Beteiligte
Kläger und Revisionskläger |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I
Streitig ist die Höhe eines als Regelaltersrente (RAR) zu zahlenden Altersruhegeldes (ARG).
Die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) teilte dem am 16. Dezember 1926 geborenen Kläger, der seit Juli 1965 von der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung befreit ist, in einer Rentenauskunft vom 3. Mai 1983 mit, seine monatliche Rentenanwartschaft belaufe sich nach dem Stand von Mai 1983 auf 920, 90 DM monatlich. Der Kläger beantragte am 1. Oktober 1991 die Gewährung von ARG wegen Vollendung des 65. Lebensjahres. Die BfA bewilligte ihm daraufhin "ab 1. Januar 1992" RAR i.S. von § 35 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) unter Anwendung der Berechnungsvorschriften dieses am 1. Januar 1992 in Kraft getretenen Gesetzbuches. Danach ergaben sich eine Bruttorente von 840, 06 DM und ein Zahlbetrag von 788, 82 DM. Grund für die niedrigere Rentenhöhe sei, daß die Ersatzzeiten (von November 1943 bis Februar 1952) nach neuem Recht gegenüber den Berechnungsvorschriften des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) im Falle des Klägers geringer zu bewerten seien. Die Berechnungsvorschriften des SGB VI seien nach § 300 Abs. 1 a.a.O. anzuwenden, weil für das ARG des Klägers gemäß § 67 Abs. 1 AVG ein Rentenbeginn am 1. Januar 1992 vorgeschrieben gewesen sei (Bescheid vom 15. November 1991; Widerspruchsbescheid vom 21. Februar 1992).
Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts [SG] Düsseldorf vom 24. September 1992; Urteil des Landessozialgerichts [LSG] Nordrhein-Westfalen vom 11. Oktober 1993). Das Berufungsgericht ist folgender Ansicht: Die Beklagte habe die Rente des Klägers zu Recht nach den Vorschriften des SGB VI berechnet. Obwohl deswegen die Rente im Vergleich zu dem bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Recht um fast ein Drittel niedriger ausgefallen sei, bestünden gleichwohl keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.
Der Kläger rügt mit seiner - vom LSG zugelassenen - Revision eine Verletzung der §§ 300, 263 SGB VI i.V.m. Art 3 und 14 des Grundgesetzes (GG). Bei Anwendung des AVG stehe ihm eine Rente in Höhe von monatlich 1.266, 70 DM brutto zu. Die rechtswidrige Anwendung neuen Rechts mindere seinen Anspruch um monatlich 426, 64 DM also um 33, 68 vH. Falls die neuen Berechnungsvorschriften anwendbar seien, läge ein Verfassungsverstoß vor. Wegen des weiteren Vorbringens des Klägers wird auf den Schriftsatz vom 15. Februar 1994 (Bl 22 bis 28 der Akte des Bundessozialgerichts [BSG]) Bezug genommen.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
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die Beklagte unter Aufhebung der Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen vom 11. Oktober 1993 und des SG Düsseldorf vom 24. September 1992 sowie unter Abänderung ihres Bescheides vom 15. November 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 1992 dem Grunde nach zu verurteilen, das ihm als RAG zu zahlende ARG nach Maßgabe des AVG zu gewähren. |
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Die Beklagte beantragt,
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die Revision des Klägers zurückzuweisen. |
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Sie hat sich zur Sache nicht geäußert.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]).
II
Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen und der Beklagten ist ihm ARG wegen Vollendung des 65. Lebensjahres als Regelaltersrente in der Höhe zu gewähren, die sich unter Anwendung der Vorschriften des AVG, nicht derjenigen des SGB VI, ergibt.
Die Begründetheit des Rechtsmittels hängt davon ab, ob die dem Kläger - insoweit bindend (§ 77 SGG) - zuerkannte Altersrente wegen Vollendung des 65. Lebensjahres nach den §§ 31ff. AVG oder nach den §§ 63ff. SGB VI zu berechnen, ob also im Blick auf die Rentenhöhe altes (AVG) oder neues Recht (SGB VI) anzuwenden ist. Die Antwort hierauf ergibt sich aus § 300 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI. Nach Abs. 1 a.a.O. gilt der Grundsatz, daß Vorschriften des SGB VI von dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an auf einen Sachverhalt oder Anspruch auch dann anzuwenden sind, wenn dieser bereits vor dem Zeitpunkt bestanden hat. Hiernach ist also neues Recht vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens auf das Leistungsverhältnis anzuwenden, außer wenn Spezialvorschriften etwas anderes bestimmen. Dies ist jedoch - entgegen der Ansicht der Vorinstanzen und der Beklagten - für Fälle der vorliegenden Art in § 300 Abs. 2 SGB VI geschehen.
Nach Abs. 2 a.a.O. sind u.a. durch dieses Gesetzbuch (SGB VI) ersetzte Vorschriften (hier: die Bestimmungen des AVG über ARG) auch nach dem Zeitpunkt ihrer Aufhebung (hier: Ablauf des 31. Dezember 1991) noch auf den bis dahin bestehenden Anspruch anzuwenden, wenn dieser bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten nach der Aufhebung (hier also bis zum 31. März 1992) geltend gemacht wird. Voraussetzung für die beschränkte Weitergeltung des AVG ist demnach, daß der Anspruch noch während der Geltung des alten Rechts entstanden ist, bis zu dessen Aufhebung bestanden hat und bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten nach der Aufhebung geltend gemacht wird (Hauck in Hauck/Haines, SGB VI, K § 300 Rz 7 m.w.N.). Abs. 2 a.a.O. enthält also eine Sonderregelung für den Fall, daß ein bestehender Anspruch bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten nach Aufhebung einer Vorschrift geltend gemacht wird; dann ist für den Zeitraum, für den der Anspruch noch während der Geltung des alten Rechts entsteht, dieses weiter anzuwenden (so BT-Drucks 11/4124 S. 206 zu Abs. 2 des § 291 des "Gemeinsamen Fraktionsentwurfs"). Der am 31. Dezember 1991 bestehende Anspruch entfällt nicht allein deshalb, weil die Vorschriften, auf denen er beruht, durch solche des SGB VI ersetzt worden sind (§ 300 Abs. 4 Satz 1 SGB VI).
Die Voraussetzungen dieser Sonderregelung liegen vor. Der Anspruch des Klägers auf ARG wegen Vollendung des 65. Lebensjahres, den er im Oktober 1991 geltend gemacht hat, ist im Dezember 1991 entstanden: Gemäß § 40 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) entstehen nämlich (Rechts-) Ansprüche auf Sozialleistungen, u.a. auf ARG (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst b SGB I), sobald ihre im Gesetz bestimmten Voraussetzungen vorliegen. Nach § 25 Abs. 5 AVG, der im Dezember 1991 noch gültiges und anzuwendendes Recht war, erhält ARG der Versicherte, der das 65. Lebensjahr vollendet und die Wartezeit nach Abs. 7 Satz 3 a.a.O., d.h. eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten, erfüllt hat. Diese gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen hatte der Kläger mit Ablauf des 15. Dezember 1991 erfüllt; damit war sein subjektives "Stamm"-Recht, ein ARG wegen Vollendung des 65. Lebensjahres nach Maßgabe der Vorschriften des AVG zu erhalten, also am 16. Dezember 1991 entstanden.
Indes ist bei sozialen Rechten auf regelmäßig wiederkehrende Leistungen (hier: Rente als ARG bzw. RAR) im Blick auf Entstehung und Fälligkeit zwischen dem subjektiven ("Stamm"-) Recht und den daraus hervorwachsenden ("Einzel"-) Ansprüchen zu unterscheiden (stellv Hauck/Haines, SGB I, K § 40 Rz 3c). Das subjektive ("Stamm"-) Recht entsteht, sobald die gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen als solche vorliegen, hier also am 16. Dezember 1991. Damit ist aber erst das (Renten-) Leistungsverhältnis zwischen dem Berechtigten und dem Leistungsträger begründet. Dieses ist die rechtliche Wurzel, aus der - regelmäßig wiederkehrend - ("Einzel"-) Ansprüche auf konkrete Leistungen (und Nebenpflichten) erwachsen. Es ist also selbst noch kein Anspruch. Denn auch im Recht des Sozialgesetzbuchs (§ 1 SGB I) ist unter "Anspruch" nur das Recht zu verstehen, von einem anderen (zB einem Leistungsträger - hier: von der BfA) ein (bestimmtes, notfalls durch Vollstreckung erzwingbares) Tun, Dulden oder Unterlassen zu verlangen (§ 194 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches [BGB]). Daher kann das subjektive ("Stamm"-) Recht als solches nicht fällig werden (iS von § 41 SGB I; stellv Hauck/Haines, SGB I, K § 41 Rz 6). "Fälligkeit" ist nämlich der Zeitpunkt, zu dem der Schuldner die konkrete Leistung bewirken muß und der Gläubiger sie frühestens fordern kann. Ist aber zunächst nur das subjektive ("Stamm"-) Recht auf regelmäßig wiederkehrende Leistungen, aber noch kein Anspruch auf ein Tun (hier: Zahlung eines bestimmten Rentenbetrages) entstanden, muß der "Schuldner" noch nicht leisten und darf der "Gläubiger" noch nicht fordern.
Im Dezember 1991 war aber nicht nur das Rentenstammrecht des Klägers, sondern auch sein (erster "Einzel"-) Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung eines bestimmten Rentenbetrages entstanden. Denn er hatte spätestens am 31. Dezember 1991 das Recht, von der Beklagten zu verlangen, ihm noch an diesem Tag den ihm für Januar 1992 zustehenden monatlichen Rentenbetrag auszuzahlen:
Grundsätzlich, d.h. vorbehaltlich abweichender gesetzlicher Regelung, entsteht mit dem subjektiven ("Stamm"-) Recht auf regelmäßig wiederkehrende Leistungen auch der erste ("Einzel"-) Anspruch und wird sogleich fällig (§§ 40 Abs. 1, 41 SGB I). Für ARG wegen Vollendung des 65. Lebensjahres war jedoch der periodische Leistungstermin anders festgelegt und dadurch die Entstehung des ersten konkreten Leistungsanspruchs von einer weiteren gesetzlichen Voraussetzung (§ 40 Abs. 1 SGB I) abhängig.
Nach § 67 Abs. 1 Satz 1 AVG (= § 1290 Abs. 1 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung [RVO]) war nämlich diese Rente erst "vom Ablauf des Monats an zu gewähren", in dem ihre Voraussetzungen erfüllt waren. Der erste Zahlungsanspruch des Klägers war also nicht am 16. Dezember 1991, sondern "vom Ablauf des Monats an" entstanden (anders § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI). Der Berechtigte durfte deswegen die Zahlung noch vor Beginn des nächsten Monats fordern. § 74 Satz 1 AVG (= § 1297 Satz 1 RVO; vgl. jetzt § 118 Abs. 1 SGB VI) stellte hierzu im Regelungszusammenhang des AVG klar, daß der monatliche Betrag "im voraus", d.h. vor dem Ablauf des Monats, mit dem der Anspruch entstanden war, gezahlt werden mußte. Das AVG schrieb also zwingend vor, daß der (erste "Einzel"-) Anspruch noch im letzten Augenblick des Monats entstand und fällig wurde. Darüber hinaus mußte der Rentenversicherungsträger die geschuldete Leistung so rechtzeitig bewirken, daß der zur Lebensführung des Versicherten im nächsten Monat bestimmte Rentenbetrag diesem durch Barauszahlung oder Gutschrift auf dem Konto schon vor dem Beginn des nächsten Monats zur Verfügung stand (Hauck in Hauck/Haines, SGB VI, K § 118 Rz 3).
Augenfällig waren im Falle des Klägers zu diesem Zeitpunkt, d.h. am 31. Dezember 1991, zu dem die BfA die von ihr geschuldete Zahlung bereits bewirkt haben mußte, die Vorschriften des SGB VI u.a. über die Berechnung von Altersrenten noch nicht in Kraft getreten. Keiner Darlegung bedarf, daß dieser Anspruch bis zum Beginn des 1. Januar 1992 bestanden hat, insbesondere keinen rechtshindernden oder rechtsvernichtenden Einwendungen oder Einreden oder sonstigen Gegenrechten ausgesetzt war.
Soweit die Vorinstanz allein unter Berufung auf das sog. Leistungsfallprinzip und auf Literaturstellen, die gleichfalls keine weitere Begründung angegeben haben, dem Kläger entgegengehalten hat, für die Berechnung seiner Rente sei nicht auf den Eintritt des Versicherungsfalls, sondern auf den Leistungsbeginn abzustellen, ist verkannt worden, daß die Beklagte die geschuldete Leistung bereits spätestens am 31. Dezember 1991 hatte bewirken müssen. Es trifft zwar zu, daß nach § 300 Abs. 1 SGB VI seit dem 1. Januar 1992 die Frage, ob Änderungen des Rentenversicherungsrechts bestehende Leistungsverhältnisse erfassen, nicht mehr nach dem sog. Versicherungsfallprinzip zu beantworten ist; danach blieb grundsätzlich das Recht maßgeblich, das im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls galt. Seither ist prinzipiell jeweils das neue Recht anzuwenden, soweit nicht Spezialvorschriften die Weitergeltung alten Rechts vorsehen. Ob hieraus auf ein rechtliches (nicht nur: sozialpolitisches) "Leistungsfallprinzip" geschlossen werden darf und welchen rechtlichen Inhalt dies ggf hätte, ist hier nicht zu erörtern. Denn der Leistungsfall für den Anspruch des Klägers auf ARG wegen Vollendung des 65. Lebensjahres ist sogar dann spätestens am 31. Dezember 1991 eingetreten, wenn unter "Leistungsfall" nicht nur die Entstehung des subjektiven ("Stamm-") Rechts und des Anspruches (§ 40 SGB I), sondern auch der Eintritt der Fälligkeit (§ 41 SGB I) zu verstehen wäre. Da der Kläger das ARG rechtzeitig, nämlich schon am 1. Oktober 1991 beantragt hatte, war die BfA gesetzlich verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, daß die nach dem AVG berechnete Rente spätestens am 31. Dezember 1991 seinem Konto gutgeschrieben worden war. Daß sie diese Leistungsbewirkungspflicht rechtswidrig nicht erfüllt hat, führt nicht zur Anwendung des SGB VI. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts zeigt gerade der vorliegende Fall, daß § 300 Abs. 2 SGB VI auch für die Zeit der Umstellung vom alten auf das neue Recht im Ergebnis sicherstellt, daß auch in diesen Fällen das zum Zeitpunkt des Leistungsbeginns maßgebende Recht zum Zuge kommt (so BT-Drucks 11/4124 S. 206). Im Zeitpunkt des Leistungsbeginns, d.h. spätestens am 31. Dezember 1991, war das AVG anzuwenden.
Nach alledem konnten die vorinstanzlichen Urteile und die streitigen Verwaltungsentscheidungen, soweit diese die Höhe der Rente des Klägers nach den Vorschriften des SGB VI festgesetzt haben, keinen Bestand haben. Darüber hinaus war nach § 130 Satz 1 SGG die Beklagte dem Grunde nach zu verurteilen, dem Kläger als Regelaltersrente das nach den Vorschriften des AVG berechnete - und deshalb für ihn im Vergleich zur Anwendung der §§ 63ff. SGB VI höhere - ARG zu gewähren.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.4 RA 70/93
BUNDESSOZIALGERICHT
Fundstellen