Entscheidungsstichwort (Thema)
Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 8 Abs. 2 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG)
Beteiligte
Klägerinnen und Revisionsbeklagte |
Beklagte und Revisionsklägerin |
1. … . 2. … . 3. … . 4. … . 5. … |
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten darum, ob die Beigeladenen nach § 8 Abs. 2 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) von der Versicherungspflicht zu befreien sind.
Der Beigeladene zu 1) ist Staatsangehöriger des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland. Er war vom 28. November 1974 bis zum 16. Juli 1975 Funkoffizier auf dem unter bundesdeutscher Flagge fahrenden Seeschiff "F. H. ". Die Klägerin zu 1), eine zyprische Gesellschaft, hatte ihn und andere Seeleute aufgrund eines sogenannten "Crew Hiring Contract" der Klägerin zu 2) zur Verfügung gestellt. Die Seeleute sollten während ihrer Überlassung an die Klägerin zu 2) Arbeitnehmer der Klägerin zu 1) bleiben; die Klägerin zu 2) verpflichtete sich, der Klägerin zu 1) einen monatlichen Pauschalbetrag als "Miete" zu zahlen; es sollte zyprisches Recht gelten.
Mit Fernschreiben vom 26. Juni 1975 beantragte die Klägerin zu 1) die Befreiung einiger Seeleute, darunter des Beigeladenen zu 1), von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Die Klägerin zu 2) schaltete sich in das Verfahren ein und unterstützte das Begehren der Klägerin zu 1). Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 8. September 1975 ab. Den Widerspruch leitete sie im Einverständnis der Klägerinnen als Klage an das Sozialgericht (SG) Hamburg weiter.
Das SG hat die Seeleute beigeladen. Die Beklagte hat hinsichtlich eines Seemannes, der seinen Wohnsitz in Spanien hatte, den Klageanspruch anerkannt, die Klägerinnen haben das Teilanerkenntnis angenommen. Im übrigen hat das SG die Klage mit dem Antrag, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides zur Befreiung zu verurteilen, durch Urteil vom 18. Juli 1978 abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerinnen hat das Landessozialgericht (LSG) Hamburg durch Urteil vom 14. Januar 1981 das Urteil und den angefochtenen Bescheid geändert sowie die Beklagte verurteilt, die Beigeladenen ab 26. Juni 1975 von der Versicherungspflicht zu befreien. Im übrigen (für die Zeit vor dem 26. Juni 1975) hat es die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Eine Befreiung komme erst ab Stellung des Antrags am 26. Juni 1975 in Betracht. Von da an habe sie jedoch zu erfolgen. Als Arbeitgeberin der Seeleute gelte zwar die Klägerin zu 2), da die von ihr mit der Klägerin zu 1) vereinbarte Arbeitnehmerüberlassung unwirksam sei. Die wegen der Staatsangehörigkeit der Seeleute in Betracht kommenden EWG-Vorschriften verböten aber lediglich eine Schlechterstellung der ausländischen Seeleute. Sie könnten hier keine besonderen Wirkungen mehr entfalten, weil Ausländer bereits aufgrund des im Recht der Bundesrepublik geltenden Territorialitätsprinzips der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung unterworfen seien. Da somit das Recht der Europäischen Gemeinschaften keine sachliche Änderung hinsichtlich ausländischer Seeleute auf deutschen Schiffen gebracht habe, könne es der Anwendung von § 8 Abs. 2 AVG nicht entgegenstehen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die - vom LSG zugelassene - Revision der Beklagten. Während des Revisionsverfahrens haben die Klägerinnen und die Beklagte hinsichtlich der Beigeladenen zu 2) bis 5) einen Teilvergleich unter Widerrufsvorbehalt geschlossen.
Im übrigen (in bezug auf den Beigeladenen zu 1) rügt die Beklagte eine Verletzung von § 8 Abs. 2 AVG i.V.m. Art 3 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der Sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 149/2 vom 5. Juli 1971) - im folgenden: EWG-VO Nr. 1408/71 - durch das angefochtene Urteil. Entgegen der Auffassung des LSG ergebe sich aus den EWG-Vorschriften, daß der Beigeladene zu 1) rentenversicherungsrechtlich in jeder Hinsicht wie ein deutscher Funkoffizier zu behandeln und ebensowenig wie dieser von der Versicherungspflicht zu befreien sei.
Die Beklagte beantragt,
|
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 14. Januar 1981 insoweit aufzuheben, als sie verurteilt worden ist, den Beigeladenen zu 1) ab 26. Juni 1975 von der Versicherungspflicht zu befreien, und die Berufung der Klägerinnen gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 18. Juli 1978 in vollem Umfang zurückzuweisen. |
|
Die Klägerinnen beantragen,
|
die Revision zurückzuweisen. |
|
Das LSG habe § 8 Abs. 21 AVG und die EWG-Vorschriften zutreffend angewandt. Die darin enthaltene Regelung über die Gleichbehandlung von Angehörigen der Mitgliedsstaaten habe den Zweck, ausländischen Arbeitnehmern die gleichen Rechte zu übertragen wie Deutschen; sie wolle den Ausländern zusätzliche Rechte geben. Hingegen hätten nicht Rechte wie das der Befreiung nach § 8 Abs. 2 AVG, das für sie ohne die Gleichstellungsvorschrift bestünde, beschnitten werden sollen. Außerdem brauchten nach Art 48 Abs. 1 EWG-VO Nr. 1408/71 Zeiträume von weniger als einem Jahr, um die es hier gehe, in der deutschen Rentenversicherung nicht berücksichtigt zu werden. Der Auffassung der Beklagten stehe auch § 5 Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV) entgegen, wonach im Ausland - hier bei der Klägerin zu 1) - beschäftigte Arbeitnehmer in der ausländischen Sozialversicherung verblieben, auch wenn sie für einen begrenzten Zeitraum in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt seien.
Der Beigeladene zu 1) ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Entgegen der Auffassung des LSG ist die Beklagte nicht verpflichtet, eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung vorzunehmen.
Über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides vom 8. September 1975 ist im Revisionsverfahren nur noch insoweit zu befinden, als die Befreiung für die Zeit vom 26. Juni 1975 an abgelehnt worden ist. Hinsichtlich der Zeit davor ist der Bescheid hingegen schon in der Sache bindend (§ 77 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), weil die Klägerinnen insofern in den Vorinstanzen erfolglos geblieben sind und sie das Urteil des LSG nicht mit der Revision angefochten haben. Der Senat hat die demnach allein noch offene Frage der Befreiung ab dem 26. Juni 1975 durch Teilurteil (§ 202 SGG i.V.m. § 301 Zivilprozeßordnung -ZPO-) nur für den Beigeladenen zu 1) entschieden, der noch bis zum 16. Juli 1975 auf dem Schiff tätig war. Soweit im Revisionsverfahren für die Zeit vom 26. Juni 1975 an auch um die Befreiung weiterer Beigeladener gestritten wurde, haben die Klägerinnen und die Beklagte einen Teilvergleich unter Widerrufsvorbehalt geschlossen.
Der angefochtene Bescheid ist nicht deswegen rechtswidrig oder gar nichtig, weil er von der unzuständigen Stelle erlassen worden wäre. Die Klägerinnen haben vor, dem LSG zwar behauptet, er stamme von der See-Berufsgenossenschaft (BG) und nicht, wie vorgeschrieben (§ 8 Abs. 2 Satz 2 AVG), von der Seekasse. Das trifft jedoch nicht zu. Der Bescheid läßt die Seekasse als den Versicherungsträger erkennen, der ihn tatsächlich erlassen hat. Daß daneben auch die See-BG erwähnt worden ist, macht den Bescheid allein nicht zu einem Verwaltungsakt auch dieses Versicherungsträgers.
Die Beklagte hat es in dem angefochtenen Bescheid zu Recht abgelehnt, den Beigeladenen zu 1) zu befreien. Nach § 8 Abs. 2 Satz 1 AVG (§ 1231 Abs. 2 Satz 1 Reichsversicherungsordnung -RVO-) sind auf Antrag des Reeders von der Versicherungspflicht zu befreien ausländische und staatenlose Besatzungsmitglieder deutscher Seefahrzeuge, die keinen Wohnsitz im Inland haben, soweit nicht zwischenstaatliche Sozialversicherungsabkommen oder internationale Übereinkommen auf dem Gebiet der Sozialversicherung entgegenstehen. Diese Voraussetzungen für eine Befreiung liegen für den Beigeladenen zu 1) nicht vor.
Für die Beschäftigung des Beigeladenen zu 1) auf dem Schiff "F. H. ", das die Bundesflagge führte, gelten die Vorschriften der gesetzlichen Rentenversicherung der Bundesrepublik. Zyprisches Recht kann trotz der Vereinbarungen, die die Klägerinnen insofern getroffen haben, nicht angewendet werden. Denn die Vorschriften der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung über die Versicherungspflicht und eine Befreiung davon sind für die im Inland ausgeübten Beschäftigungen zwingend. Das gilt auch hinsichtlich der dazu bestehenden Grundsätze über das anzuwendende Recht; sie stehen ebenfalls nicht zur Disposition der Beteiligten. Zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Zypern besteht auch kein Sozialversicherungsabkommen, das die Anwendung zyprischen Rechts vorsieht.
Die Anwendbarkeit des deutschen Rechts bestimmt sich grundsätzlich nach dem sogenannten Territorialitätsprinzip. Mit dessen Bedeutung, Begründung und der Kritik daran hat sich das Bundessozialgericht (BSG) wiederholt eingehend befaßt (BSGE -GS- 33, 280, 282 - 286; BSGE 43, 255, 257 - 260). Gemeint ist damit, daß sich die Versicherungspflicht und auch eine Befreiung davon grundsätzlich danach richtet, ob die Beschäftigung auf dem Territorium der Bundesrepublik ausgeübt wird. Dazu gehören die unter der Bundesflagge fahrenden Schiffe als "schwimmender Gebietsteil des Heimatlandes" (BSGE 36, 276, 278 für Laskaren auf Schiffen unter der Bundesflagge). Die Geltung dieses Grundsatzes kommt auch darin zum Ausdruck, daß nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AVG in der Angestelltenversicherung der Bundesrepublik alle Personen versichert werden, die (hier) als Angestellte i.S. des § 3 AVG beschäftigt sind und zu denen nach § 3 Abs. 1 Nr. 7 AVG der Beigeladene zu 1) als Funkoffizier eines deutschen Seefahrzeugs gehörte. Auf die Staatsangehörigkeit, den Sitz oder Wohnsitz sowie den gewöhnlichen Aufenthalt von Arbeitgeber und Arbeitnehmer hebt das Gesetz demgegenüber nicht ab (vgl. BSGE -GS- 33, 280, 285 und BSGE 44, 1141 117). Eine Bestätigung dafür, daß selbst ausländische Besatzungsmitglieder deutscher Seefahrzeuge, die nicht einmal einen Wohnsitz im Inland haben, grundsätzlich der Versicherungspflicht in der deutschen Rentenversicherung unterliegen, ist daneben in § 8 Abs. 2 Satz 1 AVG (§ 1231 Abs. 2 Satz 1 RVO) selbst zu finden. Diese Vorschrift ist nur verständlich, wenn das Gesetz von der Versicherungspflicht des genannten Personenkreises ausgeht. Denn anderenfalls wäre die darin vorgesehene Befreiung weder notwendig noch möglich.
Die Auffassung der Klägerinnen, eine Einstrahlung habe deutsches Recht zugunsten des zyprischen verdrängt, ist unzutreffend. Das BSG hat zur Ausstrahlung bereits entschieden, es stehe dem Gesetzgeber frei, den Geltungsbereich seiner Normen nach territorialen und personalen Gesichtspunkten abzugrenzen; es müsse jeweils anhand des Zwecks der spezifischen Vorschrift, die zur Anwendung gelangen solle, geprüft werden, wovon der Gesetzgeber gerade hier ausgegangen sei (BSGE 43, 255, 260). Nach diesen Maßstäben ist entsprechend zu untersuchen, inwieweit sich deutsches Recht gegenüber einer möglichen Einstrahlung fremden Rechts behauptet.
Im deutschen Sozialversicherungsrecht und damit auch in der Rentenversicherung der Angestellten ist die Einstrahlung erst in jüngster Zeit (ab 1. Juli 1977) in § 5 SGB IV allgemein geregelt und in gewissem Umfang anerkannt. Vorher fanden sich nur vereinzelt Vorschriften von einschlägigem Inhalt, die der Einstrahlung fremden Rechts zudem vielfach nur wenig Raum gaben. Das trifft insbesondere für die gesetzliche Rentenversicherung zwischen 1957 und 1977 zu. Lange Zeit hindurch wurde dem Einstrahlungsgedanken in der Rentenversicherung - wie auch in der Krankenversicherung lediglich im Rahmen von Vorschriften über die Versicherungsfreiheit vorübergehender, später auch geringfügiger Beschäftigungen entsprochen. In diesem Zusammenhang gab es auch Bestimmungen, die fremde Staatsangehörige auf deutschen Schiffen betrafen oder sie wenigstens miterfaßten. So waren, als das Gesetz, betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung vom 22. Juni 1889 (RGBl. S 97) galt, nach I. A. 3 der Bekanntmachung, betreffend die Durchführung der Invaliditäts- und Altersversicherung vom 24. Dezember 1891 (RGBl. S 399) vorübergehende Dienstleistungen auf Seeschiffen im Ausland, die von nicht zur Schiffsbesatzung gehörenden Personen verrichtet wurden, als eine die Versicherungspflicht begründende Beschäftigung nicht anzusehen. Gemäß Buchst d der Bekanntmachung, betreffend die Befreiung vorübergehender Dienstleistungen von der Invaliditäts- und Altersversicherung vom 24. Januar 1893 (RGBl S. 5), geändert durch die Bekanntmachung vom 31. Dezember 1894 (RGBl S. 543), galten als Beschäftigung nicht Dienstleistungen von "Indern, Japanern, Chinesen, Malayen, Zanzibariten, Negern und anderen farbigen Seeleuten auf deutschen Seeschiffen bei der Küstenschiffahrt in asiatischen, australischen, ost- oder westafrikanischen Gewässern, sowie in dem Verkehr zwischen asiatischen, australischen, ost- und westafrikanischen Häfen oder zwischen diesen und europäischen Häfen, in letzterem Verkehr jedoch nur, wenn es sich um den Dienst in den Kohlen- und Kesselräumen der Dampfschiffe handelt und wenn bei der Anmusterung im Auslande zugleich die Rückfahrt ausbedungen ist". Das gleiche bestimmte nach Erlaß des Invalidenversicherungsgesetzes (IVG) vom 13. Juli 1899 in der Bekanntmachung vom 19. Juli 1899 (RGBl S. 4063) Abs. 1 Nr. 9 der Bekanntmachung vom 27. Dezember 1899 (RGBl S. 725). In der Angestelltenversicherung waren nach § 1 Nr. 7 der Verordnung vom 9. Februar 1923 (RGBl I S. 109) vorübergehende Dienstleistungen von nicht zur Schiffsbesatzung gehörenden Personen auf deutschen Seeschiffen im Ausland versicherungsfrei (zu § 1 Nr. 5 dieser VO vgl. BSGE 42, 88, 89). Durch Art 25 Abs. 4 Nr. 1 der Ersten Verordnung zur Vereinfachung des Leistungs- und Beitragsrechts -VereinfVO- vom 17. März 1945 (RGBl I S. 41; zum Inkrafttreten und zum Geltungsbereich vgl. BSGE 3, 161) wurden u.a. die Bekanntmachung vom 27. Dezember 1899 und die Verordnung vom 9. Februar 1923 mit dem 1. Juni 1945 außer Kraft gesetzt. An ihre Stelle trat eine Verweisung auf die krankenversicherungsrechtliche Regelung des § 168 RVO (§ 1228 Abs. 2 i.d.F. des Art 3 Abs. 3 VereinfVO; § 1 Abs. 6 AVG i.d.F. des Art 6 VereinfVO, wonach wiederum § 1228 RVO entsprechend galt). Nach der Neufassung, die § 168 Abs. 5 RVO durch Art 1 Abs. 1 VereinfVO erhielt, blieben gewisse Dienstleistungen auf Schiffen versicherungsfrei. Es handelte sich einmal um solche des Personals ausländischer Schiffe im deutschen Binnenschiffahrtsverkehr (Nr. 1) und um Dienstleistungen, die von nicht zur Schiffsbesatzung gehörenden Personen auf deutschen See- oder Binnenschiffen im Ausland ausgeführt wurden (Nr. 2). Gleiches galt u.a. für Dienstleistungen, die von Bediensteten ausländischer Betriebe im Ausland geleistet wurden, soweit diese Betriebe mit einzelnen Betriebshandlungen vorübergehend in das Inland übergriffen (Nr. 4). Bei der Rentenreform 1957 wurde die einheitliche Regelung der Versicherungspflicht in der Kranken- und Rentenversicherung bewußt wieder aufgegeben (Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, BT-Drucks. II/2437, S. 63 zu § 1227; Schriftlicher Bericht des Bundestags-Ausschusses für Sozialpolitik, zu BT-Drucks. II/3080, S. 1 unter, I. A. 1.). Eine dem § 168 Abs. 5 RVO in der Krankenversicherung entsprechende Vorschrift gab es in der Rentenversicherung nicht (vgl. § 4 AVG, § 1228 RVO). Der hier anzuwendende Abs. 2 des § 8 AVG (Abs. 2 des § 1231 RVO) war im Regierungsentwurf noch nicht enthalten. Er wurde auf Antrag des Ausschusses für Sozialpolitik des Bundestages eingefügt, "um eine Befreiungsmöglichkeit für diejenigen ausländischen oder staatenlosen Besatzungsmitglieder deutscher, Schiffe zu schaffen, die in außerdeutschen Häfen an und von Bord gehen" (Schriftlicher Bericht zu BT-Drucks II/3080, S. 4 zu § 1231 Abs. 2). Nach dem Gesetzeswortlaut wurde dieses Ziel indes nur verwirklicht, soweit die betreffenden Personen keinen Wohnsitz im Inland hatten und nicht zwischenstaatliche Sozialversicherungsabkommen oder internationale Übereinkommen entgegenstanden.
Nach dieser auch 1975 noch bestehenden Rechtslage und ihrer historischen Entwicklung waren britische Seeleute, die zur Besatzung deutscher Seeschiffe gehörten, außer allenfalls aufgrund von zwischenstaatlichen Verträgen oder überstaatlichem Recht, zu keiner Zeit allein wegen der Einstrahlung von der deutschen Rentenversicherung ausgenommen. Diese kannte, wie dargelegt, seit 1957 selbst eine dem § 168 Abs. 5 RVO in der Krankenversicherung entsprechende, auch dort nur in engen Grenzen zugelassene Einstrahlung nicht mehr. Gleichwohl ist damals aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung und der einheitlichen Behandlung der betroffenen Personen erwogen worden, § 168 Abs. 5 RVO auch in der Rentenversicherung heranzuziehen (Klapdor/Rogowski/Bott, Amtl Mitteilungen der LVA Rheinprovinz 1977 S. 147). Diese Auffassung begegnet aber Bedenken, weil der Gesetzgeber die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung im Jahre 1957 bewußt von der Regelung in der Krankenversicherung abgekoppelt und keine dem § 168 Abs. 5 RVO vergleichbaren Einstrahlungstatbestände als Ausnahmen von der Versicherungspflicht mehr zugelassen hat (ablehnend daher die Spitzenverbände der Krankenkassen, DOK 1966, 253, 255; offen gelassen von LSG Nordrhein-Westfalen, Breithaupt 1970, 987, 989). Wollte man einer Analogie für die Rentenversicherung gleichwohl nähertreten, so wären die Voraussetzungen von § 168 Abs. 5 Nrn. 1, 2 und 4 RVO a.F. nicht erfüllt. Nr. 1 bezog sich nur auf ausländische Schiffe, Nr. 2 griffe nicht ein, weil der Beigeladene zu 1) als Funkoffizier zur Schiffsbesatzung gehörte (vgl. §§ 3, 4 Seemannsgesetz). Ob neben § 168 Abs. 5 Nrn. 1, 2 RVO a.F., der für Schiffe klare Kriterien enthielt und hierfür als spezielle und abschließende Regelung in Betracht kam, zusätzlich noch § 168 Abs. 5 Nr. 4 RVO a.F. anwendbar war, kann offenbleiben. Denn jedenfalls erfaßte diese Vorschrift ("Dienstleistungen, die von Bediensteten ausländischer Betriebe im Ausland geleistet werden, soweit diese Betriebe mit einzelnen Betriebshandlungen vorübergehend in das Inland übergreifen") die Beschäftigung des Beigeladenen zu 1) keinesfalls mehr, der von der Klägerin zu 1) der Klägerin zu 2) zur eigenen Verfügung überlassen wurde und siebeneinhalb Monate auf dem deutschen Schiff beschäftigt war (zur Auslegung von § 168 Abs. 5 Nr. 4 RVO a.F. vgl. auch Spitzenverbände der Krankenkassen a.a.O. und Erlaß des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 3, Dezember 1970, BB 1971 S. 178). Auch in der Unfallversicherung hat das BSG früher eine Einstrahlung nur bei ganz kurzen Tätigkeiten der bei einem ausländischen Unternehmer beschäftigten ausländischen Arbeitnehmer, in der Bundesrepublik bejaht (BSGE 43, 65, 67).
Schließlich kann daraus, daß die Ausstrahlung schon vor dem 1. Juli 1977 kraft Gesetzes (vgl. für die Angestelltenversicherung § 2 Abs. 1 Nrn. 2, 10 AVG, § 3 Abs. 2 a.F. AVG) an mehreren Stellen geregelt war und sie von der Rechtsprechung gelegentlich eher großzügig bejaht (vgl. BSGE 17, 173; 20, 69; 33, 280; 35, 70; 39, 241; 40, 57), aber nur verhältnismäßig zurückhaltend verneint wurde (vgl. BSGE 7, 257; 22, 31; 32, 174; 39, 239; 43, 255), nicht hergeleitet werden, bei der Einstrahlung müsse Entsprechendes gelten. Abgesehen davon, daß dieses über die dargelegte gesetzliche Regelung hinausginge, wurde eine Ausstrahlung vielfach angenommen, um den im Vergleich zu manchen anderen Staaten stärker ausgeprägten Schutz durch die deutsche Sozialversicherung zu begründen oder zu erhalten. Diese Erwägung spricht für die Vergangenheit nicht für, sondern gegen eine weitgehende Parallele zwischen Ausstrahlung und Einstrahlung, weil eine zurückhaltende Anwendung der Einstrahlung ausländischen Arbeitnehmern leichter zum oft weitergehenden Schutz durch die deutsche Sozialversicherung verhalf und sie deutschen Arbeitnehmern gleichstellte. Dieses war insbesondere geboten, wenn etwa einstrahlendes Recht selbst keinen Schutz geboten hätte (vgl. von Petkewitsch, Grundstrukturen der arbeits-, sozial- und steuerrechtlichen Stellung deutscher Seeleute auf Schiffen unter der Flagge der Republik Zypern, 1979, S. 92, wonach die Pflichtversicherung in der Republik Zypern an den ständigen Wohnsitz dort geknüpft ist). Die Rechtsinstitute der Ausstrahlung und Einstrahlung sind erst durch das am 1. Juli 1977 in Kraft getretene SGB IV einander im wesentlichen entsprechend geregelt worden. Für die Einstrahlung bedeutete das gegenüber dem bisherigen Rechtszustand eine erweiterte und verallgemeinerte Anerkennung. Die gesetzliche Regelung des § 5 SGB IV brachte nicht lediglich zum Ausdruck, was schon vorher rechtens war. Sie kann daher nicht rückwirkend auf das Jahr 1975 angewandt werden. Ob anders zu entscheiden wäre, wenn der Beigeladene zu 1) nach dem 30. Juni 1977 auf dem Schiff beschäftigt gewesen wäre, kann demnach offen bleiben.
Auch im Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zum Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland ist deutsches Recht anzuwenden und dabei der Beigeladene zu 1) einem deutschen Staatsangehörigen gleichgestellt. Dieses folgt aus zwischen- und überstaatlichem Recht.
Die Bundesrepublik hat mit dem Vereinigten Königreich das Abkommen über Soziale Sicherheit vom 20. April 1960 (BGBl. 1961 II S. 242) - im folgenden: Abkommen - geschlossen. Es bestimmte in Art 8 Abs. 1 u.a., daß auf eine Person, die sich gewöhnlich im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei aufhielt und an Bord eines Schiffes der anderen Vertragspartei beschäftigt war, die Rechtsvorschriften der zweiten Vertragspartei Anwendung fanden, als ob alle Voraussetzungen hinsichtlich der Staatsangehörigkeit oder des Aufenthalts erfüllt wären. Diese Regelung, die hier zum deutschen Recht geführt hätte, war zwar im Jahre 1975 nicht mehr anzuwenden. Deutsches Recht galt aber weiterhin. Das ergibt sich aus folgendem: Durch Beschluß des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 22. Januar 1972 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - im folgenden: ABl - Nr. L 73 vom 27. März 1972 S. 4) wurde dem Antrag des Vereinigten Königreichs auf Aufnahme in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft entsprochen. Nach Art 29 der Akte über die Beitrittsbedingungen und die Anpassungen der Verträge (a.a.O. S. 14, 20) waren die in der Liste des Anhangs I aufgeführten Rechtsakte Gegenstand der in diesem Anhang festgelegten Anpassungen. Der Anhang I (a.a.O. S. 47) enthielt eine Liste zu Art 29 der Beitrittsakte. Darin war unter "IX Sozialpolitik" Nr. 1 (a.a.O. S. 100) die EWG-VO Nr. 1408/71 aufgeführt; sie wurde gleichzeitig zum Teil neu gefaßt. Auch der Anhang II Teil A, der die Bestimmungen aus Abkommen über soziale Sicherheit enthielt, die nach Art 7 Abs. 2 Buchst c EWG-VO Nr. 1408/71 unbeschadet des Art 6 EWG-VO Nr. 1408/71 weiterhin galten, bekam eine neue Fassung (ABl Nr. L 73 vom 27. März 1972, S. 107). Darin war unter "Deutschland - Vereinigtes Königreich" der erwähnte Art 8 Abs. 1 des Abkommens nicht aufgeführt, wobei es bis heute geblieben ist (Anhang III Teil A zu der Neufassung der EWG-VO Nr. 1408/71, ABl vom 22. August 1983, S. 8, 54, 57). Deshalb war nunmehr die Frage, welches Recht im Verhältnis Deutschland - Vereinigtes Königreich anzuwenden war, nicht mehr nach Art 8 Abs. 1 des Abkommens, sondern nach Art 13 bis 17 EWG-VO Nr. 1408/71 zu beantworten. Gemäß Art 13 Abs. 1 Satz 1 EWG-VO Nr. 1408/71 unterliegt ein Arbeitnehmer, für den die EWG-VO Nr. 1408/71 gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Staates. Der Beigeladene zu 1) fiel außer in den sachlichen (Art 4 Abs. 1 Buchst b, c EWG-VO Nr. 1408/71) auch in den persönlichen Geltungsbereich der EWG-VO Nr. 1408/71, weil für ihn die Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaates - das nicht durch zyprisches Recht verdrängte Recht der Bundesrepublik - galten und er Staatsangehöriger eines Mitgliedsstaates (des Vereinigten Königreichs) war. Die Rechtsvorschriften welches Mitgliedsstaates galten, bestimmte sich nach Art 13 Abs. 2 bis Art 17 EWG-VO Nr. 1408/71 (Art 13 Abs. 1 Satz 2 EWG-VO Nr. 1408/71). Für den Beigeladenen zu 1) galt hiernach das Recht der Bundesrepublik. Denn er war als Arbeitnehmer an Bord eines Schiffes beschäftigt, das unter der Flagge der Bundesrepublik fuhr (Art 13 Abs. 2 Buchst b EWG-VO Nr. 1408/71). Eine der Ausnahmen der folgenden Artikel greift nicht ein.
Die Gleichstellung des Beigeladenen zu 1) mit einem deutschen Staatsangehörigen im Rahmen des § 8 Abs. 2 Satz 1 AVG (§ 1231 Abs. 1 Satz 1 RVO) ist in Art 3 Abs. 1 des Abkommens vorgesehen, der im Jahre 1975 (wieder) galt. Diese Bestimmung zählte zwar in dem Anhang II Teil A der EWG-VO Nr. 1408/71, wie er nach dem Beitritt des Vereinigten Königreichs und anderer Staaten im Jahre 1972 neu gefaßt wurde (ABl Nr. L 73 vom 27. März 1972 S. 107, 108), nicht zu den weitergeltenden Regelungen aus Abkommen. Damit galt auch im Verhältnis der Bundesrepublik zum Vereinigten Königreich zunächst die Gleichbehandlung nach Art 3 Abs. 1 EWG-VO Nr. 1408/71. Durch Art 1 Nr. 2 der EWG-VO Nr. 1392/74 vom 4. Juni 1974 (ABl Nr. L 152/1 vom 8. Juni 1974) zur Änderung der EWG-VO Nr. 1408/71 wurde Art 3 Abs. 1 des Abkommens jedoch durch eine Neufassung des Anhangs II Teil A "Deutschland - Vereinigtes Königreich" Buchst a ab Inkrafttreten (Art 3) der Änderungsverordnung am 8. Juni 1974 in den Kreis der Bestimmungen aufgenommen, die nach Art 7 Abs. 2 Buchst c EWG-VO Nr. 1408/71 ungeachtet des Art 6 EWG-VO Nr. 1408/71 bis heute anwendbar blieben. Da der Beigeladene zu 1) nach Art 3 Abs. 1 des Abkommens als Staatsangehöriger einer Vertragspartei (des Vereinigten Königreichs) die Rechte und Pflichten nach den Rechtsvorschriften der anderen Vertragspartei (Bundesrepublik Deutschland) wie ein Staatsangehöriger der letzteren (der Bundesrepublik) hatte, ergibt sich, daß er ebensowenig von der Versicherungspflicht befreit werden konnte wie ein deutscher Staatsangehöriger. Die Unanwendbarkeit des § 8 Abs. 2 AVG brauchte entgegen der Auffassung der Klägerinnen daneben im Abkommen nicht noch ausdrücklich bestimmt zu werden. Das Ergebnis wird auch dem Sinn und Zweck des § 8 Abs. 2 AVG (§ 1231 Abs. 2 RVO) gerecht. Er liegt darin, für solche Seeleute eine Befreiung zu ermöglichen, die als ausländische Staatsangehörige im Inland keinen Wohnsitz haben, im Ausland an und von Bord gehen, daher selten oder nie in die Bundesrepublik kommen und bei denen die Versicherungspflicht in der Bundesrepublik zwecklos ist Wantz/Zweng, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, 1957, S. 41), weil die Eigenart der Beschäftigung es mit sich bringt, daß schon Wartezeiten für Leistungsansprüche kaum erfüllt werden können und auch unwahrscheinlich ist, daß sich dieser Personenkreis jemals auf die Dauer im Inland niederlassen wird. Dieses trifft nicht mehr in demselben Maße zu, wenn ein zwischenstaatliches Abkommen besteht, das die Gleichstellung des ausländischen Staatsangehörigen mit einem Inländer vorsieht. - Art 48 Abs. 1 EWG-VO Nr. 1408/71, auf den sich der Kläger beruft, betrifft das Leistungsrecht und ist, hier nicht einschlägig.
Auf die Ausführungen der Beteiligten und des LSG zur Gleichbehandlung nach Art 3 Abs. 1 EWG-VO Nr. 1408/71 kommt es danach nicht mehr an. Angesichts der dargestellten Rechtslage braucht auch auf die weiteren, möglicherweise zusätzliche Ermittlungen erfordernden Fragen nicht mehr eingegangen zu werden, ob der Antrag auf Befreiung von dem allein dazu berechtigten Reeder gestellt worden und ob das rechtzeitig geschehen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie bezieht sich im Teilurteil nur auf das Verhältnis zwischen den Klägerinnen, der Beklagten und dem Beigeladenen zu 1), dem keine Kostenerstattung zusteht, weil er sich am Verfahren nicht beteiligt hat.
Fundstellen
Haufe-Index 518867 |
BSGE, 96 |