Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Zulässigkeit der Feststellungsklage. Klärung des Umfangs von Mitwirkungspflichten. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Pflicht eines Selbstständigen zur Ausfüllung des Vordrucks zur Einkommensschätzung
Leitsatz (amtlich)
Ein selbstständig tätiger Antragsteller ist bei der Beantragung von Leistungen nach dem SGB 2 im Rahmen seiner Mitwirkungsobliegenheiten gehalten, Angaben zum voraussichtlichen Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit, Gewerbebetrieb oder Landwirtschaft im Bewilligungszeitraum ("Anlage EKS") zu machen.
Orientierungssatz
1. Zur Zulässigkeit einer Feststellungsklage, die auf das Bestehen bzw Nichtbestehen von Mitwirkungspflichten nach § 60 SGB 1 gerichtet ist.
2. Die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil wurde nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG 1. Senat 3. Kammer vom 25.8.2015 - 1 BvR 2709/13).
Normenkette
SGG § 55; SGB 1 § 60 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1-2, § 65 Abs. 1, § 66 Abs. 1; SGB 10 § 20 Abs. 1, § 48 Abs. 1 S. 1; SGB 2 § 11 Abs. 1 S. 1; AlgIIV § 3; AlgIIV 2008 § 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 7. Juli 2011 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, in welchem Umfang der Kläger zu Angaben über seine voraussichtlichen Einnahmen und Ausgaben aus selbstständiger Tätigkeit verpflichtet ist.
Der Kläger bezieht seit Januar 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Er ist seit Dezember 2005 als Rechtsanwalt selbstständig. Bei der Antragstellung für den Leistungszeitraum ab Februar 2009 wurde ihm aufgegeben, die "Anlage EKS" (Angaben zum Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit, Gewerbebetrieb oder Landwirtschaft im Bewilligungszeitraum) auszufüllen. In dem genannten Vordruck sind von den Antragstellern jeweils monatliche aufzuschlüsselnde Auskünfte mit zahlreichen Unterangaben zu den voraussichtlichen Betriebseinnahmen, Angaben zu den Betriebsausgaben und Angaben zu den Aufwendungen, die nicht Betriebsausgaben sind sowie zu Absetzungsmöglichkeiten abzugeben und entsprechende Nachweise zu erbringen.
Der Kläger hat am 30.4.2009 Klage erhoben und neben einem zunächst verfolgten Leistungsbegehren ua die Feststellung begehrt, dass er nicht verpflichtet sei, voraussichtliche Einkommens- und Ausgabenschätzungen laut "EKS" für den Zeitraum eines halben Jahres im Voraus vorzunehmen. Außerdem hat er die Feststellung begehrt, dass der Beklagte verpflichtet sei, bei künftigen Leistungsbewilligungen hinsichtlich des zu berücksichtigenden Einkommens sicherzustellen, dass ihm aus bewilligter Regelleistung und Einkommen monatlich mindestens ein Betrag in Höhe der tatsächlichen Regelleistung zur Verfügung bleibe. Hilfsweise hat der Kläger geltend gemacht, ihm Auskunft darüber zu erteilen, anhand welcher Maßstäbe und mit welchen Mitteln und Methoden Einkommen und Ausgaben (sinnvoll) prognostiziert werden könnten.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 9.9.2010 abgewiesen. Es hat ausgeführt, die Hauptanträge seien mangels Feststellungsinteresses unzulässig, weil der Kläger ohne Weiteres etwaige ihn belastende Entscheidungen des Beklagten abwarten und hiergegen vorgehen könne. Der Hilfsantrag sei ebenfalls unzulässig, weil der insoweit als Verpflichtungsklage auf Auskunftserteilung zu verstehenden Klage kein Verwaltungs- und auch kein Vorverfahren vorausgegangen sei.
Das LSG hat die Berufung des Klägers durch Urteil vom 7.7.2011 zurückgewiesen. Es hat die Berufung für unbegründet gehalten, weil dem Kläger weder ein Anspruch auf die begehrten Feststellungen noch auf Verpflichtung zur Auskunftserteilung zustehe. Bei der Einkommens- und Ausgabenschätzung nach "EKS" handele es sich um eine dem Hilfebedürftigen zumutbare Mitwirkungshandlung. Hinsichtlich des Einkommens aus selbstständiger Arbeit sei eine Einkommensprognose für den Bewilligungszeitraum erforderlich. Diese obliege zunächst dem Leistungsberechtigten im Rahmen seiner Mitwirkungspflichten nach § 60 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB I. § 65 SGB I stehe dem nicht entgegen, weil die Angaben auf der Grundlage eines Mindestmaßes an betrieblicher Planung gemacht werden könnten. Soweit der Kläger begehre, dass der Beklagte sicherzustellen habe, dass bewilligte Regelleistungen und Einkommen monatlich mindestens einen Betrag in Höhe der Regelleistung ergäben, stehe ihm ein Feststellungsinteresse nicht zur Seite. Zwar könne die von der Alg II-V vorgegebene Vorgehensweise dazu führen, dass aufgrund der Teilung des prognostizierten Gesamteinkommens durch die Anzahl der Monate in einzelnen einkommensschwachen Monaten die Summe aus Einkommen und bewilligter Leistung hinter der Regelleistung zurückbleibe. Soweit die Einkommensschwankungen nicht erheblich seien, sei dies hinnehmbar. Eine Verpflichtung des Leistungsträgers könne es insoweit schon deshalb nicht geben, weil die Leistungen im Voraus erbracht werden sollten. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf die begehrte Auskunft.
Der Kläger hat die vom Senat zugelassene Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung des § 60 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB I und weiterer Vorschriften verfassungsrechtlicher, materiellrechtlicher und verfahrensrechtlicher Art. Es handele sich bei der Einkommensschätzung um eine Bewertung von Tatsachen, also um Werturteile. § 60 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB I könne deshalb nicht angewandt werden. Es sei auch die Erheblichkeit der Angaben zu künftigen Einnahmen zu verneinen, weil es an der Erforderlichkeit der Angaben fehle. Hinsichtlich des Hilfsantrags werde eine Verletzung der §§ 14, 15 SGB I gerügt. Zur Begründung des auf Feststellung der Sicherstellung des Existenzminimums gerichteten Begehrens macht der Kläger geltend, das LSG habe zu Unrecht das Feststellungsinteresse verneint.
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Der Kläger beantragt, |
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1. |
unter Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Leipzig vom 9. September 2010 und des Urteils des Sächsischen Landessozialgerichts vom 7. Juli 2011 festzustellen, dass der Revisionskläger bei der Beantragung von Leistungen nach dem SGB II nicht nach § 60 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB I mitwirkungsverpflichtet sei, Prognosen oder Schätzungen zu seinen künftigen Einnahmen und Ausgaben aus selbstständiger Tätigkeit für einen Zeitraum von sechs Monaten im Voraus vorzunehmen, |
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hilfsweise, |
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den Revisionsbeklagten unter Aufhebung der genannten Urteile zu verurteilen, dem Revisionskläger Auskunft darüber zu geben, ihn dazu zu beraten, anhand welcher Maßstäbe und mit welchen Mitteln und Methoden er Einkommen und Ausgaben aus Anwaltstätigkeit gemäß Formular "EKS" für einen Zeitraum von sechs Monaten im Voraus sinnvoll prognostizieren könne, |
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2. |
unter Aufhebung der genannten Urteile festzustellen, dass der Revisionsbeklagte verpflichtet sei, bei der Berücksichtigung künftiger Einnahmen und Ausgaben im Rahmen vorläufiger Leistungsentscheidungen nach dem SGB II sicherzustellen, dass dem Revisionskläger aus vorläufig zuerkannten Leistungen und berücksichtigtem Einkommen Mittel in Höhe des sozio-kulturellen Existenzminimums, mithin Regelleistungen und Kosten der Unterkunft, in jedem Monat des Entscheidungszeitraums zur tatsächlichen Verfügung bleibe. |
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, dass vom Kläger nicht mehr gefordert werde, als von jedem anderen einkommenserzielenden Leistungsempfänger auch.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet (§ 170 Abs 1 S 1 SGG).
Hinsichtlich des zu 1. gestellten Antrags konnte der Kläger sein Begehren zwar zulässig im Wege der Feststellungsklage verfolgen, die Klage ist insoweit jedoch unbegründet. Ferner ist die mit dem Hilfsantrag verfolgte Leistungsklage hinsichtlich des Auskunftsanspruchs mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Unzulässig ist auch der Feststellungsantrag zu 2., weil es an dem erforderlichen Feststellungsinteresse fehlt.
1. a) Die Feststellungsklage (§ 55 SGG) mit dem Antrag, der Revisionskläger sei bei der Beantragung von Leistungen nach dem SGB II nicht nach § 60 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB I mitwirkungsverpflichtet, Prognosen oder Schätzungen zu seinen künftigen Einnahmen und Ausgaben aus selbstständiger Tätigkeit für einen Zeitraum von sechs Monaten im Voraus vorzunehmen, ist zulässig. Ihr steht hinsichtlich des fraglichen Feststellungsantrags insbesondere nicht der Grundsatz der Subsidiarität entgegen. Aus dem auch im sozialgerichtlichen Verfahren anwendbaren Grundsatz der Subsidiarität folgt die Nachrangigkeit der Feststellungsklage gegenüber der Leistungs- und Anfechtungsklage (BSG vom 30.10.1980 - 8a RU 96/79 - BSGE 50, 262, 263 = SozR 2200 § 28 Nr 4; BSG vom 20.5.1992 - 14a/6 RKa 29/89 - SozR 3-1500 § 55 Nr 12). Von diesem Grundsatz hat die Rechtsprechung allerdings im Einzelfall insbesondere aus Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit Ausnahmen zugelassen, wenn durch eine gegen eine Person des öffentlichen Rechts gerichtete Feststellungsklage ein Streit im Ganzen beseitigt werden kann. Die Verhältnisse des vorliegenden Falls rechtfertigen eine derartige Ausnahme. Zwar könnte der Kläger gegen einen wegen einer Verletzung seiner Mitwirkungsobliegenheiten nach § 66 SGB I erteilten Versagensbescheid des Beklagten im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage bzw der reinen Anfechtungsklage vorgehen (vgl zur Abgrenzung der Klagearten BSG vom 1.7.2009 - B 4 AS 78/08 R -, BSGE 104, 26, 29 = SozR 4-1200 § 66 Nr 5), jedoch ist eine Klärung des Umfangs seiner Mitwirkungsobliegenheit auf diesem Wege mit Rücksicht darauf, dass existenzsichernde Leistungen im Streit stehen, für den Kläger nicht zumutbar. Zudem ist bereits durch eine Entscheidung über das Feststellungsbegehren eine Klärung für zukünftige Bewilligungszeiträume zu erwarten.
b) Die Feststellungsklage ist jedoch unbegründet. Der Kläger ist im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 60 Abs 1 S 1 SGB I gehalten, Angaben über seine voraussichtlichen Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit für den Bewilligungszeitraum unter Verwendung des Vordrucks "EKS" in dem durch den Vordruck vorgesehenen Umfang zu machen.
aa) Nach § 60 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB I hat derjenige, der Sozialleistungen beantragt oder erhält, alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen. Die Mitwirkungsobliegenheiten des SGB I finden auch im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende Anwendung, soweit keine bereichsspezifischen Mitwirkungsobliegenheiten Anwendung finden (BSG vom 19.9.2008 - B 14 AS 45/07 R - BSGE 101, 260 = SozR 4-1200 § 60 Nr 2, RdNr 13).
Bei den dem Kläger abverlangten Angaben zu seinen Einkünften im Bewilligungszeitraum handelt es sich um Tatsachen im Sinne der Norm. Dies folgt aus dem Zweck der Regelung und ihrem systematischen Zusammenhang. Soweit demgegenüber in der Literatur die Auffassung vertreten wird, der Begriff der Tatsachen umfasse (nur) konkrete Umstände in der Vergangenheit und Gegenwart (Sichert in Hauck/Noftz, SGB I, § 60 Rz 27, Stand 12/10; zutreffend dagegen Jung in Eichenhofer/Wenner, SGB I/SGB IV/SGB X, 2012, § 60 SGB I Rz 19: … Vorgänge in der Vergangenheit und Zukunft …), wird dies dem dargelegten Konzept der Mitwirkungsobliegenheiten nicht gerecht. Vielmehr ist der Begriff der "Tatsachen" iS von § 60 Abs 1 S 1 SGB I bereichsspezifisch zu konkretisieren.
Der Zweck der in § 60 Abs 1 S 1 SGB I geregelten Obliegenheiten ist darauf gerichtet, dem Sozialleistungsträger Kenntnis von denjenigen Tatsachen zu vermitteln, welche die Grundlage für eine Entscheidung über die Bewilligung, Änderung, Entziehung oder Erstattung einer Sozialleistung bilden (Kampe in jurisPK-SGB I, 2. Aufl 2012, § 60 Rz 18; Sichert in Hauck/Noftz, SGB I, § 60 Rz 26, Stand 12/2010). Der Verpflichtung zur Angabe von entscheidungserheblichen Tatsachen kommt hierbei die Funktion zu, den Leistungsträger überhaupt erst in die Lage zu versetzen, seiner Amtsermittlungspflicht nach § 20 SGB X nachzukommen. Insoweit bildet die Erheblichkeit der Tatsachen für die Entscheidung über eine Leistungsgewährung sowohl die sachliche Rechtfertigung als auch die Begrenzung der genannten Mitwirkungsobliegenheiten. Erheblich sind Tatsachen, die die tatbestandlichen Voraussetzungen einer anspruchsbegründenden Norm erfüllen. Hierbei belässt die Norm die Verantwortlichkeit für die Feststellung der maßgebenden Tatsachen ungeachtet der Mitwirkungsobliegenheiten des Leistungsberechtigten - entgegen dem Vorbringen des Klägers - ohne jegliche Einschränkungen dem zuständigen Leistungsträger.
Zu den für die Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu klärenden Umständen gehört die Frage, ob dem Antragsteller im Bewilligungszeitraum (voraussichtlich) Einkommen zufließt, denn die Erzielung von Einkommen führt gegebenenfalls zum teilweisen oder vollständigen Wegfall der Anspruchsvoraussetzung der Hilfebedürftigkeit (§ 7 Abs 1 S 1 Nr 3 SGB II). Dabei ist Einkommen nach der Rechtsprechung beider für das Recht der Grundsicherung zuständigen Senate grundsätzlich alles, was jemand nach Antragstellung dazu erhält, und Vermögen, was er vor Antragstellung bereits hatte. Es ist vom tatsächlichen Zufluss auszugehen, es sei denn, rechtlich wird ein anderer Zufluss als maßgeblich bestimmt (BSG vom 22.3.2012 - B 4 AS 139/11 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 55 mwN). Da das BSG die Abgrenzung von Vermögen und Einkommen anhand des Zuflusses der jeweiligen Leistung vornimmt, müssen - modifiziert durch das sog Monatsprinzip - zur Berücksichtigung von Einkommen ab dem Zeitpunkt der Bewilligung zwangsläufig Umstände in die Prüfung einbezogen werden, die in der Zukunft liegen (Bayerisches LSG vom 30.7.2010 - L 7 AS 12/10 - veröffentlicht in juris). Insoweit gilt für andere Umstände - zB die Erwerbsfähigkeit des Leistungsberechtigten -, die im Bewilligungszeitraum einem Wandel unterliegen können, nichts anderes. Der Umstand, ob und in welchem Umfang dem Antragsteller während des Bewilligungszeitraums voraussichtlich Einkommen zufließen wird, ist bereits zum Zeitpunkt der Bewilligungsentscheidung entscheidungserheblich. Dies gilt auch für eine vorläufige Entscheidung über die Leistungsbewilligung nach § 40 Abs 1 S 2 Nr 1a SGB II iVm § 328 Abs 1 SGB III. Denn auch bei einer vorläufigen Entscheidung müssen Leistungen - ohne vorsorglichen Abschlag - regelmäßig in derjenigen Höhe gewährt werden, die bei Bestätigung der wahrscheinlich vorliegenden Voraussetzungen voraussichtlich auch endgültig zu leisten sein werden (BSG vom 6.4.2011 - B 4 AS 119/10 R -, BSGE 108, 86 = SozR 4-1500 § 54 Nr 21, RdNr 34). Es handelt sich bei den Angaben zur finanziellen Situation während des Bewilligungszeitraums folglich um Tatsachen, die für die Geltendmachung des Leistungsanspruchs erheblich sind.
Die Obliegenheit zur Angabe von Tatsachen nach Maßgabe des § 60 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB I wird systematisch durch diejenige in § 60 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB I ergänzt, wonach derjenige, der Sozialleistungen beantragt oder erhält, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen hat. Diese Obliegenheit dient in erster Linie dazu, die Grundlage für die Aufhebung von Verwaltungsakten mit Dauerwirkung durch den Sozialleistungsträger nach § 48 SGB X zu schaffen. Nach § 48 Abs 1 S 1 SGB X ist die Befugnis zur Aufhebung von Dauerverwaltungsakten ua bei einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse eröffnet. Bei der Anwendung dieser Norm umfasst die Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen jede Änderung des für die getroffene Regelung relevanten Sachverhalts (Merten in Hauck/Noftz, SGB X, § 48 RdNr 18, Stand 12/12). In diesem Zusammenhang ist in der Rechtsprechung des BSG zwar anerkannt, dass - soweit objektiv nur die Möglichkeit einer prospektiven Schätzung etwa der Einkommenssituation besteht - die Voraussetzungen für eine endgültige Bewilligung der Leistungen zu verneinen sind (BSG vom 21.6.2011 - B 4 AS 21/10 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 39, RdNr 16). Hieraus kann jedoch nicht im Umkehrschluss gefolgert werden, dass es sich bei den Angaben zu den voraussichtlichen Einnahmen nicht um die Mitteilung von Tatsachen handele. Folgerichtig bleibt Maßstab der Überprüfung von Aufhebungsentscheidungen bei einer endgültigen Leistungsbewilligung § 45 oder § 48 SGB X (BSG vom 21.6.2011, aaO). Unterlässt der zur Mitwirkung Verpflichtete schuldhaft eine entsprechende Mitteilung nach § 60 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB I, so berechtigt dies den Leistungsträger zur rückwirkenden Aufhebung der Bewilligung nach § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X.
Im Übrigen ergibt sich keine andere Beurteilung daraus, dass die Höhe der Einkünfte selbstständig Tätiger vielfach in größerem Umfang mit Unsicherheiten behaftet sind, als dies zB für Einnahmen aus Kapitalvermögen oder Einkünften aus abhängiger Beschäftigung angenommen werden kann. Insoweit ändert das Ausmaß der Unsicherheit nichts daran, dass der Antragsteller am ehesten zu verlässlichen Angaben über seine voraussichtlichen finanziellen Verhältnisse im Bewilligungszeitraum in der Lage sein wird und eine Verwaltungsentscheidung ohne seine Mitwirkung praktisch nicht vollziehbar ist.
bb) Schließlich stehen der hier in Frage stehenden Mitwirkungsobliegenheit nicht die in § 65 SGB I geregelten Grenzen der Mitwirkung entgegen. Insbesondere liegt keine Verletzung der in § 65 Abs 1 Nr 1 SGB I für die Mitwirkungsobliegenheiten niedergelegten spezifischen Maßgaben des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vor. Hiernach bestehen die Mitwirkungspflichten nach §§ 60 bis 64 SGB I nicht, soweit ihre Erfüllung nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der in Anspruch genommenen Sozialleistung oder ihrer Erstattung steht. Es handelt sich insoweit um eine Konkretisierung des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Im Rahmen dieser Regelung sind die Grenzen der Mitwirkung im Sinne einer Zweck-Mittel-Relation durch eine Abwägung von Art und Umfang der Sozialleistung einerseits und des für die Erfüllung der Mitwirkungspflicht erforderlichen Aufwands des Mitwirkungsverpflichteten andererseits zu konkretisieren (Joussen in KSW, 2. Aufl 2011, § 54 Rz 4; Kampe in jurisPK-SGB I, 2. Aufl 2011, § 60 Rz 14). In vergleichbarem Zusammenhang hat bereits der 14. Senat des BSG bei der Frage der Zumutbarkeit einer Mitwirkung des Leistungsberechtigten durch Vorlage von Kontoauszügen auf die Besonderheiten der SGB II-Leistungen hingewiesen, da es sich um Anforderungen im Rahmen eines steuerfinanzierten Fürsorgesystems handelt, das strikt an die Hilfebedürftigkeit der Leistungsempfänger als Anspruchsvoraussetzung anknüpft (BSG vom 19.9.2008 - B 14 AS 45/07 R - BSGE 101, 260 = SozR 4-1200 § 60 Nr 2, RdNr 13).
Ferner hält sich die hier in Frage stehende Mitwirkungshandlung innerhalb der durch die einschlägigen Regelungen gezogenen Grenzen. Die Berechnung des Einkommens aus selbstständiger Tätigkeit erfolgt nach Maßgabe des § 3 Alg II-V (idF der Sechsten Verordnung zur Änderung der Alg II-V vom 19.12.2011, BGBl I 2833). Hiernach sind Ausgangspunkt für die Berechnung die tatsächlich zufließenden Betriebseinnahmen, die nach Maßgabe des § 3 Abs 2 Alg II-V und des § 11b SGB II in Abkehr der bis 31.12.2007 geltenden steuerrechtlichen Betrachtung zu bereinigen sind (zur Berechnung s Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, § 13 Rz 190 ff, Stand XI/12). Hinsichtlich der berücksichtigungsfähigen Ausgaben sieht § 3 Abs 3 Alg II-V die Abzugsfähigkeit begrenzende zusätzliche Prüfungen vor. Die von selbstständig Tätigen in der Anlage EKS zu tätigenden Angaben entsprechen diesem komplexen normativen Prüfprogramm. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass angesichts des Ziels der ab 1.1.2008 für selbstständig Tätige geltenden Regelungen, höhere Einsparungen bei den passiven Leistungen zu erzielen, der hieraus erwachsende Aufwand diesen Personenkreis, der seinen Lebensunterhalt ergänzend durch eine steuerfinanzierte Sozialleistung sicherstellen will, unverhältnismäßig belasten würde.
2. Der Senat lässt dahinstehen, ob die Geltendmachung eines Beratungs- bzw Auskunftsanspruches nach § 14 SGB I (vgl zur Geltendmachung des Beratungsanspruchs Knecht in Hauck/Noftz, SGB I, § 14 RdNr 19, Stand 6/10; Mönch-Kalina, jurisPK-SGB I, 2. Aufl 2011, § 14 RdNr 40), den der Kläger hinsichtlich der Art und Weise der Ausfüllung der Anlage EKS gegen den Beklagten geltend macht, im Falle der Ablehnung einen anfechtbaren Verwaltungsakt darstellt (so zur Auskunft nach § 15 SGB I: BSG vom 12.11.1980 - 1 RA 45/79 - SozR 1200 § 14 Nr 9; zur Auskunft nach § 83 SGB X BSG vom 13.11.2012 - B 1 KR 13/12 R - SozR 4-1500 § 54 Nr 27), sodass nicht die reine Leistungsklage, sondern die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage die richtige Klageart wäre.
Unabhängig von der hier einschlägigen Klageart ist für die vom Kläger gegen den Beklagten erhobene Klage, die auf Auskunft hinsichtlich der Ausfüllung der dem Kläger in der Anlage EKS abverlangten Angaben gerichtet ist, jedenfalls ein Rechtsschutzbedürfnis nicht ersichtlich. Das Rechtsschutzbedürfnis ist Zulässigkeitsvoraussetzung einer jeden Klage. Es ist vom Rechtsmittelgericht in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, Vor § 51 RdNr 20); dadurch sollen zweckwidrige Prozesse verhindert und eine unnötige Inanspruchnahme des Rechtsschutzes durch staatliche Gerichte verhindert werden. Das gerichtliche Rechtsschutzinteresse ist grundsätzlich zu verneinen, wenn das angestrebte Ergebnis nicht auf einfachere Weise erreicht werden kann. Am Rechtsschutzverhältnis fehlt es, weil der Kläger vor der Klageerhebung nicht mit einem auf eine konkrete Fragestellung abzielenden Auskunftsbegehren an den Beklagten herangetreten ist. Eine derartige Konkretisierung ist im Übrigen auch bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht erfolgt. Eine vorherige Befassung des Beklagten mit einem konkreten Begehren ist auch nicht entbehrlich, denn es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Beklagte dem Kläger keine Hinweise zur Überwindung von konkreten Schwierigkeiten bei der Ausfüllung des Vordrucks geben würde.
3. Das im Wege der Feststellungsklage geltend gemachte Begehren, der Revisionsbeklagte sei verpflichtet, bei der Berücksichtigung künftiger Einnahmen und Ausgaben im Rahmen vorläufiger Leistungsentscheidungen nach dem SGB II sicherzustellen, dass dem Kläger aus vorläufig zuerkannten Leistungen und berücksichtigtem Einkommen Mittel in Höhe des soziokulturellen Existenzminimums, mithin Regelleistung und Kosten der Unterkunft, in jedem Monat des Entscheidungszeitraums zur tatsächlichen Verfügung bleibe, ist unzulässig. Hinsichtlich dieses Begehrens ist der Kläger auf die vorrangige kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zu verweisen.
Insoweit obliegt es zunächst wiederum dem Kläger, Änderungen gegenüber der bei Antragstellung getätigten Angaben gemäß § 60 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB I unverzüglich mitzuteilen. In der Folge steht ihm, soweit eine zeitnahe Umsetzung durch den Beklagten nicht erfolgt, die Möglichkeit offen, einstweiligen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen (zur reduzierten Ermessensbetätigung hinsichtlich der Höhe einer vorläufigen Leistung bei selbstständig Tätigen mit Rücksicht auf ihren existenzsichernden Charakter s BSG vom 6.4.2011 - B 4 AS 119/10 R - BSGE 108, 86 = SozR 4-1500 § 54 Nr 21, RdNr 34).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 3706415 |
BSGE 2014, 177 |
DB 2013, 20 |
DStR 2013, 13 |