Beteiligte
Kläger und Revisionskläger |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, wie der Jahresarbeitsverdienst (JAV) für die Verletztenrente des Klägers zu berechnen ist.
Der im Jahre 1927 in der Ukraine geborene Kläger verlor am 15. Juni 1951 in Nowosibirsk bei einem Arbeitsunfall fast vollständig das Augenlicht. Er war dort als Schlosser-Einrichter für Halbautomaten und Automaten (Walzmaschinen) in einer sowjetischen Munitionsfabrik als Zwangsarbeiter beschäftigt. Nach dem Unfall war er als Abteilungsleiter/Betriebsleiter eines Blindenbetriebes und seit 1970 als Leiter des Arbeitsbereichs Holzbeschaffung in einer Kolchose tätig. Im Jahre 1975 siedelte der Kläger in die Bundesrepublik über. Die Beklagte bewilligte ihm durch Bescheid vom 26. Oktober 1978 eine Dauerrente, wobei sie gem §§ 7, 8 Fremdrentengesetz (FRG) i.d.F. vom 25. Februar 1960 (BGBl. I, S. 93) als JAV das Bruttogehalt eines Automateneinstellers/Handwerkers bei der Firma D in T im Jahr vor dem Unfall (15. Juni 1950 bis 14. Juni 1951) zugrunde legte.
Der Kläger erhob hiergegen Klage zum Sozialgericht (SG) Frankfurt am Main. Er ging zunächst davon aus, daß ihm Verletztenrente nach dem JAV eines Schlosser-Einrichters zur Zeit seines Eintreffens in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1975 zustehe. Das SG hat durch Urteil vom 15. Oktober 1979 die Beklagte verpflichtet, zu dem "Teilfeststellungsbescheid vom 26. Oktober 1978 einen Schlußbescheid mit Erwägungen zur Feststellung des JAV nach billigem Ermessen zu erteilen" und die weitergehende Klage abgewiesen. Zwar könne die Beklagte nicht zur Zahlung einer höheren Rente verpflichtet werden, sie habe jedoch noch gem § 577 Reichsversicherungsordnung (RVO) zu prüfen, ob der JAV des Klägers nach billigem Ermessen festzustellen sei, wenn er nach dem tatsächlichen Arbeitseinkommen unbillig wäre.
Nach Rechtskraft dieses Urteils erließ die Beklagte "in Ausführung des Urteils vom 15. Oktober 1979" den Bescheid vom 26. Januar 1983. Diesen Bescheid hat der Kläger mit dem Begehren angefochten, als JAV "den höchstmöglichen JAV für das Jahr 1975 zugrunde zulegen". Das SG wies die Klage ab, das Hessische Landessozialgericht (LSG) verurteilte jedoch mit Urteil vom 30. September 1987 die Beklagte, das Urteil des SG vom 15. Oktober 1979 auszuführen. Durch dieses rechtskräftige Urteil sei der Beklagten bindend vorgeschrieben worden, daß sie bei der Rechtsprüfung nicht von den für Arbeitsunfälle vor Inkrafttreten des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes vom 30. April 1963 (BGBl. I 241 - UVNG) maßgebenden §§ 563, 566 RVO aF, sondern von § 577 RVO n.F. auszugehen habe. Die Beklagte könne sich nicht auf andere Vorschriften berufen. Im übrigen enthalte das Urteil vom 15. Oktober 1979 jedoch keine bindende Aussage dahingehend, daß der JAV unbillig sei und deshalb dem Kläger in jedem Falle eine höhere Rente zustehe. Der Tenor dieses Urteils sei vielmehr so auszulegen, daß die Beklagte die Prüfung der Unbilligkeit des JAV gem § 577 RVO noch nachzuholen habe. Auch das Urteil des LSG vom 30. September 1987 wurde rechtskräftig.
Durch einen weiteren Bescheid vom 25. Januar 1988 und Widerspruchsbescheid vom 22. Februar 1988 lehnte die Beklagte eine Erhöhung des durch den ersten Bescheid vom 26. Oktober 1978 festgestellten JAV nach § 577 RVO ab, weil dieser JAV nicht in erheblichem Maße unbillig sei. Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben, die Gegenstand dieses Revisionsverfahrens ist. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 16. Mai 1989), das LSG die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 22. Januar 1991). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, die Beklagte habe durch die jetzt angefochtenen Bescheide aus dem Jahre 1988 das Urteil des SG vom 15. Oktober 1979 ausgeführt. Dieses Urteil sei von ihm, dem LSG, bereits in seinem ebenfalls rechtskräftigen Urteil vom 30. September 1987 bindend so ausgelegt worden, daß das SG im Jahre 1979 die Beklagte lediglich verpflichtet habe, überhaupt nach § 577 RVO tätig zu werden. Die Urteile vom 15. Oktober 1979 und 30. September 1987 seien nicht so zu verstehen, daß dem Kläger in jedem Falle eine höhere Rente zustehe, vielmehr habe die Beklagte lediglich gem § 577 RVO ergänzend zu prüfen, ob der festgesetzte JAV unbillig sei. Diese inhaltliche Prüfung des § 577 RVO habe die Beklagte nunmehr vorgenommen. Sie sei auch im Ergebnis nicht zu beanstanden, da der gem §§ 7, 8 FRG festgestellte JAV nicht unbillig im Sinn des § 577 RVO sei. Es stelle ein rechtliches Grundprinzip der Unfallversicherung dar, daß für den JAV der Zeitraum vor dem Unfallereignis zugrunde zulegen sei. Durch die Heranziehung des Gehaltes eines Automateneinstellers bei der Firma D im Jahre 1950/1951 habe die Beklagte den JAV des Klägers entsprechend einem Spitzenverdienst für speziell ausgebildete Handwerker im Raume Frankfurt festgesetzt. Würde man dem Klagebegehren stattgeben und den Kläger mit einem Automateneinsteller im Jahre 1975 gleichstellen, so würde er gegenüber Versicherten, die im Jahre 1951 in der Bundesrepublik einen Unfall erlitten hätten, in rechtswidriger Weise besser gestellt.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner vom LSG zugelassenen Revision. Er rügt eine Verletzung des § 141 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sowie des § 8 FRG i.V.m. § 577 RVO. Das angefochtene Urteil widerspreche den rechtskräftigen Entscheidungen des SG vom 15. Oktober 1979 und des LSG vom 30. September 1987. Darin sei der Beklagten bindend eine bestimmte Rechtsauffassung vorgeschrieben worden. Sein durch diese Urteile erreichter Besitzstand werde in unzulässiger Weise wieder geschmälert. Im übrigen habe das Bundessozialgericht (BSG) durch Urteil vom 15. Dezember 1967 (5 RKn 56/65 = BG 1968, Seite 242) selbst entschieden, daß nach § 8 FRG maßgebend der JAV eines Versicherten sei, dessen Beruf dem des Berechtigten in dem Zeitraum unmittelbar vor der Umsiedlung (1975) entspräche.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 22. Januar 1992 und des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 16. Mai 1989 sowie den Bescheid der Beklagten vom 25. Januar 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Februar 1988 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 15. Oktober 1979 zu vollstrecken und ihm unter Abänderung des Bescheides vom 26. Oktober 1978 hinsichtlich der Feststellung des JAV unter Zugrundelegung des Jahres vor seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland als Bemessungszeitraum einen Bescheid über die Feststellung des JAV nach billigem Ermessen gem § 577 RVO n.F. zu erteilen, hilfsweise, das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 22. Januar 1992 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs. 2 SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet.
Zu Recht hat das LSG ausgeführt, daß der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 25. Januar 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 1988 rechtlich nicht zu beanstanden ist.
Die Beklagte hat zunächst dadurch, daß sie den festgesetzten JAV nicht als in erheblichem Maße unbillig gem. § 577 RVO erachtet, nicht gegen § 141 SGG verstoßen. Gemäß § 141 Abs. 1 SGG binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Zutreffend hat jedoch das LSG festgestellt, daß die Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden nunmehr ihrer Verpflichtung aus dem Urteil des SG vom 15. Oktober 1979 nachgekommen ist. Die Rechtskraftwirkung dieses Urteils ist hier unter Berücksichtigung des Urteils des LSG vom 30. September 1987 zu ermitteln. In diesem zuletzt genannten Urteil hat das LSG Tenor und Entscheidungsgründe des sozialgerichtlichen Urteils vom 15. Oktober 1979 ausgelegt, wobei sein Rückgriff auf die Entscheidungsgründe bei einer Verpflichtungsklage gem § 131 Abs. 3 SGG zulässig war (BSGE 43, 1, 3; Brackmann Handbuch der Sozialversicherung 11. Aufl., S. 256c, d). Das Urteil vom 30. September 1987 wäre hier im übrigen ohnehin zu beachten gewesen, da auch das Urteil des LSG über die Auslegung des vorangegangenen rechtskräftigen Urteils des SG rechtskräftig und nun seinerseits gem § 141 Abs. 1 SGG in der Sache bindend geworden ist, wobei wiederum die Entscheidungsgründe dieses Verpflichtungsurteils zur Ermittlung der Rechtskraftwirkung heranzuziehen sind. Das LSG hatte somit in dem vorliegenden Rechtsstreit lediglich zu überprüfen, ob die Beklagte seiner bindenden Rechtsansicht nachgekommen ist. Das LSG hatte insoweit am 30. September 1987 nicht verkannt, daß für die Feststellung des JAV bei - wie hier - Unfällen vor dem Inkrafttreten des UVNG noch die §§ 563, 566 RVO a.F. maßgebend sind; es hat aber festgestellt, daß die Beklagte durch das Urteil des SG vom 15. Oktober 1979 verpflichtet worden sei, nochmals nach § 577 RVO n.F. und nicht nach § 566 RVO a.F. tätig zu werden. Die Beklagte sei lediglich verpflichtet, eine Überprüfung nach § 577 RVO vorzunehmen. Gemäß § 141 Abs. 1 SGG bindend stand somit bereits durch das Urteil vom 30. September 1987 fest, daß dem Kläger durch das Urteil des SG vom 15. Oktober 1979 jedenfalls keine höhere Rente oder eine bestimmte Berechnungsweise des JAV zugesprochen worden ist. Mit der Prüfung der Unbilligkeit als Tatbestandsmerkmal des § 577 RVO ist die Beklagte mithin ihrer Verpflichtung aus dem Urteil des SG vom 15. Oktober 1979 nunmehr in vollem Umfange nachgekommen. Die Beklagte hatte hierbei in Ausführung des Urteils vom 15. Oktober 1979 auch keine Ermessenserwägungen anzustellen, da die Frage, ob ein JAV "in erheblichem Maße unbillig ist", gem § 577 Satz 1 RVO vom Gericht in vollem Umfang überprüfbar ist. Die Unbilligkeit im Sinne des § 577 Satz 1 RVO stellt einen unbestimmten Rechtsbegriff dar, der erst bei Bejahung seines Vorliegens weitere Ermessenserwägungen erforderlich macht (BSGE 32, 169, 173; BSG SozR 2200 § 571 Nr. 21; BSG SozR 2200 § 577 Nr. 9; Brackmann a.a.O. S. 576k; Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, 3. Aufl., Kennzahl 440, S. 31).
Die Beklagte und auch das LSG haben sich jedoch nicht darauf beschränkt, lediglich zu überprüfen, ob der gem §§ 7, 8 FRG im Jahre 1978 festgesetzte JAV von 4.205,76 DM in erheblichem Maße unbillig gem § 577 Satz 1 RVO war, sondern auch die Berechnung des JAV selbst nochmals erörtert. Damit kann dahinstehen, ob diese Berechnung bereits durch das Urteil des SG vom 15. Oktober 1979 in Teilrechtskraft erwachsen war, da das SG dort immerhin einen Teil des ursprünglich angefochtenen Verwaltungsaktes vom 26. Oktober 1978 als rechtmäßig erachtet und lediglich die Nachholung von Ermessenserwägungen gem § 577 RVO gefordert hatte. In dem hier angefochtenen Bescheid vom 25. Januar 1988 und im Widerspruchsbescheid vom 22. Februar 1988 hat die Beklagte jedenfalls zugunsten des Klägers nochmals die Anwendung der §§ 7, 8 FRG überprüft und insoweit auch die Feststellung des JAV einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich gemacht, und zwar vorrangig vor einer Überprüfung des festgestellten JAV nach § 577 RVO.
Der Senat hat von §§ 7, 8 FRG in der vor dem 1. August 1992 geltenden Fassung auszugehen. Der ab 1. August 1992 gültige § 8 FRG i.d.F. des Rentenüberleitungsgesetzes vom 25. Juli 1991 (BGBl. I, Seite 1606) findet keine Anwendung, da nach Artikel 6 § 2 Abs. 1 Satz 1 Buchst a Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz (FANG) der frühere § 8 FRG weiterhin Anwendung findet auf Berechtigte, die - wie der Kläger - vor dem 1. Januar 1991 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet der Bundesrepublik genommen haben.
Soweit sich die Revision gegen die Berechnung des JAV gem §§ 7, 8 FRG a.F. richtet, ist sie unbegründet. Nach § 7 FRG a.F. gelten für Voraussetzungen, Art, Höhe und Dauer der Leistungen die Vorschriften der gesetzlichen Unfallversicherung, die anzuwenden wären, wenn der Unfall sich dort ereignet hätte, wo sich der Berechtigte im Geltungsbereich dieses Gesetzes zur Zeit der Anmeldung des Anspruches gewöhnlich aufhält. Ist der JAV in einer fremden Währung ausgedrückt oder nicht nachgewiesen, so gilt als JAV der Betrag, der für einen vergleichbaren Beschäftigen im Zeitpunkt des Unfalls an dem für das anzuwendende Recht maßgebenden Ort (§ 7) festzusetzen gewesen wäre (vgl. § 8 FRG aF). Aus dem Wortlaut des § 8 FRG (aF) folgt, daß maßgeblich für die Berechnung des JAV die Umstände "im Zeitpunkt des Unfalls" sind. Zu Recht hat die Beklagte daher auf das Gehalt eines Automateneinstellers im Jahreszeitraum vor dem 15. Juni 1951 abgestellt. Obgleich der maßgebliche Vergleichsort im Sinn des § 7 FRG a.F. F gewesen wäre, hat das LSG hierzu festgestellt, daß dem JAV des Klägers durch die Heranziehung des Bruttoverdienstes aus einer weiter entfernt liegenden Munitionsfabrik ein Spitzenlohn bezogen auf das Rhein-Main Gebiet und seine Ausbildung zugrunde gelegt worden ist. Der Kläger hat insofern auch keine Einwände erhoben, etwa dahingehend, daß er nicht mit einem "vergleichbaren Beschäftigten" im Sinn des § 8 FRG a.F. verglichen worden sei oder sein Ausbildungsstand nicht ausreichend gewürdigt worden wäre. Sein weitergehendes Begehren, für die Berechnung des JAV das Jahr vor seiner Umsiedlung in die Bundesrepublik (1975) zugrunde zu legen, findet in den gesetzlichen Bestimmungen des FRG und der RVO keine Grundlage. Dies gilt insbesondere, soweit der Kläger damit auch begehrt, seiner Verletztenrente nicht den JAV eines Automateneinstellers, sondern den JAV eines Arbeitnehmers in der Bundesrepublik zugrunde zu legen, der dem eines Abteilungsleiters einer Kolchose entspricht. Zum Abteilungsleiter ist der Kläger nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG erst nach seinem Arbeitsunfall aufgestiegen. Ein den JAV erhöhender beruflicher Aufstieg bleibt jedoch auch bei den Verletzten grundsätzlich unberücksichtigt, die einen Arbeitsunfall in der Bundesrepublik Deutschland erlitten haben (BSGE 47, 137, 140; Brackmann a.a.O. S. 574f). Dies gilt sowohl für das Recht vor als auch nach Inkrafttreten des UVNG. Die Voraussetzungen der Ausnahmeregelungen des § 563 RVO a.F. und des § 573 Abs. 1 und 3 RVO sind nicht erfüllt. Die für den Kläger günstigere Regelung des § 573 Abs. 2 RVO ist im Rahmen der Auskunft der D berücksichtigt.
Nach § 577 RVO ist der Jahresarbeitsverdienst nach billigem Ermessen festzustellen, wenn der nach §§ 571 bis 576 berechnete JAV in erheblichem Maße unbillig ist. Hierbei ist gem § 577 Satz 2 RVO außer den Fähigkeiten, der Ausbildung und der Lebensstellung des Verletzten seine Erwerbstätigkeit zur Zeit des Arbeitsunfalles zu berücksichtigen. Die Aufzählung dieser Merkmale ist nicht erschöpfend (Brackmann a.a.O. S. 577). Das BSG hat auch für die Auslegung des § 577 RVO den allgemeinen Grundsatz des Unfallversicherungsrechts zugrunde gelegt, daß für die Berechnung der Leistungen die Verhältnisse im Jahre vor dem Arbeitsunfall maßgebend sind (BSGE 50, 264, 267; ebenso bereits BSG SozR 2200 § 571 Nr. 1). In Vorjahren erzielte Entgelte oder nach dem Unfall zu erwartende höhere Entgelte sind grundsätzlich nicht zu berücksichtigen (zustimmend Bereiter-Hahn/Schieke/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 577 Rdnr. 2; Lauterbach/Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., § 577 RVO Anm. 5; Podzun a.a.O.). Dieser Grundsatz kommt nur dann nicht zum Tragen, wenn innerhalb des maßgeblichen Jahres beim Versicherten eine wesentliche Änderung der beruflichen Situation verbunden mit einer erheblichen Änderung des Arbeitseinkommens eingetreten ist. Rechtszweck einer Unbilligkeitskorrektur im Sinn des § 577 RVO soll es ein, dem Versicherten den Lebensstandard zu sichern, den er vor dem Unfall erreicht hat, wenn er sich hierauf auf Dauer einrichten konnte (BSG SozR 2200 § 577 Nr. 9). Erhebliche Unbilligkeiten werden im Rahmen des § 577 RVO beispielsweise ausgeglichen, wenn dem Versicherten infolge der Einführung von Kurzarbeit Arbeitsentgelt entgangen ist (BSG SozR 2200 § 571 Nr. 15) oder wenn die Anwendung von § 571 Abs. 1 Satz 2 oder 3 RVO zu einem über dem normalen Lebensstandard des Verletzten liegenden JAV führte (BSGE 51, 178; BSG SozR 2200 § 571 Nr. 21). Solche Gehaltsschwankungen oder andere Umstände, die zugunsten des Klägers zu einer Korrektur des JAV bezogen auf das Jahr 1950/1951 führen könnten, hat der Kläger nicht vorgetragen.
Doch auch unter Berücksichtigung des Eingliederungsprinzips des Fremdrentenrechts ist die Feststellung des JAV nicht unbillig gem § 577 RVO. Zwar hat der Große Senat des BSG hierzu ausgeführt, daß das Eingliederungsprinzip zugunsten der Vertriebenen und Flüchtlinge zur Folge haben müsse, daß die (sozialversicherungsrechtlichen) Ansprüche der Vertriebenen und Flüchtlinge so zu behandeln seien, als ob sie ihr Arbeits- und Versicherungsleben in der Bundesrepublik zurückgelegt hätten (BSGE 49, 175, 184 ff.). Folglich ist der Eingliederungsgedanke des Fremdrentenrechts grundsätzlich auch im Rahmen der Unbilligkeitsprüfung des § 577 RVO zu berücksichtigen (SozR 2200 § 577 Nr. 11). Dementsprechend hat der Senat es als in erheblichem Maße unbillig im Sinn des § 577 Satz 1 RVO erachtet, wenn ein Heimatvertriebener, der im Vertreibungsland einen Arbeitsunfall im Sinn des § 5 FRG erleidet, besser gestellt würde als ein Heimatvertriebener, der einen Unfall während seiner noch nicht vollzogenen Eingliederung in der Bundesrepublik erlitten hat (SozR 2200 § 577 Nr. 11). Anders liegen jedoch die Verhältnisse im vorliegenden Fall. Das LSG hat überzeugend ausgeführt, daß der Kläger durch §§ 7, 8 FRG zunächst an Stelle seiner wesentlich niedrigeren Entlohnung als Arbeiter in der Sowjetunion einem vergleichbaren Arbeitnehmer in der Bundesrepublik im Jahre 1950/1951 gleichgestellt worden ist. Er erhält mithin entsprechend den gesetzlichen Vorschriften der §§ 7, 8 FRG so viel an Verletztenrente, wie ein seinem Ausbildungsstand und seinem Arbeitseinkommen vergleichbarer deutscher Arbeitnehmer, der in Frankfurt am Main am 15. Juni 1951 einen vergleichbaren Unfall erlitten hätte. Diese Besserstellung des Klägers gegenüber den sowjetischen Verhältnissen entspricht dem Eingliederungsprinzip des Fremdrentenrechts. Würde aber bei dem Kläger seinem Begehren entsprechend ein noch höherer JAV zugrunde gelegt, so stünde dem Kläger ein durch das Eingliederungsprinzip nicht mehr zu rechtfertigender Vorteil gegenüber einem vergleichbaren Arbeitnehmer zu, der am 15. Juni 1951 in der Bundesrepublik Deutschland einen Arbeitsunfall erlitten hat. Auch bei diesem würde nur das Jahr vor dem Unfall der Berechnung des JAV zugrunde gelegt und später zu erwartende oder tatsächlich eingetretene Lohnsteigerungen nur im Rahmen der üblichen Dynamisierung berücksichtigt. Somit ist auch unter Berücksichtigung des Eingliederungsgedankens der JAV des Klägers nicht in erheblichem Maße unbillig gem. § 577 Satz 1 RVO.
Die vom Kläger geforderte Berechnung des JAV auf der Grundlage des Jahres vor der Umsiedlung kann auch nicht aus der Entscheidung des BSG vom 15. Dezember 1967 (5 RKn 56/65 in BG 1968, 242) abgeleitet werden. Entgegen seiner wiederholt vorgebrachten Rechtsansicht enthält diese Entscheidung keinen Rechtssatz dahingehend, daß gem § 8 FRG maßgeblich für die Berechnung des JAV die Umstände unmittelbar vor der Umsiedlung seien. Dies Mißverständnis mag seine Ursache darin finden, daß in dieser Entscheidung der Leistungsfall selbst (Berufskrankheit) erst unmittelbar vor der Umsiedlung des Klägers aus Polen eingetreten war. Rechtlich maßgeblich war jedoch, was der 5. Senat des BSG (a.a.O.) auch deutlich zum Ausdruck gebracht hat, der JAV im Zeitpunkt des Beginnes der Berufskrankheit und nicht der JAV im Jahre vor dem Datum der Umsiedlung des Klägers.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen