Leitsatz (amtlich)
Der Anspruch auf Gewährung von Leistungen der Familienkrankenhilfe ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Angehörige Asylbewerber ist.
Orientierungssatz
1. Für die Annahme des gewöhnlichen Aufenthalts sind die tatsächlichen Verhältnisse ausschlaggebend. Es ist auf einen Zustand abzustellen, der nach seinen objektiven Gegebenheiten auf ein länger dauerndes Verweilen schließen läßt (vergleiche BSG vom 1967-07-28 4 RJ 411/66 = BSGE 27, 88 ).
Beteiligte
Kläger und Revisionskläger |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I
Unter den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte dem Kläger die Familienhilfe gemäß § 205 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) zu gewähren hat.
Der 1962 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er beantragte am 16. Januar 1980 die Anerkennung als Asylberechtigter, seine 1981 in die Bundesrepublik Deutschland eingereiste Frau hat ebenfalls einen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte gestellt. Seit 19. Mai 1980 ist der Kläger als Maschinenführer bei der Firma N… tätig.
Mit Bescheid vom 18. November 1982 (Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 1983) stellte die Beklagte die Familienhilfe zum 1. September 1982 ein. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) führte sie aus, Asylbewerber hielten sich nur vorübergehend geduldet in der Bundesrepublik Deutschland auf, sie hätten daher keinen gewöhnlichen Aufenthalt. Durch zwischenstaatliche Regelung sei der gewöhnliche Aufenthalt im anderen Abkommensstaat dem gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland gleichgestellt, ein entsprechender Tatbestand liege jedoch nicht vor. Der Kläger und seine Ehefrau seien als Asylsuchende in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, daher habe es bisher aufgrund einer zwischenstaatlichen Regelung eine Gebietsgleichstellung nicht gegeben. Ein Familienhilfeanspruch während des vorübergehenden Aufenthalts bestehe für die Dauer des Asylverfahrens nicht.
Das Sozialgericht (SG) Augsburg hat die Klage abgewiesen und ausgeführt: Mit Inkrafttreten des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - (SGB I) am 1. Januar 1976 sei der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts einheitlich auch für die gesetzliche Krankenversicherung in § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I definiert, so daß die in nunmehr ständiger Rechtsprechung gefundene Auslegung dieses Begriffs durch das BSG auch für die Auslegung dieses Begriffs in § 205 RVO anzuwenden sei, auch wenn die bisher vorliegenden Entscheidungen zum Kindergeldgesetz (BKGG) ergangen seien. Das Aufenthaltsrecht der Asylbewerber habe nur vorübergehenden Charakter, da noch nicht feststehe, ob sie das Asylrecht zu Recht beanspruchten und nicht nach Beendigung des Asylverfahrens ausreisen müßten. Dieser nur vorläufige Status sei nunmehr auch durch die Aufenthaltsgestattung nach § 20 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) vom 16. Juli 1982 (BGBl. I 946) geregelt. Der Aufenthalt während des Asylverfahrens sei nicht mehr formal rechtswidrig, in der Sache habe sich an dem vorläufigen Status des Asylbewerbers aber nichts geändert; die zur bisherigen Rechtslage ergangene Rechtsprechung des BSG sei auch nach Einführung des AsylVfG anzuwenden. Der gewöhnliche Aufenthalt der Familienangehörigen im Geltungsbereich dieses Gesetzes im Sinne von § 205 RVO sei deshalb abzulehnen und die Familienkrankenhilfe sei entsprechend dem Gedanken des § 48 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB X) mit Wirkung für die Zukunft einzustellen. Da der Kläger Asylant, nicht aber türkischer Gastarbeiter sei, könne auch zwischenstaatliches Krankenversicherungsrecht keine Anwendung finden. Das Aufenthaltsgesetz/EWG sei für türkische Staatsangehörige derzeit noch nicht anzuwenden.
Gegen das Urteil hat der Kläger die zugelassene Sprungrevision eingelegt. Er rügt die fehlerhafte Auslegung und Anwendung des § 205 RVO, § 30 SGB I, § 48 SGB X und Art. 13 des deutsch-türkischen Sozialversicherungsabkommens. Er ist der Auffassung, die Begriffe "sich gewöhnlich aufhalten" und "gewöhnlicher Aufenthalt" seien historisch und sprachlich nicht identisch. Auch systematisch müßten die ähnlich klingenden Begriffe in § 30 SGB I und § 205 RVO auseinandergehalten werden, denn § 30 SGB I sei Ausdruck des Territorialitätsprinzips, während § 205 RVO an personalen Merkmalen anknüpfe. Auch sei das deutsch-türkische Sozialversicherungsabkommen fehlerhaft angewendet worden, denn dort sei keine Unterscheidung getroffen worden zwischen türkischen Staatsangehörigen, die in der Bundesrepublik als Gastarbeiter und solchen die als Asylbewerber hier lebten. Die Bezugnahme auf § 48 Abs. 2 SGB X sei schon deswegen fehlerhaft, weil es sich bei der Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht um eine solche zugunsten des Klägers handele.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 1. Juni 1983 und die Bescheide der Beklagten vom 18. November 1982 und 19. Januar 1983 aufzuheben und festzustellen, daß der Kläger auch über den 31. August 1982 hinaus Anspruch auf Familienhilfe gemäß § 205 RVO für seine Ehefrau G… und die am 10. April 1983 geborene Tochter D… hat; hilfsweise, das Urteil des Sozialgerichts und die Bescheide der Beklagten aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger unter der Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts einen neuen Bescheid zu erteilen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die Revision ist zulässig und im Sinn der Zurückverweisung der Sache an das SG zu neuer Verhandlung und Entscheidung begründet.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist nicht schon wegen Fehlens der Voraussetzungen des § 48 SGB X rechtswidrig. Nach dieser Vorschrift können Verwaltungsakte mit Dauerwirkung aufgehoben werden. Im angefochtenen Bescheid vom 18. November 1982 wird aber kein Verwaltungsakt aufgehoben. Das SG hat den Erlaß eines vorangegangenen Verwaltungsakts, der aufgehoben werden müßte, nicht festgestellt, und der Kläger hat auch selbst nicht behauptet, daß ein solcher Verwaltungsakt ergangen wäre. Zu beachten ist dabei auch, daß der Kläger sich nur auf einen vorangegangenen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung berufen könnte, der also das Bestehen des Familienhilfeanspruchs über den 1. September 1982 hinaus festgestellt haben müßte.
Die Beklagte hat mit dem angefochtenen Bescheid festgestellt, daß dem Kläger für die Zeit ab 1. September 1982 kein Familienhilfeanspruch für seine asylsuchenden Angehörigen zustehe. Ob dieser Bescheid rechtmäßig ist, kann der Senat anhand der Feststellungen des SG nicht entscheiden.
Gemäß § 205 Abs. 1 RVO setzt der Anspruch auf Familienkrankenhilfe voraus, daß sich die Angehörigen gewöhnlich im Geltungsbereich dieses Gesetzes aufhalten. Die Beklagte und das SG haben zu Unrecht den Familienkrankenhilfeanspruch des Klägers mit der Begründung abgelehnt, Asylbewerber hielten sich nicht gewöhnlich im Geltungsbereich der RVO auf. Da aber alle weiteren für die Entscheidung über den Anspruch notwendigen Feststellungen fehlen, muß die Sache an das SG zurückverwiesen werden.
Nach der Definition in § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort nicht nur vorübergehend verweilt. Diese Definition hat am Begriff des § 205 RVO "sich gewöhnlich aufhalten" in seiner herkömmlichen Auslegung nichts geändert. Zur Gewährung von Leistungen der Familienkrankenpflege waren die Krankenkassen bereits nach dem Gesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter vom 15. Juni 1883 (RGBl. S. 73) ermächtigt. Als Pflichtleistung regelte das Gesetz über Wochenhilfe und Wochenpflege vom 26. September 1919 (RGBl. S. 1757) die Wochenhilfe für versicherungsfreie Ehefrauen, Töchter, Stief- und Pflegetöchter der Versicherten, die mit diesen in häuslicher Gemeinschaft leben. Der Voraussetzung der häuslichen Gemeinschaft wurde aber alsbald diejenige des gewöhnlichen Aufenthalts im Inland hinzugefügt; nach § 205a RVO i.d.F. des Gesetzes betreffend Änderung des Gesetzes über Wochenhilfe und Wochenpflege vom 30. April 1920 (RGBl. S. 853) war die Wochenhilfe nur zu gewähren für Ehefrauen sowie solche Töchter, Stief- und Pflegetöchter der Versicherten, welche mit diesen in häuslicher Gemeinschaft leben, wenn sie u.a. ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben. Die Notverordnung vom 26. Juli 1930 (RGBl. I 311, 323) führte die Familienkrankenhilfe allgemein als Regelleistung ein für unterhaltsberechtigte Ehegatten und Kinder, die sich gewöhnlich im Inland aufhalten. In der Satzung konnte die Familienkrankenpflege auf sonstige Angehörige erstreckt werden, die mit dem Versicherten in häuslicher Gemeinschaft leben, von ihm ganz oder überwiegend unterhalten werden und sich im Inland aufhalten. Das Moment der Dauer des Aufenthalts war aber auch für diese Angehörigen erheblich. Nach der Begründung zum Gesetz vom 30. April 1920 durfte nämlich die häusliche Gemeinschaft nicht nur vorübergehend sein (Hoffmann Krankenversicherung 8. Aufl. 1929 § 205a Anm. 5). Die Bestimmungen über die Regel- und über die Kann-Leistung gelten hinsichtlich dieser Voraussetzungen bis heute fort (§ 205 Abs. 1 und Abs. 3 RVO). Lediglich wurde durch das Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz vom 27. Juni 1979 (BGBl. I 1069) der Begriff Inland durch "im Geltungsbereich dieses Gesetzes" ersetzt.
Für die Annahme des gewöhnlichen Aufenthalts sind die tatsächlichen Verhältnisse ausschlaggebend. Es ist auf einen Zustand abzustellen, der nach seinen objektiven Gegebenheiten auf ein länger dauerndes Verweilen schließen läßt (BSGE 27, 88 = SozR Nr. 5 § 1319 RVO; Peters, Handbuch der Krankenversicherung Teil I 1 § 30 SGB I Anm. 11; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung S. 79t f.). Dafür ist eine voraussichtliche Beurteilung erforderlich, so daß die Motive und der Verweilwille des Aufenthaltnehmers ein wichtiges Erkenntnismittel sein können (BSGE 26, 277 = SozR Nr. 4 zu § 1319 RVO; vgl. auch Peters a.a.O.; Burdenski/von Maydell/Schellhorn, Gesamtkommentar, SGB AT 2. Aufl. Anm. 40 zu § 30 S. 241). Die Feststellung, daß sich jemand während einer längeren Dauer regelmäßig an einem Ort oder in einem bestimmten Gebiet befindet, wird aber im allgemeinen zur Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts genügen (BSGE 27, 88 = SozR Nr. 5 zu § 1319 RVO; vgl. auch Hauck/Haines/Freischmidt, SGB 1 § 30 Rz. 8 - Stand Mai 1981 -).
Die Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts im Geltungsbereich der RVO durch die Ehefrau des Klägers und seine Tochter waren nicht nach der Rechtslage ausgeschlossen. Dem gewöhnlichen Aufenthalt steht nicht entgegen, daß sich die Ehefrau hier als Asylbewerberin aufhält.
Da nur Deutsche im Bundesgebiet Freizügigkeit genießen (Art. 11 Abs. 1 Grundgesetz), bedürfen allerdings Ausländer (§ 1 Abs. 2 Ausländergesetz - AuslG), die in den Geltungsbereich des AuslG einreisen und sich darin aufhalten wollen, einer Aufenthaltserlaubnis (§ 2 Abs. 1 S. 1 AuslG) oder einer gleichwertigen Rechtsposition, wenn sie nicht - was gesetzlich im einzelnen geregelt ist - vom Erfordernis der Erlaubnis befreit sind. Für die Personengruppe der Asylbewerber hat das AsylVfG eine Klärung des aufenthaltsrechtlichen Status gebracht. Mit Urteil vom 19. Mai 1981 hatte das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) die Ausländerbehörden verpflichtet, den Asylbewerbern den rechtmäßigen Aufenthalt für die Dauer des Asylverfahrens zu verschaffen (BVerwGE 62, 206, 213), ohne daß sich das BVerwG mit der Frage des gewöhnlichen, des vorübergehenden oder des schlichten Aufenthalts beschäftigt hätte. Nunmehr ist gemäß § 19 Abs. 1, § 20 Abs. 1 AsylVfG Ausländern, die einen Asylantrag gestellt haben, der Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes beschränkt auf den Bezirk der Ausländerbehörde gestattet. Die Beschränkung der Aufenthaltsgestattung nach § 19 Abs. 1, § 20 AsylVfG steht einer Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts der Ehefrau des Klägers und seiner Tochter in der Bundesrepublik nicht entgegen. Allerdings ist dem Asylbewerber nach § 19 Abs. 1 AsylVfG der Aufenthalt nur zur Durchführung des Asylverfahrens gestattet. Wird der Antrag abgelehnt, so fordert die Ausländerbehörde den Ausländer unverzüglich zur Ausreise auf, setzt ihm eine Ausreisefrist und droht ihm für den Fall, daß er nicht fristgemäß ausreist, die Abschiebung an (§ 28 Abs. 1 AsylVfG). Die Klage dagegen hat aufschiebende Wirkung (§ 30 AsylVfG). Wenn aber der ablehnende Bescheid bindend wird, muß der Ausländer mit seiner Abschiebung rechnen.
Im Hinblick auf die heute übliche Dauer der Asylverfahren erscheint es aber trotz der noch ungewissen Rechtslage des Asylbewerbers regelmäßig ausgeschlossen, seinen Aufenthalt als nur vorübergehend anzusehen. Es mag dem gewöhnlichen Aufenthalt entgegenstehen, wenn der Ausländer sich nach den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen nur auf eine kurze Verweildauer einrichten kann. Eine erst nach mehreren Jahren zu befürchtende Möglichkeit, daß der Aufenthalt enden muß, macht das Verweilen aber nicht zu einem vorübergehenden. Dem würde auch der Zweck der Familienkrankenhilfe entgegenstehen. Der Versicherte erhält mit dem Eintritt in das Beschäftigungsverhältnis den Schutz vor Belastungen, die ihm aus Krankheiten seiner Angehörigen erwachsen. Dabei handelt es sich um aktuelle Ereignisse. Die Versicherung wirkt sofort, und der Schutz vor dem Risiko der Krankheit eines Angehörigen kann ebenfalls nicht von lange dauernden Gegebenheiten abhängen. Bei welcher kürzeren voraussichtlichen Dauer ein vorübergehender Aufenthalt anzunehmen wäre, braucht der Senat im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden.
Mit diesem Urteil weicht der Senat nicht von der Rechtsprechung des für Kindergeldsachen zuständigen 8. bzw. 10. Senats des BSG ab. Dieser hat zwar die Aufenthaltsgestattung nach dem inzwischen durch § 39 des AsylVfG aufgehobenen § 40 des AuslG vom 28. April 1965 (BGBl. I 353), zuletzt geändert durch Gesetz vom 25. Juli 1978 (BGBl. I 1108), als nur vorübergehenden Rechtszustand angesehen, der dem Ausländer nicht die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts erlaubt (BSGE 49, 254, 257). In seiner späteren Entscheidung (BSGE 53, 294) hat der Senat aber das Schwergewicht auf die Besonderheiten des Kindergeldrechts gelegt. Er hat nicht seine Entscheidung auf die Definition in § 30 Abs. 3 SGB I gestützt, sondern ausgesprochen, der nur für die zeitlich ungewisse Dauer des Asylverfahrens rechtlich gesicherte Aufenthalt sei kein gewöhnlicher Aufenthalt i.S. des § 1 Nr. 1 des BKGG.
Das SG brauchte nach seiner Rechtsauffassung über die Tatsache hinaus, daß die Ehefrau des Klägers Asylbewerberin ist, zu den die Ehefrau und die Tochter betreffenden Voraussetzungen des § 205 RVO keine Feststellungen zu treffen. Es wird dies nachzuholen und auch über die Kosten des Revisionsverfahrens mit zu entscheiden haben.3 RK 27/83
Bundessozialgericht
Verkündet am
28. Juni 1984
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig und im Sinn der Zurückverweisung der Sache an das SG zu neuer Verhandlung und Entscheidung begründet.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist nicht schon wegen Fehlens der Voraussetzungen des § 48 SGB X rechtswidrig. Nach dieser Vorschrift können Verwaltungsakte Verwaltungsakt aufgehoben. Das SG hat den Erlaß eines vorangegangenen Verwaltungsakts, der aufgehoben werden müßte, nicht festgestellt, und der Kläger hat auch selbst nicht behauptet, daß ein solcher Verwaltungsakt ergangen wäre. Zu beachten ist dabei auch, daß der Kläger sich nur auf einen vorangegangenen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung berufen könnte, der also das Bestehen des Familienhilfeanspruchs über den 1. September 1982 hinaus festgestellt haben müßte.
Die Beklagte hat mit dem angefochtenen Bescheid festgestellt, daß dem Kläger für die Zeit ab 1. September 1982 kein Familienhilfeanspruch für seine asylsuchenden Angehörigen zustehe. Ob dieser Bescheid rechtmäßig ist, kann der Senat anhand der Feststellungen des SG nicht entscheiden.
Gemäß § 205 Abs 1 RVO setzt der Anspruch auf Familienkrankenhilfe voraus, daß sich die Angehörigen gewöhnlich im Geltungsbereich dieses Gesetzes aufhalten. Die Beklagte und das SG haben zu Unrecht den Familienkrankenhilfeanspruch des Klägers mit der Begründung abgelehnt, Asylbewerber hielten sich nicht gewöhnlich im Geltungsbereich der RVO auf. Da aber alle weiteren für die Entscheidung über den Anspruch notwendigen Feststellungen fehlen, muß die Sache an das SG zurückverwiesen werden.
Nach der Definition in § 30 Abs 3 Satz 2 SGB I hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort nicht nur vorübergehend verweilt. Diese Definition hat am Begriff des § 205 RVO "sich gewöhnlich aufhalten" in seiner herkömmlichen Auslegung nichts geändert. Zur Gewährung von Leistungen der Familienkrankenpflege waren die Krankenkassen bereits nach dem Gesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter vom 15. Juni 1883 (RGBl S 73) ermächtigt. Als Pflichtleistung regelte das Gesetz über Wochenhilfe und Wochenpflege vom 26. September 1919 (RGBl S 1757) die Wochenhilfe für versicherungsfreie Ehefrauen, Töchter, Stief- und Pflegetöchter der Versicherten, die mit diesen in häuslicher Gemeinschaft leben. Der Voraussetzung der häuslichen Gemeinschaft wurde aber alsbald diejenige des gewöhnlichen Aufenthalts im Inland hinzugefügt; nach § 205a RVO idF des Gesetzes betreffend Änderung des Gesetzes über Wochenhilfe und Wochenpflege vom 30. April 1920 (RGBl S 853) war die Wochenhilfe nur zu gewähren für Ehefrauen sowie solche Töchter, Stief- und Pflegetöchter der Versicherten, welche mit diesen in häuslicher Gemeinschaft leben, wenn sie ua ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben. Die Notverordnung vom 26. Juli 1930 (RGBl I 311, 323) führte die Familienkrankenhilfe allgemein als Regelleistung ein für unterhaltsberechtigte Ehegatten und Kinder, die sich gewöhnlich im Inland aufhalten. In der Satzung konnte die Familienkrankenpflege auf sonstige Angehörige erstreckt werden, die mit dem Versicherten in häuslicher Gemeinschaft leben, von ihm ganz oder überwiegend unterhalten werden und sich im Inland aufhalten. Das Moment der Dauer des Aufenthalts war aber auch für diese Angehörigen erheblich. Nach der Begründung zum Gesetz vom 30. April 1920 durfte nämlich die häusliche Gemeinschaft nicht nur vorübergehend sein (Hoffmann Krankenversicherung 8. Aufl 1929 § 205a Anm 5). Die Bestimmungen über die Regel- und über die Kann-Leistung gelten hinsichtlich dieser Voraussetzungen bis heute fort ( § 205 Abs 1 und Abs 3 RVO ). Lediglich wurde durch das Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz vom 27. Juni 1979 (BGBl I 1069) der Begriff Inland durch "im Geltungsbereich dieses Gesetzes" ersetzt.
Für die Annahme des gewöhnlichen Aufenthalts sind die tatsächlichen Verhältnisse ausschlaggebend. Es ist auf einen Zustand abzustellen, der nach seinen objektiven Gegebenheiten auf ein länger dauerndes Verweilen schließen läßt ( BSGE 27, 88 = SozR Nr 5 § 1319 RVO ; Peters, Handbuch der Krankenversicherung Teil I 1 § 30 SGB I Anm 11; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung S 79t f). Dafür ist eine voraussichtliche Beurteilung erforderlich, so daß die Motive und der Verweilwille des Aufenthaltnehmers ein wichtiges Erkenntnismittel sein können ( BSGE 26, 277 = SozR Nr 4 zu § 1319 RVO; vgl auch Peters aaO; Burdenski/von Maydell/Schellhorn, Gesamtkommentar, SGB AT 2. Aufl Anm 40 zu § 30 S 241). Die Feststellung, daß sich jemand während einer längeren Dauer regelmäßig an einem Ort oder in einem bestimmten Gebiet befindet, wird aber im allgemeinen zur Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts genügen ( BSGE 27, 88 = SozR Nr 5 zu § 1319 RVO; vgl auch Hauck/Haines/Freischmidt, SGB I § 30 Rz 8 - Stand Mai 1981 -).
Die Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts im Geltungsbereich der RVO durch die Ehefrau des Klägers und seine Tochter waren nicht nach der Rechtslage ausgeschlossen. Dem gewöhnlichen Aufenthalt steht nicht entgegen, daß sich die Ehefrau hier als Asylbewerberin aufhält.
Da nur Deutsche im Bundesgebiet Freizügigkeit genießen ( Art 11 Abs 1 Grundgesetz ), bedürfen allerdings Ausländer ( § 1 Abs 2 Ausländergesetz -AuslG), die in den Geltungsbereich des AuslG einreisen und sich darin aufhalten wollen, einer Aufenthaltserlaubnis ( § 2 Abs 1 S 1 AuslG ) oder einer gleichwertigen Rechtsposition, wenn sie nicht - was gesetzlich im einzelnen geregelt ist - vom Erfordernis der Erlaubnis befreit sind. Für die Personengruppe der Asylbewerber hat das AsylVfG eine Klärung des aufenthaltsrechtlichen Status gebracht. Mit Urteil vom 19. Mai 1981 hatte das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) die Ausländerbehörden verpflichtet, den Asylbewerbern den rechtmäßigen Aufenthalt für die Dauer des Asylverfahrens zu verschaffen ( BVerwGE 62, 206, 213 ), ohne daß sich das BVerwG mit der Frage des gewöhnlichen, des vorübergehenden oder des schlichten Aufenthalts beschäftigt hätte. Nunmehr ist gemäß § 19 Abs 1, § 20 Abs 1 AsylVfG Ausländern, die einen Asylantrag gestellt haben, der Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes beschränkt auf den Bezirk der Ausländerbehörde gestattet. Die Beschränkung der Aufenthaltsgestattung nach § 19 Abs 1, § 20 AsylVfG steht einer Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts der Ehefrau des Klägers und seiner Tochter in der Bundesrepublik nicht entgegen. Allerdings ist dem Asylbewerber nach § 19 Abs 1 AsylVfG der Aufenthalt nur zur Durchführung des Asylverfahrens gestattet. Wird der Antrag abgelehnt, so fordert die Ausländerbehörde den Ausländer unverzüglich zur Ausreise auf, setzt ihm eine Ausreisefrist und droht ihm für den Fall, daß er nicht fristgemäß ausreist, die Abschiebung an ( § 28 Abs 1 AsylVfG ). Die Klage dagegen hat aufschiebende Wirkung ( § 30 AsylVfG ). Wenn aber der ablehnende Bescheid bindend wird, muß der Ausländer mit seiner Abschiebung rechnen.
Im Hinblick auf die heute übliche Dauer der Asylverfahren erscheint es aber trotz der noch ungewissen Rechtslage des Asylbewerbers regelmäßig ausgeschlossen, seinen Aufenthalt als nur vorübergehend anzusehen. Es mag dem gewöhnlichen Aufenthalt entgegenstehen, wenn der Ausländer sich nach den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen nur auf eine kurze Verweildauer einrichten kann. Eine erst nach mehreren Jahren zu befürchtende Möglichkeit, daß der Aufenthalt enden muß, macht das Verweilen aber nicht zu einem vorübergehenden. Dem würde auch der Zweck der Familienkrankenhilfe entgegenstehen. Der Versicherte erhält mit dem Eintritt in das Beschäftigungsverhältnis den Schutz vor Belastungen, die ihm aus Krankheiten seiner Angehörigen erwachsen. Dabei handelt es sich um aktuelle Ereignisse. Die Versicherung wirkt sofort, und der Schutz vor dem Risiko der Krankheit eines Angehörigen kann ebenfalls nicht von lange dauernden Gegebenheiten abhängen. Bei welcher kürzeren voraussichtlichen Dauer ein vorübergehender Aufenthalt anzunehmen wäre, braucht der Senat im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden.
Mit diesem Urteil weicht der Senat nicht von der Rechtsprechung des für Kindergeldsachen zuständigen 8. bzw 10. Senats des BSG ab. Dieser hat zwar die Aufenthaltsgestattung nach dem inzwischen durch § 39 des AsylVfG aufgehobenen § 40 des AuslG vom 28. April 1965 (BGBl I 353), zuletzt geändert durch Gesetz vom 25. Juli 1978 (BGBl I 1108), als nur vorübergehenden Rechtszustand angesehen, der dem Ausländer nicht die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts erlaubt ( BSGE 49, 254, 257 ). In seiner späteren Entscheidung ( BSGE 53, 294 ) hat der Senat aber das Schwergewicht auf die Besonderheiten des Kindergeldrechts gelegt. Er hat nicht seine Entscheidung auf die Definition in § 30 Abs 3 SGB I gestützt, sondern ausgesprochen, der nur für die zeitlich ungewisse Dauer des Asylverfahrens rechtlich gesicherte Aufenthalt sei kein gewöhnlicher Aufenthalt iS des § 1 Nr 1 des BKGG .
Das SG brauchte nach seiner Rechtsauffassung über die Tatsache hinaus, daß die Ehefrau des Klägers Asylbewerberin ist, zu den die Ehefrau und die Tochter betreffenden Voraussetzungen des § 205 RVO keine Feststellungen zu treffen. Es wird dies nachzuholen und auch über die Kosten des Revisionsverfahrens mit zu entscheiden haben.
Fundstellen