Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Statthaftigkeit der Anfechtungsklage. Prozessführungsbefugnis bei eröffnetem Insolvenzverfahren. Freigabe. Zulässigkeit der (isolierten) Anfechtungsklage. richtige Klageart: kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage. anderweitige Rechtshängigkeit. Abtretung einer Sozialleistung des Sozialleistungsberechtigten: Höhe des (noch) auszuzahlenden Betrages. Einbehaltung durch den Sozialleistungsträger
Orientierungssatz
1. Der Prozessführungsbefugnis des Klägers und damit der Zulässigkeit der Anfechtungsklagen steht nicht entgegen, dass bereits vor der Erhebung der Klagen gegen die Bescheide sowie den Widerspruchsbescheid das Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet worden war, da der Insolvenzverwalter die in dem anhängigen Rechtsstreit verfolgten Ansprüche freigegeben hatte. In einer solchen Freigabeerklärung liegt die Entlassung des Vermögensgegenstandes aus der Insolvenzmasse iS von § 36 InsO. Der Schuldner erhält die gemäß § 80 Abs 1 InsO durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den Insolvenzverwalter übergegangene Verwaltungs- und Verfügungsmacht zurück und ist damit prozessführungsbefugt (vgl BGH vom 21.4.2005 - IX ZR 281/03 = BGHZ 163, 32)
2. Wendet sich im Falle der Abtretung einer Sozialleistung der Sozialleistungsberechtigte gegen den die Höhe des (noch) auszuzahlenden Betrages regelnden Verwaltungsakt und die Einbehaltung durch den Sozialleistungsträger, so sind die Anfechtungs- und Leistungsklage die statthaften Klagearten (vgl BSG vom 24.10.2013 - B 13 R 31/12 R = SGb 2015, 45; vgl BSG vom 23.10.2003 - B 4 RA 25/03 R = SozR 4-1200 § 53 Nr 1). Eine isolierte Anfechtungsklage ist bei einem Leistungsbegehren zwar grundsätzlich unzulässig. Wenn der Versicherte jedoch mit dieser Klageart sein Ziel allein erreichen kann, ist sie zulässig.
3. Zur Unzulässigkeit einer Anfechtungsklage wegen anderweitiger Rechtshängigkeit gem § 202 S 1 SGG iVm § 17 Abs 1 S 2 GVG.
Normenkette
SGB 7 § 56; SGG § 54 Abs. 1, §§ 94, 96 Abs. 1 Fassung: 2008-03-26, § 202 S. 1; GVG § 17 Abs. 1 S. 2; InsO §§ 36, 80
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 29. Juli 2014 abgeändert und die Klage gegen den Bescheid vom 20. Juli 2009 wegen Unzulässigkeit abgewiesen.
Im Übrigen wird die Revision mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klagen gegen den Bescheid vom 8. Juni 2009 und den Widerspruchsbescheid vom 30. Juli 2009 unzulässig sind.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Einbehaltung eines Teils seiner Verletztenrente.
Der Kläger wurde am 30.7.1996 von einem Geschäftspartner niedergeschossen und erlitt dadurch schwere Verletzungen. Ihm wurden Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG), ua ab Juli 1996 eine Grundrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE - nunmehr Grad der Schädigungsfolgen - GdS) von 100 vH und eine Schwerstbeschädigtenzulage, bewilligt. Die beklagte Berufsgenossenschaft gewährte ihm mit Bescheid vom 3.4.2001 "wegen der Folgen" des "Versicherungsfalles vom 30.07.1996" ab 27.1.1998 eine Verletztenrente der gesetzlichen Unfallversicherung nach einer MdE um 100 vH. Daraufhin stellte die Versorgungsverwaltung mit Bescheid vom 26.11.2001 das Ruhen der Versorgungsbezüge nach dem OEG ab dem 1.2.1998 in voller Höhe fest. Der Kläger und der Beigeladene, sein Bruder, vereinbarten am 5.12.2006 schriftlich, dass der Kläger alle eventuell pfändbaren Ansprüche gegen die Beklagte auf die gegenwärtige und zukünftige Verletztenrente an den Beigeladenen zur Sicherung eines dem Kläger gewährten Darlehens in Höhe von 160 000 Euro abtrete.
In einem Bescheid vom 16.7.2008 entschied die Beklagte, dass ab 1.9.2008 von der Verletztenrente des Klägers ein monatlicher Betrag in Höhe von 250 Euro einbehalten, aufgrund einer Abtretungsvereinbarung mit der G.-Bank an diese ausgekehrt und bis zur Tilgung der abgetretenen Forderung an den Kläger die Verletztenrente in Höhe von monatlich 2536 Euro ausgezahlt werde. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25.9.2008 zurück. Der Kläger hat hiergegen Klage erhoben. Das Verfahren vor dem SG Konstanz - S 11 U 3107/08 - ist aufgrund der mit Beschluss des Amtsgerichts Ravensburg vom 23.3.2009 erfolgten Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers ausgesetzt.
Die Beklagte führte in einem weiteren Bescheid vom 8.6.2009 aus, dass sie nach Tilgung der vom Kläger an die G.-Bank abgetretenen Forderung von der Verletztenrente des Klägers ab 1.7.2009 einen monatlichen Betrag in Höhe von 250 Euro einbehalten, an den Beigeladenen auskehren und einen monatlichen Rentenbetrag in Höhe von 2630,17 Euro an den Kläger auszahlen werde. Im Monat Juni 2009 würden 211,62 Euro an die Bank und 38,38 Euro an den Beigeladenen ausgekehrt. Bei der Festsetzung dieser Beträge habe sie unter Berücksichtigung der Unterhaltspflicht für die Ehefrau des Klägers einen nach § 850c ZPO grundsätzlich pfändbaren Betrag in Höhe von 712,05 Euro zugrunde gelegt sowie entsprechend dem Rechtsgedanken aus § 850f Abs 1 Buchst b ZPO einen verletzungsbedingten Mehrbedarf berücksichtigt. Mit weiterem Bescheid vom 20.7.2009 legte die Beklagte "in Ergänzung unseres Bescheides vom 16.07.2008" dar, zur Befriedigung der Ansprüche der G.-Bank würden für den Monat September 2009 250 Euro sowie für den Monat Oktober 2009 244,10 Euro von der Verletztenrente einbehalten und an diese ausgezahlt. Zugunsten des Beigeladenen würden für den Monat Oktober 2009 5,90 Euro sowie ab November 2009 monatlich 250 Euro einbehalten und an diesen ausgekehrt. Da diese Regelung den Bescheid vom 16.7.2008 ergänze, gelte sie gemäß § 96 SGG als in dem laufenden, gegen diesen Bescheid gerichteten Klageverfahren mitangefochten. Den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 8.6.2009 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30.7.2009 zurück.
Der Kläger hat Klage erhoben und geltend gemacht, bei der Berechnung des pfändungsfreien Einkommens aus der Unfallrente seien die ihm zuerkannten OEG-Leistungen abzusetzen. Nach Abzug verbliebe kein pfändbarer Anteil der Verletztenrente. Der zum Insolvenzverwalter bestellte Rechtsanwalt hat mit Schreiben vom 9.10.2009 mitgeteilt, dass er den Rechtsstreit aus der Masse freigegeben habe. Ab Mai 2011 kehrte die Beklagte von der Verletztenrente einen Betrag in Höhe von 792,05 Euro an den Insolvenzverwalter aus.
Mit Gerichtsbescheid vom 12.1.2010 hat das SG Konstanz die Klage abgewiesen. Die Klagen gegen den Bescheid vom 8.6.2009 und den Widerspruchsbescheid vom 30.7.2009 seien "unzulässig, jedenfalls unbegründet". Der Bescheid vom 20.7.2009 sei Gegenstand des ebenfalls anhängigen Klageverfahrens S 11 U 3107/08. Das LSG Baden-Württemberg hat die Berufung des Klägers, mit der er nunmehr die Aufhebung der Bescheide der Beklagten vom 8.6.2009 und 20.7.2009 sowie des Widerspruchsbescheides vom 30.7.2009 begehrt hat, mit Urteil vom 29.7.2014 zurückgewiesen. Die Anfechtungsklage sei zulässig. Der Bescheid vom 20.7.2009 sei nur insoweit Gegenstand des Vorverfahrens geworden, als die Beklagte den Beginn der mit Bescheid vom 8.6.2009 verfügten Auskehrung an den Beigeladenen auf Oktober 2009 verschoben habe. Dadurch sei der Kläger aber nicht zusätzlich beschwert. Die Beklagte sei aufgrund der gemäß § 53 Abs 3 SGB I wirksamen Abtretung verpflichtet gewesen, die Zahlungen an den Beigeladenen zu leisten, und habe die Pfändungsvorschriften nach § 850 Abs 1 ZPO hinreichend berücksichtigt. Eine weitergehende Einschränkung der Pfändbarkeit der Verletztenrente habe sich weder aus den Vorschriften der ZPO noch aus den Pfändungsschutzvorschriften des § 54 SGB I ergeben. Weder sehe das Gesetz für den Fall, dass Ansprüche auf Leistungen nach dem OEG wegen der Zahlung der Verletztenrente ruhen würden, eine abweichende Regelung vor noch sei von Verfassungs wegen eine einschränkende Auslegung dergestalt zulässig und geboten, dass der Pfändungsschutz nach § 54 Abs 3 Nr 3 SGB I auf die Verletztenrenten etwa in Höhe der Grundrente nach dem BVG ausgedehnt werde.
Der Kläger rügt mit seiner vom LSG zugelassenen Revision sinngemäß die Verletzung des § 54 Abs 3 Nr 3 SGB I und des Art 3 GG. Zwar sei die Verletztenrente nach § 56 SGB VII keine Leistung, deren Pfändbarkeit in § 54 Abs 3 Nr 3 SGB I ausgeschlossen sei. Soweit die Verletztenrente jedoch das Ruhen der Ansprüche nach dem OEG bewirke, sei diese Vorschrift verfassungskonform dahin auszulegen, dass die für die OEG-Ansprüche geltenden Pfändungsvorschriften Anwendung finden müssten. Es erscheine willkürlich, Personen, deren Ansprüche auf OEG-Leistungen wegen einer Verletztenrente ruhen würden, von dem Pfändungsschutz des § 54 Abs 3 Nr 3 SGB I auszunehmen. Auch der 14. Senat des BSG habe in seinem Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 58/12 R - zum Recht der Grundsicherung nach dem SGB II festgestellt, dass für die Anrechnung einer Verletztenrente als Einkommen zu berücksichtigen sei, ob wegen ihres Bezugs ein Anspruch auf Entschädigungsleistungen nach dem OEG ruhe.
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Der Kläger beantragt, |
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das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 29. Juli 2014, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 12. Januar 2010, die Bescheide der Beklagten vom 8. Juni 2009 und 20. Juli 2009 sowie den Widerspruchsbescheid vom 30. Juli 2009 aufzuheben. |
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Die Beklagte beantragt, |
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die Revision zurückzuweisen. |
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der nicht durch einen Prozessbevollmächtigten vertretene Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und sich nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Klägers ist insoweit begründet, als das LSG die Unzulässigkeit der vom Kläger gegen den Bescheid vom 8.6.2009 und den Widerspruchsbescheid vom 30.7.2009 erhobenen Anfechtungsklagen verkannt und hinsichtlich des im Berufungsverfahren erstmals angefochtenen Bescheides vom 20.7.2009 keine Entscheidung getroffen hat. Die Klagen gegen diese Bescheide waren wegen anderweitiger Rechtshängigkeit als unzulässig abzuweisen, weil sie Gegenstand eines bereits anhängigen anderen Klageverfahrens vor dem SG geworden waren.
1. Der Kläger begehrt im Revisionsverfahren wie bereits im Berufungsverfahren die Aufhebung der Bescheide vom 8.6.2009 und vom 20.7.2009 sowie des Widerspruchsbescheides vom 30.7.2009. Die im erstinstanzlichen Verfahren erhobene Leistungsklage, mit der der Kläger die Auszahlung der einbehaltenen Verletztenrente an ihn verfolgt hat, hat er im Berufungsverfahren nicht mehr aufrechterhalten und das LSG dementsprechend hierüber nicht entschieden.
2. Die vom Kläger erhobenen Anfechtungsklagen sind gemäß § 54 Abs 1 SGG statthaft. Gemäß § 54 Abs 1 SGG ist die Anfechtungsklage statthaft, wenn die Aufhebung eines Verwaltungsaktes begehrt wird. Ob eine Regelung durch Verwaltungsakt vorliegt, ist durch Auslegung zu ermitteln. Sowohl der Inhalt als auch das äußere Erscheinungsbild des Bescheides können Aufschluss darüber geben, wie die Erklärung unter Berücksichtigung des objektivierten Empfängerhorizonts nach den Umständen des Einzelfalls verstanden werden muss. Für das Vorliegen eines Verwaltungsaktes kann sprechen, dass ein solcher nach den einschlägigen gesetzlichen Regelungen zu ergehen hat (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, Anhang § 54 RdNr 3a mwN). Die Auslegung der Bescheide vom 8.6.2009 und 20.7.2009 und des Widerspruchsbescheides vom 30.7.2009 ergibt hier, dass die Beklagte durch Verwaltungsakt gegenüber dem Kläger die Höhe des an ihn auszuzahlenden Betrages der Verletztenrente regelte. Der Sozialleistungsträger hat über die Auswirkungen von Abtretungen auf die monatlichen Zahlungsansprüche gegenüber dem Sozialleistungsberechtigten als Anspruchsinhaber und Zedent zu entscheiden. Die Aufhebung und Neufeststellung des von der Festsetzung des Höchstwertes des Stammrechts infolge der Abtretung abweichenden Wertes des monatlichen Einzelanspruchs und damit der Höhe des Rentenzahlbetrages hat deshalb durch Verwaltungsakt zu erfolgen, gegen den sich der Sozialleistungsberechtigte mit einer Anfechtungsklage wenden kann (vgl BSG vom 24.10.2013 - B 13 R 31/12 R - SGb 2015, 45 mwN; BSG vom 23.10.2003 - B 4 RA 25/03 R - SozR 4-1200 § 53 Nr 1). Dem entsprechend hat die Beklagte in den angegriffenen Bescheiden die Höhe der dem Kläger aus seinem zuerkannten Recht auf Unfallrente zustehenden monatlichen Zahlungsansprüchen für die Zeit ab Juni 2009 unter Berücksichtigung der Abtretungen an die G.-Bank sowie an den Beigeladenen durch Verwaltungsakt geregelt.
3. Der Prozessführungsbefugnis des Klägers und damit der Zulässigkeit der Anfechtungsklagen stand nicht entgegen, dass bereits vor der Erhebung der Klagen gegen die Bescheide vom 8.6.2009 und vom 20.7.2009 sowie den Widerspruchsbescheid vom 30.7.2009 das Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet worden war. Der Insolvenzverwalter hatte die in dem anhängigen Rechtsstreit verfolgten Ansprüche freigegeben. In einer solchen Freigabeerklärung liegt die Entlassung des Vermögensgegenstandes aus der Insolvenzmasse iS von § 36 InsO. Der Schuldner erhält die gemäß § 80 Abs 1 InsO durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den Insolvenzverwalter übergegangene Verwaltungs- und Verfügungsmacht zurück und ist damit prozessführungsbefugt (vgl BGH vom 21.4.2005 - IX ZR 281/03 - BGHZ 163, 32 mwN; Hergenröder, DZWIR 2013, 251, 253).
4. Es kann dahinstehen, ob der Kläger eine mit den Anfechtungsklagen kombinierte Leistungsklage hätte erheben müssen (dazu unten a). Jedenfalls sind die Anfechtungsklagen gegen die Bescheide vom 8.6.2009 und vom 20.7.2009 sowie gegen den Widerspruchsbescheid vom 30.7.2009 wegen anderweitiger Rechtshängigkeit (§ 94 SGG) gemäß § 202 Satz 1 SGG iVm § 17 Abs 1 Satz 2 GVG unzulässig (dazu unten b). Darüber hinaus hat das LSG zu Unrecht nicht über die erst im Berufungsverfahren erhobene Klage gegen den Bescheid vom 20.7.2009 entschieden (dazu unten c). Der Senat hat daher den Tenor des SG dahingehend klargestellt, dass die Klagen gegen den Bescheid vom 8.6.2009 sowie gegen den Widerspruchsbescheid vom 30.7.2009 wegen Unzulässigkeit abgewiesen werden, und hat die Klage gegen den Bescheid vom 20.7.2009 als unzulässig abgewiesen (dazu unten d).
a) Wendet sich im Falle der Abtretung einer Sozialleistung der Sozialleistungsberechtigte gegen den die Höhe des (noch) auszuzahlenden Betrages regelnden Verwaltungsakt und die Einbehaltung durch den Sozialleistungsträger, so sind die Anfechtungs- und Leistungsklage die statthaften Klagearten (vgl BSG vom 24.10.2013 - B 13 R 31/12 R - SGb 2015, 45 mwN; BSG vom 23.10.2003 - B 4 RA 25/03 R - SozR 4-1200 § 53 Nr 1). Eine isolierte Anfechtungsklage ist bei einem Leistungsbegehren zwar grundsätzlich unzulässig. Wenn der Versicherte jedoch mit dieser Klageart sein Ziel allein erreichen kann, ist sie zulässig (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 54 RdNr 4a mwN).
b) Die Bescheide vom 8.6.2009 und vom 20.7.2009 sowie der Widerspruchsbescheid vom 30.7.2009 waren zum Zeitpunkt der Klageerhebung bereits Gegenstand des Klageverfahrens gegen den Bescheid der Beklagten vom 16.7.2008 und den Widerspruchsbescheid vom 25.9.2008 vor dem SG Konstanz (S 11 U 3107/08). Gemäß § 96 Abs 1 SGG in der hier anwendbaren, seit 1.4.2008 geltenden Fassung des SGGArbGGÄndG vom 26.3.2008 (BGBl I 444) wird ein nach Klageerhebung ergangener Bescheid Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Diese Voraussetzungen lagen hinsichtlich der in diesem Verfahren angefochtenen Bescheide vor.
In dem dem Kläger gegenüber erlassenen Bescheid vom 16.7.2008 regelte die Beklagte unter Berücksichtigung der an die G.-Bank erfolgten Abtretung für die Zeit ab 1.9.2008 die Höhe seines Zahlungsanspruchs, der ihm aus seinem mit Bescheid vom 3.4.2001 zuerkannten Recht auf eine Unfallrente zustand. Sie setzte die Höhe des an ihn auszuzahlenden Betrages für die Zeit ab 1.9.2008 mit 2536 Euro fest und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 25.9.2008 zurück. Nachdem der Kläger hiergegen vor dem SG Konstanz im Verfahren S 11 U 3107/08 Klage erhoben hatte, änderte die Beklagte mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 8.6.2009 den Bescheid vom 16.7.2008 insoweit ab, als sie unter Berücksichtigung der erfolgten Abtretungen den auszuzahlenden Betrag nunmehr ab 1.7.2009 mit 2630,17 Euro festsetzte. Mit seinem Erlass wurden damit der Bescheid vom 8.6.2009 und der Widerspruchsbescheid vom 30.7.2009 Gegenstand des Klageverfahrens S 11 U 3107/08 vor dem SG Konstanz und gelten als in diesem Verfahren angefochten. Zum Zeitpunkt der Erhebung der Klage im vorliegenden Verfahren am 27.8.2009 waren die Klagen gegen diese Bescheide damit bereits rechtshängig und damit die Klagen unzulässig.
Der Bescheid vom 20.7.2009 änderte die Bescheide vom 16.7.2008 und 8.6.2009 hinsichtlich der an die Bank sowie den Beigeladenen auszukehrenden Beträge ab. Unabhängig davon, ob die Beklagte Regelungen zur Person, an die Beträge auszukehren waren, und zur Höhe der an sie auszukehrenden Beträge durch Verwaltungsakt treffen durfte (vgl BSG vom 23.10.2003 - B 4 RA 25/03 R - SozR 4-1200 § 53 Nr 1; BSG vom 24.10.2013 - B 13 R 31/12 R - SGb 2015, 45 mwN), waren die Höhe der an die Bank sowie den Beigeladenen auszukehrenden Beträge bereits Gegenstand der Bescheide vom 16.7.2008 und 8.6.2009, die als mit der Klage im Klageverfahren S 11 U 3107/08 angefochten galten. Der deren Inhalt insoweit abändernde Bescheid vom 20.7.2009 wurde mit seinem Erlass deshalb ebenfalls gemäß § 96 SGG Gegenstand des bereits anhängigen Klageverfahrens S 11 U 3107/08. Eine weitere Klage gegen diesen Bescheid war damit wegen der bereits bestehenden Rechtshängigkeit (§ 94 SGG) unzulässig.
c) Allerdings haben weder das SG noch das LSG über die Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 20.7.2009 entschieden. Das SG musste mangels entsprechender Klageerhebung hierüber nicht entscheiden, sondern hat lediglich klargestellt, dass dieser Bescheid nicht Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens sei. Nachdem der Kläger im Berufungsverfahren auch den Bescheid vom 20.7.2009 mit einer Klage angefochten hat, hätte das LSG insoweit hierüber entscheiden müssen. Da es als zweitinstanzliches Gericht nicht sachlich zuständig war, über die Klage zu entscheiden, hätte es diese ggf an das insoweit gemäß § 8 SGG als erstinstanzliches Gericht sachlich zuständige SG verweisen müssen (§ 98 SGG).
d) Zutreffend hat damit das SG die Klage gegen den Bescheid vom 8.6.2009 sowie den Widerspruchsbescheid vom 30.7.2009 abgewiesen und das LSG die Berufung insoweit zurückgewiesen. Der Tenor war allerdings dahin klarzustellen, dass die Klagen als unzulässig abgewiesen werden. Die Klage gegen den Bescheid vom 20.7.2009 war durch den Senat als unzulässig abzuweisen. Zwar entscheidet das BSG grundsätzlich nicht über Klagen als erstinstanzliches Gericht. In entsprechender Anwendung des Rechtsgedankens des § 170 Abs 1 Satz 1 SGG (vgl zB BSG vom 14.9.1994 - 3/1 RK 36/93 - BSGE 75, 74 = SozR 3-2500 § 33 Nr 12) konnte jedoch hier der Senat ausnahmsweise selbst über die Klage entscheiden, um eine Zurückverweisung an das LSG und eine Weiterverweisung an das SG zu vermeiden, die für den Kläger im Ergebnis nicht zu der von ihm begehrten Aufhebung des Bescheides führen könnten. Die Zurückverweisung an das LSG könnte allein dem Zweck dienen, die Klage durch das LSG an das sachlich zuständige SG zu verweisen. Dieses müsste die Klage gegen den Bescheid vom 20.7.2009 wegen anderweitiger Rechtshängigkeit als unzulässig abweisen. Da der Kläger mit der Anfechtungsklage keinen Erfolg haben kann, ist es aus prozessökonomischen Gründen entsprechend dem Rechtsgedanken des § 170 Abs 1 Satz 2 SGG gerechtfertigt, dass der Senat selbst die Klage als unzulässig abweist.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 193, 183 SGG und berücksichtigt, dass der Kläger mit seinem Begehren, die angefochtenen Bescheide aufzuheben, keinen Erfolg hatte. Eine Erstattung der Kosten des Beigeladenen erscheint nicht angemessen, weil er sich im Rechtsstreit nicht beteiligt hat.
Fundstellen
Haufe-Index 9528875 |
NZI 2017, 297 |
NZS 2016, 717 |
NZS 2017, 80 |