Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufsichtsbehördliche Beratung
Leitsatz (amtlich)
Zu den Anforderungen an Inhalt und Umfang einer aufsichtsbehördlichen Beratung.
Normenkette
SGB X § 35
Gründe
I. Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Verpflichtungsbescheides des beklagten Landes.
Der klagende Gemeindeunfallversicherungsverband (GUV) gewährte seit 1980 nicht mehr seinen Dienstordnungs-Angestellten (DO-Angestellten), wohl aber weiterhin seinen Tarifangestellten Zuschüsse zu Gemeinschaftsveranstaltungen. Sie wurden durch Beschluß der Vertreterversammlung des Klägers vom 30. September 1980 auf jährlich 20,-- DM pro Person angehoben. Aufgrund eines Beschlusses der Vertreterversammlung vom 30. August 1976 war den Bediensteten des Klägers ein Zuschuß zur Gemeinschaftsverpflegung von arbeitstäglich 1,50 DM pro Person geleistet worden. Ab 25. April 1980 erhielten die DO-Angestellten den Zuschuß nur noch in Höhe von 1,-- DM; für die Tarifangestellten betrug er weiterhin 1,50 DM.
Mit einem einschließlich der Unterschrift hektographierten, an die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOKn), die Innungskrankenkassen (IKKn), die landesunmittelbaren Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, die landwirtschaftlichen Alterskassen (LAKn) und die landwirtschaftlichen Krankenkassen (LKKn) in Baden-Württemberg sowie nachrichtlich an verschiedene Verbände und die Landesversicherungsanstalten (LVAen) Baden und Württemberg gerichteten Rundschreiben vom 11. Juli 1984 riet der durch das Landesaufsichtsamt für die Sozialversicherung vertretene Beklagte unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29. Februar 1984 - 8 RK 27/82 - (BSG 56, 197 = SozR 2100 § 69 Nr. 4), Vorstandsbeschlüsse über die Zahlung von Zuschüssen zu Gemeinschaftsveranstaltungen (Grundsatzbeschlüsse und noch nicht vollzogene Beschlüsse für das laufende Kalenderjahr) aufzuheben und derartige Zuschüsse nicht mehr zu gewähren sowie, soweit tarifvertragliche Regelungen bestünden, keine höheren Beträge als die im Tarifvertrag genannten Mindestbeträge zu zahlen, Vorstandsbeschlüsse aufzuheben, soweit Sie höhere Beträge vorsähen, und keine neuen Tarifverträge abzuschließen. Der Beklagte riet ferner, Essenszuschüsse, soweit sie 1,-- DM je Arbeitstag überschritten und nicht tarifvertraglich vereinbart seien, künftig nicht mehr zu gewähren und Vorstandsbeschlüsse insoweit aufzuheben.
Am 18. Dezember 1984 lehnte die Vertreterversammlung des Klägers die Vorschläge des Vorstandes, künftig auch den BAT-Angestellten Zuschüsse zu Gemeinschaftsveranstaltungen nicht mehr zu zahlen sowie den Essenszuschuß für alle Bediensteten des Verbandes rückwirkend vom 1. August 1984 an auf einheitlich 1,-- DM je Arbeitstag festzusetzen und entgegenstehende frühere Beschlüsse aufzuheben, ab. Daraufhin verpflichtete der Beklagte mit Bescheid vom 4. Januar 1985 den Kläger,
"1. ab sofort keine Zuschüsse zu Gemeinschaftsveranstaltungen an die BAT-Angestellten und Arbeiter des Verbandes mehr zu zahlen und den Beschluß der Vertreterversammlung vom 30.9.1980 aufzuheben,
2. ab 1.8.1984 die Zuschüsse zur Gemeinschaftsverpflegung an die BAT-Angestellten und Arbeiter des Verbandes auf 1,-- DM je Arbeitstag herabzusetzen und den Beschluß der Vertreterversammlung vom 30.8.1976 mit Wirkung vom 1. August 1984 insoweit aufzuheben, als ein höherer Zuschuß als 1,-- DM je Arbeitstag beschlossen wurde".
Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) Karlsruhe den Bescheid von 4. Januar 1985 aufgehoben, weil weder der Zuschuß zu Gemeinschaftsveranstaltungen in Höhe von 20,-- DM pro Jahr und Person noch der Zuschuß zum arbeitstäglichen Essen in Höhe von 1,50 DM eine Verletzung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit oder der Sparsamkeit darstellten (Urteil vom 19. November 1987). Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 13. September 1989) und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt:
Die Aufsichtsanordnung des Beklagten sei rechtswidrig. Der Beklagte sei seiner Begründungspflicht nicht nachgekommen. Entsprechend einem allgemeinen Grundsatz im Aufsichtsrecht unterstelle es auch § 89 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgesetzbuchs, Viertes Buch, Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung, vom 23. Dezember 1976 (BGBl I S. 3845; = SGB IV) dem pflichtgemäßen Ermessen der Aufsichtsbehörde, ob eine Aufsichtsanordnung erlassen werde. Jede Aufsichtsanordnung enthalte also eine Ermessensentscheidung, die gemäß § 35 Abs. 1 Satz 3 des Sozialgesetzbuchs, Zehntes Buch, Verwaltungsverfahren, vom 18. August 1980 (BGBl I S. 1469; = SGB X) zu begründen sei. Eine fehlende Begründung könne gemäß § 41 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2 SGB X nach Klageerhebung nicht nachgeholt werden und führe gemäß § 42 Satz 1 SGB X zur Aufhebung, weil außer im Falle einer Ermessensreduzierung nicht auszuschließen sei, daß der Begründungsfehler auf einem Ermessensfehler beruhe. § 35 Abs. 1 Satz § SGB X enthalte keine Beschränkung auf bestimmte Arten von Ermessensentscheidungen und müsse daher für die gesamte durch das SGB X geregelte Verwaltungstätigkeit gelten. Selbst wenn der Entscheidungsspielraum in § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB IV der Aufsichtsbehörde auch im öffentlichen Interesse eingeräumt sein möge, unterscheide er sich darin nicht von in anderen Vorschriften (z.B. § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X) vorgesehenen Ermessensentscheidungen, für welche die Begründungspflicht anerkannt sei. Im Recht der Kommunalaufsicht werde ebenfalls von der grundsätzlichen Begründungspflicht ausgegangen. Sie respondiere überdies mit dem der derzeitigen Organisation der Sozialversicherung zugrundeliegenden Selbstverwaltungsgedanken. In der Begründung der angefochtenen Aufsichtsanordnung komme nicht zum Ausdruck, aus welchen Gründen sich die Aufsichtsbehörde zum Einschreiten entschlossen habe (Schwere des Rechtsverstoßes, finanzielle Bedeutung, Verhältnis zu anderen Sozialversicherungsträgern usw.). Dem Beklagte scheine nicht einmal klar gewesen zu sein, daß er von einer Aufsichtsanordnung auch hätte absehen können. Für eine Ermessensreduzierung habe er nichts vorgetragen; eine hierfür erforderliche ganz besonders gravierende Rechtsverletzung mit erheblichen finanziellen Auswirkungen liege nicht vor. Da die Aufsichtsanordnung wegen fehlender Ermessensbegründung aufzuheben sei, sei ihre materielle Rechtmäßigkeit nicht zu überprüfen.
Mit der vom Landessozialgericht (LSG) zugelassenen Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 35 SGB X. Die Verwaltung brauche dem Betroffenen die Gründe ihrer Entscheidung nur in solcher Weise und in solchem Umfange bekanntzugeben, daß er seine Rechte sachgemäß verteidigen könne. Das werde dem Kläger durch die in der angefochtenen Aufsichtsanordnung genannten Gründe für die Rechtswidrigkeit der beanstandeten Zuschußgewährung ermöglicht, so daß es auf die Gründe, aus denen sich die Aufsichtsbehörde zum Einschreiten entschlossen habe und gegen die ohnehin eine erfolgreiche Verteidigung nur unter den erschwerten Voraussetzungen des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) möglich sei, nicht ankomme. Formulierungen der Begründung der Aufsichtsanordnung ergäben, daß er (Beklagter) sich dessen bewußt gewesen sei, sein Ermessen auszuüben; nur habe er eine nähere Begründung dieser Ermessensbetätigung nicht für erforderlich gehalten. Nach Beratung durch das Rundschreiben vom 11. Juli 1984 sei eine Ermessensbegründung auch nicht mehr erforderlich gewesen. Die Rechtsverletzung sei besonders ahndungswürdig und eine Verpflichtung des Klägers schon wegen des von der Aufsichtsbehörde zu beachtenden Gleichheitsgrundsatzes geboten gewesen, weil der Kläger als einziger der der Aufsicht des Landesaufsichtsamts unterstehenden Versicherungsträger eine Behebung der Rechtsverletzung verweigert habe. Wäre dies hingenommen worden, hätten die anderen landesunmittelbaren Sozialversicherungsträger die Zahlung der beanstandeten Leistungen wieder aufgenommen. Zur aufsichtsrechtlichen Durchsetzung einer Angleichung der Zuschußpraxis der Versicherungsträger an diejenige des Landes Baden-Württemberg habe praktisch keine andere Möglichkeit als die aufsichtsrechtliche Verpflichtung des Klägers bestanden. Damit sei sein (des Beklagten) Ermessen praktisch auf Null reduziert oder jedenfalls durch die festgestellte Rechtsverletzung die Ermessensausübung in Richtung einer Verpflichtung vorgeprägt gewesen, so daß auch ohne Angabe von Ermessensgründen von einem sachgerechten Gebrauch des Ermessens ausgegangen werden könne. Die bisherige Rechtsprechung des BSG zu Aufsichtsverpflichtungen nach § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB IV habe trotz des § 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X eine Begründungspflicht für das Entschließungsermessen nicht verlangt und nicht als unabdingbar angesehen. Die rechtlichen Voraussetzungen für den Erlaß des angefochtenen Verpflichtungsbescheides lägen vor, so daß in der Sache selbst entschieden werden könne. Angesichts dessen sei es aus Gründen der Prozeßökonomie und der Rechtskraftwirkung untunlich, ohne Entscheidung über die rechtlichen Voraussetzungen für den Erlaß des Verpflichtungsbescheides diesen allein deswegen aufzuheben, weil er keine wirksamen Ermessenserwägungen enthalte.
Der Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13. September 1989 und des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. November 1987 aufzuheben und die Klage abzuweisen;
hilfsweise:
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13. September 1989 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er führt aus, das im Rahmen des § 89 SGB IV geltende Opportunitätsprinzip erfasse auch die Entscheidung, ob und ggf. in welcher Form die Rechtswidrigkeit eines Handelns oder Unterlassens geltend gemacht werden solle. Der Beklagte habe in seinem Bescheid vom 4. Januar 1985 keine Ermessensentscheidung oder gar Begründung einer Ermessensentscheidung vorgenommen. Die in seiner Revisionsbegründung nachgeholten Ermessenserwägungen müßten unberücksichtigt bleiben, weil die Nachprüfung von Ermessensentscheidungen auf die im Verwaltungsverfahren mitgeteilten Ermessenserwägungen beschränkt sei. Das Vorbringen des Beklagten, sein Ermessen sei praktisch auf Null reduziert gewesen, stelle ebenfalls einen neuen Sachvortrag dar, der zudem nicht überzeugend sei. Ohne Angabe von Ermessensgründen könne nicht davon ausgegangen werden, daß der Beklagte von seinem Ermessen einen sachgemäßen Gebrauch gemacht habe. Da das Opportunitätsermessen nicht die zweite Stufe eines zweigliedrigen Entscheidungsverfahrens sei, sondern einen einheitlichen Akt der Rechts- und Entscheidungsfindung kennzeichne, stellten die im angefochtenen Bescheid oder im Revisionsverfahren vorgetragenen Erwägungen nicht eine Vorprägung der Ermessensentscheidung dar. Einen Dispens von der Begründungspflicht nach § 35 Abs. 1 Satz § SGB X könne der Beklagte nicht daraus herleiten, daß ihm das in § 89 SGB IV zum Ausdruck kommende Opportunitätsprinzip im öffentlichen Interesse eingeräumt worden sei. Daß bei unterlassener Ermessensausübung aus Gründen der Prozeßökonomie eine Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes sei, widerspreche geltendem Verwaltungsverfahrensrecht und könne jedenfalls im Bereich des Aufsichtsrechts nicht gelten. Selbst wenn der Beklagte keinerlei Ermessen hätte ausüben müssen, bleibe die angefochtene Aufsichtsanordnung rechtswidrig, weil sie mit Hilfe unbestimmter Rechtsbegriffe wie denjenigen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit den Bereich seiner (des Klägers) Personalhoheit in einer dem Gesetz nicht entsprechenden Weise einschränke. Fraglich sei im übrigen, ob das Rundschreiben des Beklagten vom 11. Juli 1984 den Anforderungen einer "Beratung" i.S. des § 89 SGB IV genüge.
Unter anderem letztere Frage ist in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat am 20. Juni 1990 mit den Prozeßvertretern der Beteiligten des Rechtsstreits ausführlich erörtert worden.
II.
Die Revision des Beklagten ist nicht begründet.
Die Vorinstanzen haben im Ergebnis zutreffend die vom Kläger erhobene "Aufsichtsanfechtungsklage" (§ 54 Abs 3 SGG; zum Begriff vgl Bley in RVO-Gesammtkomm, Stand März 1989, Bd 8, § 54 SGG, Anm 9d, aa) für begründet erachtet. Der angefochtene Verpflichtungsbescheid vom 4. Januar 1985 ist rechtswidrig und deshalb zu Recht aufgehoben worden.
Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 89 Abs 1 Sätze 1 und 2 SGB IV. Hiernach soll, wenn durch das Handeln oder Unterlassen eines Versicherungsträgers das Recht verletzt wird, die Aufsichtsbehörde zunächst beratend darauf hinwirken, daß der Versicherungsträger die Rechtsverletzung behebt. Kommt der Versicherungsträger dem innerhalb angemessener Frist nicht nach, kann die Aufsichtsbehörde den Versicherungsträger verpflichten, die Rechtsverletzung zu beheben.
Die rechtlichen Voraussetzungen des § 89 Abs 1 Satz 2 SGB IV für den Erlaß eines Verpflichtungsbescheides sind bereits deshalb nicht erfüllt, weil dem angefochtenen Bescheid eine den Anforderungen des § 89 Abs 1 Satz 1 SGB IV genügende Beratung nicht vorausgegangen ist.
Nach ständiger Rechtspr des erkennenden Senats ist eine der Voraussetzungen der Rechtmäßigkeit eines Verpflichtungsbescheides im Regelfall die vorherige Durchführung einer Beratung. Diese ist Ausdruck des Bemühens um partnerschaftliche Kooperation zwischen Selbstverwaltung und Aufsicht und Teil einer "geistigen Auseinandersetzung" zwischen ernsthaft um optimale Lösungen im Interesse der versicherten Bevölkerung bemühten Partnern. Sie dient der Darlegung der Rechtsauffassung der Aufsichtsbehörde, daß durch ein Handeln oder Unterlassen des Versicherungsträgers das Recht verletzt worden sei, und der Empfehlung an den Versicherungsträger, diese nach Meinung der Aufsichtsbehörde vorliegende Rechtsverletzung zu beheben. Zugleich muß dem Versicherungsträger die Möglichkeit eröffnet werden, von sich aus die Rechtslage zu prüfen und der Aufsichtsbehörde seinen ggf abweichenden Rechtsstandpunkt darzulegen mit dem Ziel, daß sie ihrerseits sich diesen Rechtsstandpunkt zu eigen macht und von weiteren Aufsichtsmaßnahmen Abstand nimmt. Insgesamt bezweckt die Beratung als Ausgangspunkt eines möglichen Dialogs zwischen Versicherungsträger und Aufsichtsbehörde gerade die Vermeidung aufsichtsbehördlicher Anordnungen und sich daran eventuell anschließender gerichtlicher Auseinandersetzungen (vgl zu alledem BSGE 61, 254, 257f = SozR 7223 Art 8 § 2 Nr 3 S 4f mwN; BSGE 64, 124, 129 = SozR 2200 § 407 Nr 2 S 7f).
Von diesem Sinn und Zweck der aufsichtsbehördlichen Beratung her bestimmen sich ihr Inhalt und Umfang. Dabei ist zusätzlich folgendes zu berücksichtigen: Eine Beratung iS des § 89 Abs 1 Satz 1 SGB IV ist nicht identisch mit einer "Beanstandung", die nach § 70 Abs 3 Satz 2, Abs 4 Nr 2 und Abs 5 Satz 2 SGB IV von der Aufsichtsbehörde gegen die Haushaltspläne der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung und der gesetzlichen Krankenversicherung erhoben werden kann. Aus einer Zusammenschau mit § 89 Abs 1 Satz 1 SGB IV ergibt sich, daß sich die Beanstandung unbeschadet dessen, daß die Aufsichtsbehörde insoweit weitergehende Anregungen und Empfehlungen geben kann, von Rechts wegen als "Minimum" in dem Hinweis auf einen Verstoß des Haushaltsplans oder einzelner seiner Ansätze gegen Gesetz oder sonstiges für den Versicherungsträger maßgebendes Recht (bei den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung außerdem auf die Gefährdung ihrer Leistungsfähigkeit) und in der Begründung dieses Hinweises erschöpfen darf. Auch eine Beratung iS des § 89 Abs 1 Satz 1 SGB IV kommt nur im Falle einer Verletzung des für den Versicherungsträger "maßgebenden" Rechts in Betracht, so daß schon aus diesem Grunde eine auf die speziellen Verhältnisse des betroffenen Versicherungsträgers abgestellte "Individualisierung" der Beratung unumgänglich ist. Überdies aber reicht für diese Beratung anders als für die Beanstandung der bloße Hinweis auf eine nach Ansicht der Aufsichtsbehörde vorliegende Rechtsverletzung nicht aus. Die Aufsichtsbehörde hat im Rahmen der ihr aufgegebenen Beratung nicht nur die durch ein Handeln oder Unterlassen des Versicherungsträgers bewirkte Rechtsverletzung aufzuzeigen, sondern auch darauf hinzuwirken, daß der Versicherungsträger die Rechtsverletzung behebt. Insgesamt erfordert eine ordnungsgemäße Beratung zunächst einen die individuellen und speziellen Verhältnisse des beratenen Versicherungsträgers berücksichtigenden und entsprechend begründeten Hinweis darauf, daß und aus welchen Gründen gerade durch sein Handeln oder Unterlassen das Recht verletzt worden ist, und dem folgend eine Darlegung der dem Versicherungsträger möglichen Maßnahmen, mit welchen er in rechtlich zulässiger Weise die Rechtsverletzung beheben kann. Ähnlich wie sich aus § 14 SGB I eine Pflicht des Leistungsträgers zur umfassenden individuellen Beratung und ein hierauf gerichteter Rechtsanspruch des Ratsuchenden ergeben (vgl zB BSG SozR 1200 § 14 Nr 11 S 13f; BSGE 58, 283, 285 = SozR aaO Nr 20 S 51), kann von einer dem § 89 Abs 1 Satz 1 SGB IV genügenden Beratung nur dann gesprochen werden, wenn sie sowohl hinsichtlich der nach Meinung der Aufsichtsbehörde vorliegenden Rechtsverletzung als auch bezüglich der für ihre Behebung empfohlenen Maßnahmen den speziellen Verhältnissen, Umständen und Möglichkeiten des beratenen Versicherungsträgers Rechnung trägt.
Diesen rechtlichen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Beratung hat der Rundbrief des Beklagten vom 11. Juli 1984 jedenfalls - nur darüber ist im vorliegenden Rechtsstreit zu befinden - gegenüber dem Kläger nicht genügt. Ein gewichtiges formelles Indiz dafür ist bereits, daß er ungeachtet der grundsätzlichen funktionellen, strukturellen und organisatorischen Unterschiede zwischen den Adressaten (AOKn, IKKn, landesunmittelbare Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, LAKn und LKKn in Baden-Württemberg) ausnahmslos an sie alle mit gleichlautendem hektographierten Text und somit allein danach unter Außerachtlassung sowohl der bei dem einzelnen Adressaten vorliegenden besonderen Umstände und Verhältnisse als auch etwaiger im Vorfeld der "Beratung" durchgeführter Erörterungen und Besprechungen gerichtet worden ist. Schon dies spricht dagegen, daß dem sich aus § 89 Abs 1 Satz 1 SGB IV ergebenden Erfordernis einer "Individualisierung" der Beratung Rechnung getragen worden ist. Unabhängig von diesen formellen Erwägungen ist dies jedenfalls nach dem sachlichen Inhalt des Rundbriefes vom 11. Juli 1984 nicht geschehen.
Das gilt einmal bezüglich des Hinweises auf die nach Meinung der Aufsichtsbehörde vorliegende Rechtsverletzung. Diese hat nach der verlautbarten Auffassung des Beklagten darin gelegen, daß auf der Grundlage des Urteils des BSG vom 29. Februar 1984 (aaO) die Gewährung von Zuschüssen zu Gemeinschaftsveranstaltungen und von Essenskostenzuschüssen, soweit sie 1,- DM je Arbeitstag überschritten, gegen die in § 69 Abs 2 SGB IV niedergelegten Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit verstößt. Hierbei handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, welche eine Mittel-Zweck-Relation beschreiben mit dem Ziel, bei der Verwendung von Haushaltsmitteln das Maß des Notwendigen nicht zu überschreiten. Schon die sachbedingten Schwierigkeiten einer Erfolgskontrolle fordern, daß dem einzelnen Versicherungsträger bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit einer Maßnahme ein Beurteilungsspielraum in Gestalt einer "Einschätzungsprärogative" verbleiben muß. Dieses "Vorrecht" des Versicherungsträgers wird durch das ihm zustehende Selbstverwaltungsrecht noch verstärkt. Der Grundsatz maßvoller Ausübung der Rechtsaufsicht verlangt bei der Handhabung derart unbestimmter Rechtsbegriffe wie derjenigen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, daß der Verwaltung im allgemeinen ein "gehöriger Bewertungsspielraum" verbleibt. Zwar lassen sich die beiden Rechtsbegriffe durch andere Begriffe ersetzen, erläutern und eingrenzen; jedoch läßt sich nicht immer exakt vorausschauend bestimmen, was wirtschaftlich und sparsam ist. Innerhalb dieser Grenzen muß der Verwaltung ein Einschätzungsspielraum verbleiben, so daß nur die Grenzüberschreitung als rechtswidrig bezeichnet werden kann (BSGE 55, 277, 279f = SozR 2100 § 69 Nr 3 S 3f; BSGE 56, 197, 199 = SozR aaO Nr 4 S 11).
Für den im Rahmen einer Beratung nach § 89 Abs 1 Satz 1 SGB IV erforderlichen Hinweis auf eine Rechtsverletzung folgt daraus, daß dann, wenn die Aufsichtsbehörde diese Rechtsverletzung in einem Verstoß gegen die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit erblickt, sie nicht nur den von ihr angenommenen Widerspruch gegen diese Grundsätze, sondern zugleich darzulegen hat oder zumindest erkennen lassen muß, daß sie sich des dem Versicherungsträger zustehenden Beurteilungsspielraums in Gestalt einer "Einschätzungsprärogative" bewußt gewesen ist und daß und aus welchen Gründen sie die Grenzen dieses Beurteilungsspielraums als überschritten ansieht. Dazu ist, speziell bezogen auf den Kläger, dem Rundbrief vom 11. Juli 1984 nichts zu entnehmen.
Zum anderen ist nach dem Inhalt dieses Schreibens jedenfalls gegenüber dem Kläger aus einem weiteren Grunde dem Gebot der "Individualisierung" einer Beratung iS des § 89 Abs 1 Satz 1 SGB IV nicht Rechnung getragen worden. Das gilt bezüglich der "Hinwirkung auf die Behebung der Rechtsverletzung", dh des Hinweises auf die dafür einzusetzenden Mittel und einzuschlagenden Wege. Der Beklagte hat im Rundbrief vom 11. Juli 1984 empfohlen, "Vorstandsbeschlüsse" über die Zahlung von Zuschüssen zu Gemeinschaftsveranstaltungen und über die Gewährung von Essenskostenzuschüssen von mehr als 1,- DM je Arbeitstag aufzuheben und diese Leistungen nicht mehr zu gewähren. Dabei hat er die jedenfalls für den Kläger geltende Besonderheit unberücksichtigt gelassen, daß die Gewährung von Zuschüssen zu Gemeinschaftsveranstaltungen und von Essenskostenzuschüssen von arbeitstäglich 1,50 DM an seine Tarifangestellten auf Beschlüssen nicht des Vorstandes, sondern der Vertreterversammlung vom 30. September 1980 bzw vom 30. August 1976 beruht hat. Diesem Umstand kommt wegen des größeren Gewichts, welches Beschlüsse der zu autonomer Rechtsetzung befugten Vertreterversammlung gegenüber denjenigen des Vorstandes haben, nicht unerhebliche Bedeutung zu. Auf eine Aufhebung bzw Abänderung der Beschlüsse der Vertreterversammlung hat der Beklagte in seinem Rundbrief vom 11. Juli 1984 nicht beratend hingewirkt. Damit ist der hierauf gerichteten Verpflichtungsanordnung vom 4. Januar 1985 die erforderliche Beratung nicht vorausgegangen.
Allein aus diesen Gründen haben im Ergebnis zutreffend das SG den angefochtenen Bescheid aufgehoben und das Landessozialgericht (LSG) diese Aufhebung bestätigt. Ob sie entsprechend der Begründung des Urteils des Berufungsgerichts auch wegen Fehlens einer dem § 35 Abs 1 Satz 3 SGB X genügenden Ermessensbegründung in Betracht kommen könnte, bedarf nicht der Entscheidung (zu den Anforderungen an die Begründung eines sogen "Zwangsetatisierungsbescheides" iS des § 70 Abs 3 Satz 3 SGB IV vgl Urteil des erkennenden Senats vom 20. Juni 1990 - BSGE 67, 78 = SozR 3 - 2400 § 70 Nr 1).
Fundstellen