Beteiligte
Kläger und Revisionsbeklagter |
Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt ist, dem Kläger die Rente wegen Berufsunfähigkeit zu versagen. Der 1936 geborene Kläger war in seinem erlernten Beruf als Ofensetzer und als Fliesenleger beschäftigt, bis er 1967 diese Tätigkeit wegen eines Kontaktekzems als Berufskrankheit aufgeben mußte. Nachdem eine Umschulung zum Rundfunk- und Fernsehmechaniker gescheitert war, wurde er auf Veranlassung der Bau-Berufsgenossenschaft und unter Kostenbeteiligung der Beklagten zum Büropraktiker umgeschult. Weitere Maßnahmen zur Berufsförderung mit dem Ziel, den Kläger zum Bürokaufmann auszubilden, wurden dagegen nicht erfolgreich abgeschlossen. Der Kläger blieb dem Unterricht fern und in der praktischen Ausbildung scheiterte er. Ab August 1971 war er als Klempnergehilfe tätig; seit Mai 1972 ist er Betriebshelfer in einer Maschinenfabrik.
Die Beklagte gewährte dem Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit zunächst auf Zeit bis einschließlich Mai 1972 und dann mit Bescheid vom 17. Mai 1972 Rente wegen dauernder Berufsunfähigkeit. Auf Veranlassung der Beklagten erfolgte eine Beratung des Klägers im September 1972 durch das Arbeitsamt Lübeck. Dabei lehnte er es ab, sich zum Büropraktiker vermitteln zu lassen, jedenfalls solange die im Mai 1972 begonnene ärztliche Behandlung noch nicht abgeschlossen sei.
Mit Bescheid vom 13. Februar 1973 entzog die Beklagte die Rente mit der Begründung, der Kläger sei erfolgreich zum Büropraktiker umgeschult worden und deshalb nicht mehr berufsunfähig. Im anschließenden Rechtsstreit nahm sie jedoch den Entziehungsbescheid zurück. Mit Schreiben vom 16. Oktober 1973 fragte die Beklagte beim Kläger an, ob er nun bereit sei, sich mit dem Arbeitsamt wegen der Vermittlung eines Arbeitsplatzes in seinem Umschulungsberuf als Büropraktiker in Verbindung zu setzen. Ein zur Erschließung des Arbeitsplatzes erforderlicher Anlern- oder Einarbeitungszuschuß könne von ihr gewährt werden. Für den Fall jedoch, daß er weiterhin die Aufnahme einer Beschäftigung im Umschulungsberuf ablehne, wurde die Versagung der Rente angekündigt. Der Kläger erklärte sich grundsätzlich mit einer Umschulung einverstanden, lehnte aber eine Tätigkeit als Büropraktiker ab, die ihm aus gesundheitlichen Gründen nicht zugemutet werden könne. Nun versagte die Beklagte mit Bescheid vom 25. Januar 1974 die Rente wegen Berufsunfähigkeit für die Zeit vom 1. März 1974 bis zum 28. Februar 1975 in voller Höhe, weil der Kläger sich ohne triftigen Grund der vorgesehenen Berufsförderungsmaßnahme entzogen habe.
Widerspruch und Klage blieben erfolglos (Urteil des Sozialgerichts -SG- vom 22. Mai 1975). Mit Bescheid vom 4. März 1975 (Widerspruchsbescheid vom 16. Juni 1975) versagte die Beklagte die Rente auch für die Zeit vom 1. März 1975 bis zum 28. Februar 1976. Während des Berufungsverfahrens erließ sie einen weiteren Versagungsbescheid am 12. Januar 1976 (Widerspruchsbescheid vom 18. März 1976) für die Zeit vom 1. März 1976 bis zum 28. Februar 1977. Das Landessozialgericht (LSG) änderte das Urteil des SG ab und hob die Bescheide der Beklagten vom 25. Januar 1974 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 30. Juli 1974, vom 4. März 1975 und 12. Januar 1976 sowie die entsprechenden Widerspruchsbescheide im Urteil vom 8. März 1977 auf . Zur Begründung führte es im wesentlichen aus, die zulässige Berufung betreffe nicht nur abgelaufene Zeiträume im Sinne des § 146 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Bescheide vom 4. März 1975 und 12. Januar 1976 seien gemäß § 96 SGG Gegenstand des Rechtsstreits geworden. Die Voraussetzungen für eine Rentenversagung gemäß § 1243 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) sowohl in der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG) am 1. Oktober 1974 geltenden Fassung - aufgehoben inzwischen durch den Allgemeinen Teil des Sozialgesetzbuches (SGB 1) - und nach dem 1. Januar 1976 gemäß § 66 Abs. 2 und 3 SGB 1 seien nicht erfüllt. Der Kläger habe sich nicht einer Maßnahme der Berufsförderung entzogen, weil unter einer solchen Maßnahme nur ein planmäßiges Tätigwerden des zuständigen Leistungsträgers selbst verstanden werden könne. Die Beklagte habe zunächst ein alleiniges Handeln des Klägers verlangt. Sie hätte ihn vielmehr in ein konkretes Beschäftigungs-, Ausbildungs- oder Fortbildungsverhältnis einweisen müssen. Ob die Einschränkung der Leistungsfähigkeit durch die vorgesehene Maßnahme voraussichtlich beseitigt worden wäre, könne mangels einer eigenen Maßnahme weder geprüft noch bejaht werden. Eine Umdeutung der Versagung in einer Rentenentziehung gemäß § 1286 RVO sei nicht möglich.
Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung des § 1243 Abs. 2 RVO und für die Zeit nach dem 1. Januar 1976 die des § 66 Abs. 2 SGB 1. Die Auffassung des LSG, sie hätte den Kläger von sich aus in ein Beschäftigungsverhältnis einweisen müssen, sei unrichtig. Die Arbeitsplatzvermittlung gehöre ausschließlich in den Bereich der Arbeitsverwaltung.
Die Beklagte beantragt,das Urteil des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 8. März 1977 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Lübeck vom 22. Mai 1975 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Im Laufe des Revisionsverfahrens hat die Beklagte durch Bescheid vom 14. Dezember 1977 dem Kläger erneut die Rente für ein weiteres Jahr vom 1. März 1978 bis zum 28. Februar 1979 versagt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 SGG).
II
Die zulässige Revision der Beklagten, ist nicht begründet.
Das LSG ist mit Recht davon ausgegangen, daß außer dem Bescheid vom 25. Januar 1974 auch die Verwaltungsakte vom 4. März 1975 und 12. Januar 1976 Gegenstand des Rechtsstreits geworden sind. Soweit sich an einen angefochtenen Bescheid über eine zeitlich begrenzte Versagung von Rente weitere derartige Zeiten anschließen, für die während des Verfahrens die Rente versagt wird, werden in entsprechender Anwendung des § 96 SGG die nachfolgenden Bescheide in den Rechtsstreit mit einbezogen (vgl. BSG in SozR Nr. 3 zu § 624 RVO). Das gilt im Hinblick auf § 171 Abs. 2 SGG jedoch nicht für den Bescheid vom 14. Dezember 1977, der während des Revisionsverfahrens erlassen worden ist.
Nach § 1243 Abs. 2 RVO in der bis zum 1. Oktober 1974 gültigen Fassung, die hier für den Bescheid vom 25. Januar 1974 noch maßgebend ist, kann einem Rentenempfänger unter bestimmten Voraussetzungen die Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit ganz oder teilweise auf Zeit versagt werden, wenn er sich ohne triftigen Grund einer vom Träger der Rentenversicherung vorgesehenen Maßnahme unter anderem der Berufsförderung entzieht. Will der Versicherungsträger von dieser Möglichkeit der Versagung Gebrauch machen, so hat er in jedem Falle den Rentenempfänger vorher schriftlich darauf hinzuweisen (§ 1243 Abs. 2 letzter Satz RVO a.F.. Dieser Verpflichtung ist die Beklagte nicht in einer dem Gesetz entsprechenden Weise nachgekommen.
Mit der Frage, welchen Mindestinhalt der vorherige schriftliche Hinweis im Sinne des § 1243 Abs. 2 in der vor dem 1. Oktober 1974 geltenden Fassung haben muß, hat sich bereits der 1. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) im Urteil vom 15. März 1978 - 1/5 RJ 144/76 - befaßt. Danach muß der Inhalt des Hinweises der Bedeutung entsprechen, welche die Rentenversagung als einschneidende Maßnahme für den betroffenen Versicherten darstellt. Dem genüge nur ein konkreter, d.h. unmißverständlich auf den Fall des Versicherten bezogener Hinweis. Dieser Entscheidung schließt sich der erkennende Senat an, weil nur so der Versicherte in der Lage ist, die Konsequenzen seiner bisherigen Weigerung zu überdenken und damit zugleich gewährleistet ist, daß er von der Rentenversagung nicht überrascht wird. Der vorherige schriftliche Hinweis muß deshalb Ausführungen darüber enthalten, daß der Versicherte von der Versagung der Rente nur bedroht ist, wenn er sich "ohne triftigen Grund" der Maßnahme entzieht und weshalb dies gerade in seinem Fall angenommen wird. Außerdem muß eine unmißverständliche Aufklärung darüber erfolgen, daß bei weiterer Weigerung die Rente versagt werde, wobei auch das zeitliche Ausmaß und der Umfang (ganz oder teilweise) der vorgesehenen Rentenversagung konkret benannt werden muß.
In einer diesen Anforderungen genügenden Weise ist der Kläger vor Erlaß des angefochtenen Bescheides vom 25. Januar 1974 von der Beklagten nicht über die Möglichkeit aufgeklärt worden, die Rente zu versagen. Die Ankündigung der Beklagten vom 16. Oktober 1973 erschöpfte sich nämlich in dem Hinweis für den Kläger, sie werde sich gegebenenfalls gezwungen sehen, sein "Verhalten nach § 1243 RVO zu werten und die Rente zu versagen". Damit hat die Beklagte dem Kläger nicht einmal den Wortlaut des § 1243 Abs. 2 RVO a.F. mitgeteilt, der überdies für sich allein den Anforderungen an die vom Gesetzgeber angeordnete schriftliche Mitteilung nach den obigen Darlegungen ebenfalls nicht genügen würde (ebenso bereits BSG-Urteil vom 15. März 1978 a.a.O.).
Die weiteren Bescheide der Beklagten vom 4. März 1975 und 12. Januar 1976 sind schon deshalb nicht rechtmäßig, weil ihnen ein schriftlicher Hinweis auf die Folgen der - fortbestehenden - Weigerung nicht vorausgegangen war. Wie der Senat bereits zu § 624 Abs. 1 RVO in der bis zum Inkrafttreten des SGB 1 am 1. Januar 1976 gültigen Fassung entschieden hat (Urteil vom 23. August 1972, SozR Nr. 3 zu § 624 RVO), darf der Versicherungsträger im Anschluß an eine Rentenversagung auf Zeit eine weitere Versagung nur aussprechen, wenn er zuvor die betreffende Maßnahme erneut angeordnet und den Versicherten auf die Folgen der weiteren Weigerung hingewiesen hat. Insoweit unterscheidet sich die Verpflichtung zur schriftlichen Belehrung in § 624 Abs. 1 RVO nicht von derjenigen des § 1243 Abs. 2 RVO und des § 66 Abs. 3 SGB 1. Der Bescheid der Beklagten vom 4. März 1975 über die weitere zeitliche Versagung der Rente hat sich nach § 1243 Abs. 2 RVO i.d.F. des RehaAnglG (§ 21 Nr. 72 b) zu richten. Dadurch ist bezüglich der vorherigen Hinweispflicht des Versicherungsträgers und der daran zu stellenden Anforderung eine Änderung nicht eingetreten. An die Stelle des § 1243 RVO ist mit Wirkung ab 1. Januar 1976 die Vorschrift des § 66 SGB 1 i.V.m. § 64 dieses Gesetzes getreten. Danach kann der Leistungsträger demjenigen, der eine Sozialleistung wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) erhält und seinen Mitwirkungspflichten (Teilnahme an einer berufsfördernden Maßnahme) nicht nachkommt unter näher bestimmten Voraussetzungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen. Aber auch der gemäß § 66 Abs. 2 SGB 1 weiter erlassene Rentenversagungsbescheid vom 12. Januar 1976 hätte nach Abs. 3 dieser Vorschrift zur Voraussetzung gehabt, daß der Leistungsberechtigte zuvor - konkret und unmißverständlich auf seinen Fall bezogen - über die Folgen fehlender Mitwirkung schriftlich unterrichtet worden wäre.
Da sich die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte schon aus der Verletzung der Hinweispflicht ergibt, kann dahingestellt bleiben, ob in der Aufforderung, der Versicherte möge zum Arbeitsamt gehen und sich um die Vermittlung eines Arbeitsplatzes bemühen, überhaupt eine vorgesehene Maßnahme der Berufsförderung i. S. der § 1243 Abs. 2 RVO liegt. Der Senat durfte insbesondere die vom LSG verneinte Frage offen lassen, ob eine Verletzung der Mitwirkungspflicht vor Beginn der eigentlichen Maßnahme ausreicht, die Rente zu versagen.
Da die mehrmalige Versagung der Rente durch die Beklagte auch nicht - wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat - in eine Rentenentziehung i. S. des § 1286 Abs. 1 RVO umgedeutet werden kann (vgl. hierzu BSG SozR Nr. 23 zu § 1286 RVO), muß der Revision unter diesem rechtlichen Aspekt der Erfolg ebenfalls versagt bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.5 RJ 66/77
Bundessozialgericht
Fundstellen