Entscheidungsstichwort (Thema)
Zustellung einer Urteilsausfertigung ohne Unterschrift des Vorsitzenden. Rechtsmittelfrist. Revisionsfrist
Leitsatz (amtlich)
Die von einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung gewährte teilstationäre psychiatrische Behandlung in einer Tagesklinik begründet keinen Unfallversicherungsschutz des Behandelten nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO.
Leitsatz (redaktionell)
Zum Begriff der "stationären Behandlung".
Orientierungssatz
1. Durch die Zustellung einer Urteilsausfertigung, auf der die Wiedergabe der Unterschrift des Vorsitzenden fehlt, wird die Rechtsmittelfrist nicht in Lauf gesetzt (vgl BSG 1981-02-11 2 RU 37/80 = SozR 1500 § 151 Nr 9).
2. Die Zustellung des Urteils ist keine Bedingung für die Zulässigkeit der Revision, sondern lediglich Voraussetzung für den Beginn des Laufs der Revisionsfrist (vgl BSG 1975-04-24 2 RU 63/75 = SozR 1500 § 160 Nr 1).
Normenkette
RVO § 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchst.a Fassung: 1974-08-07, § 559 Fassung: 1974-08-07; SGG § 164 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1974-07-30, § 134 Fassung: 1953-09-03, § 135 Fassung: 1953-09-03
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beklagte gewährte dem bei ihr für den Fall der Krankheit versicherten Beigeladenen bis zum 26. März 1980 stationäre Behandlung in der S. B. Anschließend wurde der Beigeladene auf Kosten der Beklagten in einer psychiatrischen Tagesklinik der B., Abteilung für Sozialpsychiatrie, behandelt. Die Behandlung umfaßte Einzel- und Gruppentherapie sowie Gruppenaktivitäten und wurde von Montag bis Freitag jeweils von 8.30 Uhr bis 17.00 Uhr durchgeführt. Der Beigeladene erhielt in der Tagesklinik auch Verpflegung. Am 28. April 1980 erlitt der Beigeladene im Rahmen der Therapie beim Patientensport (Ballspiel) einen Bruch des Endgliedes des linken Daumens. Für die Behandlung dieser Verletzung wendete die Klägerin 179,40 DM auf. Diesen Betrag verlangte sie mit Schreiben vom 6. August 1980 von der Beklagten ersetzt, weil bei der teilstationären Behandlung für den Beigeladenen kein Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a der Reichsversicherungsordnung (RVO) bestanden habe. Die Beklagte lehnte den Ersatz der Kosten mit Schreiben vom 7. Oktober 1980 ab, weil ihrer Ansicht nach für den Versicherungsschutz des Beigeladenen nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO unerheblich sei, ob eine stationäre Krankenhausbehandlung rund um die Uhr oder nur während eines Tagesaufenthaltes erforderlich sei.
Das Sozialgericht (SG) Hamburg hat die Klage der Klägerin auf Ersatz von 179,40 DM abgewiesen (Urteil vom 31. Juli 1981). Seiner Ansicht nach sei die teilstationäre Behandlung eine stationäre Behandlung iS des § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO. Die Klägerin habe daher die Aufwendungen für die vom Durchgangsarzt aus Anlaß des Unfalls angeordnete berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung des Beigeladenen selbst zu tragen.
Das SG hat die Berufung und die Revision zugelassen.
Die Klägerin hat die Revision mit Zustimmung der Beklagten eingelegt und im wesentlichen wie folgt begründet: Auf der ihr vom SG am 21. Dezember 1981 zugestellten Ausfertigung des Urteils vom 31. Juli 1981 fehle die Wiedergabe der Unterschrift des Kammervorsitzenden, der an dem Urteil mitgewirkt habe. Das habe zur Folge, daß die Rechtsmittelfrist nicht in Lauf gesetzt worden sei. Ferner sei die Rechtsmittelbelehrung des Urteils unrichtig. Sie enthalte lediglich die Belehrung hinsichtlich der Einlegung der Berufung und lasse eine Belehrung für den Fall der Revision vermissen. Durch die unrichtige Rechtsmittelbelehrung werde die Frist zur Einlegung der Sprungrevision bis zum 21. Dezember 1982 verlängert. In der Sache selbst sei sie der Auffassung, daß die teilstationäre Behandlung keine stationäre Behandlung iS des § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO iVm § 559 RVO sei.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des SG Hamburg vom 31. Juli 1981 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr einen Betrag von 179,40 DM zu erstatten.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie trägt vor, daß der Beigeladene während der teilstationären Behandlung gegen Arbeitsunfall versichert gewesen sei und die Klägerin daher keinen Anspruch auf Ersatz der von ihr aufgewendeten Heilbehandlungskosten habe.
Der Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet.
Das Rechtsmittel ist von der Klägerin wirksam eingelegt worden, obwohl ihr das Urteil des SG nicht wirksam zugestellt worden ist. Nach § 164 Abs 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ist die Revision bei dem Bundessozialgericht (BSG) innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils (§ 135 SGG) schriftlich einzulegen. Das SG hat der Klägerin zwar eine Ausfertigung des am 31. Juli 1981 verkündeten Urteils gegen Empfangsbekenntnis (§ 5 des Verwaltungszustellungsgesetzes -VwZG-) zugestellt, jedoch war die Ausfertigung fehlerhaft. Auf ihr fehlte die Wiedergabe der Unterschrift des Kammervorsitzenden, der an dem Urteil mitgewirkt hat. Die Rechtsmittelfrist wird dadurch nicht in Lauf gesetzt (vgl BSG SozR 1500 § 151 Nr 9). Dennoch konnte die Klägerin nach Verkündung des Urteils wirksam Revision einlegen, denn die Zustellung des Urteils ist keine Bedingung für die Zulässigkeit der Revision, sondern lediglich Voraussetzung für den Beginn des Laufs der Revisionsfrist (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 1; Meyer-Ladewig, SGG, 2. Aufl § 164 Anm 6). Da die Revisionsfrist wegen der fehlerhaften Ausfertigung des angefochtenen Urteils nicht zu laufen begonnen hat, ist es ohne weitere Auswirkung auf das Verfahren, daß die Revisionsfrist auch wegen der unrichtigen Rechtsmittelbelehrung nicht ablaufen konnte. Obwohl das SG im Urteil nicht nur die Berufung, sondern auch die Revision zugelassen hat, enthält die Rechtsmittelbelehrung lediglich den Hinweis auf die Anfechtungsmöglichkeit mit der Berufung. Erforderlich wäre jedoch zusätzlich die Belehrung über das Rechtsmittel der Sprungrevision gewesen (vgl BSG SozR 1500 § 66 Nr 7).
Die Beklagte hat der Klägerin zu ersetzen, was sie nach dem Recht der Krankenversicherung aus Anlaß des Unfalls des Beigeladenen hätte leisten müssen, da sich nachträglich herausgestellt hat, daß die Verletzung des linken Daumens des Beigeladenen keine Folge eines Arbeitsunfalls war (§ 1509a RVO).
Nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer versicherten Tätigkeit erleidet. Der Beigeladene gehörte im Zeitpunkt des Unfalls jedoch nicht - was allein hier in Betracht kommt - zu den Personen, denen von einem Träger der Krankenversicherung stationäre Behandlung iS des § 559 RVO gewährt wurde (§ 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO).
Stationäre Behandlung wird in § 559 RVO als Heilbehandlung mit Unterkunft und Verpflegung in einem Krankenhaus oder einer Kur- oder Spezialeinrichtung definiert. Daß es sich bei der psychiatrischen Tagesklinik, in welcher der Beigeladene behandelt wurde und den Unfall erlitten hat, um eine Einrichtung handelt, die als Krankenhaus oder als Spezialeinrichtung anzusehen ist, hat das SG zutreffend dargelegt. Dem SG ist jedoch nicht darin zu folgen, daß dem Beigeladenen in der Tagesklinik stationäre Behandlung gewährt wurde.
Es trifft zu, wie das SG ausführt, daß § 559 RVO seine jetzige Fassung durch § 21 Nr 43 des am 1. Oktober 1974 in Kraft getretenen Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG) vom 7. August 1974 (BGBl I 1881) erhalten hat; durch § 21 Nr 37 RehaAnglG wurde auch § 539 Abs 1 Nr 17 RVO in das Gesetz eingefügt. Es ist ferner richtig, daß es sich bei den in § 10 RehaAnglG genannten medizinischen Leistungen zur Rehabilitation - auch soweit sie in Krankenhäusern, Kur- und Spezialeinrichtungen einschließlich der erforderlichen Unterkunft und Verpflegung zu erbringen sind - nur um eine beispielhafte Aufzählung handelt. Daraus folgt jedoch nicht, wie das SG meint, daß die teilstationäre Krankenhausbehandlung eine stationäre Behandlung iS des § 559 RVO und damit auch iS des § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO ist.
Zur stationären Behandlung iS dieser Vorschriften und damit zu den Voraussetzungen für den Unfallversicherungsschutz gehört die Unterbringung zu medizinischen Maßnahmen in einem Krankenhaus oder in einer besonderen Einrichtung (vgl BT-Drucks 7/1237 S 66 zu § 21 Nr 31 § 539 Abs 1 RVO ; vgl auch die Begriffsbestimmung in § 2 Nr 1 des Krankenhaus-Finanzierungsgesetzes -KHG- vom 29. Juni 1972 - BGBl I 1009 -). Die fehlende Unterbringung unterscheidet die teilstationäre Behandlung von der (voll-)stationären Behandlung, wie auch aus § 184 Abs 1 Satz 1 2. Halbs RVO entnommen werden kann. Dieser 2. Halbs wurde durch Art 1 Nr 7 des Gesetzes zur Ergänzung und Verbesserung der Wirksamkeit kostendämpfender Maßnahmen in der Krankenversicherung (Kostendämpfungs-Ergänzungsgesetz - KVEG) vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1578) mit Wirkung vom 1. Januar 1982 eingefügt. Er trägt der Tatsache Rechnung, daß in vielen Fällen nach einer gewissen Zeit der stationären Behandlung die auch weiterhin notwendige Versorgung durch das Krankenhaus auch ohne dauernde Unterbringung in teuren Krankenhausbetten erfolgen kann und sich dadurch Kosten für teilweise Verpflegung und Unterkunft sparen lassen (vgl BT- Drucks 9/798 und 9/845 S 13 bzw 14 zu Nr 7 § 184 RVO ). Das BSG hat auch bisher schon als wesentliches Merkmal der stationären Behandlung die Unterbringung des Kranken außerhalb des eigenen Haushalts angesehen (BSGE 47, 285, 286). Der von Montag bis Freitag täglich jeweils 8 1/2 Stunden dauernde Aufenthalt des Beigeladenen in der Tagesklinik und die ihm dort gewährte Verpflegung ist daher keine Unterbringung in einem Krankenhaus oder einer Spezialeinrichtung und daher auch keine stationäre Behandlung. Allein die Tatsache, daß der Patient einer teilstationären Behandlung sich ebenso wie der Patient einer (voll-) stationären Behandlung in einer Einrichtung aufhalten muß, wo er überwiegend anderen Risiken als zu Hause ausgesetzt ist, kann nicht dazu führen, § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO entsprechend auf Personen anzuwenden, denen von einem Träger der Krankenversicherung teilstationäre Behandlung gewährt wird. Dem steht einmal entgegen, daß es schon vor dem Unfall des Beigeladenen neben der stationären Krankenhausbehandlung auch eine halbstationäre Krankenhausbehandlung gab (vgl § 2 Nr 4 KHG und § 4 Abs 1 Nr 3 der Bundespflegegesetzverordnung -BPflV- vom 25. April 1973 - BGBl I 333 -), der Gesetzgeber aber gleichwohl bei der Einfügung des § 539 Abs 1 Nr 17 RVO und Änderung des § 559 RVO durch das RehaAnglG nicht zu erkennen gegeben hat, daß der Begriff stationäre Behandlung auch die halbstationäre Behandlung umfaßt. Zum anderen muß es nach Auffassung des erkennenden Senats dem Gesetzgeber zu regeln überlassen bleiben, wie weit der Versicherungsschutz des § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO reichen soll. Es ist nämlich zu berücksichtigen, daß es eine teilstationäre Behandlung nicht nur in Tages-, sondern auch in Nachtkliniken gibt (vgl Das Leistungsrecht in der gesetzlichen Krankenversicherung, 12. Aufl zu §§ 184 und 184a Ordnungswort: Nachtklinik) und der Gesetzgeber anscheinend auch die Nachsorgebehandlung im Krankenhaus der teilstationären Behandlung zurechnet (vgl BT-Drucks 9/798 und 9/845 S 13 bzw 14 zu Nr 7 §184 RVO ); aA Das Leistungsrecht in der gesetzlichen Krankenversicherung, aaO. Ordnungswort: Teilstationäre Behandlung; Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 17. Aufl, § 184 Anm 2c, Stationär - teilstationär). Eine Ausweitung des Unfallversicherungsschutzes über die Fälle der (voll-) stationären Behandlung hinaus müßte zudem in Betracht ziehen, ob es dann noch gerechtfertigt und mit dem Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) vereinbar sein kann, Personen vom Versicherungsschutz auszuschließen, die sich nicht nur, wovon die Beklagte in ihrer Revisionserwiderung ausgeht, einer einmaligen Erstversorgung und einer Nachschau, sondern die sich auch regelmäßigen und jeweils zeitlich längerdauernden ambulanten Behandlungen in einem Krankenhaus unterziehen (zB Hämodialyse bis zu neun Stunden, vgl BSGE 47, 285, 287; LSG Niedersachsen, Urteil vom 16. Dezember 1981 - L 5 Ka 7/78 -; Heilgymnastik; Bäderbehandlung) und dabei ähnlichen Risiken wie bei einer teilstationären Behandlung ausgesetzt sind. Unter diesen Umständen vermag der Senat keine Regelungslücke zu erkennen, die von ihm ausgefüllt werden müßte.
Da der Beigeladene am 28. April 1980 beim Patientensport nicht gegen Arbeitsunfall versichert war, hat er auch keinen Arbeitsunfall erlitten, der von der Klägerin zu entschädigen wäre. Die Klägerin kann daher von der Beklagten Ersatz der Kosten in Höhe von 179,40 DM beanspruchen, die die Beklagte für die Unfallfolgen nach dem Recht der Krankenversicherung aufzuwenden gehabt hätte.
Das Urteil des SG mußte daher aufgehoben und die Beklagte zur Zahlung von 179,40 DM an die Klägerin verurteilt werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen
BSGE, 10 |
Breith. 1983, 778 |