Entscheidungsstichwort (Thema)
sozialrechtliches Verwaltungsverfahren – Rückerstattungsverfahren – Entstehungszeitpunkt des Erstattungsanspruchs – vorzeitiges Geltendmachen – konkludentes Geltendmachen – Vermeidung der Ausschlussfrist – Voraussetzung – Erstattungsfähigkeit – Rentenversicherungsbeitrag – Arbeitslosenversicherungsbeitrag
Leitsatz (amtlich)
Zu den Voraussetzungen, unter denen ein Erstattungsanspruch zur Vermeidung seines Ausschlusses geltend zu machen ist.
Stand: 16. Oktober 2000
Normenkette
SGB X §§ 112, 105 Abs. 1-2; SGB V § 11 Abs. 4; RVO § 560; SGB X § 111 Sätze 1-2; SGB I § 40 Abs. 1; SGB VI § 170 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a; AFG § 186 Abs. 1; SGB I § 29 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c, § 11 S. 1
Beteiligte
Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege |
Allgemeine Ortskrankenkasse für das Saarland |
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 10. Februar 1999 aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 27. Juli 1998 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Streitig ist, ob der Klägerin gegen die Beklagte ein Anspruch auf Rückerstattung von Beträgen zusteht, die sie an die Beklagte erstattet hat.
Die im Jahre 1953 geborene Gabriele D. (Versicherte), eine Friseurmeisterin, war in ihrem erlernten Beruf zuletzt als Beschäftigte in einem Friseurbetrieb tätig. Als bei ihr Hauterkrankungen an den Händen auftraten, leitete die klagende Berufsgenossenschaft im Dezember 1992 aufgrund eines ärztlichen Berichtes Ermittlungen ein, ob die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) erfüllt seien. Die beklagte Krankenkasse, bei der die Versicherte krankenversichert war, zeigte der Klägerin mit Schreiben vom 10. Mai 1993 diese Erkrankung (kontaktallergisches rezidivierendes Handekzem) und die damit verbundene, am 22. März 1993 eingetretene und festgestellte Arbeitsunfähigkeit der Versicherten ohne Angabe über deren Dauer an und meldete gleichzeitig dem Grunde nach einen Erstattungsanspruch wegen einer BK an. Nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 23. Juni 1993 bei der Klägerin um Mitteilung gebeten hatte, ob und ab welchem Zeitpunkt die Erkrankung als Folge einer BK anerkannt werde, antwortete die Klägerin mit einem Formschreiben vom 5. Juli 1993, daß „Ihr Schreiben und Erstattungsanspruch hier eingegangen, eine Erledigung noch nicht möglich” sei, weil die Ermittlungen noch nicht hätten abgeschlossen werden können. Dabei waren die Worte „und Erstattungsanspruch” handschriftlich hinzugefügt. Im Juni, Juli und August 1993 erhielt die Klägerin von der Beklagten jeweils eine Abrechnung über die für die Versicherte zu entrichtenden Krankenversicherungsbeiträge für die Zeit vom 20. April bis 30. Juni 1993 mittels eines Formulars für Gesamtsozialversicherungsbeiträge übersandt.
Mit Bescheid vom 21. Juli 1994 erkannte die Klägerin die Hauterkrankung der Versicherten als BK gemäß Nr 5101 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung an und setzte als Eintritt des Versicherungsfalles den 22. März 1993 fest. Die Beklagte erhielt eine Durchschrift dieses Bescheides. Mit einem bei der Klägerin am 22. Februar 1995 eingegangenen Schreiben vom 16. Februar 1995 übersandte die Beklagte die Abrechnung ihres Erstattungsanspruchs über einen Gesamtbetrag von 9.881,64 DM, der sich aus dem von ihr gezahlten Krankengeld (8.822,91 DM) und Beiträgen zur Renten- (772 DM) und Arbeitslosenversicherung (286,73 DM) für die Zeit vom 20. April bis 26. April und vom 29. April bis 30. September 1993 zusammensetzte. Die Klägerin erstattete den Betrag im März 1995 an die Beklagte, forderte ihn jedoch mit Schreiben vom 6. September 1995 zurück, weil der Erstattungsanspruch versehentlich erfüllt worden sei. Dieser sei gemäß § 111 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) ausgeschlossen gewesen. Die Beklagte habe ihn nämlich „konkret” erst am 22. Februar 1995 und somit nach Ablauf der Ausschlußfrist geltend gemacht. Die Beklagte lehnte eine Rückerstattung unter Hinweis auf den bereits mit Unfallanzeige vom 10. Mai 1993 angemeldeten Erstattungsanspruch ab.
Während des Verfahrens vor dem Sozialgericht (SG) hat die Klägerin ihren Forderungsbetrag um 3.151,64 DM auf insgesamt 13.033,28 DM erhöht, wobei 2.092,91 DM auf Krankenversicherungsbeiträge entfielen, über deren Erstattung ein weiterer Rechtsstreit zwischen den Beteiligten vor dem SG unter dem Aktenzeichen 25 U 168/96 anhängig war. Nachdem das SG das Ruhen jenes Verfahrens angeordnet hatte, hat es im vorliegenden Rechtsstreit die Klage abgewiesen (Urteil vom 27. Juli 1998). Ein Rückerstattungsanspruch bestehe nicht. Der Erstattungsanspruch der Beklagten sei zwar wegen § 111 SGB X ausgeschlossen gewesen. Das Rückerstattungsbegehren verstoße aber gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, wenn der Erstattungsanspruch zuvor vorbehaltlos erfüllt worden sei. Im Berufungsverfahren hat die Klägerin ihre Klageforderung auf den ursprünglichen Betrag von 9.881,64 DM beschränkt und die Klage im Rechtsstreit 25 U 168/96 zurückgenommen. Das Landessozialgericht (LSG) hat sodann das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte zur Rückerstattung verurteilt (Urteil vom 10. Februar 1999). Ein Rückerstattungsanspruch gemäß § 112 SGB X bestehe, weil die 9.881,64 DM zu Unrecht erstattet worden seien. Zwar habe der Beklagten zunächst ein Erstattungsanspruch hinsichtlich des Krankengeldes nach § 105 SGB X und hinsichtlich der Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung nach § 26 Abs 2 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) zugestanden. Dieser sei jedoch gemäß § 111 SGB X ausgeschlossen, da die Beklagte ihn nicht spätestens zwölf Monate vor Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht worden sei, geltend gemacht habe. Der Lauf dieser Frist habe mit dem Ablauf des 30. September 1993, dem letzten Tag, für den die Versicherte Krankengeld erhalten habe, begonnen. Er sei nicht wegen § 111 Satz 2 SGB X hinausgeschoben worden, weil der Erstattungsanspruch der Beklagten in dem Zeitpunkt entstanden sei, in dem die Beklagte die Leistung bewirkt habe. Infolgedessen sei die Ausschlußfrist bei Eingang der Abrechnung des Erstattungsanspruchs der Beklagten bei der Klägerin am 22. Februar 1995 für die in der Zeit vom 20. April bis 30. September 1993 erbrachten Leistungen bereits abgelaufen gewesen. Weder die Unfallanzeige vom 10. Mai 1993 noch die von der Beklagten an die Klägerin übersandten Beitragsrechnungen stellten ein Geltendmachen iS des § 111 Satz 1 SGB X dar; denn darin seien die Leistungen hinsichtlich ihrer Art, Höhe und Dauer nicht hinreichend bestimmt. Dem Ablauf der Ausschlußfrist stehe auch nicht entgegen, daß der die BK der Versicherten anerkennende Bescheid der Klägerin erst am 22. Juli 1994 der Beklagten bekanntgegeben worden sei. Entstanden sei nämlich der ursprüngliche Erstattungsanspruch der Beklagten gemäß § 40 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) spätestens mit dem Tag der letzten Krankengeldzahlung für den 30. September 1993. Eine Rückerstattung verstoße auch nicht gegen Treu und Glauben, denn in § 112 SGB X sei gerade der Fall einer irrtümlichen Erstattung geregelt. Auch könne der handschriftlichen Ergänzung des Formschreibens der Klägerin vom 5. Juli 1993 um den Zusatz „und Erstattungsanspruch” nicht entnommen werden, daß die Klägerin der Beklagten gegenüber auf eine Konkretisierung des Erstattungsanspruchs verzichtet habe. Ebensowenig ergebe sich daraus eine Verpflichtung der Klägerin, die Beklagte auf die Notwendigkeit der Darlegung weiterer Einzelheiten des Erstattungsanspruchs aufmerksam zu machen. Dies lasse sich weder aus dem Amtsermittlungsgrundsatz (§ 20 SGB X) noch aus dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit (§ 86 SGB X) herleiten.
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 111 SGB X. Entgegen der Auffassung des LSG habe sie bereits mit Eingang des Schreibens vom 10. Mai 1993 bei der Klägerin einen Erstattungsanspruch geltend gemacht. Dieses Schreiben enthalte Angaben über den Beginn und Zeitpunkt der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit, zur Diagnose und zum behandelnden Arzt, über die ausgeübte Tätigkeit sowie darüber, daß im Hinblick auf die berufliche Tätigkeit der Versicherten von einer BK auszugehen sei. Dies genüge den Anforderungen, die an eine Geltendmachung zu stellen seien, zumal eine solche nicht ein Darlegen in allen Einzelheiten erfordere und selbst in konkludenter Form als ausreichend angesehen werde, sofern der Wille, rechtssichernd tätig werden zu wollen, einer bestimmten Handlung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles deutlich erkennbar zugrunde liege. Angaben zur Leistungsart, Dauer und weiteren Behandlung seien damals noch nicht möglich gewesen. Den Beitragsabrechnungen, die sie im Juni, Juli und August 1993 der Klägerin übersandt habe, hätte diese entnehmen können, daß und in welcher Höhe Krankengeld gezahlt worden sei. Unabhängig davon habe die Klägerin den mit Schreiben vom 16. Februar 1995 bezifferten Erstattungsanspruch befriedigt und dadurch zu erkennen gegeben, daß nach ihrer Auffassung die Voraussetzungen einer Erstattung erfüllt seien. Mit Schreiben vom 5. Juli 1993 sei von der Klägerin die Geltendmachung des Erstattungsanspruches bestätigt worden. Ansonsten hätte diese aufgrund der Amtsermittlungspflicht oder wegen des sich aus § 86 SGB X ergebenden Grundsatzes der engen Zusammenarbeit der Leistungsträger sie, die Beklagte, auf etwaige Mißverständnisse oder noch erforderliche Angaben aufmerksam machen müssen. Das habe die Klägerin aber erst mit Schreiben vom 6. September 1995 getan. Im übrigen scheide ein Rückerstattungsanspruch aus, wenn der Erstattungsanspruch zwar befriedigt werde, allein wegen des Ablaufes der im § 111 SGB X genannten Frist aber nicht hätte befriedigt werden dürfen. Eine Rückforderung wäre dann treuwidrig.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 10. Februar 1999 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 27. Juli 1998 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil des LSG für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.
II
Die Revision der Beklagten ist begründet. Entgegen der Auffassung des LSG steht der Klägerin ein Rückerstattungsanspruch gemäß § 112 SGB X nicht zu.
Nach dieser Vorschrift sind die gezahlten Beträge zurückzuerstatten, soweit eine Erstattung zu Unrecht erfolgt ist. Die von der Klägerin im Februar 1995 vorgenommene Erstattung über einen Gesamtbetrag von 9.881,64 DM war jedoch zu Recht erfolgt.
Das in diesem Gesamtbetrag enthaltene Krankengeld in Höhe von 8.822,91 DM hatte die Klägerin der Beklagten nach § 105 Abs 1 und 2 SGB X zu erstatten, nachdem sie mit Bescheid vom 21. Juli 1994 bei der Versicherten eine BK festgestellt hatte und demnach gemäß § 11 Abs 4 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) auf das von der Beklagten erbrachte Krankengeld für die Zeit vom 20. April bis 26. April und 29. April bis 30. September 1993 von Anfang an kein Anspruch bestand (vgl Bundessozialgericht ≪BSG≫ SozR 3-1300 § 111 Nr 4; BSGE 81, 103, 108 = SozR 3-1300 § 105 Nr 4; BSG Urteil vom 2. November 1999 – B 2 U 39/98 R). Demgegenüber war die Klägerin nach dem damals geltenden § 560 Abs 1 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) verpflichtet, für die genannten Zeiten der Versicherten Verletztengeld zu gewähren.
Der Anspruch auf Erstattung war auch nicht gemäß § 111 SGB X ausgeschlossen gewesen. Nach dieser Vorschrift ist der Anspruch auf Erstattung ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend macht (Satz 1). Der Lauf der Frist beginnt frühestens mit der Entstehung des Erstattungsanspruchs (Satz 2).
Den Erstattungsanspruch wegen des von ihr erbrachten Krankengeldes hat die Beklagte innerhalb der Frist des § 111 Satz 1 SGB X geltend gemacht. Der Lauf dieser Frist begann allerdings nicht erst mit der Anerkennung der BK durch die Klägerin (Bescheid vom 21. Juli 1994). Denn die Entstehung eines Erstattungsanspruchs nach § 105 SGB X richtet sich in entsprechender Anwendung nach § 40 Abs 1 SGB I, wonach Ansprüche auf Sozialleistungen entstehen, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen (BSGE 50, 68, 69 = SozR 2200 § 182b Nr 16; BSG SozR 3-1300 § 105 Nr 4 mwN; KassKomm-Kater, § 111 SGB X RdNr 10). Folglich entsteht der Erstattungsanspruch des dazu berechtigten Leistungsträgers grundsätzlich, sobald dieser seine Leistungen tatsächlich erbracht hat und ihm die entsprechenden Kosten entstanden sind (BSG SozR 2200 § 1504 Nr 8; BSG Urteil vom 1. April 1993 – 1 RK 16/92 – USK 9334; BSG Urteil vom 28. März 2000 – B 8 KN 3/98 U R – Veröffentlichung in BSGE vorgesehen). Dagegen hat ein Bescheid über die Anerkennung einer BK materiell-rechtlich nur deklaratorische Bedeutung und keine für die Entstehung des Erstattungsanspruches auslösende Funktion (BSG SozR 3-1300 § 111 Nr 4; BSGE 81, 103, 105, 106 = SozR 3-1300 § 105 Nr 4). Maßgeblich allein ist die materielle Rechtslage, also auch die Entschädigungsverpflichtung des Unfallversicherungsträgers dem Grunde nach (BSGE 81, 103, 105, 106 = SozR 3-1300 § 105 Nr 4; BSG SozR 3-1300 § 111 Nr 4; BSG SozR 2200 § 1504 Nr 8). Hieraus folgt, daß der Erstattungsanspruch der Beklagten jeweils mit der Zahlung des Krankengeldes an die Versicherte entstanden ist. Da das Krankengeld für den jeweiligen Kalendertag (§ 47 Abs 1 Satz 4 SGB V) oder den jeweiligen Kalendermonat (§ 47 Abs 1 Satz 5 SGB V) gezahlt wird, ist der erste (Teil-) Erstattungsanspruch mit den Zahlungen für April 1993 und der letzte mit den Zahlungen für September 1993 entstanden. Nach § 111 Satz 2 SGB X hat die Ausschlußfrist daher frühestens mit der Zahlung des Krankengeldes für April 1993 begonnen. Für die Frist nach § 111 Satz 1 SGB X (letzter Tag, für den die Leistung erbracht wurde) ist bei wiederkehrenden Leistungen wie dem Krankengeld zu beachten, daß es auf den Zeitraum ankommt, für den die einzelne Leistung erbracht wurde (BSGE 65, 27, 29 = SozR 1300 § 111 Nr 4), so daß nach dieser Vorschrift der früheste Zeitpunkt des Fristbeginns der 20. April 1993, der späteste der 30. September 1993 ist. Das LSG hat über den Zeitpunkt der Zahlungen des Krankengeldes an die Versicherte keine Feststellungen getroffen. Selbst wenn man aber zugunsten der Klägerin unterstellt, daß sich der Beginn der Ausschlußfrist nach § 111 Satz 1 SGB X richtet, ist der Erstattungsanspruch der Beklagten nicht ausgeschlossen, weil diese ihn vor dem frühesten Ende der Ausschlußfrist (19. April 1994) gegenüber der Klägerin geltend gemacht hat.
Der Begriff des Geltendmachens ist in der Gesetzessprache nicht eindeutig auf einen bestimmten Tatbestand hin festgelegt. Mit ihm kann sowohl die gerichtliche Anspruchsverfolgung als auch die außerhalb eines förmlichen Verfahrens einem anderen gegenüber abzugebende Erklärung gemeint sein. Im Zusammenhang mit § 111 Satz 1 SGB X ist dem Wort „Geltendmachen” keine andere als die allgemeine Bedeutung beizulegen. Unabhängig von jedem besonderen rechtlichen Bezug wird darunter soviel wie „Vorbringen”, „Anführen”, „Behaupten”, nicht aber zugleich auch „Darlegen in allen Einzelheiten” verstanden (vgl BSGE 21, 157, 158, 159 = SozR Nr 12 zu § 1531 RVO für den Begriff des Geltendmachens gemäß § 1539 RVO; vgl auch BSG Urteil vom 28. November 1990 – 5 RJ 50/89 – USK 90174 – zur Übertragbarkeit dieser Rechtsprechung auf § 111 SGB X). Dabei muß jedoch der Wille, zumindest rechtssichernd tätig zu werden, unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles der Erklärung deutlich erkennbar zugrunde liegen (BSGE 65, 27, 30 = SozR 1300 § 111 Nr 4; Schroeder-Printzen/von Wulffen, Sozialgesetzbuch, Verwaltungsverfahren, SGB X, 3. Aufl, § 111 RdNr 4; Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, 5. Aufl, § 111 SGB X RdNr 4.1). Mit dem Begriff der Geltendmachung iS des § 111 Satz 1 SGB X ist ein unbedingtes Einfordern der Leistung gemeint, nicht ein bloß vorsorgliches Anmelden, durch das der Fristablauf also gar nicht aufgehalten werden konnte (BSGE 66, 246, 248 = SozR 3-1300 § 111 Nr 2). Die Anforderungen, die an das wirksame Geltendmachen eines Erstattungsanspruches zu stellen sind, bestimmen sich nach dem Zweck des § 111 SGB X, nämlich möglichst rasch klare Verhältnisse darüber zu schaffen, ob eine Erstattungspflicht besteht (vgl BT-Drucks 9/95, S 26 zu § 117 des Entwurfs eines SGB X; BSGE 65, 31, 39 = SozR 1300 § 111 Nr 6). Danach muß der in Anspruch genommene Leistungsträger bereits beim Zugang der Anmeldung des Erstattungsanspruches ohne weitere Nachforschungen beurteilen können, ob die erhobene Forderung ausgeschlossen ist. Dies kann er ohne Kenntnis des Forderungsbetrages feststellen, wenn die Umstände, die im Einzelfall für die Entstehung des Erstattungsanspruches (§ 111 Satz 2 SGB X) maßgeblich sind und der Zeitraum, für den die Sozialleistungen erbracht wurden (§ 111 Satz 1 SGB X), hinreichend konkret mitgeteilt sind (vgl BSGE 65, 31, 37 = SozR 1300 § 111 Nr 6; BSG Urteil vom 28. November 1990 – 5 RJ 50/89 – USK 90174; BSG Urteil vom 23. Februar 1999 – B 1 KR 14/97 R – HVBG-Info 1999, 2803).
Allerdings kann ein Erstattungsanspruch bereits iS des § 111 Satz 1 SGB X geltend gemacht werden, bevor er entstanden ist, die zwölfmonatige Ausschlußfrist also noch nicht zu laufen begonnen hat (so bereits zu § 1539 RVO BSGE 21, 157, 158 = SozR Nr 12 zu § 1531 RVO, BSG Urteil vom 28. November 1990 – 5 RJ 50/89 – USK 90174; BSG SozR 3-1300 § 111 Nr 4; Hauck, SGB X/3, K § 111 RdNrn 3a, 7; KassKomm-Kater, § 111 SGB X RdNr 21). In einem solchen Fall können Angaben über Art und Umfang künftiger Leistungen nur allgemein unter Verwendung der Kenntnisse gemacht werden, die im Zeitpunkt des Geltendmachens vorhanden sind.
Bei der Auslegung des Begriffs „Geltendmachen” ist auch zu berücksichtigen, daß es sich bei den am Erstattungsverfahren Beteiligten um Körperschaften des öffentlichen Rechts oder Behörden handelt, deren Vertreter Kenntnis von den jeweils in Betracht kommenden Leistungen besitzen. Ferner ist zu bedenken, daß der Ausschluß von Erstattungsansprüchen, der innerhalb einer kurzen Frist aus Gründen schneller Klarstellung der Verhältnisse (vgl BT-Drucks 9/95, S 26 zu § 117 SGB X) und wegen der dem Erstattungspflichtigen einzuräumenden rechtzeitigen Haushaltsplanung (BSGE 65, 27, 31 = SozR 1300 § 111 Nr 4) vorgesehen ist, zu einer Beseitigung bestehender Erstattungsansprüche eines Trägers führt. Deshalb brauchen und dürfen die Anforderungen, die inhaltlich an eine solche Geltendmachung gestellt werden, nicht überzogen werden, zumal der Gesetzgeber selbst keine inhaltlichen Anforderungen im einzelnen aufgestellt hat. Vielmehr hat er den Begriff des Geltendmachens gewählt, der in der Gesetzessprache nicht eindeutig definiert ist. Auch aus diesem Grunde ist als Geltendmachen nicht bereits ein Darlegen in allen Einzelheiten (BSGE 21, 157 = SozR Nr 12 zu § 1531 RVO), also nicht eine im einzelnen exakte Darlegung bestehender und künftiger Ansprüche zu fordern. Wegen der gebotenen Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls bei der Beurteilung, ob ein Erstattungsanspruch geltend gemacht worden ist, muß jedenfalls in Zweifelsfällen auch das Verhalten des Erstattungspflichtigen in die Prüfung mit einbezogen werden, das dieser als Reaktion auf Mitteilungen des Erstattungsberechtigten zeigt, welche jener als Geltendmachen iS des § 111 Satz 1 SGB X gedeutet haben möchte.
In formaler Hinsicht sind für das Geltendmachen von Erstattungsansprüchen keine Besonderheiten vorgeschrieben. Es handelt sich dabei um eine empfangsbedürftige Willenserklärung (so bereits BSGE 21, 157, 158 = SozR Nr 12 zu § 1531 RVO für den gleichbedeutenden Begriff des Geltendmachens in § 1539 RVO; vgl BSGE 65, 31, 37 = SozR 1300 § 111 Nr 6), die mit Zugang beim Empfänger wirksam wird (§ 130 Abs 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs). Selbst ein konkludentes Geltendmachen ist zulässig (vgl BSGE 65, 27, 30 = SozR 1300 § 111 Nr 4).
Diese Anforderungen an das Geltendmachen iS des § 111 Satz 1 SGB X hat die Beklagte innerhalb der frühestens am 20. April 1993 beginnenden und am 19. April 1994 endenden Ausschlußfrist erfüllt. Nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) hatte die Beklagte mit Schreiben vom 10. Mai 1993 die Erkrankung der Versicherten sowie deren damit verbundene am 22. März 1993 begonnene Arbeitsunfähigkeit mitgeteilt und gleichzeitig dem Grunde nach einen Erstattungsanspruch wegen einer BK angemeldet. Mit Schreiben vom 23. Juni 1993 hatte die Beklagte sodann bei der Klägerin um Mitteilung gebeten, ob und ab welchem Zeitpunkt die Erkrankung als Folge einer BK anerkannt werde, und schließlich im Juni, Juli und August 1993 ihr Abrechnungen über die für die Versicherte zu entrichtenden Krankenversicherungsbeiträge für die Zeit vom 20. April bis 30. Juni 1993 übersandt.
Bereits dem Schreiben der Beklagten vom 10. Mai 1993 waren die wesentlichen Elemente ihres rechtssichernden Willens zu entnehmen, die von ihr erbrachten und noch zu erbringenden Leistungen von der Klägerin erstattet zu verlangen. Aus diesem Schreiben ergab sich zudem, welche Leistungen die Beklagte – jedenfalls zunächst – zu erbringen hatte, nämlich gemäß § 44 SGB V die bei Arbeitsunfähigkeit wegen einer Erkrankung zu erbringende Entgeltersatzleistung des Krankengeldes, und ab wann diese zu erbringen waren, nämlich nach Ablauf des Lohnfortzahlungsanspruches. Aus den Angaben zur Diagnose und zur beruflichen Tätigkeit konnte die Klägerin auf die Wahrscheinlichkeit einer BK und die Auffassung der Beklagten schließen, daß die Versicherte statt Krankengeld Verletztengeld zu beanspruchen habe. Letzteres hat die Beklagte mit ihrem Schreiben vom 23. Juni 1993 bestätigt. Schließlich hat die Beklagte nach den vom LSG in Bezug genommenen Verwaltungsakten der Klägerin in ihren Abrechnungen über Krankenversicherungsbeiträge den Beginn des Krankengeld- bzw Verletztengeldanspruchs (20. April 1993) sowie dessen Bemessungsgrundlage mitgeteilt. Diese Abrechnungen bezogen sich zwar nicht unmittelbar auf den Erstattungsanspruch der Beklagten. Vielmehr hat sie damit ihren sich aus § 235 Abs 2 SGB V iVm § 251 Abs 1 und § 192 Abs 1 Nr 3 SGB V ergebenden Beitragsanspruch der Klägerin mitgeteilt. Sie hat damit jedoch die Klägerin in die Lage versetzt, die Höhe des Verletztengeldes zu errechnen und zu erkennen, ab wann diese Leistung zu zahlen war. Angaben zur Dauer der Arbeitsunfähigkeit konnte die Beklagte – noch – nicht machen; allenfalls ließ sich der Diagnose entnehmen, wie lange im Durchschnitt eine Arbeitsunfähigkeit bei der betreffenden Krankheit dauert. Diese allgemeine Einschätzung war aber auch der Klägerin durch die Mitteilung der Diagnose möglich gemacht worden. Sie konnte somit aus den von der Beklagten gemachten Angaben hinreichend konkret entnehmen, daß die zur Erstattung anstehenden Forderungen gemäß § 111 SGB X nicht ausgeschlossen sind.
Das Ergebnis wird auch durch das tatsächliche Verhalten der Klägerin gestützt. Diese hat nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) auf Nachfrage der Beklagten vom 23. Juni 1993, ob eine Anerkennung als BK erfolge, geantwortet, „Schreiben und Erstattungsanspruch” der Beklagten seien eingegangen. Damit hat die Klägerin zu erkennen gegeben, daß sie das Schreiben vom 10. Mai 1993 als Geltendmachung eines Erstattungsanspruches auslegt. Denn das Schreiben der Klägerin bestätigt ausdrücklich den Eingang des Erstattungsanspruches, ohne daß die Beklagte dies in ihrer vorausgegangenen Nachfrage angesprochen hätte. Wenn die Klägerin damals bereits Mängel in den angegebenen Einzelheiten bezüglich eines Erstattungsanspruches gesehen hätte, so hätte sie dies entsprechend dem Grundsatz des § 86 SGB X ohne weiteres der Beklagten mitteilen können und müssen. Der Gesetzgeber hat die erforderliche Zusammenarbeit der Leistungsträger im Dritten Kapitel des SGB X geregelt und dabei im § 86 SGB X als Grundsatz festgelegt, daß die Leistungsträger verpflichtet sind, bei der Erfüllung ihrer Aufgaben eng zusammenzuarbeiten. Das Erfordernis der engen Zusammenarbeit wird zwar für den Fall der sich gegenseitig beeinflussenden Leistungspflichten im Gesetz nicht durch Einzelvorschriften näher konkretisiert, doch umfaßt es zumindest die Verpflichtung, bei widerstreitenden gegenseitigen Interessen auch die Belange des anderen Versicherungsträgers angemessen zu berücksichtigen (BSGE 57, 146, 150 = SozR 1300 § 103 Nr 2). Die Berücksichtigung der Belange der Beklagten wäre hier durch die Unterrichtung der Beklagten über eine etwa als mangelhaft angesehene Geltendmachung möglich gewesen. Schließlich hat die Klägerin durch die Zahlung des von der Beklagten geforderten Erstattungsbetrages zum Ausdruck gebracht, daß die Forderung inhaltlich zutreffend und nicht nach § 111 SGB X ausgeschlossen war.
Soweit die von der Klägerin erstatteten Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung betroffen sind, steht ihr ebenfalls kein Anspruch auf Rückerstattung gemäß § 112 SGB X zu, weil auch in diesem Umfang die Erstattung rechtmäßig war. Da die Versicherte unter einer BK litt, hatte die Klägerin für die Zeiten der Arbeitsunfähigkeit neben der Gewährung von Verletztengeld an diese auch Beiträge an den Rentenversicherungsträger (§ 170 Abs 1 Nr 2 Buchst a des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) und an die Bundesanstalt für Arbeit (§ 186 Abs 1 des damals noch geltenden Arbeitsförderungsgesetzes) zu entrichten. Hierbei handelt es sich um ergänzende Leistungen iS des § 29 Abs 1 Nr 4 Buchst c SGB I, die insoweit Sozialleistungen gemäß § 11 Satz 1 SGB I darstellen und auf die daher die Vorschriften über die Erstattungsansprüche der Leistungsträger untereinander der §§ 102 ff SGB X anzuwenden sind. Dagegen bestand gegen die Beklagte ein Anspruch auf Beitragszahlung nicht, weil kein Anspruch der Versicherten auf Krankengeld gegen sie bestand (§ 11 Abs 4 SGB V) und dies sich auf die Beitragstragung auswirkt (vgl BSG SozR 3-2500 § 251 Nr 1). Die für die Zeit vom 20. April bis 26. April und vom 29. April bis 30. September 1993 von der Beklagten entrichteten Beiträge sind somit vom unzuständigen Leistungsträger erbracht worden und waren der Beklagten gemäß § 105 SGB X von der Klägerin als dem zuständigen Leistungsträger zu erstatten. Eine Erstattung nach § 26 Abs 2 SGB IV kommt entgegen der Auffassung des LSG schon deshalb nicht in Betracht, weil ein solcher Anspruch sich gegen den Träger richtet, der die Beiträge erhalten hat, hier also gegen den Rentenversicherungsträger und die Bundesanstalt für Arbeit. Darin liegt kein Widerspruch zum Urteil des 12. Senat des BSG vom 12. Dezember 1990 (BSGE 68, 82 = SozR 3-2200 § 381 Nr 1); denn in jener Entscheidung hatte eine Berufsgenossenschaft wegen eines nur scheinbar vorliegenden Arbeitsunfalls Krankenkassenbeiträge trotz bestehender Beitragsfreiheit entrichtet; ihr stand deshalb ein Erstattungsanspruch nach § 26 Abs 2 SGB IV gegen die Krankenkasse zu. Hier dagegen bestand unabhängig davon, ob Krankengeld oder Verletztengeld zu entrichten war, Beitragspflicht in der Renten- und Arbeitslosenversicherung mit der Besonderheit, daß der unzuständige Träger diese Beiträge mit erfüllender Wirkung (§ 107 SGB X) gezahlt hatte. Soweit der Senat mit der Bejahung des die Beiträge betreffenden Erstattungsanspruchs von dem Urteil des damaligen 8a-Senats des BSG vom 18. Dezember 1980 (BSGE 51, 100 = SozR 2200 § 381 Nr 43) abweicht, worin eine Erstattung von Kranken- und Rentenversicherungsbeiträgen aufgrund des Bezuges von Übergangsgeld generell ausgeschlossen wurde, brauchte er eine Anfrage gemäß § 42 Abs 3 Satz 2 SGG an den inzwischen für das Beitragsrecht in der Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung allein zuständigen 12. Senat des BSG schon deshalb nicht zu richten, weil auch dieser Senat von der genannten Entscheidung des nicht mehr bestehenden 8a-Senats ausdrücklich abgewichen ist und eine Erstattung von Krankenversicherungsbeiträgen, die aufgrund des Bezuges von Verletztengeld entrichtet worden waren, bejaht hat, weil sich nachträglich herausgestellt hatte, daß kein Arbeitsunfall vorlag (BSGE 68, 82, 86 = SozR 3-2200 § 381 Nr 1).
Der Erstattungsanspruch hinsichtlich der Beitragszahlung ist auch nicht durch verspätetes Geltendmachen nach § 111 SGB X ausgeschlossen worden. Denn auch die Erstattung dieser Leistungen war von der Beklagten rechtzeitig iS dieser Vorschrift geltend gemacht worden. War – wie oben dargelegt – den Umständen des Einzelfalles, insbesondere dem Schreiben der Beklagten vom 10. Mai 1993 zu entnehmen, daß die Erstattung der Hauptleistung, nämlich des Krankengeldes, rechtzeitig von der Beklagten geltend gemacht worden ist, so lag darin zugleich ein rechtzeitiges konkludentes Geltendmachen der Erstattung der Beiträge, denn diese stellen vom Krankengeld akzessorische Leistungen dar, die nicht losgelöst von der Hauptleistung betrachtet werden können (vgl BSGE 81, 103, 111 = SozR 3-1300 § 105 Nr 4). Nach den Angaben, welche die Beklagte der Klägerin gemacht hat, konnte die Höhe dieser Beiträge und der Zeitpunkt, für den sie erstmalig zu entrichten waren, von der Klägerin auch berechnet werden.
Sind somit die Erstattungsansprüche bezüglich des geleisteten Krankengeldes und der Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung zu Recht von der Klägerin befriedigt worden, steht ihr ein Rückerstattungsanspruch nicht zu.
Das Urteil des LSG war nach alledem aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
FEVS 2001, 145 |
SozR 3-1300 § 111, Nr. 9 |