht die Berufungen des beklagten Berufungsausschusses und der beigeladenen KÄV zurückgewiesen. Das SG hätte den Beschluß des Beklagten vom 2. März 1994 nicht aufheben dürfen, weil dieser rechtmäßig ist. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Genehmigung der Anstellung des zu 9) beigeladenen Facharztes für Urologie.
Nach § 311 Abs. 2 Satz 1 SGB V idF des GSG vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S 2266) werden zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung die im Beitrittsgebiet bestehenden ärztlich geleiteten kommunalen Gesundheitseinrichtungen (…) kraft Gesetzes zur ambulanten Versorgung zugelassen, soweit sie am 1. Oktober 1992 noch bestanden. Nach § 311 Abs. 2 Satz 6 SGB V bedarf die Anstellung eines Arztes in einer Einrichtung nach Satz 1 der Genehmigung des Zulassungsausschusses, die nach Satz 7 zu erteilen ist, wenn die Voraussetzungen des § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB V erfüllt sind. Soweit in einem Planungsbereich bereits vor Beantragung der Genehmigung zur Anstellung eines Arztes eine Überversorgung festgestellt worden ist, kann dem Antrag nur entsprochen werden, wenn anderenfalls der zum 1. Oktober 1992 festgestellte Bestand von Ärzten unterschritten würde.
Die Klägerin ist eine kommunale Gesundheitseinrichtung iS des § 311 Abs. 2 Satz 1 SGB V, und der Beigeladene zu 9) erfüllt durch die Eintragung in das Arztregister die Voraussetzungen des § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB V. Die vom zu 10) beigeladenen Landesausschuß der Ärzte und Krankenkassen im März 1994 festgestellte Überversorgung im Fachgebiet Urologie im betroffenen Planungsbereich steht der Erteilung der Genehmigung nicht entgegen, denn diese Feststellung ist eine Reaktion des Landesausschusses auf die Entscheidung des Zulassungsausschusses, der Klägerin die Anstellung des Beigeladenen zu 9) zu genehmigen. Im Planungsbereich Calau bestand 1994 nach den Bedarfsplanungsrichtlinien Bedarf allenfalls für einen Arzt für Urologie. Mit der Anstellung des Beigeladenen zu 9) bei der Klägerin wäre der Bedarf mehr als gedeckt, weil die in den Einrichtungen nach § 311 Abs. 2 Satz 1 SGB V beschäftigten Ärzte bei der Bedarfsplanung zu berücksichtigen sind (§ 311 Abs. 2 Satz 5 SGB V).
Dem Anspruch der Klägerin auf Erteilung der Genehmigung zur Anstellung des Beigeladenen zu 9) steht jedoch entgegen, daß ihr unmittelbar kraft Gesetzes bestehender Zulassungsstatus auf die am 1. Oktober 1992 vorgehaltenen Fachgebiete beschränkt ist und sie keinen Anspruch darauf hat, durch Anstellung eines Facharztes ihr Versorgungsangebot auf solche ärztlichen Disziplinen zu erweitern, die sie am 1. Oktober 1992 noch nicht angeboten hat. Der den kommunalen Gesundheitseinrichtungen in § 311 Abs. 2 Satz 7 SGB V zugebilligte Rechtsanspruch auf die Genehmigung der Anstellung von Ärzten ist auf die Sicherung der am Stichtag vorhandenen Versorgungsmöglichkeiten beschränkt und erfaßt nicht die Erweiterung des Angebotes auf weitere Fachgebiete. Das ergibt sich aus dem Bezug der Bestandsgarantie der kommunalen Gesundheitseinrichtungen auf den Bestand am 1. Oktober 1992 (§ 311 Satz 1 SGB V: „soweit”), aus dem Strukturwandelgebot in § 311 Abs. 10 SGB V sowie aus dem Regelungszusammenhang der Übergangsbestimmung in § 311 SGB V insgesamt.
Nach der durch den EinigVtr vom 31. August 1990 (BGBl II S 889, 1049 ff) in das SGB V aufgenommenen Vorschrift des § 311 Abs. 2 SGB V wurden ua die ärztlich geleiteten kommunalen Gesundheitseinrichtungen kraft Gesetzes bis zum 31. Dezember 1995 zur ambulanten Versorgung zugelassen. Diese Regelung ist von der Bundesregierung damit begründet worden, daß für eine Übergangszeit die Einrichtungen, die damals ganz überwiegend die ambulante Versorgung der Bevölkerung des beigetretenen Gebietes gewährleistet haben, zugelassen werden sollten (BT-Drucks 11/7817, S 148; vgl BSGE 75, 226, 228 = SozR 3-2500 § 311 Nr. 3 S 18). Zugleich sind die Partner des EinigVtr aber, wie insbesondere aus dem „Privatisierungsgebot” in § 311 Abs. 10 SGB V zu ersehen ist, davon ausgegangen, daß mittelfristig eine Angleichung des bisherigen Systems der ambulanten Versorgung im Gebiet der ehemaligen DDR an das System des Kassenarztrechts der alten Bundesrepublik erfolgen sollte (BSGE 75, 226, 228 = SozR 3-2500 § 311 Nr. 3 S 19). An dieser Zielsetzung hat die Neufassung des § 311 Abs. 2 SGB V durch das GSG nichts geändert. Nunmehr sind die in § 311 Abs. 2 Satz 1 SGB V genannten Einrichtungen ohne zeitliche Begrenzung zugelassen, allerdings nur, „soweit sie am 1. Oktober 1992 noch bestanden”. Beide gesetzgeberischen Entscheidungen – die Umwandlung der ursprünglich befristeten in eine dauerhafte Zulassung und die Beschränkung des Bestandsschutzes auf den am 1. Oktober 1992 vorhandenen Stand – müssen in ihrem systematischen Zusammenhang verstanden werden.
Auf der einen Seite hat das GSG die Rechtsstellung der in § 311 Abs. 2 Satz 1 SGB V genannten Gesundheitseinrichtungen deutlich dadurch gestärkt, daß ihnen ein dauerhafter Zulassungsstatus verliehen worden ist. Dieser garantiert den Trägern der Einrichtungen Planungssicherheit und ermöglicht ihnen so eine längerfristige Personalplanung und die Vornahme von Investitionen zur Sicherung eines hohen und leistungsfähigen Standards der medizinischen Versorgung. Der unmittelbar kraft Gesetzes verliehene dauerhafte Zulassungsstatus unterscheidet die in § 311 Abs. 2 Satz 1 SGB V genannten Einrichtungen von den in Satz 2 behandelten kirchlichen Fachambulanzen. Deren Zulassung endet am 31. Dezember 1995, woran im Grundsatz auch die Einführung des § 311 Abs. 2a SGB V durch das 6. SGB V-Änderungsgesetz (6. SGB V-ÄndG) vom 18. Dezember 1995 (BGBl I S 1987) zum 1. Januar 1996 nichts geändert hat. Durch die Entfristung der Zulassung der Gesundheitseinrichtungen nach § 311 Abs. 2 Satz 1 SGB V hat der Gesetzgeber den traditionell gewachsenen Einrichtungen der ambulanten Versorgung in den neuen Bundesländern ein eigenes Betätigungsfeld belassen und den Umfang ihrer Tätigkeit im Vergleich zu den niedergelassenen Ärzten quantitativ und qualitativ nicht eingeschränkt (vgl Begründung der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP zur Neufassung des § 311, BT-Drucks 12/3608 zu Art. 1 Nr. 149 GSG, allerdings nur auf die Fachambulanzen bezogen).
Auf der anderen Seite ist die gesetzlich auf Dauer abgesicherte Betätigung der in § 311 Abs. 2 Satz 1 SGB V genannten Einrichtungen auf die ärztlichen Fachgebiete beschränkt worden, die in den Einrichtungen am 1. Oktober 1992 vorhanden waren, wie sich aus der Wendung „soweit …” ergibt. Mit diesem Nebensatz soll nicht allein ausgedrückt werden, daß die am 1. Oktober 1992 bestehenden Einrichtungen zugelassen werden sollen. Bei diesem Verständnis hätte die Norm keinen Regelungsgehalt. Andere als die am 1. Oktober 1992 bestehenden und auch bei Inkrafttreten des GSG am 1. Januar 1993 noch existierenden Einrichtungen können kraft Gesetzes nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen werden, weil seit dem Inkrafttreten des § 311 SGB V idF des EinigVtr am 1. Januar 1991 keine neuen kommunalen Gesundheitseinrichtungen mehr gegründet und zugelassen werden konnten. Schon in der Ausgangsfassung des EinigVtr hat die Vorschrift des § 311 Abs. 2 SGB V ausdrücklich nur die „bestehenden … Gesundheitseinrichtungen” erfaßt. Einen eigenständigen Regelungsgehalt enthält der Nebensatz „soweit …” nur, wenn er dem üblichen Wortsinn entsprechend als Einschränkung der Zulassung aufgefaßt und so verstanden wird, daß nur das am 1. Oktober 1992 bestehende Versorgungsangebot auf Dauer Bestandteil der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung sein sollte. Nur dieses Leistungsangebot ist Bestandteil eines über Jahrzehnte in der ehemaligen DDR gewachsenen und dort angenommenen Systems der ambulanten Versorgung, und nur im Hinblick darauf sind die Gesundheitseinrichtungen durch § 311 Abs. 2 Satz 1 SGB V idF des GSG abweichend von den Versorgungsstrukturen in den alten Bundesländern dauerhaft abgesichert worden. Soweit die ärztliche Versorgung in einer Region auf einzelnen Fachgebieten nie durch eine Gesundheitseinrichtung iS des § 311 Abs. 2 Satz 1 SGB V gewährleistet worden ist, kann diese Einrichtung auch einen gesetzlichen Bestandsschutz für sich nicht in Anspruch nehmen. Soll in einem bestimmten Planungsbereich ein Versorgungsangebot für ein medizinisches Fachgebiet geschaffen werden, das dort bisher nicht Bestandteil der ambulanten ärztlichen Versorgung war, greift unmittelbar das Privatisierungsgebot des § 311 Abs. 10 SGB V ein, wonach die Niederlassung in freier Praxis mit dem Ziel zu fördern ist, daß der freiberuflich tätige Arzt maßgeblicher Träger der ambulanten Versorgung wird. Es ist kein Grund dafür erkennbar, weshalb die in § 311 Abs. 10 SGB V beschriebene zentrale Stellung des freiberuflich tätigen Arztes bei der Versorgung von Versicherten mit zusätzlichen, bisher im jeweiligen Planungsbereich nicht angebotenen fachärztlichen Leistungen zugunsten des Ausbaus einer der in § 311 Abs. 2 Satz 1 SGB V genannten Gesundheitseinrichtungen eingeschränkt werden sollte.
Der Vorrang der freiberuflich tätigen Ärzte besteht unabhängig davon, ob zu dem Zeitpunkt, zu dem die Gesundheitseinrichtung ihr Leistungsangebot auf ein neues Fachgebiet erweitern will, konkret ein niederlassungswilliger Facharzt vorhanden ist oder nicht. Es obliegt nicht den in § 311 Abs. 2 Satz 1 SGB V genannten Gesundheitseinrichtungen darüber zu befinden, ob in einem Planungsbereich sinnvollerweise ein fachärztliches Versorgungsangebot für die Versicherten vorgehalten werden soll oder nicht. Vielmehr ist es nach § 100 Abs. 1 SGB V Aufgabe des Landesausschusses der Ärzte und Krankenkassen festzustellen, ob in einem bestimmten Gebiet eines Zulassungsbezirkes eine ärztliche Unterversorgung eingetreten ist oder droht. Die KÄVen haben nach § 105 Abs. 1 SGB V alle geeigneten – auch finanziellen – Maßnahmen zu ergreifen, um entsprechend dem Bedarfplan die vertragsärztliche Versorgung, die auch die fachärztliche Versorgung umfaßt (vgl § 73 Abs. 1 SGB V), in ausreichendem Umfang sicherzustellen. Auf diese Verpflichtung der KÄV wird im Rahmen des § 100 Abs. 2 SGB V ausdrücklich Bezug genommen. Das Gesetz stellt mithin ein Instrumentarium zur Gewährleistung auch der fachärztlichen Versorgung in bisher nicht ausreichend versorgten Planungsbereichen durch niedergelassene Ärzte zur Verfügung, das auch in den neuen Bundesländern greift und auf das speziell in § 311 Abs. 10 SGB V verwiesen wird. Angesichts dessen besteht kein Bedürfnis dafür, den kommunalen Gesundheitseinrichtungen im Beitrittsgebiet zu gestatten, durch Ausweitung ihres Leistungsangebotes auf am Stichtag des 1. Oktober 1992 nicht vorhandene Fachgebiete im Hinblick auf tatsächliche oder vermeintliche Wünsche von Versicherten eine von der Regelung im übrigen Bundesgebiet abweichende Versorgungsstruktur auszubauen.
Würde den in § 311 Abs. 2 Satz 1 SGB V genannten Einrichtungen durch die Genehmigung der Anstellung eines Facharztes für ein bisher nicht vorgehaltenes Fachgebiet die Ausweitung ihres Leistungsangebotes ermöglicht, kann das die Niederlassungsaussichten von Fachärzten beeinträchtigen. In kleinen Planungsbereichen, in denen, wie hier geschehen, schon die Anstellung eines Facharztes zur Anordnung einer Zulassungssperre für das betroffene Fachgebiet wegen Überversorgung führt, ist die Niederlassung eines Facharztes auf Dauer ausgeschlossen. Da die Zulassung der Gesundheitseinrichtung nach § 311 Abs. 2 Satz 1 SGB V wie auch die Anstellungsgenehmigung nach § 311 Abs. 2 Satz 6 SGB V ohne zeitliche Begrenzung gelten – letztere allerdings gebunden an die Person eines bestimmten Arztes –, würde so der in § 311 Abs. 10 SGB V dokumentierte Wille des Gesetzgebers zu einem Strukturwandel in der ambulanten Versorgung in zahlreichen kleineren Fachgebieten nicht realisiert werden können. Deshalb kann der Konflikt zwischen den Erweiterungsbestrebungen einer kommunalen Gesundheitseinrichtung und der Niederlassung eines freiberuflich tätigen Facharztes auch nicht nach dem Prioritätsprinzip in der Weise gelöst werden, daß derjenige auf Dauer die Versorgung sicherstellt, der zuerst den erforderlichen Antrag – sei es auf Genehmigung der Anstellung eines Facharztes, sei es auf Zulassung zur fachärztlichen Tätigkeit – gestellt hat. Denn dadurch würde der gesetzlich festgelegte Vorrang des freiberuflich tätigen niedergelassenen Arztes unterlaufen. An der ursprünglich von allen Fraktionen des Deutschen Bundestages getragenen Entscheidung über den Vorrang der in freier Praxis tätigen Ärzte auch in den neuen Bundesländern haben die Mehrheitsfraktionen von CDU/CSU und FDP 1995 bei der Verabschiedung des 6. SGB V-ÄndG festgehalten, das sich in § 311 Abs. 2a SGB V mit der Neugestaltung der Rechtsverhältnisse der in kirchlichen Fachambulanzen tätigen Ärzte befaßt. Das wird in dem Bericht des Abgeordneten Dr. K. über Beratungen dieses Gesetzes im Gesundheitsausschuß des Deutschen Bundestages ausdrücklich hervorgehoben (BT-Drucks 13/3203, S 5). Die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS sowie einige ostdeutsche Länder haben allerdings bei den Auseinandersetzungen über die Zukunft der kirchlichen Fachambulanzen im Bundestag und im Bundesrat Positionen vertreten, die möglicherweise auf eine vom bisherigen Verständnis des Strukturwandelgebotes abweichende Sichtweise schließen lassen (vgl Bericht des Abg Dr. K. a.a.O., S 6, sowie die Stellungnahmen der Ministerinnen Dr. H. ≪ Brandenburg ≫ und S. ≪ Sachsen-Anhalt ≫ in der 692. Sitzung des Bundesrates am 15. Dezember 1995 Prot S 581 C und S 6200. Das ändert indessen nichts daran, daß § 311 Abs. 10 SGB V nach wie vor geltendes Recht ist und sein Regelungsgehalt vom Willen des Gesetzgebers weiterhin getragen wird. Danach hat es der Beklagte zu Recht abgelehnt, der Klägerin durch die Genehmigung der Anstellung des Beigeladenen zu 9) zu gestatten, ihr Leistungsangebot auf das am 1. Oktober 1992 von ihr nicht vertretene Fachgebiet der Urologie zu erweitern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG. Obwohl die Beigeladene zu 8) im Revisionsverfahren obsiegt hat, sind ihre Kosten nach § 193 Abs. 4 Satz 2 SGG nicht erstattungsfähig. Nach dieser durch das GSG zum 1. Januar 1993 in das SGG eingefügten Vorschrift, sind abweichend von der Regel des Satzes 1 die Aufwendungen von als Kläger oder Beklagte am Verfahren beteiligten Behörden, Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts in den in § 116 Abs. 2 Satz 1 Nrn 1 und 4 der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung genannten Verfahren erstattungsfähig, soweit es sich um Streitigkeiten nach dem SGB V handelt. Aus dieser Vorschrift könnte sich ein Kostenerstattungsanspruch der beigeladenen KÄV für das Revisionsverfahren nur ergeben, wenn diese im Hinblick auf ihre prozessuale Rolle als Revisionsführerin zu den „als Kläger Beteiligten” zu rechnen wäre. Das wäre nur der Fall, wenn die gesetzliche Formulierung „als Kläger oder Beklagte Beteiligte” so auszulegen wäre, daß nicht auf die prozessuale Stellung einer Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts im Zeitpunkt der Klageerhebung, sondern auf ihre prozessualen Rollen in der jeweiligen Instanz abzustellen wäre. Eine solche Auslegung hält der Senat indessen nicht für gerechtfertigt.
Der Wortlaut des § 193 Abs. 4 Satz 2 SGG verweist auf die Beteiligtendefinition in § 69 SGG, die zwischen dem Kläger … dem Beklagten und dem Beigeladenen unterscheidet. § 69 SGG gilt als allgemeine Verfahrensvorschrift in allen Rechtszügen, und das Gesetz kennt konsequenterweise die in der Rubrizierungspraxis verbreiteten Begriffe „Berufungskläger” oder „Revisionskläger” nicht. Vielmehr kann aus § 171 Abs. 2 SGG mittelbar geschlossen werden, daß auch in der Revisionsinstanz als „Kläger” nur derjenige gilt, der ursprünglich um gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht hat. Wenn in § 193 Abs. 4 Satz 2 SGG die Beigeladenen ausdrücklich nicht neben Kläger und Beklagtem erwähnt werden, deutet das darauf hin, daß diese Vorschrift iS der Regelung des § 69 SGG strikt zwischen den Hauptbeteiligten und den Beigeladenen unterscheidet und ebenso wie jene Vorschrift allein an die Rollenverteilung bei Klageerhebung anknüpft.
Dafür spricht auch, daß in der Begründung der Bundesregierung zur Ergänzung des § 193 Abs. 4 SGG formuliert wird, es sei nicht mehr angemessen, staatliche Einrichtungen – soweit sie Kläger oder Beklagte sind – mit den außergerichtlichen Kosten für eigene Prozeßbevollmächtigte auch dann zu belasten, wenn sie obsiegen (BT-Drucks 12/3608 S 153 zu Art. 14 Nr. 2 GSG). Danach sollte ein Kostenerstattungsanspruch für Behörden, Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts in vertragsärztlichen Streitigkeiten nicht allein vom Obsiegen abhängig sein, sondern auch von der weiteren Einschränkung, daß sie im Streitverfahren „Kläger oder Beklagte” sind. Es kann nicht unterstellt werden, daß der Bundesregierung und dem Gesetzgeber nicht bewußt gewesen wäre, daß die in der Begründung des Gesetzesentwurfs angesprochenen „staatlichen Einrichtungen” auch und gerade in vertragsarztrechtlichen Streitigkeiten häufig als Beigeladene beteiligt sind und in dieser Funktion auch Rechtsmittel einlegen können. Diese Annahme liegt auch deshalb fern, weil in der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und in der Finanzgerichtsordnung (FGO) Regelungen über den Kostenerstattungsanspruch der Beigeladenen enthalten sind, die auch für beigeladene Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts gelten (vgl § 162 Abs. 4 VwGO und § 139 Abs. 4 FGO). Eine diesen Vorschriften entsprechende Regelung ist aber weder mit dem GSG noch bei späteren Novellierungen des SGG in dieses Gesetz aufgenommen worden.
Schließlich muß eine Auslegung des § 193 Abs. 4 Satz 2 SGG, die auf die prozessuale Rolle in der jeweiligen Instanz abstellt, auch deshalb ausscheiden, weil sie das Kostenrisiko für einen Kläger – sei es eine natürliche Person oder eine juristische Person des Privatrechts – erheblich und in schwer kalkulierbarer Weise ausweiten würde. Angesichts der großen Zahl von notwendig beizuladenden Körperschaften und/oder Behörden in vertragsärztlichen Streitverfahren könnten Kostenerstattungsansprüche in erheblichem Umfang entstehen, wenn mehrere Beigeladene, die sich von verschiedenen Anwälten vertreten lassen, erfolgreich Rechtsmittel einlegen. Ob den Klägern dieses Risiko zugemutet und ob ggf die Kostentragungspflicht in bestimmtem Umfang begrenzt werden soll, kann nur der Gesetzgeber und nicht die Rechtsprechung durch die erweiterte Auslegung einer Kostenvorschrift entscheiden.
Fundstellen
BSGE, 284 |
MDR 1997, 274 |
SozSi 1997, 158 |
SozSi 1997, 280 |