Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufsunfähigkeit - Gabelstaplerfahrer - tarifvertragliche Einstufung
Orientierungssatz
Berufliche Einordnung eines Gabelstaplerfahrers: Für die Beurteilung der Wertigkeit eines Berufes ist der Wert der tatsächlich verrichteten Arbeit entscheidend bzw der zu diesem Zeitpunkt geltende Tarifvertrag zugrunde zulegen.
Normenkette
RVO § 1246 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 26.11.1993; Aktenzeichen L 3 J 234/90) |
SG Düsseldorf (Entscheidung vom 18.10.1990; Aktenzeichen S 11 J 3115/90) |
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Gewährung von Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit (BU); im Streit ist vornehmlich die Frage, ob er in seinem Beruf als Gabelstaplerfahrer Berufsschutz als Facharbeiter genießt.
Der 1934 geborene Kläger hat von 1950 bis 1953 den Beruf des Schneiders erlernt. Danach war er bis 1966 zunächst in diesem Beruf, dann als Beifahrer, Fahrer und Postfacharbeiter versicherungspflichtig beschäftigt. Nachdem er zwischenzeitlich einer selbständigen Tätigkeit nachgegangen war, arbeitete er ab Februar 1977 als Gabelstaplerfahrer in einem Speditionsbetrieb. Für diese Tätigkeit war er lediglich einige Tage lang angelernt worden; die theoretische Einweisung für den Erhalt des Gabelstaplerführerscheins hatte eineinhalb Stunden gedauert. Von Dezember 1988 bis zu seinem Ausscheiden aus dem Betrieb im September 1991 war der Kläger arbeitsunfähig krank.
Den im Dezember 1989 gestellten Antrag des Klägers auf Gewährung von Rente wegen BU oder Erwerbsunfähigkeit (EU) lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12. April 1990 ab; die hiergegen bei dem Sozialgericht Düsseldorf (SG) erhobene Klage blieb erfolglos (Urteil vom 18. Oktober 1990). Auf die Berufung des Klägers verurteilte das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) die Beklagte unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils und des ablehnenden Bescheides, dem Kläger Rente wegen BU nach einem am 21. Dezember 1989 eingetretenen Versicherungsfall zu gewähren.
Das Berufungsurteil vom 26. November 1993 ist auf folgende Erwägungen gestützt: Als "bisheriger Beruf" des Klägers sei der des Gabelstaplerfahrers anzusehen; auf die durch die absolvierte Lehre als Schneider erworbene Facharbeiterqualifikation komme es nicht an, denn er habe diese Tätigkeit zuletzt vor 15 Jahren versicherungspflichtig ausgeübt, und ein Grund dafür, daß er diesen Beruf aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr habe ausüben können, sei nicht bekanntgemacht worden. Die Tätigkeit des Gabelstaplerfahrers könne dem Kläger gesundheitlich nicht mehr zugemutet werden, weil er nur noch leichte körperliche Arbeiten mit weiteren Einschränkungen vollschichtig verrichten könne.
Zwar handele es sich dabei aufgrund der Kürze der Anlernzeit um eine ungelernte Tätigkeit. Für die Zuordnung einer beruflichen Tätigkeit zu einer der Gruppen des Mehrstufenschemas sei nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), welcher der Senat folge, jedoch allein die Qualität der Arbeit für den Betrieb ausschlaggebend. Dabei komme es auf die tarifvertragliche Klassifizierung sowie die konkrete tarifliche Zuordnung der zuletzt ausgeübten Tätigkeit an. Die Tätigkeit des Gabelstaplerfahrers sei in die Lohngruppe III des hier maßgebenden Tarifvertrages aufgenommen worden. Diese Gruppe sei die eigentliche Facharbeitergruppe innerhalb des Tarifvertrages, denn Merkmal sei eine Tätigkeit, die ein fachliches Können erfordere, das durch eine abgeschlossene einschlägige Berufsausbildung oder eine längere einschlägige Berufserfahrung erworben worden sei; die in dieser Gruppe enthaltenen Berufe (ua Kraftfahrer und Handwerker) entsprächen auch diesem Merkmal. Außerdem stelle diese Gruppe nach dem Lohnschlüssel den Ecklohn dar. Qualitätsfremde Merkmale für die Zuordnung des Gabelstaplerfahrers in diese Gruppe seien nicht ersichtlich; offensichtlich seien Sicherheitsgründe der ausschlaggebende Gesichtspunkt hierfür gewesen. Die nächstniedrigere Lohngruppe II habe als Merkmal die Ausführung von Tätigkeiten, die fachliche Kenntnisse und Erfahrungen erforderten, die durch Unterweisung mit einer Dauer von bis zu 2 Monaten erworben, also nach dem Stufenschema des BSG üblicherweise der Gruppe der angelernten Arbeiter zugeordnet würden. Voraussetzung für die nächsthöhere Lohngruppe IV sei die Erfüllung der Voraussetzungen der Lohngruppe III und zusätzlich eine mindestens 2-jährige Berufserfahrung. Der Kläger sei seiner Tätigkeit entsprechend auch in die Lohngruppe III eingeordnet worden; da keine Gründe für eine ungerechtfertigte Einstufung ersichtlich seien, müsse davon ausgegangen werden, daß sein bisheriger Beruf im Rahmen des Mehrstufenschemas der Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters zuzuordnen sei. Einen sozial zumutbaren Verweisungsberuf aus der Gruppe mit dem Leitberuf des Angelernten habe der Senat nicht feststellen können, und ein solcher sei auch von der Beklagten nicht benannt worden.
Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision macht die Beklagte die Verletzung des § 1246 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) geltend: Das LSG sei zu Unrecht von einem Facharbeiterstatus des Klägers ausgegangen. Nach der Rechtsprechung des BSG sei für die Beurteilung der Wertigkeit des bisherigen Berufs der zum Zeitpunkt der Beendigung der versicherungspflichtigen Beschäftigung geltende Tarifvertrag maßgebend. Dies habe das LSG verkannt, indem es offenbar den Lohntarifvertrag (LTV) für die gewerblichen Arbeitnehmer des Speditions-, Lagerei- und Transportgewerbes des Landes Nordrhein-Westfalen vom 3. Mai 1991 und nicht den LTV vom 30. Juni 1988 herangezogen habe. Der Kläger sei von seinem Arbeitgeber in die Lohngruppe 3 des maßgeblichen LTV vom 30. Juni 1988 eingestuft worden, in der Fuhrleute, Möbelträger und ständige Lager- und Schuppenarbeiter geführt worden seien. Diese Lohngruppe könne nur mit der Lohngruppe 2 des fälschlicherweise vom LSG herangezogenen LTV vom 3. Mai 1991 verglichen werden, die der untersten Stufe des Mehrstufenschemas zuzuordnen sei. Auch aus der Lohngruppe 3 dieses LTV könne im übrigen kein Berufsschutz als Facharbeiter abgeleitet werden, weil es sich dabei um eine "Berufsanfängerlohngruppe", nicht aber um eine echte Facharbeiterlohngruppe handele. Dem Kläger stehe mithin allenfalls der Berufsschutz eines angelernten Arbeiters (unterer Bereich) zu. Damit sei er nicht berufsunfähig, weil sein Leistungsvermögen ausreiche, um sozial zumutbare Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, wie etwa leichte Bürohilfsarbeiten, zu verrichten.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 26. November 1993 aufzuheben
und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Düsseldorf vom 18.
Oktober 1990 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und führt ergänzend aus: Entscheidend für die Beurteilung der Wertigkeit des bisherigen Berufs sei, wie der Arbeitgeber die Tätigkeit eingestuft und definiert habe. Nach dessen Auskunft sei der Kläger in die Lohngruppe 3 eingestuft gewesen, deren durch den Arbeitgeber wiedergegebene Definition genau der Gruppe 3 im LTV vom 3. Mai 1991 entspreche. Der Beruf des Gabelstaplerfahrers werde im LTV vom 30. Juni 1988 nicht ausdrücklich erwähnt; der besonderen Verantwortung dieser Tätigkeit werde aber nur die Einstufung in die Lohngruppe 3 gerecht.
Die Beteiligten haben sich gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das LSG. Dessen Feststellungen reichen für die Beurteilung, ob es die Beklagte zu Recht zur Gewährung von BU-Rente an den Kläger verurteilt hat, nicht aus. Es sind ergänzende Feststellungen zur Wertigkeit des "bisherigen Berufs" des Klägers und ggf zu einer zumutbaren Verweisungstätigkeit erforderlich.
Der Anspruch des Klägers auf BU-Rente richtet sich noch nach § 1246 RVO, denn der Rentenantrag ist bereits im Dezember 1989 - also bis zum 31. März 1992 - gestellt worden und bezieht sich auch auf die Zeit vor dem 1. Januar 1992 (§ 300 Abs 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - ≪SGB VI≫; vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 29).
Berufsunfähig ist nach § 1246 Abs 2 RVO ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können.
Ausgangspunkt für die Prüfung der BU ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG der "bisherige Beruf", den der Versicherte ausgeübt hat (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 107, 169). In der Regel ist dies die letzte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit, von der auch bei nur kurzfristiger Ausübung auszugehen ist, wenn sie zugleich die qualitativ höchste im Berufsleben des Versicherten gewesen ist (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 130, 164). Hat sich der Versicherte von einer beruflichen Tätigkeit gelöst, dh will er ihr erkennbar nicht mehr nachgehen und hat er sich endgültig einer anderen versicherungspflichtigen Berufstätigkeit zugewandt, ist sie nicht mehr der "bisherige Beruf" (vgl BSGE 41, 129, 130 = SozR 2200 § 1246 Nr 11; BSGE 46, 121, 122 = SozR 2600 § 45 Nr 22). Eine Lösung von der bisherigen Berufstätigkeit ist dann rechtlich unerheblich und führt nicht zum Verlust des Berufsschutzes, wenn der Versicherte diese Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben kann (vgl BSGE 2, 182, 187; BSG SozR Nr 33 zu § 1246 RVO; SozR 2200 § 1246 Nr 158). Die Beurteilung des LSG, der "bisherige Beruf" des Klägers sei der zuletzt langjährig ausgeübte als Gabelstaplerfahrer (und nicht eine der früher ausgeübten Tätigkeiten), ist danach nicht zu beanstanden. Diesen Beruf kann der Kläger nach den unangegriffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG, an die der Senat gebunden ist (§ 163 SGG), angesichts seiner gesundheitlichen Leistungseinschränkungen nicht mehr ausüben. Damit ist der Kläger aber noch nicht berufsunfähig. Es kommt vielmehr darauf an, ob seine Erwerbsfähigkeit noch für zumutbare Verweisungstätigkeiten ausreicht oder nicht.
Die Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit beurteilt sich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufs. Zur Erleichterung dieser Beurteilung hat die Rechtsprechung des BSG die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt. Diese Berufsgruppen sind ausgehend von der Bedeutung, die Dauer und Umfang der Ausbildung für die Qualität eines Berufs haben, gebildet worden. Dementsprechend werden die Gruppen durch den Leitberuf des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von bis zu zwei Jahren) und des ungelernten Arbeiters charakterisiert (vgl zB BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 138, 140). Die Einordnung eines bestimmten Berufs in dieses Mehrstufenschema erfolgt aber nicht ausschließlich nach der Dauer der absolvierten förmlichen Berufsausbildung. Ausschlaggebend hierfür ist vielmehr allein die Qualität der verrichteten Arbeit, dh der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb. Es kommt auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO am Ende genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung sowie des bisherigen Berufs, besondere Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit) umschrieben wird (vgl zB SozR 3-2200 § 1246 Nr 33). Grundsätzlich darf der Versicherte im Vergleich zu seinem bisherigen Beruf auf die nächstniedrigere Gruppe verwiesen werden (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 143 mwN; SozR 3-2200 § 1246 Nr 5).
In dieses Schema kann der bisherige Beruf des Klägers als Gabelstaplerfahrer nicht unmittelbar eingeordnet werden. Der Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters ist zunächst zuzuordnen, wer einen anerkannten Ausbildungsberuf iSd § 25 des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) mit mehr als zweijähriger Ausbildung erlernt und bisher ausgeübt hat (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 107, 140; SozR 3-2200 § 1246 Nr 12). Der Beruf des Gabelstaplerfahrers ist jedoch nicht als Ausbildungsberuf staatlich anerkannt; die tatsächlich erforderliche Ausbildungszeit betrug auch nur wenige Tage, reicht also zur Begründung einer Facharbeiterqualifikation nicht aus. Diese Qualifikation kann der Kläger mithin auch nicht dadurch erworben haben, daß er, ohne die erforderliche Ausbildung durchlaufen zu haben, einen anerkannten Ausbildungsberuf wettbewerbsfähig ausgeübt hat und entsprechend entlohnt worden ist (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 53, 168).
Die Wertigkeit des bisherigen Berufs des Klägers könnte sich aber aus den einschlägigen tarifvertraglichen Regelungen und der Einstufung durch den letzten Arbeitgeber ergeben. Soweit nämlich die Tarifvertragsparteien eine bestimmte Berufsart im Tarifvertrag aufführen und einer Tarifgruppe zuordnen, kann in der Regel davon ausgegangen werden, daß die Einstufung der einzelnen in einer Tarifgruppe genannten Tätigkeiten auf deren Qualität beruht (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 46, 111, 116, 122, 123, 164; SozR 3-2200 § 1246 Nrn 32, 38). Demnach läßt die abstrakte tarifvertragliche Einordnung einer bestimmten Berufstätigkeit in einer Tarifgruppe, die hinsichtlich der Qualität der dort genannten Arbeiten durch den Leitberuf etwa des Facharbeiters geprägt ist, in der Regel den Schluß zu, daß diese Tätigkeit als Facharbeitertätigkeit zu qualifizieren ist, falls für die Einstufung nicht qualitätsfremde Merkmale bestimmend sind (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 101, 123; SozR 3-2200 § 1246 Nrn 13, 38).
Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht nicht hinreichend beachtet. Es hat bereits nicht den einschlägigen Tarifvertrag herangezogen. Das LSG hat seiner Betrachtung nämlich den LTV für die gewerblichen Arbeitnehmer des Speditions-, Lagerei- und Transportgewerbes des Landes Nordrhein-Westfalen vom 3. Mai 1991 (Laufzeit 1. April 1991 bis 31. März 1992) zugrunde gelegt. Dies ergibt sich aus dem in den Entscheidungsgründen wiedergegebenen Inhalt des LTV in Verbindung mit dem Exemplar dieses Tarifvertrages in der Gerichtsakte, auf die das LSG im Tatbestand "wegen der weiteren Einzelheiten" Bezug genommen hat. Heranzuziehen ist jedoch der zum Zeitpunkt der Beendigung der maßgebenden versicherungspflichtigen Beschäftigung geltende Tarifvertrag (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nrn 22, 29, 32), denn für die Beurteilung der Wertigkeit eines Berufs ist der Wert der tatsächlich verrichteten Arbeit für den Betrieb entscheidend. Zeiten der Versicherungspflicht aufgrund des Bezuges von Sozialleistungen während eines bestehenden Arbeitsverhältnisses oder Zeiten, in denen das Arbeitsverhältnis formell weiterbestand, ohne daß Arbeit geleistet und Lohn oder Gehalt bezogen wurde, sind nicht zu berücksichtigen. Da der Kläger nach den Feststellungen des LSG von Dezember 1988 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30. September 1991 arbeitsunfähig erkrankt war, hat er seine versicherungspflichtige Beschäftigung als Gabelstaplerfahrer spätestens mit der Beendigung der Lohnfortzahlung tatsächlich beendet. Heranzuziehen war also der zu diesem Zeitpunkt geltende LTV (wohl der von der Beklagten genannte LTV vom 30. Juni 1988), nicht jedoch der vom LSG seiner Beurteilung zugrunde gelegte LTV vom 3. Mai 1991, denn zu diesem Zeitpunkt bestand das Arbeitsverhältnis nur noch formell fort, ohne daß eine versicherungspflichtige Beschäftigung vorlag. Die Heranziehung des zutreffenden LTV könnte hier von Bedeutung sein, weil der LTV vom 30. Juni 1988 nach dem Revisionsvorbringen der Beklagten eine andere Lohngruppeneinteilung mit anderen Definitionen als der vom LSG herangezogene LTV hat; insbesondere ist dort die Tätigkeit des Gabelstaplerfahrers nicht aufgeführt.
Das BSG kann als Revisionsgericht die erforderlichen Feststellungen, welcher LTV zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Tätigkeit des Klägers einschlägig war, welchen Inhalt er hatte und wie die Tätigkeit des Klägers dort einzustufen war, nicht selbst treffen. Die Sache war daher zur Nachholung der fehlenden Feststellungen an das LSG zurückzuverweisen. Ohne diese weitere Sachaufklärung ist eine abschließende Entscheidung nicht möglich, weil das LSG lediglich Feststellungen zu für Facharbeiter sozial zumutbaren Verweisungstätigkeiten getroffen hat, der Kläger aber möglicherweise der Gruppe mit dem Leitbild des angelernten Arbeiters zuzuordnen ist, für die geringere Anforderungen an die Wertigkeit einer sozial zumutbaren Verweisungstätigkeit zu stellen sind.
Falls es sich ergibt, daß der LTV vom 30. Juni 1988 hier einschlägig ist, wird das LSG zunächst die Richtigkeit der Arbeitgeberauskunft vom 7. Oktober 1992 hinsichtlich der Angaben zur tariflichen Einstufung des Klägers zu überprüfen haben. Die Mitteilung, der Kläger sei in "Lohngruppe III" eingestuft gewesen, deutet in Verbindung mit den dort für diese Gruppe wiedergegebenen Tätigkeitsmerkmalen darauf hin, daß der Arbeitgeber hier den LTV vom 3. Mai 1991 oder eine gleichlautende spätere Fassung zugrunde gelegt hat. Falls dies zutrifft, kann die Auskunft insoweit für die Beurteilung der Wertigkeit des bisherigen Berufs des Klägers nicht verwertet werden. Es ist dann zu ermitteln, wie der Kläger im Zeitpunkt der Beendigung seiner versicherungspflichtigen Beschäftigung im richtigen Tarifvertrag eingruppiert war.
Falls die Tätigkeit des Klägers als Gabelstaplerfahrer nicht als bestimmte Berufsart im maßgeblichen Tarifvertrag aufgeführt ist, läßt sich aus der Eingruppierung durch den Arbeitgeber kein verläßliches Indiz für die Wertigkeit der tatsächlich ausgeübten Berufstätigkeit ableiten. Die Eingruppierung ist dann anhand der im Tarifvertrag aufgeführten abstrakten Tätigkeitsmerkmale zu überprüfen und nur noch im Zweifel entscheidend (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 21).
Sollte der Kläger in Lohngruppe 2 des LTV vom 30. Juni 1988 eingeordnet gewesen sein, so ist zu beachten, daß es sich dabei um eine Berufsanfängerlohngruppe für Handwerker handelt, weil in ihr die ausgebildeten Facharbeiter nur für eine zweijährige Übergangszeit geführt werden, dann aber automatisch in eine höhere Lohngruppe aufsteigen. Es bedeutet indes keine tarifvertragliche Gleichstellung mit Handwerkern, wenn ein Beruf in einer solchen Tarifgruppe genannt wird oder wenn - wie in § 2 Nr 2 dieses LTV - für Handwerker besondere Zuschläge vorgesehen sind (vgl dazu und zur Struktur der Lohngruppeneinteilung dieses LTV BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 32 mwN).
Sofern der Kläger aufgrund des Ergebnisses der anzustellenden Ermittlungen als Facharbeiter einzustufen ist, sind ihm nur Tätigkeiten sozial zuzumuten, die zumindest angelernten Tätigkeiten tarifvertraglich gleichgestellt sind (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 17); hierzu hat das LSG bereits festgestellt, daß keine entsprechenden Tätigkeiten vorhanden sind. Ist er einem Angelernten im oberen Bereich (s dazu BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 45) gleich zu achten, kann er ebenfalls nicht schlechthin auf das allgemeine Arbeitsfeld verwiesen werden. Vielmehr scheiden dann ungelernte Tätigkeiten nur ganz geringen qualitativen Wertes aus; die zumutbaren Verweisungstätigkeiten müssen sich durch Qualitätsmerkmale, zB das Erfordernis einer Einweisung und Einarbeitung oder die Notwendigkeit beruflicher und betrieblicher Vorkenntnisse auszeichnen (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 45 mwN). Aus der Einschränkung der Verweisbarkeit folgt in beiden Fällen, daß mindestens eine danach in Betracht kommende Verweisungstätigkeit konkret zu bezeichnen ist (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr 98; SozR 3-2200 § 1246 Nr 45).
Sollten die Ermittlungen des LSG ergeben, daß der bisherige Beruf des Klägers lediglich dem unteren Bereich der Gruppe mit dem Leitbild des angelernten Arbeiters zuzuordnen ist, so könnte er zwar nach der bisherigen Rechtsprechung des BSG auf das allgemeine Arbeitsfeld verwiesen werden, wobei nur Tätigkeiten mit qualitativ ganz geringem Wert ausschieden (vgl BSGE 43, 243, 246 f = SozR 2200 § 1246 Nr 16); eine in Betracht kommende Verweisungstätigkeit müßte grundsätzlich nicht konkret bezeichnet werden (vgl etwa BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 30, 90, 104, 117, 136).
Angesichts des Ergebnisses der Anhörung von Sachverständigen in den Revisionsverfahren 13 RJ 73/92, 13 RJ 19/93, 13 RJ 71/93, 13 RJ 73/93 und 13 RJ 1/94 hat der erkennende Senat jedoch Zweifel, ob diese Rechtsprechung uneingeschränkt aufrechterhalten werden kann. Es haben sich nämlich erhebliche Anhaltspunkte dafür ergeben, daß für ungelernte Arbeiter und angelernte Arbeiter des unteren Bereichs wegen der Veränderungen in der Struktur des allgemeinen Arbeitsmarktes wie bereits für die Versicherten der höheren Stufen des Mehrstufenschemas nur ein eingeengtes Verweisungsspektrum zur Verfügung steht, soweit diese - wie es bei dem Kläger der Fall ist - nur noch körperlich leichte Arbeiten mit weiteren Einschränkungen verrichten können.
Der erkennende Senat hat daher in vier anderen anhängigen Revisionsverfahren dem Großen Senat des BSG wegen grundsätzlicher Bedeutung folgende Fragen vorgelegt (vgl die Beschlüsse vom 23. November 1994 - 13 RJ 19/93, 13 RJ 71/93, 13 RJ 73/93 und 13 RJ 1/94 -):
1.
Ist für die Beurteilung, ob ein Versicherter der Gruppe mit dem Leitbild
des angelernten Arbeiters im unteren Bereich oder der Gruppe mit dem
Leitbild des ungelernten Arbeiters berufs- oder erwerbsunfähig ist, die
konkrete Benennung von Verweisungstätigkeiten erforderlich, wenn er seinen
bisherigen Beruf nicht mehr ausüben und auch sonst nur noch körperlich
leichte Arbeiten mit weiteren Einschränkungen verrichten kann ?
2.
Sind die Fallgruppen, bei denen das Bundessozialgericht bisher die
erhebliche Gefahr einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes angenommen
hat, als abschließend anzusehen ?
Das LSG wird ggf zu prüfen haben, ob es diese Bedenken teilt und wie die aufgeworfenen Fragen - uU nach weiteren Ermittlungen - im Hinblick auf den vorliegenden Rechtsstreit zu beantworten sind.
Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen
RegNr, 22012 (BSG-Intern) |