Entscheidungsstichwort (Thema)
Studierende. Ausbildung. Organisatorischer Verantwortungsbereich der Hochschule. Immatrikulation (Einschreibung). Weg zum Wohnort
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage des Versicherungsschutzes bei einer Studentin, die nach erfolgter Einschreibung an der Fachhochschule zu ihrem Wohnort zurückfährt und auf diesem Wege verunglückt.
Orientierungssatz
Eine Studentin befindet sich bereits auf der Hinfahrt zur Immatrikulation nicht auf einem eigenwirtschaftlichen Bereich zuzurechnenden Weg, sondern bereits auf dem Weg zum Ort der Tätigkeit iS des § 550 RVO.
Normenkette
RVO § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst d, § 550 Abs 1
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 27.05.1986; Aktenzeichen L 5 U 136/85) |
SG Dortmund (Entscheidung vom 24.09.1985; Aktenzeichen S 17 U 228/85) |
Tatbestand
Der Beklagte wendet sich mit der vom Landessozialgericht -LSG- (Urteil vom 27. Mai 1986) zugelassenen Revision gegen die Feststellung dieses Gerichts, wonach verschiedene Gesundheitsschäden der Klägerin Folge ihres Arbeitsunfalles am 14. Oktober 1983 sind. Der Beklagte meint, die Klägerin habe keinen Arbeitsunfall erlitten.
Die Fachhochschule F. übersandte der Klägerin ihren Zulassungsbescheid vom 11. Oktober 1983 mit der Aufforderung, sich bis zum 18. Oktober 1983 persönlich bei der Fachhochschule einzuschreiben. Nach vollzogener Einschreibung verunglückte die Klägerin auf dem Rückweg zu ihrem Wohnort D. und zog sich die vom LSG als Unfallfolge festgestellten Verletzungen zu.
In seinem Bescheid vom 30. Mai 1984 teilte der Beklagte der Klägerin mit, daß sie auf der Rückfahrt von der Immatrikulation nicht gegen Unfall versichert gewesen sei und daher keinen Anspruch auf Leistungen habe. Diese Entscheidung wiederholte er in dem Bescheid vom 19. Oktober 1984 und teilte der Klägerin darin ergänzend mit, sie sei im Unfallzeitpunkt noch keine Studierende gewesen. Ein Zusammenhang der Fahrt nach D. mit Vorlesungen, Übungen, Seminaren oder Repetitorien habe noch nicht bestanden. Der Weg habe eigenwirtschaftlichen Charakter gehabt. Den Widerspruch der Klägerin wies er zurück (Widerspruchsbescheid vom 7. Juni 1985).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage durch Urteil vom 24. September 1985 abgewiesen, weil die am Unfalltage erfolgte Einschreibung als Studentin noch nicht Teil ihrer Ausbildung gewesen sei, so daß auch die Rückfahrt noch keinen Bezug zu der in § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst d der Reichsversicherungsordnung (RVO) genannten Tätigkeit gehabt habe. Der Zusammenhang mit der Einschreibung reiche nicht aus.
Das LSG hat dieses Urteil geändert, die Bescheide vom 19. Oktober 1984 und vom 7. Juni 1985 (Widerspruchsbescheid) aufgehoben und die beantragte Feststellung getroffen. In den Urteilsgründen heißt es ua, die Klägerin habe durch die Immatrikulation den Status eines Mitgliedes der Hochschule erhalten, so daß die Einschreibung zumindest als Vorbereitungshandlung zum Studium anzusehen und als solche versichert gewesen sei; es handele sich dabei um eine mit der Aus- und Fortbildung der Klägerin wesentlich zusammenhängende Verrichtung. Daher sei sie auf dem Weg nach Hause versichert gewesen.
Die Revision vertritt die Auffassung, daß die Ausbildung in F. mit der Einschreibung noch nicht begonnen gehabt habe. Der Weg dorthin habe ausschließlich eigenwirtschaftlichen Interessen gedient, weil die Immatrikulation nicht unmittelbar der Durchführung der Hochschulausbildung gedient habe. Nach den in der Unfallversicherung geltenden Grundsätzen teile der Rückweg das rechtliche Schicksal des Hinweges, so daß auch auf dem Weg von F. nach D. kein Versicherungsschutz bestanden habe.
Der Beklagte beantragt, 1. das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen in Essen vom 27. Mai 1986 - L 5 U 136/85 - aufzuheben; 2. die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 24. September 1985 - S 17 U 228/85 - zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Nach ihrer Überzeugung bestand zwischen ihrer Einschreibung in F. und dem Studium ein unmittelbarer Zusammenhang, zumal da die Immatrikulation auf Veranlassung der Hochschule erfolgt sei und folglich in deren Verantwortungsbereich gelegen habe. Jedenfalls habe sie nach der erfolgten Einschreibung zu der Hochschule in einem besonderen Rechtsverhältnis gestanden, so daß die Rückfahrt nach D. - möglicherweise anders als die Hinfahrt - in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert gewesen sei.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist nicht begründet. Die Klägerin hat am 14. Oktober 1983 einen Arbeitsunfall erlitten. Der erkennende Senat erachtet die rechtlichen Darlegungen des LSG im Ergebnis für überzeugend.
Nach § 550 Abs 1 RVO gilt als Arbeitsunfall ua ein Unfall auf einem mit einer der in § 539 RVO genannten Tätigkeiten zusammenhängenden Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit. Auf einem solchen Weg verunglückte die Klägerin; denn sie hatte vor Antritt der Rückreise nach D. eine Tätigkeit als Studierende während der Aus- und Fortbildung erledigt.
Richtig ist allerdings, daß der Wortlaut des § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst d RVO nicht ohne weiteres den Schluß zuläßt, die Studierende verrichte bereits mit der Einschreibung an der betreffenden Hochschule eine versicherte Tätigkeit. Das Gesetz spricht nämlich in dieser Norm vom Versicherungsschutz nur für die Zeit "während der Aus- und Fortbildung". Die ursprüngliche Ansicht des Beklagten, die Aus- und Fortbildung beginne erst mit der tatsächlichen Aufnahme der eigentlichen Studien, ist daher angesichts des Wortlauts der Norm nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen. Sie widerspricht jedoch dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift.
Ebenso wie der Versicherungsschutz während des Besuchs allgemeinbildender Schulen (s BSGE 35, 207, 211; 57, 260, 261; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 10. Aufl, S. 483nI) ist auch der Versicherungsschutz während der Aus- und Fortbildung an Hochschulen zur Abgrenzung vom eigenwirtschaftlichen Bereich der Studentin auf Tätigkeiten innerhalb des organisatorischen Verantwortungsbereichs der Hochschule beschränkt (s BSGE 44, 100, 102), wobei allerdings auch bei der Abgrenzung dieses Bereiches die gegenüber dem Besuch allgemeinbildender Schulen besonderen Verhältnisse einer Aus- und Fortbildung an Hochschulen zu beachten sind. Die Einschreibung zur anschließenden Aus- oder Fortbildung an einer Hochschule gehört zu deren organisatorischem Verantwortungsbereich. Die Einschreibung bewirkt nicht nur Folgerungen bezüglich des Studiums der Eingeschriebenen, etwa ihrer Verpflichtung zur Entrichtung von Zahlungen und zum Eintritt in ein soziales Sicherungssystem, sondern auch im Hinblick auf die allgemeine Verwaltung der Hochschule, etwa der Vergabe offen gebliebener Studienplätze sowie personaler und baulicher Maßnahmen. Mit ihr wird im Regelfall der Studienplatzbewerber zugleich Studierender iS des § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst d RVO. Daher befindet sich die Studentin bereits auf der Hinfahrt zur Immatrikulation nicht auf einem eigenwirtschaftlichen Bereich zuzurechnenden Weg, sondern bereits auf dem Weg zum Ort der Tätigkeit iS des § 550 RVO.
Diese Auffassung widerspricht nicht der Entscheidung des Senats zu § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst b RVO, daß ein noch nicht schulpflichtiges Kind auf dem Weg zur Schulreifeuntersuchung nicht unter Versicherungsschutz nach dieser Vorschrift steht (BSG SozR 2200 § 539 Nr 53). Das Kind war bzw wurde auch durch die Untersuchung noch nicht Teil und Glied der Schule, also "Schüler" (BSG aaO). Dagegen ist hier die Klägerin durch die von ihr zur Aufnahme des Studiums vollzogene Einschreibung Studierende der Hochschule geworden. Die Entscheidung des Senats steht ebenfalls im Einklang mit seiner Rechtsprechung zum Versicherungsschutz von Arbeitnehmern auf dem Weg zu einem neuen Arbeitgeber, um dort den Arbeitsvertrag abzuschließen und sogleich die Arbeit aufzunehmen (s BSG SozR 2200 § 550 Abs 1; RVA EuM 49, 2 und 273; Brackmann aaO S. 484d).
Der Versicherungsschutz entfällt im vorliegenden Falle allerdings nicht deshalb, weil die Klägerin von vornherein nicht beabsichtigte, am Immatrikulationstag in F. zu verbleiben. Der Schutz des § 550 Abs 1 RVO wird bei Studierenden ebenso wie bei Beschäftigten unabhängig davon gewährt, ob der nach § 539 RVO Tätige am Ort der Tätigkeit eine Familienwohnung oder Unterkunft (Abs 3) nimmt bzw ob er die Wohnung oder die Unterkunft aufsucht. So bleibt der Schutz selbstverständlich beispielsweise auch denjenigen Studierenden erhalten, welche täglich zum Studienort und zurück zur Wohnung fahren. Unter den gegebenen Umständen kommt hinzu, daß die Klägerin erst im Losverfahren ihre Zulassung erhielt und gleichzeitig zu kurzfristiger Einschreibung gezwungen wurde, so daß sie keine weiteren Vorbereitungen für einen Verbleib in F. hat treffen können.
Damit kann festgehalten werden, daß die Klägerin bei der Einschreibung an der Hochschule in F. am 14. Oktober 1983 versichert war und folglich auf dem Weg zu und von dieser Tätigkeit gemäß § 550 Abs 1 RVO ebenfalls unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand.
Die Revision war zurückzuweisen.
Die Aufhebung auch des Verwaltungsaktes vom 30. Mai 1984 enthält keine Schlechterstellung der Revisionsklägerin, da sie nur eine Klarstellung der bestätigten Entscheidung des LSG enthält.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen
BB 1987, 2098 |
NJW 1988, 934 |