Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallversicherungsschutz. Lösung. Unterbrechung
Leitsatz (amtlich)
Ist nicht feststellbar, daß die Unterbrechung des Heimwegs von der Arbeit länger als zwei Stunden gedauert oder die Art der Verrichtungen während der Unterbrechung den betrieblichen Zusammenhang verdrängt hat, steht der danach fortgesetzte Heimweg unter Versicherungsschutz.
Orientierungssatz
1. Eine endgültige Lösung des betrieblichen Zusammenhangs bei einer Unterbrechung des Weges zu oder von der Arbeitsstätte, die den Verlust des Unfallversicherungsschutzes zur Folge hat, kann sich aus der Art (Alkoholgenuß) oder der Dauer (mehr als zwei Stunden) der eigenwirtschaftlichen Verrichtungen ergeben.
2. Für eine endgültige Lösung des betrieblichen Zusammenhangs infolge einer Unterbrechung des Weges zu oder von der Arbeitsstätte trägt der Unfallversicherungsträger die Beweislast.
Normenkette
RVO § 550 Abs 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin begehrt als Witwe des am 6. November 1954 geborenen und am 14. September 1981 auf dem Wege von seiner Arbeitsstelle zu seiner Wohnung durch Verkehrsunfall verstorbenen Versicherten Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.
Am 14. September 1981 endete die Frühschicht des Versicherten auf der Grube E. um 14.00 Uhr. Zusammen mit dem Arbeitskollegen M. verließ er gegen 14.30 Uhr das Bad und begab sich in die Werkskantine, die beide nach etwa fünf Minuten wieder verließen, um mit dem Pkw des M. heimzufahren. Der Versicherte wollte seinen in H. wohnenden Eltern einige in der Werkskantine eingekaufte Lebensmittel überbringen. M. wohnte ebenfalls in H., während der Versicherte in R., einem etwa 4,5 km hinter H. liegenden Ort wohnte. Auf der Straße zwischen D. und H. geriet M. mit seinem Fahrzeug von der Straße ab und fuhr um 17.15 Uhr gegen einen Baum. Der Versicherte und M. waren sofort tot. Bei M. wurde eine Blutalkoholkonzentration von 1,82 bzw 1,91 o/oo festgestellt, während dem Versicherten keine Blutprobe entnommen wurde.
Durch Bescheid vom 3. März 1982 lehnte die Beklagte die Gewährung von Hinterbliebenenrente mit der Begründung ab, der rechtliche Zusammenhang mit der versicherten Arbeit sei im Unfallzeitpunkt gelöst gewesen, da der Versicherte den Unfall mehr als zwei Stunden nach dem Verlassen des Grubengeländes erlitten habe. Widerspruch und Klage blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 22. November 1982; Urteil des Sozialgerichts -SG- für das Saarland vom 11. September 1984).
Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) für das Saarland mit Urteil vom 5. März 1986 das Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Hinterbliebenenrente nach den gesetzlichen Vorschriften zu gewähren. Es hat den Unfall als Wegeunfall gewertet, weil außer dem zeitlichen Abstand von zwei Stunden und 30 bzw 35 Minuten zwischen der Abfahrt vom Grubengelände und dem Unfallzeitpunkt nicht sicher festgestellt werden könne, welchen Weg M. mit welcher Geschwindigkeit und welchem Zeitaufwand gefahren sei. Deshalb sei nicht feststellbar, daß die auf diesem Wege anzunehmende eigenwirtschaftliche Unterbrechung mehr als zwei Stunden gedauert habe. Die Beweislast für die Nichtfeststellbarkeit einer zwei Stunden überschreitenden Dauer der Unterbrechung des Heimweges müsse nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) die Beklagte tragen, die darauf ihren ablehnenden Bescheid stütze.
Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 550 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Sie meint, es gehe in erster Linie um die Ursächlichkeit betriebsbezogener Umstände bei dem tödlichen Unfall, deren Nichterweislichkeit zu Lasten der Klägerin gehe. Das LSG habe zu Unrecht den Wiedereintritt des Versicherungsschutzes nach der Unterbrechung des Heimwegs nicht geprüft; es habe ihn nach dem Ermittlungsergebnis auch nicht sicher feststellen können.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 5. März 1986 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 11. September 1984 zurückzuweisen; hilfsweise beantragt sie, die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Sie ist zurückzuweisen, weil das LSG aufgrund der von ihm getroffenen und von der Beklagten nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen ohne Rechtsverstoß zu dem Ergebnis gelangt ist, daß es sich bei dem Unfall des Versicherten um einen Wegeunfall iS des § 550 Abs 1 RVO gehandelt hat.
Ein Unfall auf einem mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit gilt nach § 550 Abs 1 RVO als Arbeitsunfall. Das LSG hat festgestellt, daß der Versicherte und M. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den Rückweg von ihrem Arbeitsort zu ihren Wohnorten an einer nicht bekannten und auch nicht mehr zu ermittelnden Stelle unterbrochen haben. Es hat weiter festgestellt, die Annahme eines erheblichen Alkoholkonsums während der Unterbrechung liege nahe, weil bei M. im Unfallzeitpunkt ein Blutalkoholwert von 1,82 bis 1,91 o/oo bestanden habe. Entgegen der Auffassung der Beklagten hat das LSG damit aber nicht festgestellt, daß auch der Versicherte während der Unterbrechung des Heimwegs Alkohol konsumiert hat. Seine Feststellung bezieht sich vielmehr nur auf M. Deshalb hat sich das LSG auch nicht mit der Frage auseinandersetzen können, ob bei erheblichem Alkoholkonsum des Versicherten anläßlich der Unterbrechung des Weges von der Arbeitsstätte zur Wohnung eine Lösung des betrieblichen Zusammenhangs unabhängig von der Dauer der Unterbrechung eingetreten ist (vgl BSGE 43, 293 = SozR 2200 § 550 Nr 29 und SozR 2200 § 548 Nr 38). Wegen der nicht mehr möglichen genauen Feststellungen zum Verlauf der Fahrt und der Unterbrechung brauchte das LSG auch auf die denkbare Möglichkeit einer Wartezeit des Versicherten während des Getränkekonsums des M. (vgl hierzu BSG SozR 2200 § 550 Nr 70) nicht einzugehen. Das LSG hat vielmehr zutreffend an die Rechtsprechung des BSG angeknüpft, nach der ein Versicherter, der den Weg von dem Ort der versicherten Tätigkeit zur Wohnung bis zu zwei Stunden durch eine privaten Zwecken dienende Verrichtung unterbricht, auf dem anschließenden restlichen Weg wieder unter Versicherungsschutz nach § 550 Abs 1 RVO steht. Dabei lebt der Versicherungsschutz nach einer Unterbrechung auf dem weiteren Weg von dem Ort der Tätigkeit zur Wohnung grundsätzlich wieder auf (BSG SozR 2200 § 550 Nrn 12, 27, 41, 42). Dies gilt nur dann nicht, wenn aus der Dauer und der Art der Unterbrechung auf eine endgültige Lösung des Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Weg von dem Ort der Tätigkeit geschlossen werden kann.
Da für das LSG nicht feststellbar war, was der Versicherte während der Unterbrechung tat, kam es nach der Rechtsprechung des BSG für das Wiederaufleben des Versicherungsschutzes bei Fortsetzung des Heimweges entscheidend darauf an, ob die nicht betriebsbedingte Unterbrechung des Heimweges den Zeitraum von zwei Stunden überschritten hatte. Auch dies hat das LSG nicht festzustellen vermocht. Es hat zu Recht darauf verwiesen, daß bei Abzug der von der Beklagten ermittelten "normalen" Fahrzeiten von 22 bis 30 Minuten vom Betrieb bis zum Unfallort bei einem zeitlichen Abstand zwischen Abfahrt und Unfall von zwei Stunden und 30 bzw 35 Minuten ohnehin nur eine wenig über zwei Stunden liegende Zeit der Unterbrechung des Rückweges verbleibe. Davon ausgehend hat das LSG eine tatsächlich über zwei Stunden dauernde Unterbrechung des Rückweges bei sachgemäßer und denkgesetzlich einwandfreier Würdigung aller Umstände deshalb nicht festzustellen vermocht, weil es bei dem Unfallzeitpunkt (17.15 Uhr) nahelag, daß die Verunglückten durch einen Verkehrsstau eine längere Fahrtzeit benötigten. Ebenso konnte nicht ausgeschlossen werden, daß eine längere Fahrzeit durch einen längeren Weg oder aber durch erheblich geringere Geschwindigkeit entstanden war. Wenn das LSG unter diesen Umständen zu dem Ergebnis gekommen ist, eine eigenwirtschaftliche Unterbrechung des Rückweges von mehr als zwei Stunden lasse sich nicht feststellen, so ist dies rechtlich nicht zu beanstanden.
Der Auffassung der Beklagten, rechtlich komme es zunächst auf das Wiederaufleben des Versicherungsschutzes nach Beendigung der Unterbrechung an und hierfür trage die Klägerin die Beweislast, vermag der Senat nicht zu folgen. Dem Begriff der Unterbrechung des Versicherungsschutzes auf dem Weg von und zur Arbeit bei der Vornahme privatwirtschaftlicher Verrichtungen wohnt der Gedanke des Wiederauflebens des Versicherungsschutzes bei Fortsetzung des Weges inne (BSG SozR 2200 § 550 Nr 12 mwN). Die Ausstattung des Begriffs der Unterbrechung mit dem danach grundsätzlich wiederauflebenden Versicherungsschutz beruht auf der Erwägung, den Gesetzesvollzug des § 550 Abs 1 RVO innerhalb eines bestimmten zeitlichen Rahmens zu erleichtern, indem insoweit Differenzierungen nach den zahlreichen privaten Gründen der Unterbrechung des Weges vermieden werden, neben denen für den schließlich fortgesetzten Weg von oder zur Arbeit letztlich doch - in zeitlich betrachtet abnehmendem Maß - die betrieblichen Gründe ihr Gewicht behalten. Als zeitliche Grenze für die rechtliche Irrelevanz der Unterbrechung hat die Rechtsprechung eine Dauer von zwei Stunden als sachgerecht erachtet. Erst mit einer Unterbrechung des Weges von mehr als zwei Stunden tritt an die Stelle der Unterbrechung des Weges die Beendigung des Weges mit der Notwendigkeit, den später fortgesetzten Weg daraufhin zu überprüfen, ob er neben der privaten Verrichtung noch wesentlich von betrieblichen Gründen bestimmt wird. Bis zu zwei Stunden bleibt die Unterbrechung des Weges dagegen mit der Wirkung verbunden, daß der Versicherungsschutz, der während der Unterbrechung des Weges aussetzt, bei Fortsetzung des Weges wieder besteht. Diese vereinfachende Betrachtungsweise gilt nur dann nicht, wenn etwa aus der Art der Verrichtungen während der Unterbrechung des Weges eine Beendigung der betriebsbedingten Kausalkette bei natürlicher Betrachtungsweise anzunehmen ist. Das träfe zu, wenn ein Verhalten des Versicherten festgestellt worden wäre, aus dessen Art und Dauer auf eine endgültige Lösung des Zusammenhangs der versicherten Tätigkeit mit dem weiteren Weg zum Wohnort zu schließen wäre. Wäre etwa auch beim Versicherten zum Unfallzeitpunkt ein Blutalkoholwert ähnlich dem bei M. gefundenen Wert festgestellt worden, könnte der Senat der Auffassung der Beklagten beitreten und trotz nicht genau feststellbarer Dauer der Unterbrechung des Heimweges dessen Beendigung annehmen. Da jedoch eine Alkoholbeeinflussung des Versicherten nicht festgestellt worden ist, muß es bei dem vom BSG wiederholt bestätigten Grundsatz verbleiben, daß nach einer Unterbrechung des Weges von und zur Arbeit bis zu zwei Stunden der weitere Weg jeweils wieder unter Versicherungsschutz steht. Die Beendigung des Versicherungsschutzes sowohl durch eine die Heimfahrt von der Arbeit beendende Verrichtung, als auch durch einen zwei Stunden überschreitenden Zeitablauf gehörte zu der privatwirtschaftlichen Kausalkette, die den Versicherungsanspruch ausschließt. Kann sie nicht als erwiesen festgestellt werden, so kann auch die Rechtsfolge daraus nicht eintreten (vgl Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung S 487 i, p, r). Insoweit verbleibt die objektive Beweislast beim Versicherungsträger, der von der Entschädigungspflicht nur bei nachgewiesener Lösung des rechtlichen Zusammenhangs durch die Art der Verrichtung oder durch die Dauer der Unterbrechung des Heimwegs (mehr als zwei Stunden) leistungsfrei wird (vgl hierzu BSGE 43, 110, 111 = SozR 2200 § 548 Nr 27 mwN).
Die Revision der Beklagten war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen