Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 23.11.1960) |
SG Stuttgart (Urteil vom 18.03.1959) |
Tenor
Die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. November 1960 und des Sozialgerichts Stuttgart vom 18. März 1959 werden aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
I
Der am 19. Dezember 1929 geborene Kläger war von April 1944 an als Verwaltungslehrling bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) Stuttgart beschäftigt. Am 12. Juli 1945 stieß ihm auf der Heimfahrt vom Dienst ein Verkehrsunfall zu, der zur Amputation des rechten Beines bis zur Mitte des Unterschenkels führte. Deswegen gewährte ihm die Beklagte auf Grund rechtskräftiger Vorentscheidung des Württ. Oberversicherungsamts Stuttgart vom 28. April 1947 eine Verletztenrente von einem Drittel nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von zuletzt 50 v.H.; zu zwei Dritteln wurde ihm die Entschädigung wegen Selbstverschuldens bei der Entstehung des Unfalls auf Grund des § 556 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) idF des Fünften Gesetzes über Änderungen in der Unfallversicherung (5. ÄndG) vom 17. Februar 1939 versagt.
Nachdem der Kläger mit dem 30. September 1947 seine Verwaltungslehre beendet hatte, wurde er von der AOK als Tarif angestellter übernommen; vom 1. Dezember 1950 an – in diesem Monat vollendete er das 21. Lebensjahr – wurde er nach Vergütungsgruppe VIII TO A, vom 1. März 1952 an nach Vergütungsgruppe VII TO A und vom 1. Juni 1955 an nach Vergütungsgruppe VI b TO A besoldet. Im Oktober 1951 legte er die A-Prüfung, im Dezember 1956 die B-Prüfung für den Krankenkassenverwaltungsdienst ab. Mit Wirkung vom 1. Januar 1957 wurde er zum Verwaltungsinspektor ernannt.
Wegen der angeführten Änderungen in den persönlichen Verhältnissen des Klägers wurde der für ihn maßgebende Jahresarbeitsverdienst (JAV) wiederholt neu festgestellt. Ursprünglich war der Rentenberechnung ein JA V von 1.290 RM – das Dreihundertfache des durchschnittlichen Verdienstes für den vollen Arbeitstag – zugrunde gelegt worden. Von der Vollendung des 21. Lebensjahres an wurde der JAV entsprechend dem damaligen Tariflohn auf 2.761,68 DM festgesetzt. Nachdem die Beklagte durch Bescheid vom 3. Januar 1958 auf Grund des Gesetzes zur vorläufigen Neuregelung von Geldleistungen in der gesetzlichen Unfallversicherung vom 27. Juli 1957 den JAV des Klägers mit Wirkung vom 1. Januar 1957 mit 1,5 vervielfältigt hatte, berücksichtigte sie durch Bescheid von 27. Mai 1958 die Verdiensterhöhungen des Klägers bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres, allerdings nur unter Zugrundelegung der Vergütungsgruppe VIII TO A.
Hiergegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht (SG) Stuttgart erhoben und zur Begründung vorgetragen; Die Feststellung des JAV in den Bescheid vom 27. Mai 1958 werde der Vorschrift des § 565 Als. 1 RVO nicht gerecht. Seine Berufsausbildung sei nicht schon mit dem Abschluß der Lehrzeit, sondern erst mit der Ernennung zum Verwaltungsinspektor beendet gewesen. Er habe von Anfang an die feste Absicht gehabt, nach der Verwaltungslehre und der vorgeschriebenen Vorbereitungszeit die zur Anstellung als DO-Angestellter erforderliche A- und B-Prüfung abzulegen. Diesen Prüfungen habe er sich nicht vor Vollendung des 21. Lebensjahres unterziehen können. Außerdem setze die Zulassung zu den beiden Prüfungen eine praktische Tätigkeit von je zwei Jahren voraus, und das Mindestalter für die planmäßige Anstellung als DO-Angestellter sei 27 Jahre. Er habe demnach seine Einstellung als Verwaltungsinspektor zum frühestmöglichen Zeitpunkt erreicht. Seine Unfallrente müsse deshalb nach seinen Bezügen als Verwaltungsinspektor unter Berücksichtigung der Verdiensterhöhungen bis zum 30. Lebensjahr berechnet werden.
Durch Urteil vom 18. März 1959 änderte das SG unter Klagabweisung im übrigen den Bescheid der Beklagten vom 27. Mai 1958 dahin ab, daß für die Rentengewährung die Berufsausbildung des Klägers erst mit seiner im Dezember 1956 abgelegten Beförderungsprüfung für den Krankenkassen-Verwaltungsdienst als abgeschlossen anzusehen sei.
Mit der hiergegen rechtzeitig eingelegten Berufung hat die Beklagte vorgebracht; Die Berufsausbildung des Klägers sei mit dem Abschluß der Lehre beendet gewesen. Eine Weiterbildung, die sich aus der beruflichen Erfahrung und praktischen Tätigkeit ergebe, könne nicht als eine echte Berufsausbildung im Sinne des § 565 RVO angesehen werden. Als TO A-Angestellter sei der Kläger bereits im Rahmen seiner Aufgaben verantwortlich tätig gewesen und auch dementsprechend entlohnt worden. Die dienstordnungsmäßige Einstellung habe lediglich zur Voraussetzung, daß ein Verwaltungsangestellter während seiner Berufstätigkeit sich auf bestimmten Fachgebieten und durch Ablegung von Lehrgängen und Prüfungen besonders qualifiziert habe.
Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat nach Beweiserhebung die Berufung der Beklagten durch Urteil vom 23. November 1960 mit folgender Begründung zurückgewiesen; Die Arbeitgeberin des Klägers habe seine Berufsausbildung erst mit der Ablegung der B-Prüfung bzw. der Ernennung zum Inspektor als abgeschlossen betrachtet. § 565 Abs. 1 RVO sei nicht eng auszulegen; der Gesetzgeber habe der Vorschrift insoweit einen weitgespannten Rahmen gegeben, als er ganz allgemein die Verdiensterhöhungen berücksichtigt wissen wolle, die ein Verletzter bis zur Vollendung seines 30. Lebensjahres erreiche oder erreicht hätte. Darüber hinaus werde nicht nur das tatsächlich erreichte Berufsziel zur Grundlage der JAV-Berechnung gemacht, sondern u.U. ein Berufsziel, das der Verletzte – ohne den Unfall – voraussichtlich erreicht hätte. Es entspreche daher nicht dem Sinn der Vorschrift, den Ausdruck „Berufsausbildung” mit „Lehrlingsausbildung” gleichzusetzen. Der Begriff der Berufsausbildung erhalte seinen maßgebenden Inhalt einerseits durch die Vorstellungen des in Ausbildung Befindlichen über das, was er zu erreichen gedenke, und andererseits durch die in dem betreffenden Berufsweg vorhandenen Ausbildungsmöglichkeiten. Auch das Bundessozialgericht (BSG) habe zu § 1267 RVO entschieden, daß unter Berufsausbildung nicht nur ein herkömmliches Ausbildungsverhältnis zu verstehen sei (BSG 9, 196, 198). Im vorliegenden Falle sei davon auszugehen, daß der Kläger nach Antritt seines Lehrverhältnisses und Kenntnisnahme von den Laufbahnmöglichkeiten in der AOK den Entschluß gefaßt habe, Inspektor zu werden. Dafür spreche auch sein späterer Werdegang. Als er am 30. September 1947 sein Lehrverhältnis beendet gehabt habe, habe er noch nicht die A-Prüfung ablegen können, weil er das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet gehabt habe. Alsbald nach Vollendung dieses Lebensjahres habe er im Oktober 1951 die A-Prüfung bestanden. Fach § 2 der Dienstordnung (DO) für die AOK Stuttgart sei die Vollendung des 27. Lebensjahres Voraussetzung für die dienstordnungsgemäße Anstellung. Der Kläger habe somit, obwohl er die A-Prüfung abgelegt gehabt habe, zunächst weder Sekretär noch Obersekretär werden können. Deshalb lasse sich auch nicht feststellen, daß damals seine Berufsausbildung bereits abgeschlossen gewesen sei. Bei dieser Sachlage könne der Umstand keine entscheidende Rolle spielen, daß der Kläger vom 1. Oktober 1947 bis zur Ablegung der B-Prüfung im Dezember 1956 TO A-Angestellter gewesen sei und in dieser Eigenschaft auch schon eine selbstverantwortliche Tätigkeit habe verrichten müssen. Denn es sei ihm unter den gegebenen Umständen keine andere Wahl geblieben, als vorübergehend eine TO A-Tätigkeit zu verrichten, um schließlich das Ziel seiner Ausbildung zu erreichen. Überdies sei sogar nach den Bestimmungen über die B-Prüfung eine mindestens 5-jährige – für die Übergangszeit eine mindestens 3-jährige – praktische Tätigkeit im Krankenkassendienst vorgeschrieben. Diese praktische Tätigkeit habe der Kläger als TO A-Angestellter absolvierern müssen. Nach alledem sei er bis zur Anstellung als DO-Angestellter nach Vollendung des 27. Lebensjahres als in Ausbildung befindlich anzusehen gewesen. Er habe diese Prüfung so rechtzeitig abgelegt, daß er unmittelbar nach Vollendung des vorgeschriebenen Lebensalters, und zwar am 1. Januar 1957, zum Verwaltungsinspektor ernannt worden sei. Da Voraussetzung für die dienstordnungsmäßige Anstellung die Vollendung des 27. Lebensjahres gewesen und vorher die Beförderungsprüfung abgelegt worden sei, müsse die gesamte vorangegangene Zeit als Berufsausbildung im Sinne des § 565 Abs. 1 RVO gewertet werden.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Gegen das der Beklagten am 21. Dezember 1960 zugestellte Urteil hat diese am 16. Januar 1961 Revision eingelegt; sie hat das Rechtsmittel mit Schriftsätzen vom 17. Januar und 4. März 1961, die innerhalb der bis zum 21. März 1961 verlängerten Begründungsfrist beim BSG eingegangen sind, begründet.
Die Revision führt aus:
Das zu § 1267 RVO ergangene Urteil des BSG könne zur Auslegung des Begriffs der Berufsausbildung in der gesetzlichen Unfallversicherung nicht herangezogen werden. Die angeführten Vorschriften verfolgten verschiedene Zwecke, so daß der Begriff der Berufsausbildung, wie er sich auf anderen Rechtsgebieten der Sozialversicherung herausgebildet habe, nicht ohne weiteres auf die gesetzliche Unfallversicherung übertragen werden könne. Nach der Rechtsprechung des BSG (BSG 12, 109, 115) stelle § 565 RVO aF eine Ausnahmeregelung dar, so daß eine ausdehnende Auslegung nicht zulässig sei. Eine Berufsausbildungsordnung für die Bediensteten der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung stehe nicht zur Verfügung. Aus den berufsgenossenschaftlichen Laufbahnrichtlinien ergebe sich, daß für die Laufbahngruppen des mittleren und gehobenen Dienstes ein erfolgreicher Vorbereitungsdienst und Prüfungen vorgesehen seien. Dieser Vorbereitungsdienst habe jedoch nichts mit einer lehrlingsmäßigen Ausbildung für den Beruf schlechthin zu tun. Er setze vielmehr voraus, daß der Laufbahnbewerber bereits eine abgeschlossene Lehrzeit hinter sich gebracht habe. Der Vorbereitungsdienst für die in den berufsgenossenschaftlichen Laufbahnrichtlinien vorgesehenen Prüfungen gehöre somit ebensowenig zur Berufsausbildung im Sinne des § 565 RVO aF wie z. B. die ärztliche Weiterbildung zur Erlangung der Facharztanerkennung. Die A- und B-Prüfungen seien Beförderungsprüfungen. Die Inspektorenstellen gehörten zur Beförderungslaufbahn und nicht zur Eingangslaufbahn eines Kassenbediensteten. Damit aber stehe die Vorbereitung zum Eintritt in eine solche Berufslaufbahn mit der ärztlichen Weiterbildung zur Erlangung der Facharztanerkennung auf einer Stufe. Die Berufsausbildung aber sei als solche im Zeitpunkt der Aufnahme der Vorbereitungstätigkeit für die Prüfung zum Verwaltungsinspektor abgeschlossen. Ihr Abschluß sei geradezu Voraussetzung für den Beginn der Vorbereitung auf die Beförderungslaufbahn des Sekretärs oder Inspektors. Die Tätigkeit des Klägers nach Abschluß seiner Lehrzeit müsse somit als hinter seiner eigentlichen Berufsausbildung im Sinne des § 565 RVO aF liegend angesehen werden. Die Vorbereitungstätigkeiten für Beförderungslaufbahnen rechneten hiernach nicht mehr zur Berufsausbildung.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweisen,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, die vom BSG entschiedenen Arztfälle könnten auf seinen Fall nicht übertragen werden, weil es sich um völlig verschieden geartete Tatbestände handele. Näher liege es, den in BSG 10, 282 entschiedenen DRK-Schwesternfall zum Vergleich heranzuziehen. In jedem Einzelfall müsse eingehend nach den jeweiligen Umständen geprüft werden, zu welchem Zeitpunkt „die mit der beruflichen Ausbildung erstrebte Erwerbsstellung erreicht” sei (BSG 12, 109). Der Kläger habe die erstrebte Erwerbsstellung erst nach Ablegung der Inspektorenprüfung erreicht gehabt. Dieses Ziel habe er vor Vollendung des 27. Lebensjahres gar nicht anders erreichen können als über die praktische Tätigkeit als TO-A-Angestellter. Nach den Prüfungsbestimmungen stelle die TO-A-Tätigkeit einen untrennbaren Bestandteil der gesamten Berufsausbildung dar, und nur bei ihrer Ausübung habe der in Aussicht genommene Abschluß der Ausbildung erreicht werden, können.
Entscheidungsgründe
II
Die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes – SOG –) ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, also zulässig. Sie hatte auch Erfolg.
Die mit der Klage angefochtene Feststellung des JAV durch den Bescheid der Beklagten vom 27. Mai 1958 wäre – hierin sind die Beteiligten sich einig – nur dann rechtswidrig, wenn der Kläger sich nicht nur bis zum Abschluß seiner Verwaltungslehrzeit, sondern darüber hinaus bis zur Ablegung der A- oder B-Prüfung oder gar bis zu seiner Anstellung als DO-Angestellter noch in einer Berufsausbildung – Schulausbildung kommt nicht in Betracht – im Sinne des § 565 Abs. 1 Halbsatz 1 RVO aF befunden hätte. In diesem Falle wäre nämlich der JAV nicht, wie es die Beklagte getan hat, nach dem für einen tarifordnungsmäßig Angestellten, sondern nach dem für einen DO-Angestellten maßgeblichen Entgelt unter Berücksichtigung späterer Verdiensterhöhungen bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres zu berechnen gewesen. Die angeführte Vorschrift des § 565 RVO aF soll verhindern, daß für Personen, die sich noch in der Berufs- oder Schulausbildung befinden und deswegen noch keine nennenswerten Einkünfte haben, der die Grundlage der Rentenberechnung bildende JAV für alle Zeit nach jenen niedrigen Einkünften oder nach dem – im allgemeinen ebenfalls verhältnismäßig niedrigeren – Dreihundertfachen des durchschnittlichen Verdienstes festgesetzt werden muß; wird ein solcher Versicherter durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit geschädigt, so soll von dem Zeitpunkt an, in welchem die begonnene Ausbildung voraussichtlich abgeschlossen gewesen wäre, der JAV nach dem Entgelt berechnet werden, welches dann Personen gleicher Ausbildung zu beanspruchen haben. Diese Regelung, die den in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Grundsatz, daß zukünftige Erwerbsaussichten bei der Festsetzung des JAV nicht zu berücksichtigen sind, durchbricht, gilt jedoch nicht für Versicherte, die bereits einen erlernten Beruf ausüben und sich dabei für eine höhere Verdienstmöglichkeiten bietende berufliche Stellung weiterbilden wollen.
In der Beurteilung, ob der Kläger für den Zeitraum zwischen dem Abschluß der Verwaltungslehrzeit und der Anstellung als DO-Angestellter der einen oder der anderen Gruppe – den in Ausbildung oder den in Weiterbildung befindlichen Personen – zuzurechnen ist, hat das LSG mit Recht angenommen, daß Ausbildung im Sinne des § 565 RVO aF nicht schlechthin einem „herkömmlichen Ausbildungsverhältnis”, vor allem einer Lehre, gleichzusetzen ist. Die zu treffende Entscheidung hängt davon ab, welcher Art. die Tätigkeit des Klägers nach Abschluß seiner Lehrzeit war und welche Rechtsvorschriften ihr zugrunde lagen. In dieser Hinsicht bestimmte der für den Bereich der AOK Stuttgart maßgebende, die Aus- und Fortbildung der Kassenangestellten sowie die Prüfung für den Krankenkassenverwaltungsdienst in Württemberg-Baden betreffende Erlaß des Arbeitsministeriums Württemberg-Baden vom 26. März 1947 Nr. III A 2/13 (Mitt. des AM Württemberg-Baden S. 5. – abgedruckt bei Kastner/Immand, Das Personalrecht der Krankenkassen, Anhang I A 4 – 23), daß anstelle des früheren Rechts die Verordnung des Württ. Wirtschaftsministers vom 11. April 1938 zur Durchführung der Vierten Verordnung zur Neuordnung der Krankenversicherung vom 3. Februar 1934 (RegBl. für Württemberg S. 143) – mit Abweichungen – anzuwenden ist. Auf Grund des § 5 dieser Verordnung erließ das Landesversicherungsamt Württemberg-Baden am 17. Juni 1947 eine Prüfungsordnung für den Krankenkassen-Verwaltungsdienst Württemberg-Baden (abgedruckt bei Kastner/Immand aaO Anhang I A 4 – 29 ff). Nach diesen Vorschriften, deren Rechtswirksamkeit von den Beteiligten nicht in Zweifel gezogen wird und gegen die auch keine Bedenken bestehen (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. I S. 168 b), gilt für die Zulassung zu den Prüfungen im Krankenkassenverwaltungsdienst folgendes: Zur Anstellungsprüfung (A-Prüfung) kann zugelassen werden, wer – neben anderen Voraussetzungen – eine mindestens einjährige ununterbrochene praktische Tätigkeit bei einer Krankenkasse nachweist, an einem Unterrichtslehrgang teilgenommen hat und zur Zeit der Ablegung der Prüfung das 21. Lebensjahr vollendet hat; zur Beförderungsprüfung (B-Prüfung) kann zugelassen werden, wer u. a. den Nachweis einer mindestens dreijährigen praktischen Tätigkeit im Krankenkassendienst erbringen kann, die Anstellungsprüfung mit Erfolg abgelegt hat oder von ihr ordnungsmäßig befreit ist (§ 2 der o.a. Prüfungsordnung in Verbindung mit § 3 der o.a. VO vom 11. April 1938 idF des o.a. Erlasses vom 26. März 1947). Die Zurücklegung einer Lehrzeit ist nach § 8 der VO vom 11. April 1938 zwar vorgesehen, sie ist aber nicht Voraussetzung für die dienstordnungsmäßige Anstellung; der Kläger hätte ihrer auch nicht bedurft, um tarifordnungsmäßig angestellt zu werden.
Der unter den angeführten Vorschriften stehende berufliche Werdegang des Klägers hat sich somit in einer sog. Einheitslaufbahn vollzogen, d. h. die Eingangsvoraussetzungen waren für den mittleren und den gehobenen Dienst die gleichen; nach Ablegung der A-Prüfung, welche die Beschäftigung für den mittleren Dienst bedeutete, konnte er sich nach Erfüllung weiterer Voraussetzungen der B-Prüfung unterziehen und nach deren Bestehen und der Vollendung des 27. Lebensjahres dienstordnungsmäßig als Inspektor angestellt worden. Bis dahin war er mehr als neun Jahre Tarif-Angestellter. Diese Zeit kann entgegen der Auffassung des LSG nicht als Berufsausbildung im Sinne des § 565 RVO aF angesehen worden, obwohl der Kläger zeitweise, und zwar in Lehrgängen, welche der A- und B-Prüfung vorauszugehen pflegen, unterrichtet und somit ausgebildet worden sein mag. Als entscheidend für den Ausbildungscharakter einer Beschäftigung als Regierungsinspektoranwärter hat das Bundessozialgericht zu § 1267 RVO angesehen, daß der Beschäftigte zu seiner Information tätig und theoretisch ausgebildet, nicht aber selbstverantwortlich tätig wurde, ferner, daß er keine Dienstbezüge erhielt, sondern lediglich einen Unterhalts Zuschuß, der die wirtschaftliche Lage des Beschäftigten erleichtern, nicht aber seinen Unterhalt voll sicherstellen soll und kein echtes Entgelt für geleistete Dienste darstellte (BSG 9, 196, 198; vgl. auch Brackmann aaO Bd. III S. 690 a, wo eine geschlossene Ausbildung gefordert wird, welche die Arbeitskraft und Arbeitszeit des Beschäftigten ausschließlich oder überwiegend in Anspruch nimmt und es ihm deshalb unmöglich macht, außerhalb der für die Ausbildung erforderlichen Zeit einer Erwerbstätigkeit nachzugehen). Die für § 1267 RVO ausgesprochenen Grundsätze müssen nach der Auffassung des erkennenden Senats auch für § 565 RVO aF gelten; denn es ist kein Grund ersichtlich, die hier und dort gleichlautenden Begriffe „Berufs- oder Schulausbildung” verschieden auszulegen. Hiernach kann die Tätigkeit des Klägers vom Abschluß der Verwaltungslehre bis zur Anstellung als DO-Angestellter nicht als Berufsausbildung im Sinne des § 565 RVO aF angesehen werden. Wenn er auch, wie bereits ausgeführt, zeitweise unterwiesen wurde, so hat er doch jahrelang nahezu ausschließlich eine selbstverantwortliche Tätigkeit als Tarifangestellter ausgeübt und ein seiner Tätigkeit entsprechendes volles Entgelt erhalten, das geeignet war, seinen Lebensunterhalt ebenso sicherzustellen, wie dies für eine Vielzahl von vergleichbaren anderen Angestellten zutrifft.
Die gegenteilige Auffassung des LSG läßt sich nicht damit rechtfertigen, daß der Kläger nach den getroffenen Feststellungen von Anfang an das Ziel im Auge hatte, DO-Angestellter zu werden, und daß er dieses Ziel nicht anders als über eine vorherige Tätigkeit als Tarifangestellter erreichen konnte. Weder die Vorstellungen des Klägers über sein berufliches Fortkommen noch die Anstellung im Oktober 1947 als Tarifangestellter vermochten das tarifmäßige Beschäftigungsverhältnis zu gestalten. Die AOK Stuttgart war weder verpflichtet, dem Kläger Gelegenheit zur Teilnahme an einem Lehrgang zu geben noch auf andere Weise seine wesentlich eigener Initiative überlassene Vorbereitung auf eine der beiden Prüfungen zu fördern. Ebensowenig bestand für ihn ein Anspruch auf Zulassung zu den Prüfungen. Hierin unterscheidet sich sein Beschäftigungsverhältnis als Tarifangestellter grundlegend von einem Lehr- oder sonstigen Ausbildungsverhältnis. Er befand sich in keiner wesentlich anderen Lage als ein Handwerksgeselle, der von Beginn seiner Lehrzeit an die Ablegung der Meisterprüfung anstrebt; auch für diesen ist die berufliche Tätigkeit als Geselle, die er als Voraussetzung für die Zulassung zur Meisterprüfung nachweisen muß, anerkanntermaßen keine Berufsausbildung im Sinne des § 565 RVO aF (vgl. Lauterbach, Unfall Versicherung, 2. Aufl. § 559 b RVO aF, Anm. 11 S. 110 b).
Hiernach ist die Revision der Beklagten begründet. Die Entscheidungen der Vorinstanzen mußten aufgehoben und die Klage abgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung ergeht in Anwendung des § 193 SGG.
Unterschriften
Brackmann, Hunger, Schmitt
Fundstellen
Haufe-Index 929559 |
BSGE, 252 |