Tenor
Die Sprungrevision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 23. Januar 1973 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagte Krankenkasse verpflichtet ist, einen Zuschuß zu einer elektrischen Schreibmaschine zu gewähren.
Der Beigeladene S. ist Pflichtmitglied der Beklagten und hat gegen sie Anspruch auf Familienhilfe für seine 1962 geborene …. Diese leidet an einer Phokomelie der oberen Gliedmaßen.
Während einer stationären Behandlung des Kindes in der Universitätsklinik M. wurde ihm ärztlich eine elektrische Schreibmaschine verordnet. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 15. Februar 1971 die Gewährung eines Zuschusses zu den Kosten der Schreibmaschine ab, weil sie kein Hilfsmittel i. S. des § 187 Nr. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sei. Der Kläger als zuständiger Träger der Sozialhilfe übernahm daraufhin die Anschaffungskosten und machte gegen die Beklagte einen Ersatzanspruch geltend, den diese jedoch ablehnte.
Mit der vor dem Sozialgericht (SG) Münster erhobenen Klage hat der Kläger weiterhin von der Beklagten gefordert, den Ersatzanspruch zu befriedigen. Sie sei satzungsgemäß zur Gewährung eines Zuschusses von 400,– DM zu den Kosten der elektrischen Schreibmaschine verpflichtet. Diese diene dazu, die Funktionsbeeinträchtigung von Gliedmaßen auszugleichen, sei deshalb im weiteren Sinn als Körperersatzstück und somit als Hilfsmittel i. S. des Gesetzes anzusehen. Die Beklagte vertrat die Auffassung, die Schreibmaschine trete nicht an die Stelle eines – nicht gebrauchsfähigen – Körpergliedes, sie sei deshalb kein Hilfsmittel.
Das SG hat nach Beiladung des S. die Klage abgewiesen (Urteil vom 23. Januar 1973). Dem Beigeladenen stehe kein Anspruch auf einen Zuschuß zu. Hilfsmittel i. S. des § 187 Nr. 3 RVO seien nur Mittel der medizinischen Rehabilitation, nicht aber auch solche, die die berufliche Eingliederung oder die Teilnahme des Erkrankten am Sozialleben ermöglichen sollten. Die elektrische Schreibmaschine diene der beruflichen Rehabilitation. An dem fehlenden Anspruch des Beigeladenen scheitere der Ersatzanspruch des Klägers. Das SG hat die Berufung gegen das Urteil zugelassen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Sprungrevision des Klägers, der die Beklagte zugestimmt hat. Da es sich in dem vorliegenden besonderen Fall um ein contergangeschädigtes Kind handele, gingen Maßnahmen der Heilbehandlung und der Berufshilfe ineinander über, denn sie dienten gemeinsam dem Zweck, die Folgen eines körperlichen Defektes zu mildern. Entscheidend sei der mit der ärztlichen Verordnung erstrebte medizinische Ausgleichseffekt. Infolge des Nachrangs der Sozialhilfe trete deren Kostenpflicht zurück und die Beklagte sei allein leistungspflichtig.
Der Kläger beantragt,
- das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 23. Januar 1973 – S 14a Kr 25/72 – aufzuheben,
- die Beklagte gemäß dem in der Vorinstanz gestellten Antrag vom 10. April 1972 zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält sich für nicht leistungspflichtig. Ihre Richtlinien über die Gewährung von Zuschüssen zu den Kosten größerer Heilmittel und für Hilfsmittel stimmten mit der gesetzlichen Regelung in § 187 Nr. 3 RVO überein. Hilfsmittel i. S. dieser Vorschrift seien nur Mittel zur medizinischen Rehabilitation. Diese Zweckbestimmung ergebe sich aus dem Aufgabenbereich der gesetzlichen Krankenversicherung. Die elektrische Schreibmaschine sei nicht als Ersatzstück für ein fehlendes Organ oder Körperglied bestimmt, sie gehöre deshalb zum Bereich der beruflichen Rehabilitation, für den sie nicht einzutreten habe.
II
Die Sprungrevision des Klägers ist statthaft (§§ 161 Abs. 1, 149, 150 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes –SGG–), jedoch nicht begründet. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, zu der elektrischen Schreibmaschine einen Zuschuß zu gewähren.
Dem Beigeladenen stehen auf Grund seines Versicherungsverhältnisses für seine – Ansprüche auf Krankenpflege und Krankenhauspflege unter den gleichen Voraussetzungen und im gleichen Umfang wie ihm selbst zu (§ 205 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 RVO). Nach § 187 Nr. 3 RVO kann eine Kasse durch ihre Satzung dem Berechtigten Hilfsmittel gegen Verunstaltung oder Verkrüppelung zubilligen, die nach beendetem Heilverfahren nötig sind, um die Arbeitsfähigkeit des Versicherten herzustellen oder zu erhalten. Dazu bestimmt die im Gebiet der ehemaligen britischen Zone fortgeltende und daher für die Beklagte anzuwendende Ziff. 1 der Sozialversicherungsanordnung Nr. 30 vom 5. Dezember 1947 (Arbeitsblatt für die britische Zone, S. 425), daß die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung zu größeren Heil- und Hilfsmitteln einen Zuschuß zu gewähren haben, der mindestens dem Betrag entspricht, der als Höchstbetrag für kleinere Heilmittel festgesetzt ist. Die Sozialversicherungsanordnung schreibt weiter vor, daß diese Leistung keine Mehrleistung i. S. des § 179 RVO ist (Ziff. 6 der Sozialversicherungsanordnung). Die Beklagte hat in § 21 Nr. 1 b i.V.m. § 27 Abs. 1 ihrer Satzung die Gewährung von Zuschüssen zu den Kosten von Hilfsmitteln geregelt und sie für Kinder des Versicherten in gleicher Höhe wie für den Versicherten selbst vorgesehen. Auf Grund dieser Satzungsvorschriften und der vom Vorstand der Kasse erlassenen Richtlinien vom 1. März 1970 (§ 8 Nr. 20 e der Satzung) gewährt sie zu Hilfsmitteln einen Zuschuß von 50 % der Kosten, höchstens von 400,– DM und mindestens von 200,– DM, jedoch nicht mehr als die tatsächlichen Kosten. Wenn auch die Beklagte in § 21 ihrer Satzung diese Zuschüsse zu den Hilfsmitteln als „Mehrleistungen” bezeichnet, so ändert das doch nichts daran, daß sie „nicht Mehrleistungen i. S. des § 179 RVO” sind (Ziff. 6 der Sozialversicherungsanordnung).
Die Beklagte verweist in § 21 Nr. 1 b ihrer Satzung durch einen Klammerzusatz zu dem Wort „Hilfsmittel” auf § 187 Nr. 3 RVO. Daraus folgt, daß sie den Begriff in dem Sinn verwenden will, wie er ihm nach dieser Bezugsvorschrift der RVO zukommt. Während die Heilmittel i. S. der §§ 182 Abs. 1 Nr. 1, 193 RVO im unmittelbaren Zusammenhang mit der Behandlung der Krankheit angewendet werden und einen Heilerfolg herbeiführen oder sichern sollen, dienen die Hilfsmittel i. S. des § 187 Nr. 3 RVO nicht der therapeutischen Einflußnahme, sondern sind dazu bestimmt, bestehende körperliche Defekte auszugleichen (vgl. BSG 33, 263 ff.). Das Hilfsmittel soll an die Stelle eines nicht oder nicht voll funktionsfähigen Körperorgans treten und möglichst weitgehend dessen Funktionen übernehmen, um auf diese Art das vom Gesetz vorgesehene Ziel – Herstellung oder Erhaltung der Arbeitsfähigkeit – zu verwirklichen.
Diese Zielsetzung bedarf jedoch einer differenzierten Betrachtung. Der Senat hat bereits in seiner Entscheidung vom 18. November 1969 (BSG 30, 151, 154) dargelegt, daß bei einem Kind im schulfähigen Alter die Gewinnung der Schulfähigkeit der Herstellung der Arbeitsfähigkeit gleichgeachtet werden muß. Auch in seinem Urteil vom 15. Dezember 1971 (BSG 33, 263, 266) hat der Senat bei dem Begriff der Arbeitsfähigkeit, wie er aus dem Zusammenhang des § 187 Nr. 3 RVO zu verstehen ist, die jeweiligen Veränderungen im System der Versicherungsleistungen berücksichtigt. Demgemäß hat der Senat entschieden, daß nach den mit der Krankenversicherung der Rentner verfolgten Grundsätzen dem erklärten Ziel des § 187 Nr. 3 RVO bereits dann Genüge getan ist, wenn das Hilfsmittel dazu beiträgt, die Fähigkeit des Rentners, am allgemeinen gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, herzustellen oder zu erhalten (BSG 33, 263, 267).
Führt somit der Begriff „Arbeitsfähigkeit” infolge der Zielsetzung des § 187 Nr. 3 RVO einerseits über die bloße Bedeutung des Wortes hinaus, so läßt seine Einbettung im System der sozialen Sicherheit andererseits die Grenzen der Leistungspflicht erkennen. Die Herstellung der Fähigkeit, am Erwerbsleben tätig teilzunehmen, fällt nicht ausschließlich in die Kompetenz der gesetzlichen Krankenversicherung, sondern ist auch noch anderen Bereichen der sozialen Sicherung zugewiesen. So obliegt es insbesondere der Rentenversicherung, die Erwerbsfähigkeit der Versicherten zu erhalten, zu bessern oder sie wiederherzustellen (vgl. §§ 1226, 1236 ff RVO, 1, 13 ff des Angestelltenversicherungsgesetzes, 28, 35 ff des Reichsknappschaftsgesetzes). Die Unfallversicherung (vgl. §§ 537 Nr. 2 a, 556 ff RVO) und die Kriegsopferversorgung (vgl. §§ 9 Nr. 1, 10 ff des Bundesversorgungsgesetzes) verfolgen diesen Zweck ebenfalls. Die Eingliederung Behinderter in das Arbeitsleben ist speziell von der Arbeitslosenversicherung durchzuführen (vgl. §§ 56 ff des Arbeitsförderungsgesetzes), und den Trägern der Sozialhilfe ist es auch aufgegeben, Behinderten Eingliederungshilfe zu leisten (vgl. §§ 39 ff des Bundessozialhilfegesetzes – BSHG –). Wenn im vorliegenden Fall der Kläger die Kosten der elektrischen Schreibmaschine übernommen hat, so ist das – ungeachtet der Frage eines Ersatzanspruchs – in Erfüllung dieses in §§ 39, 40 BSHG geregelten gesetzlichen Auftrags geschehen. Die zu § 47 BSHG erlassene Eingliederungshilfeverordnung vom 27. Mai 1964 (BGBl I 339) – hier anwendbar idF vom 21. November 1967 (BGBl I 1159) – sieht ausdrücklich auch die Gewährung einer Schreibmaschine als Hilfsmittel vor (§ 9 Abs. 2 Nr. 1 der Verordnung), und zwar für solche Behinderte, die wegen der Art und der Schwere ihrer Behinderung auf eine Schreibmaschine angewiesen sind.
Besteht somit eine erhebliche finale Übereinstimmung der Leistungsverpflichtungen, so tritt eine Differenzierung der Leistungszuständigkeit häufig allein schon dadurch ein, daß die Ansprüche in den verschiedenen Bereichen der sozialen Sicherheit von unterschiedlichen Voraussetzungen abhängen. Dennoch bleiben zahlreiche Überschneidungen bestehen. In solchen Fällen kann es nicht genügen, den Träger der Leistungspflicht aus der Zweckbestimmung der Leistung allein ermitteln zu wollen. Vielmehr muß die Zuordnung der fraglichen Leistung aus ihrer Einbettung in das Gesamtsystem abgeleitet werden.
Vorliegend geht es darum, ob die elektrische Schreibmaschine als Hilfsmittel i. S. des § 187 Nr. 3 RVO anzusehen ist, ob also außer der – unstreitig gegebenen – Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers auch die Krankenkasse leistungspflichtig ist. Infolge des Nachrangs der Sozialhilfe (§ 2 Abs. 1 BSHG) käme dann nur die Verpflichtung der Krankenkasse zum Tragen und würde einen Ersatzanspruch des Klägers (§§ 1531, 1533 Nr. 3 RVO) begründen. Das ist indes nicht der Fall. Die gesetzliche Krankenversicherung hat die Aufgabe, ihre Mitglieder und deren Angehörige im (Versicherungs-) Fall der Krankheit zu schützen (§ 165 Abs. 1 RVO) und darüber hinaus – wenn auch nicht unbeschränkt – Krankheitsfolgen auszugleichen. Daraus ergibt sich, daß dem Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung die Hilfsmittel zuzuordnen sind, die die Folgen eines regelwidrigen Körperzustands in medizinischer Hinsicht bessern, beheben oder beseitigen sollen. Sie müssen dazu dienen, die natürlichen Funktionen eines nicht oder nicht voll funktionsfähigen Körperorgans zu ersetzen oder zu ergänzen. Diese Voraussetzung erfüllt die elektrische Schreibmaschine jedoch nicht. Der Senat verkennt nicht, daß das Kind Bärbel des Gerätes wegen der Fehlbildung seiner Arme bedarf. Dennoch liegt der mit seiner Benutzung verfolgte Zweck in erster Linie nicht im medizinischen Ausgleich der Körperbehinderung (Übernahme ausgefallener oder Verstärkung unvollkommener Funktionen eines Körperorgans). Es dient vielmehr dazu, dem Kind auf einem eng begrenzten Gebiet – dem Schreiben – die Erlangung einer bestimmten Fertigkeit zu erlauben und dadurch dessen, wenn auch erst künftige, Eingliederung in das Berufsleben zu ermöglichen. Sein Zweck liegt also, wie das SG zutreffend erkannt hat, im wesentlichen auf dem Gebiet der beruflichen Rehabilitation. Es unterscheidet sich damit von den Hilfsmitteln, die der medizinischen Rehabilitation dienen, wie das etwa bei der dem Kind ärztlich verordneten Schulterluxationsbandage der Fall ist. Die elektrische Schreibmaschine kann demgemäß nicht mehr als Hilfsmittel i. S. des § 187 Nr. 3 RVO angesehen werden.
Da die Beklagte dem Beigeladenen keinen Zuschuß zu leisten brauchte, besteht auch kein Ersatzanspruch des Klägers. Seine Sprungrevision gegen das klageabweisende Urteil des SG ist demgemäß als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen