Beteiligte
Landesversicherungsanstalt Rheinland-Pfalz |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 25. März 1998 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten über den Beginn von Altersrentenleistungen aus der Versicherung des am 5. April 1924 geborenen und am 27. Mai 1995 verstorbenen W. B. (Versicherten).
Die Klägerin gewährte dem Versicherten seit 1976 als örtliche Trägerin der Sozialhilfe Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Am 20. Dezember 1991 reichte das Sozialamt der Klägerin bei deren Versicherungsamt eine Liste von mehreren tausend Sozialhilfeempfängern ein, die das 60. Lebensjahr vollendet hatten. Darunter befand sich auch der Versicherte. In dem mit „Geltendmachung von möglichen Rentenansprüchen” überschriebenen Begleitschreiben heißt es:
„Für den in der Anlage 1 aufgezeigten Personenkreis stellen wir vorsorglich gemäß § 91a BSHG Antrag auf Rentengewährung.”
Gleichzeitig wurde ein Erstattungsanspruch nach § 104 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) geltend gemacht. Eine Ablichtung dieses Schreibens übersandte das Versicherungsamt am selben Tage an die Beklagte (dort eingegangen am 23. Dezember 1991). Dazu führte es ua aus: Das Sozialamt habe eine umfangreiche Liste von Sozialhilfeempfängern übersandt, die das 60. Lebensjahr vollendet hätten; gleichzeitig sei – zur Fristwahrung – ein formloser Rentenantrag gestellt worden. Man werde sich mit den Hilfeempfängern in Verbindung setzen, damit die Erfüllung der Voraussetzungen für den Bezug von Altersruhegeld (ARG) überprüft werden könne. Entsprechende Rentenanträge würden ggf nachgereicht.
Nachdem die Beklagte zunächst (mit Schreiben vom 13. Januar 1992) Bedenken gegen diese Verfahrensweise erhoben hatte, erklärte sie sich unter dem 18. März 1992 gegenüber dem Versicherungsamt der Klägerin bereit, bei Übergabe einer Namensliste mit Sozialhilfeempfängern, die das 60. Lebensjahr vollendet hätten, durch das Sozialamt an das Versicherungsamt das Datum der Übergabe dieser Namensliste als Datum einer Rentenantragstellung anzuerkennen, wenn für auf dieser Namensliste verzeichnete Personen ein formeller Rentenantrag gestellt und auf diesem das Datum der Übergabe der Namensliste als Datum der Antragstellung bestätigt werde.
Nachdem die Beklagte auf ihre Anforderung hin die fragliche Namensliste am 8. März 1993 vom Versicherungsamt der Klägerin erhalten hatte, teilte sie diesem unter dem 22. März 1993 mit: Sie halte es in Anbetracht des erheblichen Zeitablaufs für geboten, zu einem baldigen Abschluß des vereinbarten Verfahrens zu kommen. Sie könne deshalb nur noch für bis zum 31. Juli 1993 bei ihr eingehende Anträge als Antragsdatum rückwirkend den 20. Dezember 1991 anerkennen. Für alle später eingehenden Anträge sei vom tatsächlichen Antragsdatum auszugehen.
Am 9. Dezember 1993 ging bei der Beklagten der von dem Versicherten unterzeichnete Formularantrag auf „Regelaltersrente wegen Vollendung des 65. Lebensjahres” ein, auf dem – unter Hinweis auf das Schreiben des Versicherungsamtes der Klägerin vom 20. Dezember 1991 und das Schreiben der Beklagten vom 18. März 1992 – als Datum der Antragstellung der 20. Dezember 1991 vermerkt war. Daraufhin bewilligte die Beklagte dem Versicherten mit Bescheid vom 31. Januar 1994 Regelaltersrente (RAR) ab 1. Dezember 1993 in Höhe von monatlich 634,41 DM (nach einem – später zurückgenommenen – Abzug des Krankenversicherungsbeitrages: 591,91 DM). Mit ihrem dagegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin – Sozialamt – zugleich (erneut) einen Erstattungsanspruch gemäß §§ 102 ff SGB X geltend und vertrat die Ansicht, im Hinblick auf den von ihr mit Schreiben vom 20. Dezember 1991 ua auch für den Versicherten gestellten Rentenantrag bestehe ein Rentenanspruch bereits ab Vollendung des 65. Lebensjahres. Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Juli 1994 wies die Beklagte diesen Widerspruch unter Hinweis auf ihr Schreiben vom 22. März 1993 zurück.
Das von der Klägerin angerufene Sozialgericht Speyer (SG) hob „die Allgemeinverfügung der Beklagten vom 22. März 1993 betreffend den Versicherten W. B. ” auf und verurteilte die Beklagte, dem Versicherten ab Mai 1989 Altersrente zu gewähren (Urteil vom 22. August 1996). In seinen Entscheidungsgründen führte das SG aus, der Klägerin stehe „ein nach § 104 SGB X übergeleiteter Anspruch auf Altersrente” des Versicherten ab 1. Mai 1989 zu. Das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (LSG) hat die Berufung der Beklagten im wesentlichen mit folgender Begründung zurückgewiesen (Urteil vom 25. März 1998):
Das SG habe die Beklagte im Ergebnis zu Recht verurteilt, dem Versicherten Altersrente ab 1. Mai 1989 bis zu seinem Tode am 27. Mai 1995 zu zahlen. Dabei leite sich die Befugnis der Klägerin, den Rentenanspruch des Versicherten im eigenen Namen geltend zu machen, aus § 91a BSHG iVm § 104 SGB X her. Entgegen der Ansicht der Beklagten richte sich der Rentenanspruch des Versicherten nicht nach dem am 1. Januar 1992 in Kraft getretenen Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI), sondern noch nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO). Die Klägerin habe nämlich bereits am 20. Dezember 1991 einen wirksamen Rentenantrag nach § 1545 Abs 1 Nr 2 RVO iVm § 16 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) gestellt (vgl § 300 Abs 2 SGB VI). Der dabei abgegebenen Erklärung sei ohne weiteres das Begehren auf eine Leistung zu entnehmen gewesen, das über die Namensliste und das Geburtsdatum auch einem bestimmten Versicherten habe zugeordnet werden können.
Die Auffassung der Beklagten, die Klägerin habe bei „ihrem” Versicherungsamt keinen wirksamen Rentenantrag stellen können, weil es sich insoweit um ein unwirksames Insichgeschäft iS von § 181 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) gehandelt habe, treffe nicht zu. Diese Ansicht verkenne bereits, daß der Sozialhilfeträger über § 91a BSHG nicht eigene Ersatzansprüche geltend mache, sondern an die Stelle des Hilfeempfängers (Versicherten) trete, um dessen Ansprüche auf Sozialleistungen durchzusetzen. Dabei könne der Sozialhilfeträger nicht besser, aber auch nicht schlechter gestellt werden als der Versicherte selbst. Eine Anwendung des § 181 BGB scheitere hier im Grunde schon daran, daß die Klägerin nicht als Vertreterin iS des § 164 BGB und somit nicht im Namen des Versicherten, sondern über § 91a BSHG im eigenen Namen gehandelt habe.
Zu Recht habe die Beklagte allerdings darauf hingewiesen, daß ihre Schreiben vom 18. März 1992 und 22. März 1993 nicht als Verwaltungsakte iS des § 31 SGB X zu qualifizieren seien. Es fehle bereits an der Regelung eines Einzelfalls. Dieser Schriftwechsel betreffe lediglich die zwischen dem Versicherungsamt als unterer Verwaltungsbehörde und der Beklagten als Rentenversicherungsträger getroffenen Absprachen über die hier in Rede stehenden Massenanträge. Die Ausführungen im Urteil des SG zu den §§ 45 ff SGB X gingen daher ins Leere.
Gemäß dem danach einschlägigen § 1290 Abs 1 Satz 1 RVO beginne das ARG nach § 1248 Abs 5 RVO mit Ablauf des Monats der Erfüllung der Voraussetzungen, also sobald das 65. Lebensjahr vollendet und die Wartezeit erfüllt sei. Demnach sei dem Versicherten ARG ab 1. Mai 1989 bis zu seinem Tode zu zahlen gewesen.
Mit ihrer vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 1545 Abs 1 Nr 2 RVO iVm § 16 SGB I. Zur Begründung trägt sie ua vor: Entgegen der Ansicht der Klägerin und der Vorinstanzen sei die am 20. Dezember 1991 vom Sozialamt an das Versicherungsamt der Klägerin übermittelte Namensliste nicht als wirksamer Antrag auf Altersrente für den verstorbenen Versicherten anzusehen.
Der Rentenantrag der Klägerin erfülle bereits nicht die auch im öffentlichen Recht geltenden allgemeinen Wirksamkeitsvoraussetzungen einer empfangsbedürftigen Willenserklärung. Er sei im Machtbereich des Empfängers entstanden und mit der Weitergabe vom Sozialamt an das Versicherungsamt der Klägerin auch in dessen Machtbereich verblieben. Ein Zugang iS des § 130 Abs 1 Satz 1 BGB sei daher nicht erfolgt.
Der Rentenantrag sei auch wegen einer unzulässigen Verbindung mit einer Bedingung als unwirksam anzusehen. Die Klägerin habe ihren Antrag für den verstorbenen Versicherten lediglich „vorsorglich” gestellt. Sie habe diesen als auflösende Bedingung zu deutenden Zusatz mit keinerlei Erläuterungen dazu verbunden, für welchen Fall sie diese „Vorsorge” habe treffen wollen. Für den Adressaten des Antrags sei deshalb auch nicht erkennbar gewesen, ob und bzw unter welchen Voraussetzungen ein von ihm zu verbescheidender Rentenantrag habe vorliegen sollen.
Der Rentenantrag der Klägerin stelle darüber hinaus ein nach § 181 BGB unzulässiges Insichgeschäft dar. Die Klägerin habe mit der Abgabe und Entgegennahme ihres Rentenantrages zugleich gemäß § 91a BSHG im eigenen Namen und nach § 93 Abs 2 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) als Vertreterin des zuständigen Rentenversicherungsträgers gehandelt und damit den Tatbestand des § 181 BGB verwirklicht. Insoweit könne auch eine Interessenkollision zwischen der das Versicherungsamt tragenden Gebietskörperschaft und dem Leistungsträger, für den ein Antrag auf Sozialleistungen entgegengenommen werde, nicht von vornherein ausgeschlossen werden.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 25. März 1998 und des Sozialgerichts Speyer vom 22. August 1996 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 25. März 1998 zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das LSG. Das vorinstanzliche Verfahren leidet an Mängeln, die einer Sachentscheidung durch den erkennenden Senat entgegenstehen.
Durch Zurückweisung der Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 22. August 1996 hat das LSG eine Entscheidung bestätigt, die wegen inhaltlicher Widersprüchlichkeit keine Rechtswirkungen (vgl § 141 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫) entfalten kann (vgl dazu Bundessozialgericht ≪BSG≫ SozR 1500 § 136 Nr 6; BSG, Urteil vom 19. Juli 1983 - 6 RKa 11/82 - in USK 8383; BGHZ 5, 240, 244 f). Nach seiner Urteilsformel (§ 136 Abs 1 Nr 4 SGG) hat das SG die Beklagte zur Rentengewährung an den damals bereits verstorbenen Versicherten, also zu einer unmöglichen Leistung verurteilt, während es in den Entscheidungsgründen (§ 136 Abs 1 Nr 6 SGG) ausgeführt hat, der Klägerin stehe ein Anspruch auf die „nach § 104 SGB X übergeleitete” Altersrente zu. Diese Unklarheit hat das LSG nicht beseitigt. Vielmehr ist seinen Entscheidungsgründen zu entnehmen, daß die Beklagte für verpflichtet gehalten worden ist, Altersrente an den verstorbenen Versicherten zu zahlen.
Der den vorinstanzlichen Entscheidungen insoweit anhaftende Mangel läßt sich im Revisionsverfahren nicht beheben. Eine grundsätzlich zulässige Auslegung der erstinstanzlichen Urteilsformel (vgl dazu zB BSGE 4, 121, 123 f) scheidet hier aus, weil sich auch unter Heranziehung der Entscheidungsgründe kein eindeutiges Ergebnis erzielen läßt. Durch Eintritt des Todes des Versicherten war während des Klageverfahrens eine neue Sach- und Rechtslage entstanden, der auf zweierlei hätte Rechnung getragen werden können: Zum einen konnte sich die Klägerin auf die Fortsetzung des Rentenfeststellungsverfahrens nach § 91a BSHG beschränken. Dann hätte sie einen Rechtsnachfolger des Versicherten (vgl § 58 SGB I) ermitteln und ihren Klageantrag auf Rentengewährung an diesen umstellen müssen. Ein zusprechendes Grundurteil hätte ihr dann die Möglichkeit gegeben, ihren Erstattungsanspruch im sog Betragsverfahren durchzusetzen (vgl dazu BSG SozR 3-1300 § 104 Nr 3). Zum anderen wäre es zulässig gewesen, nunmehr iVm § 91a BSHG unmittelbar den Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X geltend zu machen (vgl dazu BSGE 80, 93 f = SozR 3-2500 § 33 Nr 24; BSGE 82, 112, 114 ff = SozR 3-5910 § 91a Nr 4) und damit Zahlung an sich zu verlangen.
Da die Klägerin ihren ursprünglichen Klageantrag unverändert gelassen und sich auch sonst zu dieser Frage nicht erklärt hat, kann das dem überholten Antrag stattgebende Urteil des SG nicht mit Bestimmtheit in eine der beiden genannten Richtungen gedeutet werden. Daran ändert auch die Bemerkung in den erstinstanzlichen Entscheidungsgründen nichts, der Klägerin stehe ein nach § 104 SGB X übergeleiteter Anspruch auf die streitige Altersrente zu. Es würde den Rahmen einer Auslegung der Urteilsformel sprengen (vgl dazu Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur SGb, Stand 3/1996, § 141 RdNr 63), eine derartige, nicht näher begründete Feststellung unter den gegebenen Umständen dafür ausreichen zu lassen, die Entscheidung des SG dahin zu verstehen, daß der Klägerin ein Erstattungsbetrag in Höhe des ARG zugesprochen werden sollte, das der Versicherte für die Zeit vom 1. Mai 1989 bis zu seinem Tode beanspruchen konnte.
Die im vorliegenden Fall gebotene Klageänderung kann im Revisionsverfahren jedenfalls insoweit nicht nachgeholt werden, als die Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs in Betracht kommt. Eine derartige Umstellung wäre hier gemäß § 168 Satz 1 SGG unzulässig, weil sie eine Änderung des Streitstoffes bedeuten würde, die nach Maßgabe des § 99 SGG nur in den Tatsacheninstanzen statthaft ist (vgl dazu BSGE 18, 12, 14 = SozR Nr 2 zu § 168 SGG; BSGE 60, 34, 38 = SozR 1500 § 54 Nr 10). Ob dies auch gilt, wenn ein gemäß § 91a BSHG geltend gemachter Rentenanspruch nach dem Tode eines versicherten Sozialhilfeempfängers für dessen Rechtsnachfolger weiterverfolgt werden soll, kann hier offen bleiben. Denn gegenwärtig steht noch nicht einmal fest, ob sich für den Versicherten unter Berücksichtigung der §§ 56 ff SGB I ein Rechtsnachfolger ermitteln läßt. Im übrigen müßte dieser gemäß § 75 Abs 2 SGG zum Verfahren notwendig beigeladen werden (vgl dazu allgemein BSG SozR 1500 § 75 Nr 73; BSG, Urteil vom 27. Februar 1990 - 5 RJ 6/88 - in USK 90128; BSGE 70, 72, 74 = SozR 3-5910 § 91a Nr 1; BSGE 82, 112, 118 = SozR 3-5910 § 91a Nr 4). Unter den gegebenen Umständen sieht der erkennende Senat davon ab, insoweit von der Möglichkeit des § 168 Satz 2 SGG Gebrauch zu machen.
Nach alledem kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben. Die Sache ist gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 SGG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Nach Behebung der aufgezeigten Verfahrensmängel wird sich die Vorinstanz bei einer erneuten Sachentscheidung an dem Urteil des erkennenden Senats vom heutigen Tage – B 13 RJ 37/98 R – orientieren können. Soweit erforderlich wird sie auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen