Tenor

Die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 3. Februar 1972 und des Sozialgerichts Dortmund vom 5. November 1970 werden aufgehoben.

Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheids vom 5. November 1969 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Februar 1970 verpflichtet, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger war als Werkarzt bei der Bergbaugesellschaft Lothringen – dem späteren Eschweiler Bergwerksverein – beschäftigt. Die Schachtanlage wurde am 30. April 1967 stillgelegt. Der Kläger wurde zum 31. Dezember 1966 entlassen. Er beantragte am 21. Oktober 1969, ihm Abfindungsgeld nach den Rechtlinien des Bundesministers für Wirtschaft über die Gewährung eines Abfindungsgeldes in besonderen Härtefällen an bestimmte Arbeitnehmer des Steinkohlenbergbaues im Ruhrrevier vom 9. April 1969 – Härte-RL – (Bundesanzeiger Nr. 75 vom 22. April 1969) zu zahlen. Mit Bescheid vom 5. November 1969 lehnte das Arbeitsamt (ArbA) Bochum diesen Antrag ab. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos. Im Widerspruchsbescheid vom 13. Februar 1970 führte das ArbA zur Begründung aus: Eine Gewährung von Abfindungsgeld nach den Härte-RL komme nur für insgesamt 163 Arbeitnehmer des Eschweiler-Bergwerksvereins in Betracht, die in der Zeit vom 30. November 1966 bis zum 31. März 1967 zu Schachtanlage Erin oder zur Schachtanlage Herbede verlegt worden seien. Der Kläger gehöre nicht zu diesem Personenkreis und könne deshalb kein Abfindungsgeld erhalten. Das ArbA sei an die Härte-RL und die Entscheidung des Bundesministers für Wirtschaft (BMW) gebunden und könne keine eigene Ermessensentscheidung an die Stelle der gegebenen Weisung setzen.

Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Dortmund durch Urteil vom 5. November 1970 abgewiesen.

Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat durch Urteil vom 3. Februar 1972 die – vom SG zugelassene – Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es hat in den Entscheidungsgründen ausgeführt: Dem Kläger stehe nach den Härte-RL kein Abfindungsgeld zu. Bei den Härte-RL handele es sich um Verwaltungsvorschriften, denen Rechtssatzcharakter schon im Hinblick auf Art. 80 des Grundgesetzes (GG) nicht zukomme. Gleichwohl seien die Härte-RL als Verwaltungsanordnung zulässig und bei der Vergabe der hier begehrten Leistung zu berücksichtigen. Gegen die Verwendung solcher keinen Rechtsanspruch gewährenden Verwaltungsvorschriften bestünden aus dem Gesichtspunkt des Gesetzesvorbehaltes (Art. 20 Abs. 2 GG) keine Bedenken. Die etatmäßige Bereitstellung von Mitteln und die ihr zugrunde liegende parlamentarische Willensäußerung seien nämlich regelmäßig eine hinreichende Legitimation für eine die Verwendung solcher Mittel regelnde Verwaltungsvorschrift und ein entsprechendes Handeln der zuständigen Verwaltung, wenn – wie hier – die in den Verwaltungsvorschriften getroffene Regelung ausschließlich begünstigter Art sei. Im vorliegenden Fall bestünden auch keinerlei Anhaltspunkte, daß die Härte-RL willkürlich gestaltet seien und deshalb Art. 3 Abs. 1 GG verletzten. Das Fehlen einer rechtssatzmäßigen Anspruchsgrundlage in den Fällen der vorliegenden Art stehe auch der Rechtmäßigkeit der Härte-RL unter dem Gesichtspunkt der Rechtsschutzgewährung nicht entgegen. Es sei dem Gesetzgeber nicht verwehrt, jedenfalls in solchen Fällen, in denen eine bestimmte Rechtsmaterie bereits abschließend geregelt sei, durch Ermöglichung verwaltungsinterner Regelungen den Ermessensrahmen der Verwaltung zu erweitern und damit eine gewünschte Elastizität des Verwaltungshandelns oder die Berücksichtigung sonst ausgeschlossener Billigkeitserwägungen zu erreichen. Ein solcher Fall liege hier vor. Aus den Gesamtumständen sei eindeutig erkennbar, daß die Bestimmungen des Gesetzes zur Anpassung und Gesundung des deutschen Steinkohlenbergbaues und der deutschen Steinkohlenbergbaugebiete – Kohleanpassungsgesetz – (KohleanpG) vom 15. Mai 1968 (BGBl I 365) und insbesondere die in ihm getroffene Stichtagsregelung grundsätzlich weiterhin in Kraft bleiben sollen. In den Härte-RL sei lediglich bestimmt worden, mit dem Stichtag zusammenhängende und bei der Mittelbewilligung bereits im wesentlichen der Zahl und Art nach bekannte Härtefälle in die Abfindungsregelung einzubeziehen. Es sei daher hinzunehmen, daß die Verwaltung keiner normativen Bindung mit unmittelbarer Außenwirkung unterliege und ihre Entscheidung nur an dem allgemeinen Gebot der Gleichbehandlung aller Betroffenen (Art. 3 GG) gemessen werden könne. Eine solche Prüfung werde auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß nach § 1 Abs. 3 Härte-RL der BMW über die generelle Regelung hinaus auch die Entscheidung zu treffen habe, welche Entlassungen aus zwingenden betrieblichen Gründen erfolgt seien. Diese Entscheidung gehe in den Inhalt des von der Beklagten erlassenen Bescheides ein, dessen Inhalt für den Betroffenen letztlich allein entscheidend sei, so daß im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG – ohne Rücksicht auf die Weisungsgebundenheiten der Beklagten nach § 1 Abs. 3 Härte-RL – die gerichtliche Nachprüfung allein auf den Bescheidinhalt abzustellen sei. Die Klage könne deshalb nur Erfolg haben, wenn die den Kläger betreffende Entscheidung des BMW vom 12. Juni 1970, die Inhalt des Bescheides der Beklagten geworden sei, die im Rahmen der Härte-RL aufgestellten oder im Wege des bisherigen Verwaltungshandelns geübten Grundsätze mißachtet habe. Das sei jedoch nicht der Fall. Aus § 1 Abs. 2 Härte-RL sei zu erkennen, daß die Stillegung als solche allein nicht schon als „zwingender betrieblicher Grund” angesehen werden könne, weil die Voraussetzung „aufgrund von zwingenden betrieblichen Gründen” neben die „aus Anlaß einer Stillegungsmaßnahme” gestellt sei und überflüssig wäre, wenn die wegen der Stillegung erfolgten Entlassung allein als ausreichend habe gelten sollen. Zwingende betriebliche Gründe könnten deshalb nur solche sein, die zwar im Verlauf der Stillegungsmaßnahme, aber unabhängig von ihr aufgetreten seien. Sie müßten nach der Gesamtkonzeption der Härte-RL und nach der zwischenzeitlich in ständiger Übung gehandhabten Anwendungspraxis des BMW dazu geführt haben, daß bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern, die nach der an sich zum 31. März 1967 oder später geplanten Entlassung insgesamt bei anderen Schachtanlagen eingestellt werden sollten, hinsichtlich des Entlassungstermins aufgeteilt wurden, so daß ein kleinerer Teil vorgezogen wurde und allein deswegen die Stichtagsvoraussetzungen des KohleanpG nicht mehr habe erfüllen können. Diese von der Verwaltung getroffene Einschränkung sei, auch wenn sie dem Wortlaut der Härte-RL nicht unmittelbar zu entnehmen sei, nicht ermessenfehlerhaft. Es sei nämlich zu berücksichtigen, daß gerade diese Fallgruppe den Anlaß gegeben habe, im Bundeshaushalt 1969 beschränkte Mittel zum Härteausgleich zur Verfügung zu stellen. Bereits die Beschränkung der im Haushalt zur Verfügung gestellten Mittel hätte notwendigerweise zu einer strengen Begrenzung gezwungen. Es habe dabei nahegelegen und auch dem vermutlichen Willen des Gesetzgebers entsprochen, diejenige Fallgruppe, die Anlaß zu der Mittelvergabe gewesen sei, als Maßstab für die nähere Umgrenzung des Personenkreises zu nehmen. Die Stillegung der Schachtanlage, auf der der Kläger beschäftigt gewesen sei, habe zu seiner Entlassung und zugleich zu seinem Ausscheiden aus dem Bergbau geführt. Der Fall des Klägers sei den bislang begünstigten Fällen nicht gleichwertig und auch nicht weitestgehend ähnlich. Die Stillegung der Schachtanlage des Klägers sei zum 30. April 1967 vorgesehen gewesen und seine Kündigung zum 31. Dezember 1966 habe allein auf der Stillegungsmaßnahme beruht und nicht auf besonderen, wegen ihrer Eigenart als erheblich benachteiligend zu beurteilenden Gründen. Der Kläger gehöre auch nicht zu der Gruppe der verlegten Arbeitnehmer. Er sei vielmehr denjenigen Arbeitnehmern zuzurechnen, die wegen des Entlassungszeitpunktes nicht in den Genuß des gesetzlichen Abfindungsgeldes nach dem KohleanpG gelangt sind, weil sie die Voraussetzungen der Stichtagsregelung, die mit den Härte-RL nicht habe angetastet werden sollen, nicht erfüllt hätten.

Gegen das Urteil des LSG hat der Kläger – die zugelassene – die Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, des Gleichbehandlungsgebotes (Art. 3 GG) und der Sachaufklärungspflicht (§ 103 des Sozialgerichtsgesetzes –SGG–) und führt dazu insbesondere aus: Nach dem KohleanpG stehe dem von der Stillegung betroffenen Arbeitnehmer ein Rechtsanspruch auf Gewährung des Abfindungsgeldes unter den im Gesetz näher aufgeführten Voraussetzungen zu, ohne daß der Verwaltung ein Ermessensspielraum eingeräumt sei. Mit den Härte-RL habe über das Gesetz hinaus eine Regelung zur Beseitigung von Härtefällen eingeführt werden sollen, die im Zusammenhang mit den Stillegungsmaßnahmen stünden, in denen aber der Betroffene nicht zum Stichtag oder später entlassen worden sei. Insoweit habe sich die Verwaltung erst in den Härte-RL selbst eine Ermessensmöglichkeit dadurch gewährt, daß sie einen Rechtsanspruch ausgeschlossen habe. Nach der ausdrücklichen Ermächtigung im Haushaltsplan sollten die Mittel dazu dienen, besondere Härten zu mildern, die bei der Entlassung des betroffenen Arbeitnehmers entstünden, wenn der in § 30 Abs. 1 KohleanpG genannte Stichtag „aus zwingenden betrieblichen Gründen” nicht habe eingehalten werden können. Diesem Auftrag sei die Verwaltung nicht gerecht geworden, weil sie nur die Gruppe der verlegten Arbeitnehmer, die vor dem Stichtag entlassen worden sei, in die Regelung der Härte-RL einbezogen habe. Da dieser Gruppe ein Abfindungsgeld gewährt werde, müsse dies in weit höherem Maße für Arbeitnehmer gelten, die ihren Arbeitsplatz eingebüßt hätten. Eine andere Rechtsanwendung verstoße gegen Art. 3 GG. Er – der Kläger – sei auch aus zwingenden betrieblichen Gründen allein vor dem Stichtag von seiner Arbeitsgeberin entlassen worden. Seine Entlassung sei vorgezogen worden. Mit Schriftsatz vom 27. Januar 1972 an das LSG habe er darauf hingewiesen, daß die Schachtanlage Lothringen, auf der er tätig gewesen sei, zum 30. April 1967 stillgelegt worden sei. In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht sei vorgetragen worden, daß der werkärztliche Dienst der Anlagen Lothringen/Graf Schwerin wegen der inzwischen vorgenommeren Entlassungen habe verkleinert werden müssen, was zur vorgezogenen Entlassung des Klägers zum 31. Dezember 1966 geführt habe. Diesen Umstand habe das LSG nicht gewürdigt. Angesichts der zum 30. April 1967 vorgenommenen Stillegung der Schachtanlage Lothringen habe aber das Berufungsgericht der Grund für die vorgezogene Kündigung des Klägers nach dem Amtsermittlungsprinzip erforschen müssen. Wäre das LSG dieser Ermittlungspflicht (§ 103 SGG) nachgekommen, hätte es festgestellt, daß wegen der Verkleinerung des Personalbestandes der ärztliche Dienst der beiden Anlagen Lothringen und Graf Schwerin verkleinert worden sei und daß deshalb der Kläger entlassen worden sei. Es könne nicht zweifelhaft sein, daß die Verkleinerung des werksärztlichen Dienstes der genannten Schachtanlagen ein „zwingender betrieblicher Grund” im Sinne des § 1 Abs. 2 Härte-RL für die vorzeitige Entlassung des Klägers gewesen sei.

Der Kläger beantragt,

  • die Urteile der Vorinstanzen aufheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres ablehnenden Bescheides in der Gestaltung des Widerspruchsbescheides zu verpflichten, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden,
  • hilfsweise,

    die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für richtig.

Der Beigeladene schließt sich der Auffassung des Berufungsgerichts an.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs. 2 SGG) einverstanden erklärt.

II

Die Revision des Klägers ist begründet.

Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig (§ 54 Abs. 2 SGG). Die Beklagte durfte dem Kläger nicht aufgrund der Härte-RL shon deshalb das Abfindungsgeld versagen, weil er nicht zu denjenigen entlassenen Arbeitnehmern gehört, die nach ihrem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis auf eine andere Schachtanlage verlegt worden sind.

Dem LSG ist zunächst darin zuzustimmen, daß es sich bei den Härte-RL um Verwaltungsvorschriften handelt. Eine Rechtsverordnung stellen die Härte-RL schon deshalb nicht dar, weil die nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 SGG notwendige, in einem Gesetz niedergelegte bestimmte Ermächtigung fehlt. Dazu reichen die Erläuterungen zum Bundeshaushaltsplan 1969 – Haushaltseinzelplan des BMW (Kap. 0902 Tit. 68101) – und zum Haushaltsplan 1970 nicht aus. Darin ist allerdings bestimmt, daß in besonderen Härtefällen über das KohleanpG hinaus Abfindungsgeld nach Maßgabe von Richtlinien des BMW gewährt werden kann. Zwar ist der Bundeshaushaltsplan ein Bestandteil des ihn feststellenden Haushaltsgesetzes und damit Gesetz im formellen Sinne (BVerfG 20, 56, 92); jedoch kann eine mit der eigentlichen Funktion des Haushalts-Gesamtplanes und seiner Einzelpläne in keinem Zusammenhang stehende Aussage nicht als förmliche Ermächtigungsgrundlage im Sinne des Art. 80 Abs. 1 GG angesehen werden. Mit Recht hat das Berufungsgericht ferner ausgeführt, daß es auch schon an der nach Art. 82 Abs. 1 GG erforderlichen Veröffentlichung der als Ermächtigungsgrundlage in Betracht kommenden Erläuterungen fehlt. Dem Erfordernis des Art. 82 Abs. 1 GG kann allerdings ausnahmsweise dadurch entsprochen werden, daß nur das den Haushaltsplan feststellende Gesetz und der Haushalts-Gesamtplan, nicht aber auch die Einzelpläne verkündet werden (vgl. Gesetz zur Feststellung des Bundeshaushaltsplanes 1969, BGBl II 793; 1970, BGBl I 877). Diese Ausnahme ist aber nur zugelassen worden, weil die im Gesamtplan für die Einzelpläne und ihre Kapitel veröffentlichten Summen die Endsummen sind, die sich aus der Addition der Ansätze für die einzelnen Titel der Kapitel ergeben. Die Ermächtigung zur Ausgabe dieser Summen ist nur im Hinblick auf die für die Titel ausgeworfenen Beträge und deren Zweckbestimmung verständlich. Die Titel des Haushaltsplans enthalten die wesentliche Entscheidung über die Zulässigkeit bestimmter Ausgaben; die öffentlichte Endsumme der Kapitel sind als Verweisungen auf die für die Titel ausgeworfenen Beträge zu verstehen (BVerfG 20, 92). Nach Inhalt und Wesen des Haushalts-Gesamtplans beschränkt sich aber die ihm innewohnende Verweisungsfunktion auf den typischen Inhalt der Einzelpläne, d. h. auf die zur Ergänzung und Ausführung des Gesamtplans erforderlichen Angaben, die Titelansätze und ihre Zweckbestimmung. Etwaige in den nicht veröffentlichten Einzelplänen oder ihren Erläuterungen enthaltenen Aussagen, die über die Bedeutung der Einzelpläne (Aufschlüsselung und Zweckbestimmung der Endsummen des Gesamtplans) oder über die den Haushaltsplan an sich zukommende Wirkung (die nicht verpflichtende Ermächtigung zur zweckentsprechenden Ausgabe der bewilligten Mittel) hinausgehen, nehmen nicht an der Gesetzeskraft des verkündeten Gesamtplans teil. Eine solche mit der eigentlichen Funktion der Einzelpläne in keinen Zusammenhang stehende Aussage stellt aber die hier zu beurteilende Ermächtigung zum Erlaß von Richtlinien durch den BMW dar. Damit ist insoweit jedenfalls das Erfordernis der Veröffentlichung nach Art. 82 Abs. 1 GG nicht gewahrt.

Da die Härte-RL weder Auftragsbestandteil eines Gesetzes (vgl. BSG 29, 41) noch einer ordnungsgemäß erlassenen und verkündeten Rechtsverordnung (vgl. BSG 34, 115) sind, nehmen sie auch nicht kraft Verweisung an der Normqualität eines solchen Gesetzes, insbesondere des KohleanpG oder einer dazu erlassenen Rechtsverordnung teil (vgl. hierzu insbesondere BSG 34, 115, 117). Die etatmäßige Bereitstellung der für die Abfindungsgelder notwendigen Mittel in den Bundeshaushaltsplänen 1969 und 1970 und den entsprechenden Einzelplänen ist aber als eine hinreichende Legitimation für das verwaltungsmäßige Handeln des BMW und der Beklagten, nämlich den Erlaß der Verwaltungsvorschriften und eine daran anschließend geübte, die gesetzlichen Grenzen enihaltende, Verwaltungspraxis, anzusehen. Das jeweilige Bundeshaushaltsgesetz stellt nämlich nicht nur die im Haushaltsplan ausgeworfenen Mittel fest, sondern bewilligt sie auch und enthält somit eine Ermächtigung an die Regierung, diese Mittel für die im Haushaltsplan festgestellten Zwecke zu verwenden (BVerfG 20, 56, 90; BVerwG 6, 282, 287; 18, 352, 353; 20, 101, 102; DVBl 1963, 859). Damit ist für die Härte-RL als Verwaltungsvorschriften eine im Sinne des Art. 20 Abs. 3 GG ausreichende Grundlage gegeben. Eine gesetzliche Regelung ist nur bei Auferlegung von Belastungen für den einzelnen notwendig; für die Gewährung von Vergünstigungen durch die Verwaltung besteht der Gesetzesvorbehalt indessen nur dann, wenn die Zuwendungen in untrennbarer Wechselwirkung mit der Auferlegung von Belastungen stehen (BVerwG 6, 282, 287; 20, 101, 102; ferner Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, S. 208ff, mit weiteren zahlreichen Nachweisen).

Ob die als gesetzesergänzende Verwaltungsvorschriften zu qualifizierenden Härte-RL – schon im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG – mit einem Teil der neueren Rechtslehre (vgl. Ossenbühl aaO S. 502ff., 510; Hans Klein, Festgabe für Ernst Forsthoff zum 65. Geburtstag, S. 163ff., 175ff) über den vom erkennenden Senat in seinem Urteil vom 17. März 1972 – 7 RAr 49/69 – (BSG 34, 115) angegebenen Rahmen hinaus in ihrer Wirkung wie Rechtsnormen zu behandeln sind, (vgl. auch BVerfG 8, 155, 168) deren Anwendung die Gerichte unbeschränkt nachprüfen können, oder ob das Verwaltungshandeln im Rahmen der Härte-RL nur am Gebot der Gleichbehandlung aller Bürger und gleicher Sachverhalte (Art. 3 Abs. 1 GG) zu messen ist, kann dahinstehen. In jedem Fall ist der ablehnende Bescheid der Beklagten rechtswidrig (§ 54 Abs. 2 SGG).

Geht man von einer Rechtsnormqualität der Härte-RL aus, ergibt sich die Rechtswidrigkeit des Bescheides der Beklagter aus dem Wortlaut, Zusammenhang und Sinn der Härte-RL in Verbindung mit dem KohleanpG. dem Wortlaut der Vorschriften in § 1 Abs. 1 und 2 Härte-RL ist bereits zu entnehmen, daß die Härte-RL keinen Unterschied zwischen verschiedenen Gruppen entlassener Arbeitnehmer machen, sondern allein davon ausgehen, daß ein Arbeitnehmer aus Anlaß einer Stillegungsmaßnahme aus zwingenden betrieblichen Gründen in der Zeit vom 31. Oktober 1966 bis zum 30. März 1967 – die anderen in § 1 Abs. 2 Härte-RL genannten Zeiten interessieren hier nicht – von seinem Arbeitgeber entlassen worden ist. Auf den unbestimmten Begriff des „zwingenden betrieblichen Grundes” kann die bei der Ablehnung gemachte Einschränkung auf eine bestimmte, aus Anlaß einer Stillegungsmaßnahme entlassene Gruppe von Arbeitnehmern nicht gestützt werden. Ein „betrieblicher Grund” kann nämlich auch auf einer stillzulegenden Schachtanlage den Arbeitgeber gezwungen haben, einen Arbeitnehmer vor dem 31. März 1967 zu entlassen, ohne daß dieser „zwingende betriebliche Grund” mit einer Verlegung auf eine andere Schachtanlage zusammenhing, also gerade nicht durch die betrieblichen Verhältnisse einer anderen – der aufnehmenden – Schachtanlage zwingend bedingt war. Das räumt auch der Beigeladene ein, wenn er im Berufungsverfahren vorgetragen hat, aus besonderen betrieblichen Erfordernissen (z. B. geologischen Störungen) habe sich bei bestimmten Gruppen von Arbeitnehmern die Notwendigkeit ergeben, Entlassungen – vor den 31. März 1967 – vorzuziehen. Zutreffend führt der Beigeladene selbst aus, daß es sich insoweit um Gründe handelt, deren Ursache nicht beim aufnehmenden, sondern beim abgebenden, d. h. stillzulegenden Betrieb liegen. Aus dem Wortlaut, dem Sinn und dem Zusammenhang der Vorschriften der Härte-RL in Verbindung mit dem KohleanpG ergibt sich aber weder, daß der „zwingende betriebliche Grund” in erster Linie – wie der Beigeladene und die Beklagten meinen – in den Verhältnissen eines Betriebes außerhalb des stillzulegenden zu suchen ist, noch daß ein solcher beim stillzulegenden Betrieb gegebener Grund nur in Verbindung mit einer Verlegung auf eine andere Schachtanlage rechtserheblich ist. Die gegenteilige Auffassung verkennt insbesondere den Zusammenhang der Härte-RL Rechtsnormqualität haben, sind sie gegenüber dem KohleanpG die rangniedrigeren Normen. Sie können diese nicht abändern, sondern nur ergänzen. Ihre Auslegung muß sich daher auch am Sinn und Zweck des KohleanpG orientieren. Das KohleanpG begünstigt aber alle aus Anlaß einer Stillegungsmaßnahme entlassenen Arbeitnehmer, sofern sie nach dem 30. März 1967 aus ihrem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sind (§ 30 Abs. 1 KohleanpG) und die übrigen Voraussetzungen des Abschnitts II des KohleanpG erfüllen. Über den Rahmen der §§ 24 bis 26 KohleanpG hinaus ist unerheblich, ob der entlassene Arbeitnehmer zur Gruppe der verlegten oder der endgültig aus dem Bergbau ausgeschiedenen Arbeitnehmer gehört. Vom Sinn und Zweck des KohleanpG und dem Wortlaut der Härte-RL her kann auch bei der Regelung der besonderen Härtefälle nicht danach unterschieden werden, ob der „entlassene” Arbeitnehmer auf eine andere Schachtanlage verlegt worden oder endgültig aus dem Bergbau ausgeschieden ist. Wenn er gemäß § 2 Härte-RL die übrigen Voraussetzungen der §§ 24 bis 29 und 31 KohleanpG erfüllt, kann ihm ein Abfindungsgeld gewährt werden, sofern seine Entlassung in der Zeit vom 31. Oktober 1966 bis 30. März 1967 aus Anlaß einer Stillegungsmaßnahme aus einem zwingenden betrieblichen Grund erfolgt ist. Der Begriff der „Entlassung” nach dem Härte-RL ist nicht anders auszulegen als der des KohleanpG. Dem stellt nicht entgegen, daß in den Erläuterungen zum Bundeshaushaltsplan 1969 und 1970 zu Titel 68101 darauf hingewiesen wird, die Ausnahmebewilligungen dürften die Zahl von 1400 Einzelfälle nicht überschreiten. Abgesehen davon, daß schon im Bundeshaushaltsplan für 1971 diese Einschränkung weggefallen ist, hat sie in den Härte-RL keinen Niederschlag gefunden. Für sich allein ist sie auch nicht geeignet, von vornherein die Gewährung von Abfindungsgeldern auf die Gruppe derjenigen in der Zeit vom 31. Oktober 1966 bis 30. März 1997 entlassenen Arbeitnehmer zu begrenzen, die auf andere Schachtanlagen verlegt worden sind. Da die Beklagte dem Kläger das Abfindungsgeld schon deshalb versagt hat, weil er nicht zu dem Personenkreis der auf andere Schachtanlagen verlegten Arbeitnehmer gehört, ist der angefochtene Bescheid bereits aus diesem Grunde rechtswidrig und muß daher aufgehoben werden, wenn die Härte-RL wie Rechtsnormen zu behandeln sind.

Auch wenn man mit dem LSG davon ausgeht, daß den Härte-RL keine Rechtsnormqualität zukommt, ist der angefochtene Bescheid – entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts – rechtswidrig.

Allerdings ist er nicht schon deshalb ermessensmißbräuchlich, weil die Beklagte über den Antrag, dem Kläger Abfindungsgeld nach den Härte-RL zu zahlen, nicht selbständig nach ihrem eigenen Ermessen entscheiden konnte, sondern nach § 1 Abs. 3 Härte-RL in jedem Einzelfall über die generelle Regelung in den Härte-RL durch den Beigeladenen hinaus an dessen konkrete Entscheidung gebunden ist. Das Berufungsgericht hat insoweit zutreffend angenommen, daß beide Entscheidungen, die der Beklagten und die des Beigeladenen als eine Einheit zu betrachten und entsprechend zu behandeln sind. Der Bescheid der Beklagten nimmt nämlich die Entscheidung des Beigeladenen in seinen Inhalt auf, so daß diese auch Inhalt des gegenüber dem Kläger erlassenen Verwaltungsaktes der Beklagten ist. Für den Kläger ist daher allein dieser Inhalt des Bescheides der Beklagten von Bedeutung, ohne Rücksicht darauf, in welchem Umfang die ihm gegenüber entscheidende Beklagte an interne Weisungen anderer Verwaltungsstellen gebunden ist.

Der ablehnende Bescheid der Beklagten ist indessen rechtswidrig, weil er aus Anlaß einer Stillegungsmaßnahme aus zwingenden betrieblichen Gründen in der Zeit vom 31. Oktober 1966 bis 30. März 1967 entlassene Arbeitnehmer schon dann von der Zahlung eines Abfindungsgeldes ausschließt, wenn sie mit der Entlassung nicht auf eine andere Schachtanlage verlegt worden sind. Hierin liegt ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Durch die vom LSG festgestellte, gegenüber dem Wortlaut der Härte-RL bereits auf die Gruppe der verlegten entlassenen Arbeitnehmer eingeschränkte ständige Verwaltungspraxis ist ein Entscheidungsmaßstab entwickelt worden, der mit der Zielsetzung des KohleanpG nicht vereinbar ist. Danach sollten nämlich alle Arbeitnehmer einen finanziellen Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes und für einen etwaigen Berufswechsel erhalten, wenn ein anderer zumutbarer Arbeitsplatz nicht zur Verfügung gestellt werden konnte (vgl. BSG SozR Nr. 2 zu § 24 KohleanpG). Zu bestimmen, wer „Entlassener” ist, unterliegt aber nicht dem Ermessen der Verwaltung. Hierbei handelt es sich vielmehr um einen aus der Zwecksetzung des KohleanpG vorgegebenen bestimmten Begriff, der auch in Härtefällen von der Verwaltung nicht anders als nach dem KohleanpG ausgelegt werden darf, zur Gruppe der Entlassenen sind aber alle Arbeitnehmer zu rechnen, deren Arbeitsverhältnis durch einseitige Willenserklärung des Arbeitgebers (Kündigung) aufgelöst oder unter unzumutbaren Bedingungen fortgesetzt worden ist (BSG aaO). Diese entlassenen Arbeitnehmer können aber ohne Rücksicht auf eine Verlegung auf eine andere Schachtanlage „aus zwingenden betrieblichen Gründen” aus Anlaß der Stillegung ihres bisherigen Beschäftigungsbetriebes aus ihrem Arbeitsverhältnis schon vor dem Stichtag (31. März 1967) ausgeschieden sein. Ein Ausschluß der vorzeitig aus zwingenden betrieblichen Gründen entlassenen, aber nicht verlegten Arbeitnehmer von der Härteregelung ist daher eine von der Sache her nicht gerechtfertigte ungleiche Behandlung gleichgelagerter Sachverhalte und somit eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes des Art. 3 Abs. 1 GG. Auch wenn man davon ausgeht, daß die Verwaltung im Ermessensbereich – sei es durch Verwaltungsanordnungen, sei es durch Verwaltungsausübung – die Entscheidungsmaßstäbe für die Anwendung des Gleichheitsgrundsatzes setzen kann, so findet diese Befugnis immer ihre Grenze in der vom Gesetz bestimmten Zielsetzung, der auch die dem Gesetz nachgeordnete Ermessensausübung zur Regelung von Härtefällen durch die Verwaltung zu dienen hat. Die Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes führt zur Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides; er ist deshalb aufzuheben.

Die Beklagte ist nunmehr verpflichtet, über den Antrag des Klägers neu zu entscheiden. Bei den Leistungen nach den Härte-RL – gleichgültig, ob diese Rechtsnormqualität haben oder nicht – handelt es sich um solche, auf die kein Rechtsanspruch besteht (§ 1 Abs. 1 letzter Satz Härte-RL). Bei derartigen Leistungen sind die Gerichte grundsätzlich nicht befugt, selbst die Leistung zuzuerkennen, es sei denn, daß die Ablehnung der Leistung unter jedem denkbaren Gesichtspunkt einen Ermessensmißbrauch der Verwaltungsbehörde darstellen würde (vgl. BSG 9, 232ff.). Eine solche Sach- und Rechstlage, welche die Verurteilung der Beklagten zur Leistung rechtfertigen könnte, ist hier nicht gegeben. Da die Beklagte den Antrag des Klägers nur deshalb abgelehnt hat, weil er nicht zu den sogenannten verlegten entlassenen Beschäftigten gehört, er jedoch den „Entlassenen” im Sinne des Härte-RL zuzurechnen ist, wird die Beklagte nunmehr zu prüfen haben, ob beim Kläger ein „zwingender betrieblicher Grund” bei der Stillegung seines bisherigen Beschäftigungsbetriebes den Anlaß für die vorzeitige Entlassung gegeben hat.

Nach allem, muß daher die Revision des Klägers Erfolg haben. Die Urteile des SG und des LSG sind aufzuheben. Die Beklagte ist unter Aufhebung ihres Bescheides verpflichtet, den Kläger erneut zu bescheiden und sein Begehren auf Abfindungsgeld nach den Härte-RL nicht schon deshalb abzulehnen, weil er nicht zur Gruppe der entlassenen verlegten Arbeitnehmer gehört.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Unterschriften

Dr. Brocke, Dr. Witte, Dr. Haußner

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 22.01.1974 durch Schäfers Reg. Hauptsekretär als Urk. Beamter der Gesch. Stelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 707894

BSGE, 175

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