Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenversicherung. Selbstständiger. Befreiung nach § 231 Abs 6 SGB 6. Bestehen von Rentenversicherungsplicht am 31.12.1998. Verfassungsmäßigkeit. keine Vergleichbarkeit der Befreiungsregelungen nach Abs 5 und 6 des § 231 SGB 6
Leitsatz (amtlich)
Es verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, wenn das in § 231 Abs 6 SGB 6 gewährte Recht auf Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht nur solchen Selbstständigen eingeräumt wird, die am 31.12.1998 tatsächlich rentenversicherungspflichtig waren.
Normenkette
SGB VI § 2 S. 1 Nr. 2 Fassung: 1999-12-20, Nr. 9 Fassung: 1999-12-20, § 5 Abs. 2, § 6 Abs. 1a, § 231 Abs. 5, 6 Fassung: 2001-04-03; GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. Mai 2004 wird zurückgewiesen.
Zwischen den Beteiligten sind Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten um die Befreiung der Klägerin als selbstständige Physiotherapeutin von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung.
Die 1953 geborene Klägerin ist seit dem 1. September 1996 als Physiotherapeutin mit einer eigenen Praxis für Physiotherapie und Massage selbstständig tätig. Vom 15. März 1998 bis zum 31. Januar 1999 beschäftigte sie eine Krankengymnastin und Physiotherapeutin, deren Bruttoarbeitsentgelt für diesen Zeitraum 21.756 DM betrug und für die die Klägerin Sozialversicherungsbeiträge abführte.
Im Juli 2001 beantragte die Klägerin unter Hinweis auf § 231 Abs 6 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) ihre Befreiung von der Rentenversicherungspflicht. Mit Bescheid vom 28. Januar 2002 lehnte der beklagte Rentenversicherungsträger den Befreiungsantrag ab, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorlägen. Bei der von der Klägerin am 31. Dezember 1998 ausgeübten Tätigkeit handele es sich zwar grundsätzlich um eine selbstständige Tätigkeit iS von § 2 Satz 1 Nr 1 bis 3 SGB VI. Der Versicherungspflicht habe die Klägerin aber gleichwohl nicht unterlegen, weil sie zu diesem Zeitpunkt im Zusammenhang mit ihrer selbstständigen Tätigkeit eine versicherungspflichtige Arbeitnehmerin beschäftigt habe. Den Widerspruch, mit dem die Klägerin geltend machte, die gesetzliche Regelung verstoße gegen Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG), wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27. November 2002 zurück.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit Urteil vom 20. November 2003 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen und zur Begründung seines Urteils vom 28. Mai 2004 im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin könne eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 231 Abs 6 SGB VI nicht beanspruchen. Ein Befreiungsrecht stehe ihr bereits deshalb nicht zu, weil sie am 31. Dezember 1998 wegen der Beschäftigung einer versicherungspflichtigen Arbeitnehmerin keine iS von § 2 Satz 1 Nr 1 bis 3 SGB VI versicherungspflichtige selbstständige Tätigkeit ausgeübt habe. Sei sie damit versicherungsfrei gewesen, so scheide eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht aus. Nach Sinn und Zweck des § 231 Abs 6 SGB VI würden Personen wie die Klägerin von der Vorschrift nicht erfasst, die zwar vor und/oder nach dem 31. Dezember 1998, nicht aber an diesem Tag selbst als Selbstständige versicherungspflichtig gewesen seien. Der Gesetzgeber habe Selbstständigen, die erst bei Einführung der Rentenversicherungspflicht für arbeitnehmerähnliche Selbstständige von ihrer Versicherungspflicht erfahren und zuvor in gutem Glauben anderweitig vorgesorgt hätten, eine Befreiung ermöglichen und sie vor einer weiteren Doppelversorgung bewahren wollen. Zu diesem Personenkreis gehöre die Klägerin nicht, weil bei ihr im Hinblick auf die am 31. Dezember 1998 bestehende Versicherungsfreiheit die Fortsetzung einer Doppelversorgung nicht drohe. Weil Beiträge wegen Verjährung nicht mehr nachgefordert werden könnten, lasse sich Vorsorge in der gesetzlichen Rentenversicherung im Übrigen auch nicht mehr treffen. Der Ausschluss der Klägerin vom Befreiungsrecht sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Weder sei der Stichtag willkürlich gewählt noch liege infolgedessen eine gleichheitswidrige Benachteiligung der Klägerin vor. Diese werde vielmehr solchen Personen gleichgestellt, die eine versicherungspflichtige Tätigkeit iS von § 2 Satz 1 Nr 1 bis 3 SGB VI erst nach dem 31. Dezember 1998 aufgenommen hätten. Für diese sei ebenfalls keine Befreiungsmöglichkeit vorgesehen.
Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und rügt eine Verletzung von § 231 Abs 6 SGB VI. Zwar treffe es zu, dass ihr nach dem Wortlaut der Vorschrift ein Befreiungsrecht nicht zustehe. Sinn und Zweck sowie Entstehungsgeschichte der Bestimmung geböten es aber, auch sie in den begünstigten Personenkreis einzubeziehen. Der Gesetzgeber habe all jenen Selbstständigen eine Befreiungsmöglichkeit geben wollen, die im Vertrauen auf eine Versicherungsfreiheit bis zum 31. Dezember 1998 eine private Altersversorgung aufgebaut hätten. Sinn des Stichtages sei es, Missbrauch zu verhindern und solche Personen vom Befreiungsrecht auszuschließen, die erst nach dem Stichtag, in Kenntnis der Befreiungsmöglichkeit, eine Altersvorsorge außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung getroffen hätten. Zu diesem Kreis gehöre sie im Hinblick auf einen von ihr bereits zum 1. März 1998 abgeschlossenen Leibrentenversicherungsvertrag nicht. Sie habe damit alle Voraussetzungen erfüllt, die der Gesetzgeber für eine Befreiung habe aufstellen wollen. Darauf, dass sie am 31. Dezember 1998 zufälligerweise eine versicherungspflichtige Arbeitnehmerin beschäftigt habe, komme es nicht an. Ein Ausschluss vom Befreiungsrecht erweise sich als verfassungsrechtlich bedenklich.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. Mai 2004, das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 20. November 2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. Januar 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. November 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, sie für ihre Tätigkeit als selbstständige Physiotherapeutin mit Wirkung ab 1. September 1996 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend. Die von der Revision vorgenommene Auslegung der Stichtagsregelung sei unrichtig. Der Gesetzgeber habe dem in § 231 Abs 6 SGB VI angesprochenen Personenkreis kein weitergehendes Befreiungsrecht geben wollen als Selbstständigen nach § 2 Satz 1 Nr 9 SGB VI.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet. Das LSG hat ihre Berufung gegen das klagabweisende Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen. Die Beklagte hat ihren Befreiungsantrag mit Bescheid vom 28. Januar 2002 und Widerspruchsbescheid vom 27. November 2002 zutreffend abgelehnt. Der Klägerin steht für ihre Tätigkeit als selbstständige Physiotherapeutin ein Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung ab 1. September 1996 nicht zu.
Die Klägerin, für die wegen ihres Tätigkeitsortes in der Bundesrepublik Deutschland deutsches Sozialversicherungsrecht zur Anwendung gelangt (§ 3 Nr 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung ≪SGB IV≫, Art 13 Abs 2 Buchst b EWGV 1408/71), kann eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach der hier allein in Betracht kommenden Befreiungsnorm des § 231 Abs 6 SGB VI nicht beanspruchen. Nach dieser durch Art 2 Buchst b des Ersten Gesetzes zur Änderung des SGB IV vom 3. April 2001 mit Wirkung vom 7. April 2001 (Art 3 aaO) in das SGB VI eingefügten Vorschrift (BGBl I 467) werden Personen, die am 31. Dezember 1998 eine nach § 2 Satz 1 Nr 1 bis 3 oder § 229a Abs 1 SGB VI versicherungspflichtige selbstständige Tätigkeit ausgeübt haben, mithin zum Adressatenkreis der Vorschrift gehören, auf Antrag von dieser Versicherungspflicht befreit, wenn sie die dort genannten Befreiungsvoraussetzungen erfüllen, dh
1. glaubhaft machen, dass sie bis zu diesem Zeitpunkt von der Versicherungspflicht keine Kenntnis hatten, und
2. vor dem 2. Januar 1949 geboren sind oder
3. vor dem 10. Dezember 1998 eine anderweitige Vorsorge im Sinne des Absatzes 5 Satz 1 Nr 2 oder 3 oder Satz 2 für den Fall der Invalidität und des Erlebens des 60. oder eines höheren Lebensjahres sowie im Todesfall für Hinterbliebene getroffen haben; Absatz 5 Satz 1 Nr 2 und 3 und Satz 2 sind mit der Maßgabe anzuwenden, dass an die Stelle des Datums 30. Juni 2000 jeweils das Datum 30. September 2001 tritt.
Die Befreiung ist bis zum 30. September 2001 zu beantragen; sie wirkt vom Eintritt der Versicherungspflicht an.
Die Klägerin gehört bereits nicht zum Adressatenkreis des § 231 Abs 6 SGB VI. Zwar hat sie, wie das LSG festgestellt hat, am 31. Dezember 1998 als Physiotherapeutin eine selbstständige Tätigkeit ausgeübt. Jedoch unterlag sie an diesem Tag in dieser Tätigkeit nicht der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht. Dabei kann der Senat offen lassen, ob die Klägerin als Physiotherapeutin überwiegend auf Grund ärztlicher Verordnung tätig wurde und damit überhaupt zu den Pflegepersonen iS von § 2 Satz 1 Nr 2 SGB VI rechnete (vgl BSG, Urteil vom 30. Januar 1997 – 12 RK 31/96 – SozR 3-2600 § 2 Nr 2; ferner Urteil vom 11. November 2003 – B 12 RA 2/03 R – Die Beiträge Beilage 2004, 306 = USK 2003-52). Denn das Berufungsgericht hat hierzu keine Feststellungen getroffen. Jedenfalls war die Klägerin am 31. Dezember 1998 aber deshalb nicht nach § 2 Satz 1 Nr 2 SGB VI versicherungspflichtig, weil sie im Zusammenhang mit ihrer selbstständigen Tätigkeit eine versicherungspflichtige Arbeitnehmerin beschäftigte. Nach den Feststellungen des LSG war die von der Klägerin angestellte Krankengymnastin nicht geringfügig beschäftigt (§ 5 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI iVm § 8 Abs 1 SGB IV).
1. § 231 Abs 6 SGB VI ist nicht erweiternd dahin auszulegen, dass in den Kreis der durch diese Vorschrift begünstigten Personen auch solche Selbstständigen einzubeziehen sind, die in ihrer Tätigkeit zwar nicht am 31. Dezember 1998, jedoch in der Zeit davor nach § 2 Satz 1 Nr 1 bis 3 SGB VI versicherungspflichtig waren. Soweit die Revision ausführt, der Gesetzgeber habe im Prinzip all diejenigen privilegieren wollen, die bei glaubhaft gemachter Unkenntnis von der Versicherungspflicht vor dem 31. Dezember 1998 eine private Altersversorgung aufgebaut hätten, und die Bedeutung des Stichtages darauf beschränkt, einem Missbrauch vorzubeugen, dh Personen vom Befreiungsrecht auszuschließen, die erst nach dem 31. Dezember 1998 in Kenntnis der Befreiungsmöglichkeit eine private Altersversorgung aufgebaut haben, trägt sie dem Zweck und dem systematischen Zusammenhang der Norm sowie ihrer Entstehungsgeschichte nicht hinreichend Rechnung.
Einer Ausdehnung des berechtigten Personenkreises über den Wortlaut des § 231 Abs 6 SGB VI hinaus steht schon entgegen, dass die Vorschrift als Befreiungsnorm überhaupt eine Ausnahme mit eng umgrenztem Anwendungsbereich ist. Darüber hinaus stellt sie auch innerhalb der Befreiungsnormen des SGB VI einen Sonderfall dar, ermöglicht sie doch die Befreiung von einer auf Grund von § 2 Satz 1 Nr 2 SGB VI individuell vor dem 1. Januar 1999 bereits eingetretenen und andernfalls über den 31. Dezember 1998 hinaus unverändert fortbestehenden Versicherungspflicht, die in der hierdurch fortgeführten jahrelangen Tradition der gesetzlichen Rentenversicherung steht. Sie räumt damit ausnahmsweise und abweichend vom Prinzip der formellen Publizität von Gesetzesrecht, demzufolge Gesetze mit ihrer Verkündung im Bundesgesetzblatt allen Normadressaten unabhängig davon als bekannt gelten, ob und wann diese tatsächlich Kenntnis erlangt haben (vgl etwa Urteil des Senats vom 9. Februar 1993 – 12 RK 28/92 – BSGE 72, 80, 83 = SozR 3-1300 § 27 Nr 3 S 5f mwN), ein Befreiungsrecht auch in Fällen glaubhaft gemachter Unkenntnis bei gleichzeitig fehlendem Gesetzesvollzug durch die Verwaltung ein. Dies soll im Hinblick auf die längst getroffene Entscheidung des Gesetzes für eine an die Berufsausübung als Pflegeperson anknüpfende Rentenversicherungspflicht in § 2 Satz 1 Nr 2 SGB VI und die ihr zu Grunde liegende generelle Vermutung einer gerade hierdurch ausreichend begründeten Schutzbedürftigkeit zum einen mit einem zeitlich – bis zum 30. September 2001 – befristeten Antragsrecht und zum anderen für eine kleine Gruppe versicherungspflichtiger Selbstständiger gelten. § 231 Abs 6 SGB VI grenzt den Kreis der durch die Befreiungsmöglichkeit privilegierten versicherungspflichtigen Selbstständigen dadurch ein, dass er Versicherungspflicht nach seinem Wortlaut nur und gerade “am” 31. Dezember 1998 verlangt. Zum Adressatenkreis der Befreiungsnorm gehört demnach nur, wer sich auf Grund einer auf diesen Tag bezogenen Beurteilung nach Art einer “Stichprobe” als versicherungspflichtig erweist.
Die Entstehungsgeschichte des § 231 Abs 6 SGB VI bestätigt dieses Verständnis. Die Norm ist erst auf Vorschlag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuss) während des Gesetzgebungsverfahrens in den Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des SGB IV (Erstes SGB IV-ÄndG ≪1. SGB IV-ÄndG≫, BT-Drucks 14/4053) eingefügt worden (BT-Drucks 14/5095). In der Begründung des Vorschlags (BT-Drucks 14/5095 S 9) wurde darauf hingewiesen, im Zuge der zum 1. Januar 1999 in Kraft getretenen Einführung der Rentenversicherungspflicht für sog arbeitnehmerähnliche Selbstständige nach § 2 Satz 1 Nr 9 SGB VI hätten etliche Selbstständige erstmals erfahren, dass sie schon vor In-Kraft-Treten dieser Neuregelungen rentenversicherungspflichtig gewesen seien. Dies habe unter anderem gelegentlich auch für nach § 2 Satz 1 Nr 2 SGB VI versicherungspflichtige selbstständige Pflegepersonen gegolten. Dementsprechend hätten die Betreffenden im guten Glauben oftmals bereits anderweitig für ihr Alter vorgesorgt. Die Regelung eröffne für diese Selbstständigen eine dem § 231 Abs 5 SGB VI nachgebildete zeitlich befristete Befreiungsmöglichkeit. Hierdurch werde den berechtigten Interessen der Betroffenen soweit wie möglich Rechnung getragen. Weitergehende Forderungen könnten nicht berücksichtigt werden, weil Selbstständige, die schon seit Jahren unter anderem nach § 2 Satz 1 Nr 2 SGB VI rentenversicherungspflichtig gewesen seien, in Bezug auf den Schutz ihres guten Glaubens an ein Nichtbestehen der Versicherungspflicht nicht besser gestellt werden könnten als Selbstständige, die bis zum In-Kraft-Treten des § 2 Satz 1 Nr 9 SGB VI tatsächlich nicht rentenversicherungspflichtig waren. Dies gelte auch für die jeweiligen Stichtage und Fristen.
§ 231 Abs 6 SGB VI kann damit in dem hier vorliegenden Zusammenhang nur so ausgelegt werden, dass sein Adressatenkreis auf selbstständig Tätige beschränkt ist, die “am” 31. Dezember 1998 tatsächlich versicherungspflichtig waren. Soweit im Schrifttum hiervon abweichend die Auffassung vertreten wird, die Stichtagsregelung sei nach dem Normzweck dahingehend zu interpretieren, dass am 31. Dezember 1998 nur eine dem Grunde nach versicherungspflichtige Tätigkeit vorgelegen haben müsse und es nur darauf ankomme, dass vor dem 1. Januar 1999 – und nicht am 31. Dezember 1998 – tatsächlich Versicherungspflicht bestanden habe (vgl Klattenhoff in: Hauck/Noftz, SGB VI, Stand Oktober 2005, K § 231 RdNr 59), vermag ihr der Senat im Hinblick auf die Absicht des Gesetzgebers, die Befreiung als besondere Ausnahme auszugestalten und den übergangsweise privilegierten Personenkreis über einen Beurteilungsstichtag entsprechend einzugrenzen, nicht zu folgen. Die bloße Ausübung einer der in § 2 Satz 1 Nr 1 bis 3 SGB VI genannten Berufstätigkeiten am 31. Dezember 1998, ohne dass darin auch Versicherungspflicht besteht, reicht mithin nicht aus.
2. In dieser Auslegung verstößt § 231 Abs 6 SGB VI nicht gegen Art 3 Abs 1 GG.
a) Der allgemeine Gleichheitssatz hindert den Gesetzgeber nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) grundsätzlich nicht, Stichtage einzuführen, obwohl das unvermeidlich gewisse Härten mit sich bringt, insbesondere wenn sich die tatsächliche Situation derjenigen Personen, die gerade noch in den Genuss einer Neuregelung kommen, nur geringfügig von der Lage derjenigen unterscheidet, bei denen diese Voraussetzungen fehlen. Der Gesetzgeber muss den ihm hierbei zustehenden Spielraum jedoch in sachgerechter Weise genutzt, dh die Einführung des Stichtags überhaupt und die Wahl des Zeitpunktes am gegebenen Sachverhalt orientiert haben (vgl die Rechtsprechungshinweise in BVerfG, Beschluss vom 13. Januar 2003 – 2 BvL 9/00 – FamRZ 2003, 834 = ZBR 2003, 247 = juris Nr: KVRE 313830301). – Für die Stichtagsregelung des § 231 Abs 6 SGB VI lassen sich plausible Gründe anführen.
Die Einschätzung des Gesetzgebers, dass eine Stichtagsregelung dem mit der Befreiungsnorm verfolgten Ziel entspricht, ist sachgerecht. Im Hinblick auf die von ihm selbst benannten Sachgründe erweist sich eine derartige Stichtagsregelung zur Begrenzung des übergangsweise begünstigten Personenkreises sogar als praktisch unverzichtbarer Bestandteil der Befreiungsregelung. Soll nicht an die Stelle einer einzelfallbezogenen Konservierung der Folgen einer mangelnden Beachtung des Gesetzes in der Vergangenheit der Sache nach eine praktisch generelle rückwirkende Beseitigung der Versicherungspflicht für versicherungspflichtige selbstständige Pflegepersonen treten, bedarf es notwendigerweise einer tatbestandlichen Anknüpfung der Befreiungsregelung an eine in der Vergangenheit tatsächlich bestehende Versicherungspflicht. Auch die Auswahl des Stichtags unter den in Betracht kommenden Möglichkeiten ist sachlich vertretbar. Der Einwand der Revision, die Abgrenzung des berechtigten Personenkreises erfolge nach Zufälligkeiten, greift damit nicht durch. Diese “Zufälligkeiten” übersteigen nicht ein Maß, dass auch bei anderen Stichtagsregelungen üblicherweise anzutreffen und deshalb am Maßstab des allgemeinen Gleichheitssatzes hinzunehmen ist.
Dass der Gesetzgeber im vorliegenden Zusammenhang die Zugehörigkeit zum Adressatenkreis des § 231 Abs 6 SGB VI an die Rentenversicherungspflicht “am” 31. Dezember 1998, also in einem Zeitpunkt, und nicht in einem längeren oder kürzeren zurückliegenden Zeitraum gekoppelt hat, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Es liegt auf der Hand, dass eine schematische Abgrenzung des begünstigten Personenkreises, die an den Tatbestand der Versicherungspflicht in einem in die Vergangenheit zurückreichenden Zeitraum geknüpft ist, ihrerseits – jeweils rechtfertigungsbedürftige – Benachteiligungen gegenüber all jenen mit sich bringen würde, die trotz vergleichbarer Lage ein Befreiungsrecht nicht erhalten, weil sie vor dem maßgeblichen Zeitraum versicherungspflichtig waren. Insoweit trägt der im Schrifttum erhobene Einwand verfassungsrechtlich nicht, anders als bei sog arbeitnehmerähnlichen Selbstständigen sei der Stichtag für die Statusbeurteilung des von § 231 Abs 6 SGB VI erfassten Personenkreises “nicht materiell legitimiert”, “eher technisch” und deshalb ungeeignet (vgl Klattenhoff aaO). Der hieraus gezogene Schluss, das Bestehen von Versicherungspflicht müsse deshalb nicht am 31. Dezember 1998, sondern in dem “vor dem 1. Januar 1999 liegenden Zeitraum” beurteilt werden, begegnet den eben genannten Bedenken.
Auch der Zeitpunkt selbst ist am gegebenen Sachverhalt orientiert. Der Gesetzgeber hat den für die Einbeziehung in den begünstigten Personenkreis maßgeblichen Stichtag an das In-Kraft-Treten der Regelung über die Versicherungspflicht sog arbeitnehmerähnlicher Selbstständiger nach § 2 Nr 9 SGB VI (im Folgenden einheitlich: § 2 Satz 1 Nr 9 SGB VI; eingefügt durch das Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte vom 19. Dezember 1998 ≪BGBl I 3843≫) und der diese betreffenden Befreiungsnormen des § 231 Abs 5 SGB VI und § 6 Abs 1a SGB VI (geändert bzw eingefügt durch das Gesetz zur Förderung der Selbstständigkeit vom 20. Dezember 1999 ≪BGBl I 2000, 2≫) zum 1. Januar 1999 gekoppelt. Er hat damit an einen Zeitpunkt angeknüpft, in dem mit der erstmaligen Regelung von Versicherungspflicht und -befreiung der sog arbeitnehmerähnlichen Selbstständigen das Thema der Rentenversicherungspflicht Selbstständiger in einem umfassenden Kontext wieder in den Blickpunkt von Verwaltung und Öffentlichkeit gerückt war. Die wesentlich vom Gedanken des Schutzes individueller Unkenntnis bei fehlendem Verwaltungsvollzug getragene Befreiungsregelung des § 231 Abs 6 SGB VI begegnet insoweit keinen Bedenken. Denn sie grenzt ihren Anwendungsbereich auf diese Weise über den Stichtag zeitnah zur Rechtsänderung auf die Selbstständigen ein, für die der Gedanke des Gutglaubensschutzes überhaupt trägt.
b) Die durch die Stichtagsregelung für die von der Klägerin repräsentierte Personengruppe eintretenden Nachteile sind nicht von einem solchen Gewicht, dass sie im Verhältnis zu den die Befreiungsnorm tragenden Gründen mit Art 3 Abs 1 GG nicht mehr vereinbar wären. Soweit als Konsequenz der Stichtagsregelung Selbstständige vom Befreiungsrecht ausgeschlossen werden, die in der Vergangenheit versicherungspflichtig waren, am 31. Dezember 1998 aber nicht mehr der Rentenversicherungspflicht unterlagen, ist deren Schlechterstellung aus den gleichen Gründen sachlich gerechtfertigt, die die Stichtagsregelung selbst als verfassungsgemäß erscheinen lassen. Zur Vermeidung einer praktisch generellen rückwirkenden Beseitigung der Versicherungspflicht für versicherungspflichtige selbstständige Pflegepersonen war es notwendig, den Kreis der übergangsweise begünstigten Personen durch eine enge tatbestandliche Anknüpfung zu begrenzen. Soweit § 231 Abs 5 SGB VI die dort eröffnete Befreiungsmöglichkeit für Personen, die erstmals nach dem 31. Dezember 1998 versicherungspflichtig wurden, nicht auch auf Versicherungspflichtige nach § 2 Satz 1 Nr 2 SGB VI erstreckt bzw § 231 Abs 6 SGB VI denjenigen, die erst nach dem 31. Dezember 1998 nach § 2 Satz 1 Nr 2 SGB VI versicherungspflichtig werden, eine Befreiung verweigert, verstößt diese Benachteiligung ebenfalls nicht gegen Art 3 Abs 1 GG. Insbesondere kann die Klägerin nicht verlangen, mit sog arbeitnehmerähnlichen Selbstständigen gleichbehandelt zu werden, die bis zum In-Kraft-Treten des § 2 Satz 1 Nr 9 SGB VI am 1. Januar 1999 tatsächlich nicht versicherungspflichtig waren. Mit § 2 Satz 1 Nr 9 SGB VI hat der Gesetzgeber für diesen Personenkreis einen neuen Versicherungspflichttatbestand geschaffen, der deren Rentenversicherungspflicht nicht wie die Tatbestände der Nr 1 bis 8 des § 2 Satz 1 SGB VI über die Zugehörigkeit zu bestimmten Berufsgruppen, sondern über typische Tätigkeitsmerkmale bestimmt. Zu dem von dieser Vorschrift erfassten Personenkreis gehört die Klägerin schon deshalb nicht, weil sie unbeschadet des Nachrangs der Versicherungspflicht nach § 2 Satz 1 Nr 9 SGB VI gegenüber der nach § 2 Satz 1 Nr 2 SGB VI (vgl dazu Urteil des Senats vom heutigen Tag B 12 RA 5/03 R – zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) als Physiotherapeutin in eigener Praxis nicht auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig ist.
Aus Gründen der versicherungsrechtlichen Statuswahrung räumt das SGB VI den nach § 2 Satz 1 Nr 9 SGB VI erstmals Versicherungspflichtigen in größerem Umfang Rechte ein, sich von der neu begründeten Rentenversicherungspflicht befreien zu lassen. So gestattet § 231 Abs 5 SGB VI, bis zum 30. Juni 2000 befristet, die Befreiung von der Versicherungspflicht für solche Selbstständige, die auf Grund ihrer selbstständigen Tätigkeit am 31. Dezember 1998 unmittelbar mit dem Wirksamwerden des § 2 Satz 1 Nr 9 SGB VI am 1. Januar 1999 versicherungspflichtig wurden. Darüber hinaus steht allen Selbstständigen ein Befreiungsrecht innerhalb eines Jahres nach Eintritt der Versicherungspflicht zu, die in einer am 31. Dezember 1998 ausgeübten selbstständigen Tätigkeit erst nach diesem Stichtag nach § 2 Satz 1 Nr 9 SGB VI versicherungspflichtig werden. Schließlich können Personen nach § 6 Abs 1a SGB VI unter bestimmten Voraussetzungen von der Rentenversicherungspflicht befreit werden, wenn sie ihre selbstständige Tätigkeit erst nach dem 31. Dezember 1998 aufgenommen haben (Satz 1 Nr 1) oder sich in der Phase des altersbedingten Übergangs aus einer selbstständigen Tätigkeit in die Nichterwerbstätigkeit befinden (Satz 1 Nr 2).
§ 231 Abs 5 SGB VI ist am Vorbild früherer Befreiungsvorschriften orientiert, die bestimmten Personengruppen bei erstmaliger Einführung von Versicherungspflicht übergangsweise zur Statuswahrung verhelfen sollten. So wurde Angestellten, die am 28. Februar 1957, 30. Juni 1965 oder letztmalig am 31. Dezember 1967 die Jahresarbeitsverdienstgrenze überschritten hatten und anschließend versicherungspflichtig wurden, durch Art 2 § 1 Abs 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) vom 23. Februar 1957 (BGBl I 88) in seinen verschiedenen Fassungen ein Befreiungsrecht eingeräumt, wenn sie das 50. Lebensjahr vollendet hatten oder in der dort geforderten Weise für ihr Alter und ihre Hinterbliebenen vorgesorgt hatten. Unter gleichen oder ähnlichen Voraussetzungen durch eine Befreiungsnorm privilegiert wurden Angestellte, die auf Grund einer Tätigkeit außerhalb des Geltungsbereichs des AnVNG zunächst versicherungsfrei oder nicht versicherungspflichtig waren, nach Rückkehr aber der Versicherungspflicht unterlagen (Art 2 § 1 Abs 2 AnVNG, eingefügt durch Art 2 § 2 Nr 1 Buchst d des Dritten Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes vom 28. Juli 1969 ≪BGBl I 956≫), sowie freiberuflich tätige Hebammen, die auf Grund des Hebammengesetzes versicherungspflichtig geworden waren (Art 2 § 1c AnVNG, eingefügt durch Art 5 Nr 2 des Siebten Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes vom 19. Dezember 1986 ≪BGBl I 2586≫). Über eine entsprechende Befreiungsmöglichkeit des Übergangsrechts verfügten schließlich Küstenschiffer und Küstenfischer, nachdem sie durch eine Änderung des § 1227 Abs 1 Nr 4 der Reichsversicherungsordnung versicherungspflichtig geworden waren (Art 2 § 1c des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes ≪ArVNG≫ vom 23. Februar 1957 ≪BGBl I 45≫, eingefügt durch Art II § 4 des Sozialgesetzbuches vom 4. November 1982 ≪BGBl I 1450≫). – In dieser Tradition von Befreiungsregelungen steht § 231 Abs 6 SGB VI nicht.
Zwar hat der Gesetzgeber die Befreiungsnorm des § 231 Abs 6 SGB VI dem für sog arbeitnehmerähnliche Selbstständige geltenden § 231 Abs 5 SGB VI nachgebildet (BT-Drucks 14/5095 S 9) und hinsichtlich der Stichtage und Befreiungsvoraussetzungen weitgehend an diese Vorschrift angeknüpft. Auch dient § 231 Abs 6 SGB VI wie jene dem Schutz des Vertrauens in den Fortbestand einer erworbenen – außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung aufgebauten – Vorsorgeposition. Jedoch ist § 231 Abs 5 SGB VI für eine gänzlich anders strukturierte Problemlage geschaffen worden. § 231 Abs 5 SGB VI liegt das gesetzgeberische Motiv zu Grunde, wie bei den genannten Befreiungsregelungen im AnVNG und ArVNG aus Gründen der Statuskontinuität einen früheren Rechtszustand dadurch aufrecht zu erhalten, dass den nunmehr Versicherungspflichtigen die Möglichkeit gegeben wird, über die Befreiung einen wirkungsgleichen – weil sich in der Freistellung von Beitragslasten konkretisierenden – Zustand zu erreichen. § 231 Abs 6 SGB VI verfolgt demgegenüber ein anderes Ziel. Die Vorschrift dient der nach Ansicht des Gesetzgebers gebotenen Bereinigung einer Problemlage, die aus einem unvollkommenen früheren Gesetzesvollzug der Rentenversicherungsträger entstanden ist (vgl Klattenhoff in: Hauck/Noftz, SGB VI, Stand Oktober 2005, K § 231 RdNr 3a). Um Unbilligkeiten zu vermeiden, hat der Gesetzgeber den betroffenen Selbstständigen ausnahmsweise bei individueller Unkenntnis ein Recht zur Befreiung von der tatsächlich bestehenden Rentenversicherungspflicht eingeräumt. Diese besondere Problemlage rechtfertigt es allenfalls, ein Befreiungsrecht nur zeitlich befristet und einer kleinen Personengruppe zu gewähren und für Personen wie die Klägerin weitergehende Befreiungsrechte, wie sie Versicherungspflichtigen nach § 2 Satz 1 Nr 9 SGB VI zustehen, auszuschließen. Nicht zuletzt rechtfertigt sie es auch, solche Selbstständigen vom Befreiungsrecht des § 231 Abs 6 SGB VI auszunehmen, die vor dem 31. Dezember 1998 von ihrer Rentenversicherungspflicht Kenntnis hatten und in der Regel über viele Jahre Pflichtbeiträge gezahlt haben. Anders als für Personen mit Befreiungsrecht besteht eine faktische Wahlfreiheit zwischen privater Altersvorsorge und der gesetzlichen Rentenversicherung für diese nicht. § 231 Abs 6 SGB VI, der nicht als “Amnestieregelung für gesetzwidrig Handelnde”, sondern – nach dem Gesetzeswortlaut – als Härteregelung für Gutgläubige zu verstehen ist, erfasst diese Personen nicht, weil ein schutzwürdiges Interesse an einem Systemwechsel für diese nicht erkennbar ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen
Haufe-Index 1479321 |
NZS 2006, 375 |