Beteiligte

Klägerin und Revisionsklägerin

Beklagte und Revisionsbeklagte

1. … 2. … 3. …

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin für die beigeladenen Damen- und Herrenschneider Jacob B… (Beigeladener zu 1 = B.) und Cemistochis K… (Beigeladener zu 2 = K.) als Hausgewerbetreibende Beiträge zur Krankenversicherung zu entrichten hat, und zwar für B. für die Zeit von Dezember 1968 bis 31. Dezember 1970 und für K. für die Zeit vom 1. März 1970 bis 30. April 1971.

Die Klägerin betreibt ein Damenmodengeschäft. B. und K., die beide als Damen- und Herrenschneider beim Gewerbeamt München gemeldet sind, arbeiteten für die Klägerin. B. erzielte aus dieser Arbeit im Dezember 1968 1.676,08 DM,

1969 6.224,96 DM,

1970 5.918,08 DM.

K. erzielte

von März bis Dezember 1970 7.781,76 DM,

vom 1. Januar bis 30. April 1971 3.871,98 DM.

Aufgrund einer Betriebsprüfung bei der Klägerin forderte die Beklagte von der Klägerin für die Tätigkeit des B. und K. als Hausgewerbetreibende die nicht verjährten Beiträge zur Kranken- und Arbeitslosenversicherung, und zwar für B. von Dezember 1968 bis 31. Dezember 1970 mit zusammen 1.762,38 DM und für K. vom 31. März 1970 bis 30. April 1971 mit zusammen 1.433,40 DM (Bescheid vom 15. Juni 1971). Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 22. Oktober 1971). Das Sozialgericht (SG) München hob den Bescheid der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheids insoweit auf, als darin Beiträge zur Arbeitslosenversicherung für B. und K. gefordert wurden. Im übrigen wies es die Klage ab (Urteil vom 10. Januar 1973). Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG sowie die Anschlußberufung der beigeladenen Bundesanstalt für Arbeit (BA) zurückgewiesen. Es hat die Revision zugelassen (Urteil vom 7. November 1974).

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des § 162 der Reichsversicherungsordnung (RVO).

Die Klägerin beantragt,das Urteil des Bayerischen LSG vom 7. November 19749 soweit darin die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG München vom 10. Januar 1973 zurückgewiesen worden ist, und das Urteil des SG München, soweit darin, die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 15. Juni 1971 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Oktober 1971 abgewiesen worden ist; und den Bescheid der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheids in vollem Umfang aufzuheben,hilfsweise,den Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Die Beigeladenen B. und K. sind nicht vertreten.

Die beigeladene BA stellt keinen Antrag.

Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß das Gericht durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Klägerin ist begründet. Das angefochtene Urteil ist mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, soweit es die Krankenversicherungspflicht der Beigeladenen B. und K. betrifft. Der Rechtsstreit ist zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Das LSG hat es gebilligt, daß die Beklagte für die Beigeladenen B. und K. von der Klägerin als Arbeitgeberin die vollen Krankenversicherungsbeiträge - über die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung ist im Revisionsverfahren nicht mehr zu entscheiden - für die streitigen Zeiten nachgefordert hat. Dabei hat es B. und K. als Hausgewerbetreibende (§ 162 Abs. 1 RVO) und daher als versicherungspflichtig nach § 166 Abs. 1 Nr. 1 RVO angesehen. Hierfür hat es sich auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) berufen (BSGE 18, 70, 73 = SozR Nr. 1 zu § 162 RVO; SozR Nr. 1 zu § 1436 RVO a.F.). Danach kennzeichnen den Hausgewerbetreibenden zwei Merkmale, nämlich die persönliche Selbständigkeit und die wirtschaftliche Abhängigkeit. Als Hausgewerbetreibende i. S. der RVO gelten die selbständigen Gewerbetreibenden, die in eigenen Betriebsstätten im Auftrag und für Rechnung anderer Gewerbetreibender gewerbliche Erzeugnisse herstellen und bearbeiten. Die Hausgewerbetreibenden stehen zwischen den unselbständigen Arbeitnehmern und den für eigene Rechnung tätigen Gewerbetreibenden. Von den unselbständigen Arbeitnehmern unterscheiden sie sich durch persönliche Unabhängigkeit. Die persönliche Unabhängigkeit der Gewerbetreibenden äußert sich darin, daß sie über ihre Arbeitszeit, den Umfang und die Art der Arbeit sowie über die Heranziehung von Hilfskräften, insbesondere von Familienangehörigen, selbst frei bestimmen. Sie sind regelmäßig nicht gehindert, von verschiedenen Seiten Aufträge entgegenzunehmen (vgl. RVA AN 1940 II 245). Das andere Merkmal des Hausgewerbetreibenden, die wirtschaftliche Abhängigkeit, wird durch folgendes gekennzeichnet: Der Gewerbetreibende wird im Auftrag und für Rechnung eines anderen Gewerbetreibenden oder öffentlicher Verbände, öffentlicher Körperschaften oder gemeinnütziger Unternehmungen tätig (§ 162 Abs. 1, 2 RVO). Das geschäftliche Risiko eines Hausgewerbetreibenden trägt der Auftraggeber (§ 162 Abs. 5 RVO). Dieser erlangt den Unternehmergewinn (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. II, S. 312 q ff.; Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, 2. Aufl. 1976, § 162, Anm. 1; Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 162, Anm. 3; § 166, Anm. 2, S. 17/106-2-, 42. Nachtrag; Vorbemerkung § 416 VI 2 und 4, S. 17/2163 und 2166 f.; 24. Nachtrag).

Das LSG hat festgestellt, daß die Beigeladenen B. und K. in der streitigen Zeit in eigenen Betriebsstätten nur im Auftrag der Klägerin gearbeitet haben. Nach diesen Feststellungen hat B. in der Hauptsache für die Klägerin Modelle hergestellt. Dafür sind ihm die Zeichnungsunterlagen und das Material geliefert worden. K. hat unter den gleichen Voraussetzungen im Auftrag der Klägerin Mäntel hergestellt. Die Feststellung des LSG, daß B. und K. für Rechnung der Klägerin gearbeitet haben, hat es folgendermaßen begründet: Beide hätten nicht auf eigenen Vorrat gearbeitet, "sondern jedenfalls in der Hauptsache nur für die Klägerin", ferner hätten sie nach Fertigung die vereinbarten Vergütungen erhalten, und zwar "nach der für Hausgewerbetreibende üblichen Weise, wie die Klägerin in der Klageschrift vom 16. Dezember 1971 eingeräumt habe. Zusätzlich zu dem vereinbarten Stücklohn haben B. und K. nach den Feststellungen des LSG "Urlaubs- und Feiertagsgeld" erhalten. Das Geschäftsrisiko (Absatz) hat die Klägerin getragen, der auch der Unternehmergewinn zugefallen ist. Das LSG hat ferner ausgeführt, wie sich B. unmißverständlich eingelassen habe, seien B. und K. wirtschaftlich nicht unabhängig gewesen, weil ihr Einkommen im wesentlichen von den Aufträgen der Klägerin abgehangen haben. Das Berufungsgericht hat daraus gefolgert, B. und K. seien zwar persönlich unabhängig, wirtschaftlich aber von der Klägerin abhängig gewesen.

Dem LSG ist darin beizustimmen, daß B. und K. in den streitigen Zeiten von der Klägerin persönlich unabhängig waren. Indes reichen die Feststellungen des Berufungsgerichts zum zweiten Merkmal eines Hausgewerbetreibenden, nämlich zur wirtschaftlichen Abhängigkeit, nicht aus, um den vom LSG gezogenen Schluß, B. und K. seien Hausgewerbetreibende und daher in der Krankenversicherung versicherungspflichtig gewesen, bestätigen zu können. Um zu beurteilen, ob ein Gewerbetreibender wirtschaftlich von seinem Auftraggeber abhängig ist, kommt es auf alle Umstände des Falles an (vgl. RVA AN 1926, 495, 497 ff. = EuM 20, 6, 7 ff.; Peters, a.a.O., Vorbemerkung § 416 VI 4, S. 17/2166, 24. Nachtrag). Ob eine wirtschaftliche Abhängigkeit besteht, ist vornehmlich danach zu beurteilen, welcher Geschäftspartner das Geschäftsrisiko trägt und wem von ihnen der Unternehmergewinn zufließt. Nur wenn der Auftraggeber das Geschäftsrisiko trägt (§ 162 Abs. 5 RVO) und ihm der Unternehmergewinn zukommt, ist der herangezogene Gewerbetreibende Hausgewerbetreibender i. S. des § 162 RVO. Trägt jedoch der Gewerbetreibende das Geschäftsrisiko, ist er Selbständiger und nicht Hausgewerbetreibender. Entscheidend ist also darauf abzuheben, wer das Geschäftsrisiko trägt (vgl. BSGE 18, 70, 73). Von einem solchen Risiko ist zu sprechen, wenn eigene wirtschaftliche Mittel eingesetzt werden, um einen Gewinn zu erzielen, der Gewinn aber ungewiß ist (SozR Nr. 10 zu § 2 AVG, Bl. Aa 14, mit Nachweisen). Für die Feststellung der Risikoverteilung ist es unerheblich, ob der Gewerbetreibende nur für einen Auftraggeber oder für mehrere tätig wird. Die Bindung an einen Auftraggeber schließt von sich aus jedenfalls die wirtschaftliche Unabhängigkeit nicht aus.

Wegen der maßgeblichen Risikoverteilung unter den Geschäftspartnern sind zur Feststellung aller Einzelheiten der Geschäftsbeziehungen regelmäßig alle Personen zur Sachaufklärung heranzuziehen, die unmittelbar an den Geschäftsbeziehungen beteiligt waren. Das sind hier jedenfalls die Klägerin und die Beigeladenen B. und K.. Sind im Rahmen der Geschäftsbeziehung weitere Personen tätig geworden, so sind diese ebenfalls - als Zeugen - zu vernehmen. Daher durfte sich das LSG nicht darauf beschränken, auf die Aussagen der Beigeladenen B. und K. aus dem ersten Rechtszug zurückzugreifen, die Klägerin selbst aber nicht zu hören und auch nicht den beiden Beigeladenen gegenüberzustellen.

Bei den aufgrund der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung der Sache an das LSG (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG) erforderlichen neuen Feststellungen wird das Berufungsgericht bei der eingehenden Anhörung der Klägerin und der Beigeladenen B. und K. sein Augenmerk auch darauf zu richten haben, wie die jeweiligen Aufträge - für B. und K. getrennt - im einzelnen erteilt und abgewickelt wurden, nach welchen Gesichtspunkten und in welchem Umfang Material und Zeichnungen von der Klägerin den Beigeladenen B. und K. zur Verfügung gestellt, die fertigen Kleidungsstücke abgenommen und bezahlt wurden. Für die Beurteilung der Preisvereinbarungen kann es von Belang sein, ob sie sich an den damaligen ortsüblichen Stundenlöhnen im Schneiderhandwerk orientierten oder unabhängig hiervon festgelegt wurden. Das Berufungsgericht wird ferner dem Umstand Rechnung zu tragen haben, daß B. und K. zwar "Urlaubs- und Feiertagsgeld" erhalten haben, daß die Klägerin dies aber als einen Buchungsirrtum hingestellt hat, ohne daß dies das LSG beachtet hätte. Hierzu bedarf es näherer Feststellungen. Dazu dürfte sich außer der Anhörung der Klägerin die Vernehmung des Buchhalters als Zeugen und die Einsicht in die entsprechenden Buchungsvorgänge anbieten.

Bei der Abwägung aller Umstände des Falles wird das LSG die damalige Leistungsfähigkeit und Auslastung von B. und K. - B. war offenbar durch Krankheit behindert , ohne daß der Umfang der Behinderung festgestellt ist - mit zu berücksichtigen haben. Daß B. und K. zur Einkommen- und Gewerbesteuer veranlagt worden sind, wird bei der Gesamtwürdigung aller Umstände allenfalls als ein Anzeichen (Indiz) für eine wirtschaftlich unabhängige Tätigkeit herangezogen werden können (vgl. BSG SozR Nr. 6 zu § 165 RVO; Schmahl, SozVers 1959, 205). Ohne Belang ist es aber, ob B. und K. in die Handwerksrolle eingetragen und Mitglieder der Schneiderinnung gewesen sind (vgl., RVA AN 1937 IV 25, 26).

Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI518728

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