Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung - Versorgungsbezüge - Beitragspflicht nach Umstellung von Anspruch auf laufende Rente auf Kapitalleistung aus Versicherungsvertrag - Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (redaktionell)
Ist ein Versicherungsvertrag, der ursprünglich auf die Zahlung einer laufenden Rente gerichtet war, vor Eintritt des Versicherungsfalles dahin geändert worden, daß eine Kapitalleistung erbracht wird, so ist diese nach ihrer Auszahlung nicht beitragspflichtig.
Orientierungssatz
Es verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 GG Abs 1, daß Kapitalleistungen aus Versicherungsverträgen nur eingeschränkt der Beitragspflicht unterliegen (vgl BSG vom 18.12.1984 - 12 RK 36/84 = BSGE 58, 10 = SozR 2200 § 180 Nr 25 und BSG vom 15.12.1994 - 12 RK 57/92 = SozR 3-2500 § 229 Nr 4.
Normenkette
SGB V § 237 S. 2 Fassung 1988-12-20, § 229 Abs. 1 S. 1 Nr. 5, § 226 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 Fassung, § 229 Abs. 1 S. 3 Fassung 1988-12-20, § 237 S. 1 Nr. 2 Fassung 1988-12-20
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 14.09.1993; Aktenzeichen L 6 (11) Kr 53/92) |
SG Köln (Entscheidung vom 03.11.1992; Aktenzeichen S 9 Kr 176/91) |
Tatbestand
Streitig ist, ob von der Kapitalleistung aus einer Lebensversicherung Beiträge zur Krankenversicherung zu entrichten sind.
Die Arbeitgeberin des Klägers hatte im Jahre 1973 für bestimmte Arbeitnehmer, darunter den Kläger, einen Gruppenversicherungsvertrag mit der Volksfürsorge Deutsche Lebensversicherung AG (im folgenden: Volksfürsorge) abgeschlossen. Versicherungsnehmerin war die Arbeitgeberin. Nach dem Inhalt des Vertrages waren die Beiträge für die Versicherung zu zwei Dritteln von der Arbeitgeberin und zu einem Drittel von den versicherten Arbeitnehmern aufzubringen. Als Leistungen aus der Versicherung waren Alters- und Berufsunfähigkeitsrenten sowie Hinterbliebenenrenten vorgesehen. § 6 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) sah vor, daß Versicherungsnehmer dem Versicherer spätestens drei Jahre vor dem im Versicherungsschein angegebenen Beginn der Altersrente erklären konnten, daß statt der Rente ein zu deren vorgesehenem Beginn fälliges Kapital in geschäftsplanmäßiger Höhe gezahlt wird, falls der Versicherte dann lebt. Der Kläger beantragte gemeinsam mit seiner Arbeitgeberin Ende 1983 die Kapitalleistung. Die Volksfürsorge zahlte dem Kläger Ende Dezember 1990 einen Betrag von 118.909,00 DM aus. Die beklagte Krankenkasse, deren versicherungspflichtiges Mitglied der Kläger aufgrund des Bezuges von Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung seit dem 1. Oktober 1990 ist, forderte für die Zeit ab 1. Januar 1991 Beiträge auf diese Kapitalleistung. Dabei verteilte sie die Kapitalleistung auf 120 Monate und errechnete unter Anwendung des halben Beitragssatzes einen Monatsbeitrag von 60,94 DM (Bescheide vom 24. Januar 1991 und 19. Juni 1991, Widerspruchsbescheid vom 1. Oktober 1991).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 3. November 1992). Die Berufung des Klägers hatte beim Landessozialgericht (LSG) keinen Erfolg (Urteil vom 14. September 1993). Die Bezüge unterlägen nach § 237 Satz 1 Nr 2, Satz 2 iVm § 229 Abs 1 Satz 1 Nr 5 des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) der Beitragspflicht. Zu Renten der betrieblichen Altersversorgung iS der letztgenannten Vorschrift gehörten auch Bezüge aus privaten Versicherungsverträgen, die der Arbeitgeber im Wege der Direktversicherung mit einem Lebensversicherungsunternehmen zugunsten seiner Arbeitnehmer abgeschlossen habe. Dabei sei es gleichgültig, ob der Arbeitnehmer die hierzu erforderlichen Versicherungsbeiträge ganz oder teilweise selbst getragen habe. Unerheblich sei auch, daß der Kläger keine laufende Rente beziehe, sondern eine Kapitalabfindung erhalten habe. Diese sei nach § 229 Abs 1 Satz 3 SGB V beitragspflichtig, weil sie an die Stelle der ursprünglichen und in erster Linie vereinbarten Rentenzahlung getreten sei.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers. Er rügt eine Verletzung des § 229 Abs 1 Satz 3 SGB V. Diese Vorschrift setze voraus, daß der Empfänger bereits laufende Versorgungsbezüge erhalten oder hierauf zumindest einen fälligen Anspruch gehabt habe und an die Stelle der Versorgungsbezüge eine Kapitalabfindung getreten sei. Dies sei hier nicht geschehen. Es habe vom Beginn des Versicherungsvertrages an eine Option auf die Abfindung bestanden.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 14. September
1993, das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 3. November 1992 sowie die
Bescheide der Beklagten vom 24. Januar 1991 und 19. Juni 1991 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Oktober 1991 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Urteile für zutreffend, die der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) entsprächen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Die Urteile der Vorinstanzen und die angefochtenen Bescheide sind aufzuheben. Die Bescheide sind rechtswidrig.
Die Kapitalleistung, die der Kläger von der Volksfürsorge erhalten hat, ist nicht beitragspflichtig. Sie gehört nicht zu den Einnahmen, die nach § 237 SGB V bei versicherungspflichtigen Rentnern der Beitragsbemessung zugrunde zu legen sind. Sie ist keine der Rente vergleichbare Einnahme (§ 237 Satz 1 Nr 2 SGB V) iS des nach § 237 Satz 2 SGB V entsprechend geltenden § 229 SGB V. In § 229 Abs 1 Satz 1 SGB V werden die wiederkehrenden Leistungen aufgeführt, die als der Rente vergleichbare Einnahmen (Versorgungsbezüge) gelten. § 229 Abs 1 Satz 3 SGB V sieht ergänzend dazu vor, daß dann, wenn an die Stelle der in Satz 1 genannten Versorgungsbezüge eine nicht regelmäßig wiederkehrende Leistung tritt, ein Einhundertzwanzigstel der Leistung als monatlicher Zahlbetrag gilt. Diese Vorschrift regelt nicht nur die Beitragsberechnung solcher einmaligen Leistungen (im folgenden: Kapitalleistungen), sondern bestimmt auch abschließend, in welchen Fällen Kapitalleistungen als Versorgungsbezug gelten und damit über § 237 SGB V beitragspflichtig sind.
Eine von der Volksfürsorge nach dem Inhalt des Gruppenversicherungsvertrages als Invaliden- bzw Altersrente ursprünglich geschuldete Leistung wäre als Rente der betrieblichen Altersversorgung iS von § 229 Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB V nach § 237 Abs 1 Nr 2 SGB V beitragspflichtig geworden. Die von der Arbeitgeberin abgeschlossene Versicherung zugunsten des Klägers war eine Direktversicherung iS von § 1 Abs 2 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung vom 19. Dezember 1974 (BGBl I, S 3610, zuletzt geändert durch das 3. Gesetz zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaft vom 21. Juli 1994, BGBl I, S 1630 - BetrAVG). Die Rente aus einer solchen Versicherung ist eine Rente der betrieblichen Altersversorgung iS von § 229 Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB V, und zwar unabhängig davon, in welchem Umfang die Rente auf Eigenbeiträgen des Arbeitnehmers beruht (vgl BSG SozR 2200 § 180 Nr 47 und zur Beitragspflicht auch von eigenfinanzierten Renten schon BSGE 58, 10 = SozR 2200 § 180 Nr 25; zur sog gehaltsumwandelnden Direktversicherung als Versorgung iS des BetrAVG BAG AP Nr 3 zu § 1 BetrAVG Unverfallbarkeit = EzA BetrAVG § 1 Lebensversicherung Nr 4).
Der Kläger hat jedoch aus dem Versicherungsvertrag keine Rente erhalten, sondern eine Kapitalleistung, die schon vor dem Versicherungsfall als die nach dem Versicherungsvertrag geschuldete Leistung gewählt und nicht erst nach Beginn der Rentenzahlungen zur Abfindung der laufenden Rentenzahlungen vereinbart worden ist. Diese Kapitalleistung ist nicht beitragspflichtig, weil sie nicht iS des § 229 Abs 1 Satz 3 SGB V an die Stelle der Versorgungsbezüge getreten ist. Der Beitragspflicht unterliegen nicht zukünftige Ansprüche auf Versorgungsbezüge, sondern nur die Versorgungsbezüge, auf deren Zahlung ein konkreter Anspruch besteht und die tatsächlich gezahlt werden. Eine Kapitalleistung (Kapitalabfindung) tritt nur dann iS des § 229 Abs 1 Satz 3 SGB V an die Stelle der Versorgungsbezüge, wenn eine bereits geschuldete Rente durch die Kapitalleistung ersetzt wird. Geschuldet wird eine Rentenzahlung aber erst, wenn der Versicherungsfall eingetreten ist, dh bei Berufs- bzw Erwerbsunfähigkeitsrenten Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit vorliegt oder bei Altersrenten das Rentenalter erreicht ist. Für die Abgrenzung einer nicht beitragspflichtigen einfachen Kapitalleistung von einer beitragspflichtigen, weil laufende Versorgungsbezüge ersetzenden Kapitalleistung kann nicht darauf abgestellt werden, ob nach dem ursprünglichen Inhalt des Versicherungsvertrages auch oder sogar nur eine Rentenleistung vereinbart worden war. Ist Gegenstand einer Versicherung wie im vorliegenden Fall von vornherein wahlweise entweder eine Rentenleistung oder eine Kapitalleistung, so wird mit der Wahl der Kapitalleistung der Versicherungsvertrag inhaltlich umgestaltet und nunmehr für den Zeitpunkt des Versicherungsfalles allein noch die Kapitalleistung geschuldet.
Nur bei dieser Auslegung des § 229 Abs 1 Satz 3 SGB V ist auch eine hinreichend sichere und praktikable Abgrenzung von beitragspflichtigen, eine Rente ersetzenden Kapitalleistungen und nicht beitragspflichtigen Kapitalleistungen möglich. Der Kläger weist zu Recht darauf hin, daß jedenfalls seit dem Zeitpunkt der Wahl der Kapitalleistung alle Beiträge nicht mehr im Hinblick auf eine mögliche Rente, sondern nur noch auf eine zukünftige Kapitalleistung erbracht wurden. Die Beiträge, die nach der inhaltlichen Umgestaltung des Versicherungsvertrages gezahlt wurden, sind jedenfalls nicht im Hinblick auf eine zukünftige Altersrente gezahlt worden. Soweit die Kapitalleistung auf diesen Beiträgen beruht, könnte sie jedenfalls nicht beitragspflichtig sein, weil sie nicht mehr für den Erwerb einer zukünftigen Rente gezahlt wurde. Dieses gilt umso mehr, je länger vor Eintritt des Versicherungsfalles die Umwandlung erfolgt. Die Auffassung der Beklagten hätte demgegenüber zur Folge, daß nur von vornherein vereinbarte Kapitalleistungen beitragsfrei blieben. Dieses ist mit dem Wortlaut des Gesetzes nicht zu vereinbaren.
Diese Abgrenzung der nach § 229 Abs 1 Satz 3 SGB V beitragspflichtigen Kapitalleistungen von den nicht beitragspflichtigen Kapitalleistungen aus Versicherungsverträgen, auch soweit diese im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung abgeschlossen werden, ist auch mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar. Insbesondere werden durch diese Abgrenzung Kapitalleistungen beitragsrechtlich nicht ungerechtfertigt gegenüber den Renten privilegiert, die als Versorgungsbezüge iS von § 229 Abs 1 Satz 1 SGB V beitragspflichtig sind. Als Versorgungsbezüge werden grundsätzlich nur regelmäßig wiederkehrende Leistungen der Beitragspflicht unterworfen, wie sich aus der Aufzählung in § 229 Abs 1 Satz 1 Nrn 1 bis 5 SGB V ergibt. Einmalige Leistungen, die als Leistung einer Versicherung bei Eintritt eines Versicherungsfalles vereinbart sind, sind nicht beitragspflichtig. Der Senat hat schon in seiner ersten Entscheidung zu § 180 Abs 8 Satz 2 und 4 der Reichsversicherungsordnung (nunmehr § 229 Abs 1 Satz 1 und 3 SGB V) darauf hingewiesen, er sehe keinen Verstoß gegen das GG, insbesondere nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG, darin, daß Kapitalleistungen aus Versicherungsverträgen nur eingeschränkt der Beitragspflicht unterlägen (BSGE 58, 10 = SozR 2200 § 180 Nr 25). An dieser Rechtsprechung hat der Senat festgehalten (vgl BSG SozR 3-2500 § 229 Nr 4). Der hinreichende Grund für die Beitragsfreiheit von Kapitalleistungen, auch wenn es Leistungen der betrieblichen Altersversorgung sind, liegt darin, daß solche einmaligen Leistungen allgemein nicht dazu bestimmt sind, den Lebensunterhalt dauerhaft zu sichern. Die Beitragspflicht der Versorgungsbezüge ersetzenden Kapitalleistungen iS des § 229 Abs 1 Satz 3 SGB V ist demgegenüber gerechtfertigt, weil sie verhüten soll, daß die Kapitalleistung vereinbart wird, nur um der Beitragspflicht aus laufenden Bezügen zu entgehen. Für eine solche Erwartung liegt allein in der Tatsache der Abfindung einer schon geschuldeten Rente ein hinreichender Anhalt vor. Wird demgegenüber schon vor dem Versicherungsfall die Kapitalleistung als Versicherungsleistung vereinbart, so ist eher anzunehmen, daß dies im Hinblick auf einen aktuellen Bedarf an einem größeren Geldbetrag geschieht. Die Möglichkeit, daß eine Kapitalleistung daneben auch gewählt wird, um spätere Beitragszahlungen zu vermeiden, läßt sich allerdings auch in diesen Fällen nicht ausschließen. Sie rechtfertigt es aber angesichts des Unterschiedes zwischen der Zahlung laufender Bezüge und einer Kapitalleistung im Versicherungsfall nicht, statt auf den Leistungsfall auf den ursprünglichen Versicherungsvertrag abzustellen.
Hiernach hatte die Revision des Klägers Erfolg. Deshalb waren die Urteile der Vorinstanzen und die Bescheide der Beklagten aufzuheben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen
RegNr, 21970 (BSG-Intern) |
BetrAV 1995, 255-256 (ST1-3) |
Breith 1996, 91-94 (LT1) |
Die Beiträge 1995, 736-740 (LT1, OT1) |
NZA-RR 1996, 182 (L) |
NZS 1995, 515-516 (LT1) |
SozR 3-2500 § 229, Nr 10 (LT1) |
Breith. 1996, 91 |