Beteiligte
Kläger und Revisionsbeklagter |
Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
I.
Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 9. April bis 30. September 1985 und die Rückforderung von Alg in Höhe von 11.310,-- DM.
Der 1938 geborene Kläger, der den Beruf des Industriekaufmanns erlernt hat, meldete sich nach Ende einer Beschäftigung zum 1. Januar 1985 arbeitslos und bezog ab diesem Zeitpunkt über den streitigen Zeitraum hinaus Alg. Am 9. April 1985 schloß er mit B. R. -S. (B. R.) einen Gesellschaftsvertrag zur Gründung der Firma "R. -S. Metallbau- und Montage GmbH". Auf das Stammkapital von 100.000,-- DM sollten B. R. eine Sacheinlage iHv 50.000,-- DM und der Kläger eine Bareinlage iHv 50.000,-- DM leisten. In einer noch am 9. April 1985 durchgeführten Gesellschafterversammlung wurden der Kläger und seine Mitgesellschafterin zu jeweils alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführern bestimmt, die bis zur Eintragung der GmbH ins Handelsregister jedoch nur gemeinschaftlich vertretungsberechtigt sein sollten.
Für die GmbH im Gründungsstadium (i. Gr.), zu deren Eintragung ins Handelsregister es nicht kam, arbeitete u.a. der Ehemann der Mitgesellschafterin, G. S. (G. S.), während jene im streitbefangenen Zeitraum anderweitig als Arzthelferin vollzeitbeschäftigt war. Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) betrug die zeitliche Belastung des Klägers als Geschäftsführer seit 9. April 1985 (Abschluß des Gesellschaftsvertrages) bis 30. September 1985 regelmäßig mehr als 20 Stunden pro Woche und kam der einer Vollzeittätigkeit nahe.
Mit Schreiben vom 12. März 1986 teilte G. S., gegen den ebenso wie gegen seine Frau wegen Vorgängen im Rahmen des Betriebes der GmbH i. Gr. staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren liefen, der Beklagten mit, der Kläger sei "seit 1. April 1985 in ihrem Unternehmen tätig gewesen", obwohl Alg gezahlt worden sei; es werde um Prüfung gebeten. Hierzu angehört, erklärte der Kläger mit Schreiben vom 11. Mai 1986, er habe zu keinem Zeitpunkt eine bezahlte abhängige, weisungsgebundene oder sonst verpflichtende Tätigkeit oder Arbeit aufgenommen bzw. ausgeübt. Die GmbH sei weder gewerbe- noch handelsrechtlich entstanden. Er habe schon kurze Zeit nach Abschluß des Gesellschaftsvertrags erkennen müssen, daß er betrogen werden solle, und "deshalb das Zustandekommen der GmbH verhindert". Mit einem am 12. Januar 1987 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben antwortete sodann B. R. auf Anfrage der Beklagten, daß der Kläger seit April 1985 (bis 30. August 1985) im Unternehmen als kaufmännischer Geschäftsführer (durchschnittlich 40 Wochenstunden) tätig gewesen sei; er sei mit 35.000,-- DM am Unternehmen beteiligt gewesen und habe als "Entgelt" eine Kostenvergütung erhalten. Die Beklagte sah sich gleichwohl zu keinem weiteren Vorgehen veranlaßt, weil sie nach den Feststellungen des LSG die Beschuldigungen des G. S. auch unter Berücksichtigung der Angaben von B. R. als persönliche Racheakte wertete, denen kein Glauben zu schenken sei.
Bereits im April 1986 war der Kläger von der AOK H. -R. für Beitragsrückstände der am Sitz der GmbH i. Gr. tätigen Arbeitnehmer haftbar gemacht worden. Im anschließenden Klageverfahren, zu dem die Beklagte beigeladen worden war, entschied das Sozialgericht (SG), der Kläger hafte für von der AOK H. -R. geltend gemachte Gesamtsozialversicherungsbeiträge bis 30. September 1985 (Urteil vom 1. Juni 1989). Nachdem dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden war, hob die Beklagte die Bewilligung von Alg unter Berufung auf § 48 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) für die Zeit vom 9. April bis 30. September 1985 auf und verlangte die Rückzahlung von Alg iHv 11.310,-- DM, weil die Anspruchsvoraussetzungen der Arbeitslosigkeit und Verfügbarkeit im bezeichneten Zeitraum nicht vorgelegen hätten (Bescheid vom 22. September 1989; Widerspruchsbescheid vom 9. November 1989).
Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 24. Oktober 1991); das LSG hat das Urteil des SG sowie den angefochtenen Bescheid der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides aufgehoben (Urteil vom 30. September 1992). Die Entscheidung ist im wesentlichen damit begründet, daß zwar der Kläger im streitigen Zeitraum keinen Anspruch auf Alg gehabt habe und keinen Vertrauensschutz gegenüber der Aufhebung der Leistungsbewilligung genieße, daß aber die für die Aufhebung des Bewilligungsbescheids vorgesehene Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X i.V.m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X schon verstrichen gewesen sei. Die Beklagte habe bereits am 12. Januar 1987 aufgrund der Mitteilungen der B. R. und deren Ehemannes G. S. Kenntnis von den Tatsachen gehabt, die eine wesentliche Änderung der der Alg-Bewilligung zugrundeliegenden Verhältnisse herbeigeführt hätten. Sie habe auch die Tatsachen gekannt, die für die rückwirkende Aufhebung der Leistungsbewilligung bedeutsam seien, nämlich daß der Kläger zumindest grob fahrlässig gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X seiner Mitteilungspflicht nicht nachgekommen sei bzw. gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X zumindest grob fahrlässig in Unkenntnis über den Wegfall der Voraussetzungen des Alg-Anspruchs gewesen sei. Hieran ändere sich nichts dadurch, daß die Beklagte den Mitteilungen der B. R. und des G. S. keinen Glauben geschenkt habe. Aus Gründen der Rechtssicherheit sei es geboten, nicht auf die subjektive Beurteilung der Beklagten abzustellen, die sich im nachhinein als unzutreffend erwiesen habe, sondern allein auf die der Beklagten bekannten objektiven Umstände.
Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X i.V.m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X. Nicht jede Bekundung eines dem Anspruch entgegenstehenden Sachverhalts durch einen Zeugen begründe bereits die für den Beginn der Jahresfrist erforderliche Kenntnis, in der der frühere Bescheid aufzuheben sei. Zumindest müsse die Überzeugung der Verwaltungsbehörde vom Vorliegen des eine Aufhebung rechtfertigenden Sachverhalts hinzukommen. Kenntnis könne nämlich erst dann angenommen werden, wenn die erhobenen Beweismittel den Schluß auf einen bestimmten Sachverhalt zuließen. Die schriftlichen Mitteilungen der B. R. und des G. S. reichten ohnedies schon deshalb nicht aus, weil sie unvollständig gewesen seien. Vollständige Kenntnis habe sie erst nach Einsicht in die Geschäftsunterlagen und nach der Zeugenvernehmung vor dem SG am 24. November 1988 (im Verfahren betreffend die Beitragsrückstände der Arbeitnehmer der GmbH i. Gr.) erlangt.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Er ist der Ansicht, das LSG habe in tatsächlicher Hinsicht für die Revisionsinstanz bindend festgestellt, daß die Beklagte spätestens nach Eingang des Schreibens der B. R. am 12. Januar 1987 Kenntnis von allen für die rückwirkende Aufhebung der Leistungsbewilligung erforderlichen Tatsachen gehabt habe.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis zur Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Beklagten ist i.S. der Zurückverweisung an das LSG begründet (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG), da der Senat an einer abschließenden Entscheidung gehindert ist.
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 22. September 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. November 1989, mit dem die Beklagte die Bewilligung von Alg rückwirkend für den Zeitraum vom 9. April bis 30. September 1985 wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse (§ 48 Abs. 1 SGB X) aufgehoben und Alg iHv 11.310,-- DM zurückgefordert hat. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Verfahrenshindernisse, die bei zulässiger Revision von Amts wegen zu beachten sind, stehen einer Entscheidung in der Sache nicht entgegen. Ob allerdings die Bewilligung von Alg für den streitigen Zeitraum aufgehoben werden durfte, kann nicht beurteilt werden; es fehlt deshalb auch an der Entscheidungsgrundlage für die Erstattungsforderung der Beklagten, die sich aus § 50 Abs. 1 SGB X ergäbe.
Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen durch das LSG ist bereits nicht nachvollziehbar, ob § 48 SGB X Anwendung findet. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X schreibt die Aufhebung eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung für die Zukunft vor, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlaß vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Nach Abs. 1 Satz 2 der Vorschrift soll der Verwaltungsakt allerdings mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse - also auch rückwirkend - aufgehoben werden, soweit u.a. der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (Nr 2) oder der Betroffene wußte oder nicht wußte, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, daß der sich aus dem Verwaltungakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen bzw. ganz oder teilweise weggefallen ist (Nr 4).
Dabei wird der Verwaltung in § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X regelmäßig kein Ermessen eingeräumt; vielmehr hat der Begriff "soll" die Bedeutung, daß eine Aufhebung grundsätzlich zu geschehen hat und nur in atypischen Fällen, deren Annahme ebenfalls nicht im Ermessen der Verwaltung steht (BSGE 59, 111, 115 = SozR 1300 § 48 Nr. 19; BSGE 66, 103, 108 = SozR 4100 § 103 Nr. 47; BSG SozR 1300 § 48 Nr. 53), Ermessen auszuüben ist (vgl. BSGE 69, 233, 237 = SozR 3-5870 § 20 Nr. 3; BSG SozR 1300 § 48 Nr. 53 mwN; SozR 1300 Art 2 § 40 Nr. 8; BSG, Urteil vom 29. April 1992 - 7 RAr 4/91 - ≪unveröffentlicht≫ m.w.N.). Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 48 SGB X - ob bei Aufhebung mit Wirkung für die Zukunft oder, wie hier, mit Wirkung für die Vergangenheit - ist zunächst eine wesentliche Änderung der ursprünglichen Verhältnisse, die nur zu bejahen ist, wenn die Behörde unter den nunmehr objektiv vorliegenden Gegebenheiten den Verwaltungsakt nicht oder nicht wie geschehen hätte erlassen dürfen (BSG SozR 1300 § 48 Nr. 44); allerdings können sich Verhältnisse in diesem Sinne nicht nur beim rechtmäßigen, sondern auch beim rechtswidrigen Verwaltungsakt ändern, wenn sich - eine falsche frühere Subsumtion als richtig unterstellt - jetzt eine andere Rechtsfolge ergibt (BSGE 60, 218, 220 = SozR 1300 § 48 Nr. 27; BSG SozR 1300 § 48 Nr. 13; vgl. aber BSGE 65, 301ff. = SozR 1300 § 48 Nr. 60).
Ob eine wesentliche Änderung im bezeichneten Sinne hier anzunehmen ist, kann nicht beantwortet werden, weil weder das Vergleichsobjekt, also der aufgehobene Verwaltungsakt selbst, noch dessen tatsächliche Grundlagen beim Erlaß als Vergleichsbasis feststehen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 22. September 1989 enthält lediglich die Formulierung, "die Bewilligung von Alg werde für die Zeit vom 9. April bis 30. September 1985 aufgehoben", ohne daß der maßgebliche Bewilligungsbescheid bezeichnet ist; es wird nur ergänzend auf das dem Kläger übersandte Anhörungsschreiben vom 29. Mai 1989 verwiesen, in dem ein Bewilligungsbescheid vom 27. Februar 1985 genannt ist. Der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 9. November 1989, mit dem der Widerspruch des Klägers als unbegründet zurückgewiesen wurde (Verfügungssatz), nennt indes im Rahmen der Begründung in einem Klammerzusatz das Datum des 1. März 1985. Gleichwohl haben das SG und das LSG von einer Kennzeichnung des früheren Bewilligungsbescheides ebenso wie von der Feststellung seines Zugangs abgesehen, obwohl die Anwendbarkeit des § 48 SGB X eine Änderung der Sach- und Rechtslage nach Erlaß, also nach Zugang (§§ 39 Abs. 1, 37 SGB X), des Bewilligungsbescheides voraussetzt; es genügt nicht, daß die Änderung nach Beginn des Bezugszeitraums erfolgt (BSGE 65, 221, 222f. = SozR 1300 § 45 Nr. 45). Erst wenn der Zeitpunkt des Erlasses eines aufgehobenen Verwaltungsaktes bestimmt ist, kann also über die Änderung und deren Wesentlichkeit befunden werden.
Dies ist vorliegend von besonderer Bedeutung, weil der Leistungsakte der Beklagten zu entnehmen ist, daß im August 1985 - also nach Eintritt der vom LSG angenommenen Änderung (9. April 1985) - ein neuer Bewilligungsbescheid über höheres Alg ab 1. Januar 1985 ergangen und der frühere Bewilligungsbescheid aufgehoben worden sein dürfte. In einem Schreiben der Beklagten an den Kläger vom 15. August 1985 heißt es hierzu, der Bescheid vom 1. März 1985 sei aufgehoben und dem Widerspruch in vollem Umfang stattgegeben. Der entsprechende Änderungsbescheid gehe dem Kläger durch das Zentralamt der Bundesanstalt für Arbeit direkt zu. Es werde um Kenntnisnahme gebeten. Das bedeutet, daß uU § 45 SGB X Anwendung findet, weil der von der Beklagten aufgehobene maßgebende Bewilligungsbescheid bereits bei seinem Erlaß (teil-) rechtswidrig gewesen sein könnte, so daß seine Rücknahme grundsätzlich der Ausübung von Ermessen bedürfte (stRspr; vgl. nur BSGE 70, 117, 120f. m.w.N. = SozR 3-1300 § 45 Nr. 11; zur Ermessensreduzierung auf Null BSGE 67, 232, 234 = SozR 3-4100 § 155 Nr. 2). Sollte § 45 SGB X einschlägig sein, wird das LSG zu prüfen haben, ob der angefochtene Verwaltungsakt, den die Beklagte mit § 48 SGB X begründet hat, - möglicherweise im Wege der Umdeutung (vgl. aber mit ablehnender Begründung: BSGE 65, 301f. m.w.N. = SozR 1300 § 48 Nr. 60; BSG, Urteil vom 17. April 1986 - 7 RAr 101/84 -, AuB 1986, 224, 225) - auf § 45 SGB X gestützt werden könnte.
Sollte indes ein vor dem 9. April 1985 erlassener Bewilligungsbescheid mit dem angefochtenen Bescheid aufgehoben worden sein, hätte das LSG die Voraussetzung des § 48 Abs. 1 SGB X dann jedenfalls zu Recht bejaht, wenn der Kläger bei Erlaß des das Alg bewilligenden Bescheides noch keinerlei oder nur eine kurzzeitige Tätigkeit i.S. der §§ 101, 102 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) ausgeübt hat und die sonstigen Voraussetzungen für die Gewährung von Alg nach § 100 AFG erfüllt waren (Antrag, Arbeitslosmeldung, Verfügbarkeit, Anwartschaft); eine wesentliche Änderung lag dann ab 9. April 1985 vor, weil der Kläger von da an nicht mehr arbeitslos war.
Nach § 101 AFG i.d.F. des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV) vom 23. Dezember 1976 (BGBl. I 3845) ist arbeitslos i.S. des AFG nur ein Arbeitnehmer, der vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht oder nur eine kurzzeitige Beschäftigung ausübt; dies gilt in gleicher Weise für eine selbständige Tätigkeit, die die Grenze des § 102 AFG überschreitet. Nach § 102 AFG (hier i.d.F. des SGB IV) war kurzzeitig i.S. des § 101 Abs. 1 AFG eine Beschäftigung, somit auch eine selbständige Tätigkeit, die auf weniger als 20 Stunden wöchentlich der Natur der Sache nach beschränkt zu sein pflegte oder im voraus durch einen Arbeitsvertrag beschränkt war. Diese Voraussetzungen trafen für den Kläger ab 9. April 1985 nicht mehr zu; er war nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) als Geschäftsführer mehr als 20 Stunden regelmäßig für die GmbH i. Gr. tätig, folglich nicht mehr arbeitslos.
Ist § 48 SGB X anwendbar, so hat das LSG auch den Tatbestand des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nrn 2 und 4 SGB X zu Recht bejaht. Beide Alternativen verlangen zumindest grobe Fahrlässigkeit auf seiten des Klägers, Nr. 2 eine grob fahrlässige Verletzung einer Mitteilungspflicht, Nr. 4 die grob fahrlässige Unkenntnis über den Wegfall des Anspruchs. Dabei entspricht die in Nr. 4 gewählte Formulierung der Sorgfaltsverletzung ("in besonders schwerem Maße") dem in Nr. 2 ausdrücklich enthaltenen Begriff der groben Fahrlässigkeit, wie die Legaldefinition des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X zeigt (vgl. BSG SozR 1300 § 48 Nrn 14 und 22). Grobe Fahrlässigkeit liegt demgemäß vor, wenn der Leistungsempfänger aufgrund einfachster und naheliegender Überlegungen sicher das von ihm geforderte Verhalten, also die in Nr. 2 vorausgesetzte, sich aus § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) ergebende Mitteilungspflicht bzw. den Wegfall des Anspruchs hätte erkennen können (vgl. BSGE 62, 103, 107 = SozR 1300 § 48 Nr. 39; BSG SozR 1300 § 48 Nr. 22).
Das LSG hat dem Kläger vorgeworfen, ihm hätte angesichts seiner Erfahrungen in kaufmännischen Angelegenheiten und im Umgang mit Behörden bei seinem nachhaltigen Einsatz für die GmbH i. Gr. bereits aufgrund einfachster Überlegungen klar sein müssen, daß diese Tätigkeit der unverzüglichen Mitteilung an das Arbeitsamt bedurft hätte und einem weiteren Leistungsbezug entgegenstand. Diese - vom Kläger in der Revisionsinstanz nicht angegriffenen - Ausführungen sind, soweit vom Revisionsgericht überhaupt nachprüfbar, nicht zu beanstanden. Das LSG hat rechtlich zutreffend seiner Beurteilung den subjektiven Fahrlässigkeitsbegriff zugrunde gelegt (vgl. BSGE 35, 108, 112 = SozR Nr. 55 zu § 182 RVO; BSGE 44, 264, 273 = SozR 5870 § 13 Nr. 2); die gewählten Formulierungen zeigen, daß es sich der Unterscheidung zwischen leichter und grober Fahrlässigkeit bewußt war. Unter Berücksichtigung der nur beschränkten Revisibilität einer Klassifizierung der Fahrlässigkeit als grob (BSGE 47, 180ff. m.w.N. = SozR 2200 § 1301 Nr. 8) ergeben sich demgegenüber keine rechtlichen Bedenken.
Schließlich ist dem LSG darin beizupflichten, daß mangels besonderer vom Regelfall des Tatbestandes abweichender Umstände kein sog atypischer Fall (hierzu: BSGE 66, 103, 109 = SozR 4100 § 103 Nr. 47; BSG SozR 1300 § 48 Nrn 24, 25, 44 und 53) gegeben ist, der eine Ermessensentscheidung erforderlich gemacht hätte. Die Beklagte hat auch die Zehnjahresfrist (§ 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X i.V.m. § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X) zur Aufhebung des Bewilligungsbescheides mit Wirkung für die Vergangenheit eingehalten (vgl. zu dieser Voraussetzung BSGE 72, 1ff. = SozR 3-1300 § 48 Nr. 22). Ob die Beklagte allerdings bei Aufhebung des früheren Bewilligungsbescheides die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X i.V.m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X (zum Umfang der Verweisung in § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X vgl. BSG SozR 5870 § 2 Nr. 30) versäumt hat, läßt sich nicht beurteilen.
Die Beklagte müßte die frühere Alg-Bewilligung innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen aufgehoben haben, welche die Aufhebung des wegen wesentlicher Änderung "rechtswidrig gewordenen" begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen. Dabei beginnt die Jahresfrist für die rückwirkende Aufhebung nicht eher zu laufen, als die für die Entscheidung über die Aufhebung nach der Geschäftsverteilung des Leistungsträgers zuständige Behörde (§ 1 Abs. 2 SGB X), d.h. die innerhalb der Organisation des beklagten Leistungsträgers nach dessen Geschäftsverteilung zur Aufhebung berufene Stelle, die erforderliche Kenntnis erlangt hat (BSGE 63, 224, 229 m.w.N. = SozR 1300 § 48 Nr. 47). Zu den Tatsachen, die die Aufhebung eines Verwaltungsakts für die Vergangenheit rechtfertigen, gehören zunächst die Umstände, die die wesentliche Änderung betreffen. Erforderlich ist zusätzlich aber die Kenntnis der Tatsachen, die die Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit rechtfertigen (§ 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X). Die Jahresfrist wird daher nicht schon durch die bloße Kenntnis der Tatsachen ausgelöst, die die wesentliche Änderung selbst betreffen (vgl. nur: BSGE 62, 103, 108 = SozR 1300 § 48 Nr. 39; BSGE 66, 204, 209f. m.w.N. = SozR 3-1300 § 45 Nr. 1; BSG SozR 3-1300 § 45 Nr. 2 m.w.N.). Ob darüber hinaus die Erkenntnis der Behörde vorausgesetzt ist, daß die Leistungserbringung rechtswidrig war bzw. - auf § 48 SGB X bezogen - eine wesentliche Änderung eingetreten ist, ob also die Jahresfrist nicht nur eine sogenannte Handlungsfrist sondern eine Entscheidungsfrist darstellt (vgl. BVerwGE 70, 356, 358f.), ist bislang offengeblieben (BSGE 66, 204, 209f. m.w.N. = SozR 3-1300 § 45 Nr. 1; BSG SozR 3-1300 § 45 Nr. 2 mwN; zur Handlungsfrist neigend allerdings BSGE 65, 221ff. = SozR 1300 § 45 Nr. 45), selbst wenn anerkannt ist, daß sich die Kenntnis keinesfalls darauf beziehen muß, daß überhaupt Ermessen auszuüben ist (BSGE 65, 221, 223 = SozR 1300 § 45 Nr. 45; BSGE 66, 204, 209f. = SozR 3-1300 § 45 Nr. 1; BSG SozR 3-1300 § 45 Nrn 5 und 10). Kenntnis im bezeichneten Sinne hatte die Beklagte jedenfalls entgegen der Ansicht des LSG am 12. Januar 1987 noch nicht.
An dieser Beurteilung ist der Senat nicht durch § 163 SGG gehindert. Zwar enthält das Berufungsurteil die Formulierung, die Beklagte habe Kenntnis der Tatsachen gehabt, welche die "Rücknahme" des Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen. Jedoch ist dies das Ergebnis einer rechtlichen Schlußfolgerung. Erläutert wird dies nämlich damit, daß die Schreiben der B. R. und des G. S. bereits all das wiedergegeben hätten, was zum Inhalt des angefochtenen Bescheides geworden sei und sich im gerichtlichen Verfahren bestätigt habe: die Tätigkeit des Klägers als Geschäftsführer der GmbH i. Gr. Unausgesprochen liegt diesen Ausführungen die rechtliche Wertung zugrunde, Kenntnis i.S. des § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X i.V.m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X vermittele schon die bloße Information eines Dritten ohne Rücksicht auf deren Zuverlässigkeit. Es genüge vorliegend zudem die Kenntnis über die bloße Geschäftsführertätigkeit. Dieser Rechtsansicht kann nicht gefolgt werden.
Wie der Senat bereits im Anschluß an eine Entscheidung des 11. Senats (BSGE 65, 221ff. = SozR 1300 § 45 Nr. 45) entschieden hat, dient die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X, damit auch die des § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X, der Rechtssicherheit (BSGE 66, 204, 209 = SozR 3-1300 § 45 Nr. 1). Unabhängig davon, ob der Leistungsempfänger überhaupt Vertrauensschutz genießt, verliert die Verwaltung ein Jahr nach Kenntniserlangung das Recht, einen Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen bzw. aufzuheben. Wenn also der Rechtsverlust alleine schon aufgrund Zeitablaufs eintritt, kann die Jahresfrist erst zu laufen beginnen, wenn eine Rücknahme oder Aufhebung keine weiteren Ermittlungen mehr erfordert; ansonsten wäre die Behörde gezwungen, gewissermaßen vorsorglich einen Bescheid zu erlassen. Daß dies rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht genügte, bedarf keiner besonderen Begründung. Ein Leistungsempfänger kann sich andererseits erst dann darauf einstellen, daß die Behörde innerhalb eines Jahres reagieren wird, wenn diese objektiv in die Lage versetzt ist, frühere Bescheide zu revidieren.
Kenntnis setzt somit nach dem Normzweck voraus, daß das bei der Behörde vorhandene Wissen den Erlaß eines rechtmäßigen Aufhebungs- bzw. Rücknahmebescheides ermöglicht. Dies erfordert eine hinreichend sichere Information über alle für die Aufhebung bedeutsamen Fakten. Dieser Zustand ist einerseits nicht stets mit dem Zugang der Mitteilung eines Dritten erreicht; andererseits kann nicht zusätzlich und generell die Überzeugung von deren Richtigkeit verlangt werden. Wie ersteres die Behörde zum Handeln zwänge, ohne daß objektivierbare Fakten vorlägen, würde letzteres ebensowenig objektivierbar den Beginn der Frist ausschließlich von der individuellen (kritischen) Einstellung des zuständigen Sachbearbeiters abhängig machen. Dem Ziel der Rechtssicherheit, dem §§ 48 Abs. 4 Satz 1, 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X folgen, wäre damit nicht Rechnung getragen. Informationen über die die Aufhebung rechtfertigenden Fakten müssen vielmehr einen Sicherheitsgrad erreichen, der vernünftige, nach den Erfahrungen des Lebens objektiv gerechtfertigte Zweifel schweigen läßt (in diesem Sinne zu § 407 BGB: RGZ 74, 117, 120; 88, 4, 6; BGHZ 102, 68, 74), sofern die Behörde nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt (subjektiv) von der Richtigkeit und Vollständigkeit der Informationen überzeugt ist.
Ist nach den Feststellungen des LSG davon auszugehen, daß der Kläger am 9. April 1985 seine mehr als kurzzeitige Tätigkeit aufnahm und am 30. September 1985 beendete, so war eine Kenntnis gerade dieser Umstände für die Aufhebung des früheren Bewilligungsbescheides vonnöten, weil erst am 9. April 1985 der Leistungsfall als solcher rechtlich beendet und Leistungen frühestens wieder mit Beginn eines neuen Leistungsfalls zustanden. Weder das Schreiben der B. R. noch des G. S. entsprechen diesen Vorgaben, da nach ihrem Inhalt von einer Tätigkeit des Klägers für die GmbH i. Gr. schon ab Anfang April und allenfalls bis Ende August 1985 hätte ausgegangen werden müssen. Zudem war der Informationsstand der Beklagten im Hinblick auf die gegensätzlichen Äußerungen des Klägers, der B. R. und des G. S. unter Berücksichtigung der konkreten Umstände nicht derart objektiv gesichert, daß, selbst wenn in den Schreiben die maßgeblichen Tatsachen vollständig genannt worden wären, hierauf die Aufhebung eines früheren Bewilligungsbescheides hätte gestützt werden müssen. Es lag damit eine Situation vor, die objektive Zweifel rechtfertigte, die die Beklagte sogar subjektiv veranlaßte, von der Unrichtigkeit der Information überzeugt zu sein.
Ob und wann im Rahmen des § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X i.V.m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X entgegen dem Gesetzeswortlaut bloßes Kennenmüssen für den Fristbeginn ausreicht, wenn die Verschaffung positiver Kenntnis im beschriebenen Sinne schuldhaft unterbleibt, muß nicht entschieden werden (vgl. auch BSG, Urteil vom 29. April 1992 - 7 RAr 4/91 - ≪unveröffentlicht≫). Es sind keine Umstände für den Vorwurf ersichtlich, die Beklagte habe sich positive Kenntnis der Tatsachen, die die Aufhebung der Alg-Bewilligung rechtfertigten, schuldhaft nicht verschafft. Sie hat auf die Anschuldigungen des G. S. reagiert und den Kläger wie B. R. hierzu gehört. Daß sie die Einlassung des Klägers für glaubhaft erachtet hat, gereicht ihr hier nicht zum Nachteil.
Kann somit den Ausführungen des LSG zum Zeitpunkt der Kenntnis der Beklagten (im Rahmen des § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X) - aus Gründen, die im übrigen in ähnlicher Weise für § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X gelten würden - nicht gefolgt werden, kommt es auf einen anderen Zeitpunkt an. Die hierfür erforderlichen Tatsachen wird das LSG zu ermitteln haben. Zuvor wird es allerdings genaue Feststellungen dazu treffen müssen, ob § 48 SGB X überhaupt anwendbar ist. Sollte der Aufhebungsbescheid der Beklagten rechtmäßig sein, bedürfte es außerdem der Prüfung, ob die Erstattungsforderung der Höhe nach gerechtfertigt ist. Schließlich wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen