Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Hilfsmittel. Anspruch eines Mannes auf Perücke bei vollständigem Haarverlust nur bei objektiv empfundener Entstellung. regelmäßiger Anspruch von Frauen bei Kahlköpfigkeit. kein Verstoß gegen das Verbot geschlechtsspezifischer Ungleichbehandlung. keine leistungsrechtliche Gleichbehandlung von Versicherten der GKV und beihilfeberechtigten Beamten oder Versorgungsempfängern
Leitsatz (amtlich)
1. Ein von vollständigem Haarverlust (alopecia areata universalis) betroffener Mann kann von der Krankenkasse die Versorgung mit einer Perücke nur dann beanspruchen, wenn sein Aussehen objektiv als entstellend wirkend empfunden werden kann (Ergänzung zu BSG vom 23.7.2002 - B 3 KR 66/01 R = SozR 3-2500 § 33 Nr 45).
2. Dass die Kahlköpfigkeit bei Frauen einen Anspruch auf Versorgung mit einer Perücke regelmäßig auslöst, während dies bei Männern nur ausnahmsweise - und dann in jüngeren Jahren - der Fall sein kann, verstößt nicht gegen das Verbot geschlechtsspezifischer Ungleichbehandlung.
Orientierungssatz
Es existiert kein Gebot der leistungsrechtlichen Gleichbehandlung von Versicherten der GKV und beihilfeberechtigten Beamten oder Versorgungsempfängern.
Normenkette
SGB V § 2 Abs. 2 S. 1, Abs. 4, § 12 Abs. 1, § 13 Abs. 3 S. 1 Alt. 2, § 27 Abs. 1 S. 1, § 33 Abs. 1 S. 1 Fassung: 2007-03-26, S. 2 Fassung: 2007-03-26, § 34 Abs. 4 S. 1 Fassung: 1991-12-20; SGB IX § 2 Abs. 1 S. 1, § 31 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 3 S. 1; BBhV § 25 Abs. 1 S. 1; BBhV Anl 11 Abschn. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 20. Februar 2014 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist die Versorgung des Klägers mit einer Perücke als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).
Der 1938 geborene Kläger leidet seit 1983 an vollständiger Haarlosigkeit des Kopfes (Alopecia totalis) sowie des gesamten Körpers (Alopecia areata universalis). Hinzu kommt die Neigung zur Bildung von Weißflecken (Vitiligo) bei ohnehin hellem Hauttyp. Die beklagte Krankenkasse hat ihn in der Vergangenheit wiederholt, zuletzt im Dezember 2006, mit Perücken versorgt. Seinen Antrag vom 16.11.2011 auf erneute Versorgung mit einer - vertragsärztlich verordneten - Kunsthaarperücke lehnte die Beklagte ab, weil Kahlköpfigkeit bei älteren Männern nicht als störende Auffälligkeit wahrgenommen werde und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben deshalb auch ohne Perücke uneingeschränkt möglich sei (Bescheid der Beklagten vom 28.11.2011, Widerspruchsbescheid vom 8.3.2012).
Der Kläger hat sich die Kunsthaarperücke für 820 Euro auf eigene Kosten beschafft (Rechnung vom 17.12.2011). Er macht geltend, der totale Haarverlust verursache einen hohen psychischen Leidensdruck, sodass er verschiedentlich schon psychotherapeutische Hilfe benötigt habe. Ihm könne nicht zugemutet werden, in der Öffentlichkeit stets eine Kopfbedeckung zu tragen, um sich vor den neugierigen Blicken der Mitmenschen zu schützen und der Gefahr von Sonnenbrand und der Entstehung von Hautkrebs vorzubeugen. Frauen in gleicher Lage würden von den Krankenkassen ohne Weiteres mit Perücken ausgestattet. Mit Blick auf das Verbot der Benachteiligung eines Menschen wegen seines Geschlechts (Art 3 Abs 3 Satz 1 GG) könne Männern daher die Versorgung mit einer Perücke bei krankheitsbedingtem Haarverlust nicht verwehrt werden.
Das SG hat die - auf Sachleistung gerichtete - Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 23.7.2013). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 20.2.2014): Weder der Verlust des Kopfhaares noch die Weißfleckenkrankheit entfalte beim Kläger eine entstellende Wirkung, sodass seiner Teilnahme am gesellschaftlichen Leben objektiv keine krankheitsbedingten Hindernisse entgegenstünden. Ein effektiver Schutz vor Sonnenbrand und Hautkrebs könne durch Kopfbedeckungen und Sonnenschutzcremes erlangt werden. Die geltend gemachten psychischen Beeinträchtigungen begründeten ebenfalls keinen Anspruch auf Versorgung mit einer Perücke, sondern allenfalls einen Anspruch auf Behandlung dieser Störung mit den Mitteln der Psychiatrie oder Psychotherapie. Auf das geschlechtsspezifische Benachteiligungsverbot könne sich der Kläger nicht berufen, weil der teilweise oder vollständige Verlust der Kopfbehaarung bei Männern als natürliche Erscheinung allgemein akzeptiert werde, während dieser Verlust bei Frauen äußerst selten vorkomme, daher bei ihnen regelmäßig entstellend wirke und der Zustand so zu einem ernsthaften Außenseiterproblem werden könne.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§ 33 Abs 1 Satz 1 SGB V, Art 3 Abs 3 Satz 1 GG). Die Ungleichbehandlung gegenüber Frauen sei nicht gerechtfertigt, weil es keinen medizinischen Erfahrungssatz gebe, dass der totale Haarverlust Männer psychisch weniger belaste als Frauen. Die Perücke sei auch deswegen zu leisten, weil generell ein Anspruch auf eine deutliche Annäherung an das äußere Erscheinungsbild eines normalen, gesunden Mannes gleichen Alters bestehe.
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Der Kläger begehrt im Revisionsverfahren nunmehr die Erstattung der für den Kauf der Perücke aufgewandten Kosten und beantragt demgemäß, |
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das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 20.2.2014 und den Gerichtsbescheid des SG Speyer vom 23.7.2013 zu ändern, den Bescheid der Beklagten vom 28.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.3.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm 820 Euro zu zahlen. |
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Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil, hält den Kostenerstattungsanspruch für unbegründet und beantragt, |
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die Revision zurückzuweisen. |
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist zulässig, in der Sache aber unbegründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, den Kläger mit einer Perücke zu versorgen bzw ihm die Kosten dafür zu erstatten, nachdem er sich das Hilfsmittel selbst beschafft hatte.
1. Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor. Es ist unschädlich, dass für die vom SG und LSG entschiedene Klage auf Versorgung des Klägers mit einer neuen Kunsthaarperücke durch die Beklagte (Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs 4 SGG) das Rechtsschutzinteresse gefehlt hat, weil es infolge der - dem SG und dem LSG nicht mitgeteilten - Anschaffung der Perücke durch den Kläger nicht mehr um die Erfüllung eines Sachleistungsanspruchs gehen konnte. Der Übergang vom Sachleistungsanspruch (§ 33 Abs 1 Satz 1 iVm § 2 Abs 2 Satz 1 SGB V) zum Kostenerstattungsanspruch, der wegen der schon am 17.12.2011 erfolgten Selbstbeschaffung des begehrten Hilfsmittels bereits in der ersten und zweiten Instanz hätte den eigentlichen Streitgegenstand innerhalb des allgemeinen Klagebegehrens auf "Kostenübernahme" für die Perücke bilden müssen, war sachgerecht und auch im Revisionsverfahren noch zulässig, weil eine derartige Umstellung des Klageantrags bei gleich gebliebenem Klagegrund (auch) von § 99 Abs 3 Nr 2 SGG erfasst wird (vgl BSGE 99, 180 = SozR 4-2500 § 13 Nr 15 RdNr 10; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 99 RdNr 4a), also fiktiv nicht als Klageänderung iS des § 99 Abs 1 und 2 SGG gilt, und deshalb nicht gegen das prozessuale Verbot der Klageänderung im Revisionsverfahren (§ 168 Satz 1 SGG) verstößt. Die Regelung des § 99 Abs 3 Nr 3 SGG, die ebenfalls auf den Übergang vom Sachleistungs- auf den Kostenerstattungsanspruch anwendbar ist (BSG SozR 4-1300 § 48 Nr 10 RdNr 12; Leitherer, aaO, RdNr 5), kann hingegen im vorliegenden Fall nicht zur prozessualen Zulässigkeit der Antragsumstellung führen, weil diese Vorschrift auf Sachverhalte beschränkt ist, in denen - anders als hier - die Veränderung der anspruchsbegründenden Umstände erst nach Eintritt der Rechtshängigkeit der Klage (§ 94 SGG) eingetreten ist oder die schon zuvor eingetretene Änderung dem Kläger erst nach Rechtshängigkeit der Klage bekannt geworden ist (Leitherer, aaO, RdNr 5 mwN).
2. Grundlage des Erstattungsanspruchs ist § 13 Abs 3 SGB V: "Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war". In Betracht kommt hier allein der Fall der unberechtigten Ablehnung einer Leistung (2. Alternative). Dabei reicht es grundsätzlich aus, dass der Versicherte sich die begehrte Leistung auf eigene Kosten beschafft hat, nachdem ihm die Krankenkasse die Entscheidung über die Ablehnung des Leistungsantrags bekannt gegeben hat (Ablehnungsbescheid). Es ist in der Regel nicht erforderlich, dass der Versicherte mit der Selbstbeschaffung der Leistung bis zur Entscheidung der Krankenkasse über den Widerspruch gegen die Leistungsablehnung wartet (BSG SozR 3-2500 § 13 Nr 11, 22; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 37; stRspr). Daher steht dem Kostenerstattungsanspruch im vorliegenden Fall nicht bereits der Umstand entgegen, dass der Kläger sich die begehrte Perücke zwar nach der Ablehnungsentscheidung vom 28.11.2011, aber noch vor der Entscheidung über den Widerspruch gegen diesen Bescheid (Widerspruchsbescheid vom 8.3.2012) auf eigene Kosten beschafft hat (Rechnung vom 17.12.2011).
Die Selbstbeschaffung eines aus medizinischen bzw rehabilitativen Gründen erforderlichen Hilfsmittels durch den Versicherten nach Ablehnung seines Leistungsantrags durch die Krankenkasse kann jedoch nur dann zu einem Kostenerstattungsanspruch führen, wenn ihm ein entsprechender Sachleistungsanspruch (§ 2 Abs 2 Satz 1 SGB V) zugestanden hätte. Das war hier nicht der Fall.
3. Rechtsgrundlage des ursprünglich geltend gemachten Sachleistungsanspruchs ist § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V in der ab 1.4.2007 geltenden Fassung von Art 1 Nr 17 GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) vom 26.3.2007 (BGBl I 378). Nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen sind. Dabei besteht ein Anspruch auf Versorgung mit Blick auf die "Erforderlichkeit im Einzelfall" nur, soweit das begehrte Hilfsmittel geeignet, ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist und das Maß des Notwendigen nicht überschreitet; darüber hinausgehende Leistungen darf die Krankenkasse gemäß § 12 Abs 1 SGB V nicht bewilligen (vgl BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 11 - zweisitziges Elektrofahrzeug; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 40 - Unterschenkel-Sportprothese; BSGE 107, 44 = SozR 4-2500 § 33 Nr 31 - Treppensteighilfe).Nicht entscheidend für den Versorgungsanspruch ist, ob das begehrte Hilfsmittel im Hilfsmittelverzeichnis (§ 139 SGB V) gelistet ist, denn es handelt sich bei diesem Verzeichnis nicht um eine abschließende Regelung im Sinne einer Positivliste (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 16, 20, 27; BSGE 99, 197 = SozR 4-2500 § 33 Nr 16, RdNr 20).
a) Der Hilfsmittelbegriff wird seit dem Inkrafttreten des SGB IX (durch Art 1 des Gesetzes vom 19.6.2001, BGBl I 1046) zum 1.7.2001 für alle Träger von Leistungen der medizinischen Rehabilitation (§ 6 Abs 1, § 5 Nr 1 SGB IX) durch § 31 Abs 1 SGB IX einheitlich definiert. Danach versteht der Gesetzeber unter dem Begriff Hilfsmittel die Körperersatzstücke sowie die orthopädischen und anderen Hilfsmittel. Erfasst werden alle Hilfen, die von den Leistungsempfängern getragen oder mitgeführt oder bei einem Wohnungswechsel mitgenommen werden können und unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls erforderlich sind, um (1.) einer drohenden Behinderung vorzubeugen, (2.) den Erfolg einer Heilbehandlung zu sichern oder (3.) eine Behinderung bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens auszugleichen, soweit sie nicht allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens sind. Da sich die Zuständigkeit und die Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe gemäß § 7 Satz 2 SGB IX nach den für den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen richten, ergibt sich der Rechtsanspruch der Versicherten weiterhin aus § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V. Bei der Definition des Hilfsmittelbegriffs in der medizinischen Rehabilitation hat sich der Gesetzgeber an der Rechtsprechung des BSG zum Hilfsmittelbegriff in der GKV orientiert. Eine Ausweitung der Leistungspflicht der GKV war bei der Hilfsmittelversorgung aber mit der Einführung des SGB IX nicht beabsichtigt (vgl auch BSGE 107, 44 = SozR 4-2500 § 33 Nr 31, RdNr 39). Als bewegliche Sachen erfüllen Perücken diesen Hilfsmittelbegriff, und zwar in der Ausprägung als Körperersatzstück, weil die Vollperücke das nicht (mehr) vorhandene Haupthaar vollständig ersetzen soll.
b) Der Anspruch scheitert nicht an der Ausnahmeregelung des § 33 Abs 1 Satz 1 letzter Halbsatz SGB V, wonach allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens von der Leistungspflicht der GKV ausgeschlossen sind. Dem vollständigen Haarersatz dienende Vollperücken sind keine allgemeinen Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens, weil sie für die speziellen Bedürfnisse an totalem Haarverlust leidender Menschen hergestellt und nur von diesem Personenkreis benutzt werden (vgl zum Begriff des allgemeinen Gebrauchsgegenstands BSGE 84, 266 = SozR 3-2500 § 33 Nr 33). Andere Perücken und sonstige Haarteile, insbesondere Damenperücken, werden zwar vielfach auch aus modischen Gründen verwandt, dann aber am vorhandenen Haupthaar befestigt und dienen als "Zweitfrisur". Als vollständiger Haarersatz - wie hier - sind Perücken teilweise anders gearbeitet (zB andere Art der Befestigung) und dienen auch einer anderen Zweckbestimmung, nämlich dem optischen Ausgleich des fehlenden natürlichen Haupthaares, und damit gerade nicht als "Zweitfrisur". Perücken gehören auch nicht mehr, wie vor 300 Jahren, zur üblichen standesgemäßen Ausstattung gehobener gesellschaftlicher Kreise.
c) Ein Anspruchsausschluss nach § 34 Abs 4 Satz 1 SGB V greift ebenfalls nicht ein. Nach dieser Vorschrift (idF durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch vom 20.12.1991, BGBl I 2325) kann das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Heil- und Hilfsmittel von geringem oder umstrittenem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis bestimmen, deren Kosten die Krankenkasse nicht übernimmt. In der auf Grund dieser Ermächtigung erlassenen Verordnung über Hilfsmittel von geringem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis in der gesetzlichen Krankenversicherung (KVHilfsmV) vom 13.12.1989 (BGBl I 2237), die in der Fassung durch die Verordnung vom 17.1.1995 (BGBl I 44) gilt, sind das Kopfhaar vollständig ersetzende Perücken nicht erfasst.
d) Der Anspruch lässt sich nicht bereits aus der Verwaltungspraxis der Beklagten bis 2006 ableiten. Es gibt keinen "Grundbescheid", mit dem die Beklagte grundsätzlich die regelmäßig wiederkehrende Versorgung des Klägers mit Perücken bewilligt hätte. In der Vergangenheit hat die Beklagte ausdrücklich immer nur Einzelfallentscheidungen erlassen. Demgemäß ist, wie bei dem Ersatz anderer Hilfsmittel (§ 33 Abs 1 Satz 2 SGB V) auch, grundsätzlich stets erneut zu prüfen, ob das begehrte Hilfsmittel weiterhin notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich ist (§ 2 Abs 4, § 12 Abs 1 und § 33 Abs 1 SGB V; vgl auch BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 21 - Blindenführhund). Dabei stellt sich die vertragsärztliche Verordnung eines bestimmten Hilfsmittels (§ 73 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB V) rechtlich nur als ärztliche Empfehlung dar, bindet die Krankenkasse im Verhältnis zum Versicherten aber nicht, weil ihr gemäß § 275 Abs 3 Nr 1 SGB V ein Prüfungsrecht zur Erforderlichkeit des Hilfsmittels zusteht (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 25 und 27, stRspr).
4. Die Leistungsablehnung durch die Beklagte ist rechtmäßig, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V für die Versorgung des Klägers mit einer Perücke nicht erfüllt sind; das Hilfsmittel dient weder der Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung noch dem Ausgleich einer Behinderung. Die Variante "Abwendung einer drohenden Behinderung" kommt nach der Sachlage ohnehin nicht in Betracht.
a) Nach § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte nur dann Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Zum Anspruch auf Krankenbehandlung gehört auch die Versorgung mit Hilfsmitteln (§ 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB V).
aa) Unter einer Krankheit iS des § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V wird allgemein ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand verstanden, der ärztlicher Heilbehandlung bedarf oder - zugleich oder allein - den Betroffenen arbeitsunfähig macht (BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 10; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 4; BSGE 85, 36, 38 = SozR 3-2500 § 27 Nr 11 S 38; BSGE 72, 96, 98 = SozR 3-2200 § 182 Nr 14 S 64; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 10; stRspr). Da aber nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit auch Krankheitswert zukommt, hat die Rechtsprechung diese Grundvoraussetzung dahingehend präzisiert, dass eine Krankheit nur vorliegt, wenn der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirkt (BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 11 zu Brustangleichungsoperationen; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 6 zu kosmetischen Brustvergrößerungen; BSGE 93, 94, 102 = SozR 4-2500 § 13 Nr 4 S 29 zu Feuermalen der Haut; BSGE 82, 158, 163 f = SozR 3-2500 § 39 Nr 5 S 29 zu einer Hodenprothese; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 2 zur Dauerpigmentierung bei fehlenden Augenbrauen und Wimpern). Der Gesetzgeber selbst hat bewusst davon abgesehen, den Begriff der Krankheit im Gesetz zu definieren, da sein Inhalt ständigen Änderungen unterliege. Stattdessen hat er in der Gesetzbegründung Bezug genommen auf die herrschende Rechtsprechung und Praxis (Begründung des Entwurfs zum GRG, BT-Drucks 11/2237, S 170). Trotz der vom Gesetzgeber angenommenen ständigen Änderungen des Krankheitsbegriffs ist aber die grundlegende Begriffsdefinition gleich geblieben. Die Anpassung an die fortschreitende medizinische Entwicklung erfolgt in der Regel im Rahmen der einzelnen Begriffsmerkmale. Die Ausweitung der therapeutischen Möglichkeiten schlägt sich insbesondere in dem Begriffsmerkmal der "Behandlungsbedürftigkeit" nieder (Fahlbusch in jurisPK-SGB V, 2. Aufl 2012, § 27 RdNr 31 und 42 mwN).
Der krankenversicherungsrechtliche Krankheitsbegriff ist enger als der Krankheitsbegriff im allgemein-medizinischen Sinne, der jede "Störung der Lebensvorgänge in Organen oder im gesamten Organismus mit der Folge von subjektiv empfundenen bzw objektiv feststellbaren körperlichen, geistigen oder seelischen Veränderungen" bzw "eine definierbare Einheit typischer ätiologisch, morphologisch, symptomatisch oder nosologisch beschreibbarer Erscheinungen, die als eine bestimmte Erkrankung verstanden werden" umfasst. Bei dem medizinischen Krankheitsbegriff kommt es insbesondere auf Behandlungsbedürftigkeit bzw Arbeitsunfähigkeit nicht an. Ebenfalls nicht maßgeblich für das Krankenversicherungsrecht ist der weite sozialpolitische Krankheitsbegriff der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die den Gegenbegriff der Gesundheit definiert als "Zustand völligen körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Wohlempfindens" (Fahlbusch, aaO, § 27 RdNr 34).
bb) Den Krankheiten gleichgestellt sind in weitgehendem Umfang Behinderungen (vgl § 2 Abs 1 SGB IX, § 33 SGB V). Das Gesetz macht keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Krankheiten im engeren Sinne, bei denen die Betonung auf dem regelmäßig nur vorübergehenden Charakter einer als überwindbar angesehenen Gesundheitsbeeinträchtigung liegt, und Behinderungen, die als weitgehend unabänderlich vor allem unter dem Gesichtspunkt des Ausgleichs für eine dauerhaft regelwidrige Körperfunktion die Leistungspflicht begründen können (BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 2 RdNr 6). Die neuere, gemäß § 5 Nr 1, § 6 Abs 1 Nr 1 und § 31 SGB IX auch für das SGB V und damit für die Krankenkassen geltende Definition des Begriffs der Behinderung findet sich nunmehr in § 2 Abs 1 SGB IX. Danach sind Menschen teilhaberechtlich behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (Satz 1). Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist (Satz 2). Dabei entspricht der erste Teil der Definition der "Behinderung" iS des § 2 Abs 1 Satz 1 SGB IX, also die dauerhaft regelwidrige Körperfunktion bzw das Funktionsdefizit, dem herkömmlichen rein medizinischen Behinderungsbegriff, während der zweite Teil der Definition, also die Teilhabebeeinträchtigung als Folge des Funktionsdefizits, die durch das SGB IX erfolgte Erweiterung des herkömmlichen Behinderungsbegriffs darstellt (vgl dazu auch Löbner, Der gesetzliche Behinderungsbegriff im Wandel der Zeit, Behindertenrecht 2015, 1).
b) Unter dem Gesichtspunkt des vollständigen Ausfalls des biologischen Prozesses "Neubildung und Wachstum der Haare" kann der körperliche Zustand des Klägers schon deshalb nicht als behandlungsbedürftige Krankheit bewertet werden, weil die Haarlosigkeit nicht zu einer Beeinträchtigung der Körperfunktionen führt und zudem weder die Perücke noch ein anderes Mittel der Krankenbehandlung dem Kläger die verlorene Körperbehaarung, hier speziell das Kopfhaar, wieder zu beschaffen vermag. Der Versuch einer medikamentösen Therapie ist nach Feststellung des LSG zwar unternommen, dann aber wegen Aussichtslosigkeit nicht fortgesetzt worden; Behandlungsmöglichkeiten sind bei einer schon länger andauernden Alopecia areata universalis auch nicht ersichtlich (vgl zu den Therapiemöglichkeiten bei den verschiedenen Alopecia-Formen Psychrembel, Klinisches Wörterbuch, 261. Aufl 2007, Stichworte Alopecia androgenetica und Alopecia areata). Es fehlt deshalb am Merkmal der Behandlungsbedürftigkeit, das seinerseits die Behandlungsfähigkeit voraussetzt (BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 2 RdNr 7).
c) Dennoch kann der Totalverlust der Haare im Einzelfall Krankheitswert haben und deshalb als Krankheit iS des § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V gelten. Krankheitswert kann dem vollständigen Haarverlust unter dem Aspekt der entstellenden Wirkung zukommen. Dabei ist nach dem Geschlecht sowie nach Ursache und Ausmaß des Haarverlustes zu differenzieren.
aa) Der übliche Schwund der Kopfbehaarung beim Mann, der von sich vergrößernden "Geheimratsecken" über die "hohe Stirn" und die Teilglatze an der Tonsurstelle bis zur vollständigen Glatzenbildung geht (Alopecia androgenetica), die Wimpern, die Augenbrauen und die Barthaare aber nicht erfasst, ist schon keine Krankheit und - als Dauerzustand - auch keine Behinderung. Es handelt sich insoweit nicht um einen regelwidrigen Körperzustand, weil der teilweise bzw vollständige Haarverlust - altersabhängig - die Mehrzahl aller Männer trifft (Alopecia senilis). Eine Differenzierung nach dem Alter ist - von Kindern und Jugendlichen abgesehen - weder möglich noch erforderlich, weil vom Zurückweichen der Kopfbehaarung erwachsene Männer aller Altersstufen in unterschiedlichem Ausmaß betroffen sind. Wenn das insbesondere bei jungen Männern mit starker Glatzenbildung (Alopecia praematura) anders gesehen und insoweit von einer körperlichen Regelwidrigkeit ausgegangen würde, käme ihr kein Krankheitswert zu; denn das fehlende Haupthaar beeinträchtigt die Körperfunktionen des Mannes nicht und wirkt auch nicht entstellend. Männer ohne Haupthaar erregen für sich genommen, also ohne ein bestimmtes Erscheinungsbild (zB Kleidung, Tätowierungen), in der Öffentlichkeit keine Aufmerksamkeit im Sinne von Anstarrung oder Stigmatisierung. Das wird in jüngerer Zeit auch dadurch bestätigt, dass der haarlose Kopf vielfach mit Eigenschaften wie zB Energiegeladenheit und Sportlichkeit oder aber - zusammen mit einem prägnanten Outfit - mit einem bestimmten politischen oder gesellschaftlichen Standpunkt in Verbindung gebracht wird. Deshalb greifen auch Männer, die noch über Haupthaar oder einen Haarkranz verfügen, nicht selten zum Mittel der totalen Kopfrasur, um sich so ein markantes Äußeres zu verschaffen, das dem Stil ihres Vorbilds oder ihrer Gruppe entspricht.
bb) In der Wahrnehmung des vollständig haarlosen Kopfes durch das Publikum liegt auch der Grund, weshalb der Anspruch nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V auf Versorgung mit einer Perücke bei Frauen bestehen kann (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 45). Der typische männliche Haarausfall ohne Beteiligung von Wimpern und Augenbrauen tritt aus biologischen Gründen bei Frauen kaum auf, auch wenn bei diesen das Haarvolumen im Laufe des natürlichen Alterungsprozesses zurückgeht. Deshalb erregt eine haarlose Frau auch dann, wenn sie nicht an dem Vollbild der Alopecia areata universalis leidet, immer noch Aufsehen, und ihr Aussehen wird ggf als entstellend wahrgenommen, sodass der Verlust der Kopfbehaarung dort als Krankheit eingestuft werden kann. Auch diese Bewertung wird dadurch bestätigt, dass bei Frauen - anders als bei Männern - die Glatze (Calvities) nicht mit Energiegeladenheit, Sportlichkeit und/oder einem bestimmten Statement verbunden, sondern ganz verbreitet als "Defekt" wahrgenommen wird. Die nach dem Geschlecht differenzierende Anwendung des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V hinsichtlich der Versorgung mit Perücken nach Verlust des Haupthaares (ohne Beteiligung der Augenbrauen und Wimpern) stellt vor diesem Hintergrund keine unzulässige Benachteiligung von Männern wegen des Geschlechts (Art 3 Abs 3 Satz 1 GG) dar (dazu näher 6.).
cc) Die Folgen des vollständigen Haarverlustes des Kopfes, der auch die Wimpern, die Augenbrauen und die Barthaare (Alopecia totalis) erfasst, können demgegenüber je nach dem Alter des betroffenen Mannes und Aussehen des unbehaarten Kopfes entstellende Wirkung (im Sinne einer störenden, Aufmerksamkeit bzw Neugier erregenden Auffälligkeit) haben. Es bedarf hier keiner exakten Abgrenzung, bis zu welchem Lebensalter - etwa 30 Jahre - das Aussehen eines Mannes ganz ohne Haare ausgrenzende Wirkung haben kann, weil der haarlose Kopf bei einem jungen Erwachsenen Blicke auf sich ziehen mag und dem Beobachter dann (erst) auffällt, dass der Betroffene völlig haarlos ist.
d) Soweit der vollständigen Haarlosigkeit des Kopfes eine entstellende Wirkung zukommt, handelt es sich um einen Zustand körperlicher Regelwidrigkeit mit Krankheitswert. Der Anspruch auf Ausstattung mit einer Perücke nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V beruht dann auf dem Tatbestand der Hilfsmittelversorgung zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung (1. Variante). Dies gilt für vorübergehende Zustände mit potenziell entstellender Wirkung, wie sie zB bei der Kahlköpfigkeit von Krebspatienten als Begleiterscheinung einer Chemotherapie auftreten können, ebenso wie für Dauerzustände mit potenziell entstellender Wirkung wie zB bei der Alopecia areata universalis.
Demgemäß ist bei solchen Dauerzuständen eine genaue Abgrenzung zur 3. Variante des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V, nämlich der Hilfsmittelversorgung zum Ausgleich einer Behinderung, entbehrlich. In seiner Entscheidung zum Anspruch einer an Alopecia areata universalis leidenden Frau auf Versorgung mit einer Echthaarperücke hatte der erkennende Senat maßgeblich auf den teilhaberechtlichen Behinderungsbegriff des § 2 Abs 1 SGB IX abgestellt (Urteil vom 23.7.2002 - B 3 KR 66/01 R - SozR 3-2500 § 33 Nr 45) und dabei den Krankheitswert der bei Frauen entstellenden Wirkung der Alopecia areata universalis einer dauerhaften körperlichen Funktionsbeeinträchtigung gleichgestellt: Ein Mensch ist wegen seiner Kahlköpfigkeit teilhaberechtlich behindert, wenn der körperliche Zustand entstellend wirkt und er deshalb ohne ausgleichende Maßnahmen an der uneingeschränkten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gehindert ist. Die Kahlköpfigkeit hat bei Frauen eine entstellende Wirkung, die zwar nicht zum Verlust oder zur Störung einer motorischen oder geistigen Funktion führt, es einer Frau aber erschwert oder gar unmöglich macht, sich frei und unbefangen unter den Mitmenschen zu bewegen; eine kahlköpfige Frau zieht "naturgemäß" ständig alle Blicke auf sich und wird zum Objekt der Neugier. Dies hat in aller Regel zur Folge, dass sich die Betroffene aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückzieht und zu vereinsamen droht. Ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ist beeinträchtigt. Deshalb haben unter Kahlköpfigkeit leidende Frauen regelmäßig einen Anspruch gegen ihre Krankenkasse auf Versorgung mit einer Echthaarperücke (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 45).
Gerade bei älteren Männern kann in der Regel jedoch nicht von einer entstellenden Wirkung der Kahlköpfigkeit gesprochen werden, und deshalb sind sie auch nicht an der uneingeschränkten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gehindert. Dies gilt nach Feststellung des LSG auch im Fall des Klägers, der bei der Beschaffung der Perücke im Jahr 2011 73 Jahre alt war. Die im Verwaltungsverfahren eingesandten und vom LSG ausgewerteten Fotos, die im Januar 2012 angefertigt worden sind und sich in den - vom LSG zum Gegenstand des Verfahrens gemachten - Verwaltungsakten befinden (Bl 13 VA), schließen die Annahme eines entstellenden Aussehens von vornherein aus.
e) Im Übrigen spielt die - häufig als Begleiterscheinung der Alopecia areata universalis auftretende - Weißfleckenkrankheit (Vitiligo) im vorliegenden Zusammenhang keine Rolle, weil ausweislich der in den Verwaltungsakten befindlichen Fotos der Kopf des Klägers von dieser Krankheit nicht betroffen ist. Dies ergibt sich auch aus dem Neufeststellungsbescheid des Landesamtes für Soziales, Jugend und Versorgung Rheinland-Pfalz zum schwerbehinderungsrechtlichen Status des Klägers vom 19.8.2014, wonach Vitiligo (nur) am Oberkörper und an beiden Armen besteht.
5. Der Umstand, dass der Kläger den vollständigen Haarverlust offenbar als sein Äußeres entstellend empfindet und das Aussehen für ihn eine psychische Belastung darstellt, kann nicht den Anspruch auf die Versorgung mit einer Perücke auslösen; denn es kommt auf die Erforderlichkeit des Hilfsmittels zur Beseitigung einer objektiv eingetretenen entstellenden Wirkung an (BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 14). Selbst ein Zustand mit Krankheitswert würde die Krankenkasse lediglich zu medizinisch notwendigen Behandlungsmaßnahmen verpflichten und nicht dazu, jede vom Versicherten gewünschte, von ihm für optimal gehaltene Maßnahme zur Heilung oder Linderung des krankhaften Zustands zu gewähren. Daran hat auch das am 1.7.2001 in Kraft getretene SGB IX nichts geändert, denn in Bezug auf die Zuständigkeit des Leistungsträgers und die Leistungsvoraussetzungen verweist § 7 Satz 2 SGB IX ausdrücklich auf die speziellen Leistungsgesetze, hier also das SGB V (BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 2 RdNr 8). Danach sind die Ansprüche des Versicherten auf diejenigen Maßnahmen begrenzt, die nach objektiven Maßstäben als ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich anzusehen sind und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten (§ 12 Abs 1 SGB V).
Da der Haarverlust des Klägers diesen nicht entstellt, handelt es sich - allenfalls - um eine bloße optische Unregelmäßigkeit, deren Beseitigung bzw Kaschierung als kosmetische Maßnahme in die Eigenverantwortung des Betroffenen fällt. Einen Anspruch gegen die Krankenkasse auf "Angleichung" an das Aussehen eines völlig gesunden Menschen gleichen Alters gibt es schon deshalb nicht, weil bei Männern im Alter des Klägers vielfach teilweiser oder vollständiger Verlust des Kopfhaares festzustellen ist, es also um einen natürlichen, keinerlei Aufmerksamkeit der Mitmenschen erregenden Zustand geht, und es sich bei gewünschter Korrektur dieser Unregelmäßigkeit ohne Krankheitswert somit nur um eine kosmetische Maßnahme handelt. Die Kosten der Perücke hat der Kläger daher selbst zu tragen.
6. Dieses Ergebnis verstößt nicht gegen das grundgesetzliche Verbot der Benachteiligung eines Menschen wegen seines Geschlechts (Art 3 Abs 3 Satz 1 GG). Anknüpfungspunkt für die unterschiedliche Behandlung von Frauen und Männern bei der Versorgung mit Perücken im Fall des vollständigen Haarverlustes bei Alopecia areata universalis ist ausschließlich die entstellende Wirkung der Kahlköpfigkeit und deren Auswirkung auf die uneingeschränkte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft. Anspruchsgrund ist also nicht die Alopecia areata universalis selbst, die bei Frauen und Männern gleichermaßen auftreten kann, sondern die daraus im Einzelfall resultierende entstellende Wirkung der Kahlköpfigkeit. Die entstellende Wirkung tritt in den Augen der Mitmenschen aber naturgemäß (fast) nur bei Frauen auf, die aus biologischen Gründen - anders als viele Männer - regelmäßig nicht von einem teilweisen oder vollständigen Verlust des Kopfhaares betroffen sind. Teil- und Vollglatzen sind bei Männern mit zunehmendem Alter normal und werden von den Mitmenschen auch als alltägliche natürliche Erscheinung ohne Korrekturbedarf empfunden, während Kahlköpfigkeit bei einer Frau eine störende Auffälligkeit darstellt, die die neugierigen Blicke der Menschen auf sich zieht und Abhilfe erfordert, damit sich die betroffene Frau unbefangen und frei in der Öffentlichkeit bewegen kann. In die "Außenseiterrolle" können aus biologischen Gründen daher regelmäßig nur die betroffenen Frauen geraten. Der Versorgungsanspruch nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V knüpft hier also nicht unmittelbar an die Eigenschaft als Mann oder Frau an, stellt folglich keine direkte Ungleichbehandlung dar, sondern es geht nur um die entstellende Wirkung der Kahlköpfigkeit und deren Folgen für die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, die bei Frauen und Männern unterschiedlich ausfallen. Eine derartige indirekte Ungleichbehandlung ist zulässig, wenn sie auf hinreichenden sachlichen Gründen beruht bzw wenn sie durch gewichtige objektive Gründe gerechtfertigt ist und somit nichts mit einer Diskriminierung wegen der Eigenschaft als Frau oder Mann zu tun hat (BVerfGE 113, 1, 20; BAGE 83, 327, 337; Jarass/Pieroth, GG, 13. Aufl 2014, Art 3 RdNr 86, 95, 96). Die Anknüpfung des Versorgungsanspruchs an die - objektiv vorhandene und nicht nur subjektiv so empfundene - entstellende Wirkung der Kahlköpfigkeit und deren teilhaberechtlichen Auswirkungen ist ein solcher sachlicher Grund.
7. Mit dieser Entscheidung steht der Kläger als Versicherter der GKV möglicherweise schlechter da als ein Beamter in gleicher Lage als Beihilfeberechtigter. Nach § 25 Abs 1 Satz 1 BBhV sind Aufwendungen für ärztlich verordnete Hilfsmittel, Geräte zur Selbstbehandlung und Selbstkontrolle sowie Körperersatzstücke beihilfefähig, wenn sie im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen. Dabei sind Perücken nach Abschnitt 2 der Anlage 11 zu § 25 Abs 1 und 4 BBGV bis zu einem Betrag von 512 Euro beihilfefähig, "wenn ein krankhafter entstellender Haarausfall (zB Alopecia areata), eine erhebliche Verunstaltung (zB infolge Schädelverletzung) oder totaler oder weitgehender Haarausfall vorliegt". Die Beihilfe wird danach in der angegebenen Höhe bei totalem oder weitgehendem Haarausfall grundsätzlich unabhängig von Alter und Geschlecht gewährt. Das wird auf die Rechtsprechung des BVerwG aus dem Jahre 2002 (BVerwG Urteil vom 31.1.2002 - 2 C 1/01 - NJW 2002, 2045 = DVBl 2002, 1216 = Buchholz 237.0 § 101 BaWüLBG Nr 1) zurückzuführen sein, das eine Regelung in der Beihilfeverordnung für das Land Baden Württemberg, nach der bei totalem oder sehr weitgehendem Haarausfall Beihilfe nur männlichen Personen bis zum 30. Lebensjahr und weiblichen Personen gewährt wurde (§ 6 Abs 1 Nr 4 der Verordnung des Finanzministeriums des Landes Baden-Württemberg über die Gewährung von Beihilfe in Geburts-, Krankheits-, Pflege- und Todesfällen ≪Beihilfeverordnung - BVO BW≫ vom 28.7.1995, GBl S 561), als unvereinbar mit dem Verbot der Benachteiligung eines Menschen wegen seines Geschlechts (Art 3 Abs 3 Satz 1 GG) angesehen und die entsprechende Klausel der BVO BW als verfassungswidrig verworfen hatte (Art 100 GG).
Dies ist allerdings kein Grund, dem Kläger einen entsprechenden krankenversicherungsrechtlichen Anspruch zuzubilligen; denn es existiert kein Gebot der leistungsrechtlichen Gleichbehandlung von Versicherten der GKV und beihilfeberechtigten Beamten oder Versorgungsempfängern. Gerade in der vorliegenden Konstellation beruht die Differenzierung auf systembedingten Unterschieden zwischen dem Leistungsrecht der GKV und dem Beihilferecht für Beamte. Denn während die vom BVerwG gerügte beihilferechtliche Vorschrift einen Anspruch auf Beihilfe bei totalem oder sehr weitgehendem Haarausfall für Männer ab dem 30. Lebensjahr kategorisch ausgeschlossen hatte, beruht die vorliegende Entscheidung des Senats auf einer wertenden Betrachtung der Entstellung. Der Senat hat dargelegt, aus welchen sachlich-biologischen Gründen eine Entstellung durch Haarverlust bei Frauen eher in Betracht kommt als bei Männern. Das geschlechtsspezifische Benachteiligungsverbot aus Art 3 Abs 3 Satz 1 GG wird dabei nicht verletzt. Ob dies bei einem generellen Leistungsausschluss durch eine beihilferechtliche Vorschrift ohne Wertungsmöglichkeit im Einzelfall anders zu beurteilen ist, bedarf keiner Entscheidung durch den erkennenden Senat. Wenn der beihilferechtliche Verordnungsgeber aufgrund dieser Entscheidung des BVerwG dann allen Beihilfeberechtigten ohne Unterscheidung nach Alter oder Geschlecht Beihilfe zu Perücken und Toupets gewährt, zwingt dies nicht zu einer ebenso weiten Auslegung der Vorschriften der GKV, in denen solche konkreten Vorgaben nicht enthalten sind.
8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen