Beteiligte
…, Klägerin und Revisionsbeklagte |
Barmer Ersatzkasse,Wuppertal, Untere Lichtenplatzer Straße 100-102, Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
G r ü n d e :
I
Die Beteiligten streiten um die Zahlung von Krankengeld bei der Erkrankung eines Kindes (Kinderpflegekrankengeld).
Die Klägerin ist in einer Sozietät als selbständige Rechtsanwältin in Teilzeitarbeit tätig und bei der beklagten Barmer Ersatzkasse (BEK) nach § 22 Abs 4 ihrer Satzung in der Klasse 887 freiwillig krankenversichert. Ihr am 26. Februar 1988 geborener, bei ihrem Ehemann familienversicherter Sohn wurde während einer stationären Krankenhausbehandlung in der Zeit vom 18. April bis 9. Mai 1990 und der anschließenden bis zum 15. Mai 1990 dauernden häuslichen Pflege zeitweise von der Klägerin betreut, die deshalb 14 Tage lang von ihrer Tätigkeit fernblieb. Sie erzielte in dieser Zeit kein Einkommen, weil nach den Vereinbarungen der Sozietät krankheitsbedingte Fehltage finanziell nicht ausgeglichen werden. Eine andere Person stand für die nach ärztlicher Bescheinigung erforderliche Betreuung nicht zur Verfügung. Den Antrag der Klägerin vom 15. Mai 1990, ihr Krankengeld für die Pflege ihres Kindes in der Zeit vom 9. bis 15. Mai 1990 zu zahlen, lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 11. Juli 1990; Widerspruchsbescheid vom 10. Dezember 1990).
Der hiergegen erhobenen Klage hat das Sozialgericht (SG) Hamburg stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung von Krankengeld für fünf Arbeitstage in der Zeit vom 9. bis 15. Mai 1990 verurteilt (Urteil des SG vom 26. Mai 1992). Die vom SG zugelassene Berufung hatte keinen Erfolg (Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Hamburg vom 26. August 1993). Zur Begründung wird in den Entscheidungsgründen ua ausgeführt: Die Klägerin sei als freiwillig versicherte Selbständige nach § 45 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) anspruchsberechtigt. Von dem Begriff "Versicherte" würden grundsätzlich auch freiwillig Versicherte erfaßt, solange nicht für sie besondere Regelungen bestünden. Krankengeld erhielten sowohl Pflicht- als auch freiwillig Versicherte, soweit das Gesetz nicht einzelne Personenkreise von dieser Leistung ausnehme. Zwar könne gem § 44 Abs 2 SGB V der Anspruch für freiwillig Versicherte durch Satzung ausgeschlossen oder eingeschränkt werden; diese Regelung gelte aber nur für das Krankengeld bei eigener Arbeitsunfähigkeit des freiwillig Versicherten. Hätte der Gesetzgeber in § 45 Abs 1 SGB V Selbständige bzw freiwillig Versicherte vom Kinderpflegekrankengeld ausschließen wollen, hätte er dies ausdrücklich bestimmen müssen. Auch die Verwendung von Begriffen wie "Arbeitstage" und "der Arbeit fernbleiben" schließe Selbständige nicht aus, denn auch Selbständige hätten Arbeitstage, könnten arbeitsunfähig werden und ein nach Arbeitseinkommen bemessenes Krankengeld beziehen. Daß der in § 45 Abs 3 SGB V geregelte Freistellungsanspruch nur abhängig Beschäftigte betreffen könne, bedeute ebenfalls nicht, daß Abs 1 nicht für Selbständige gelte.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 45 SGB V und macht ua geltend: Der Einbeziehung von Selbständigen stehe der enge systematische Zusammenhang zwischen § 45 Abs 1 und Abs 3 SGB V entgegen. Einen arbeitsrechtlichen Freistellungsanspruch gegen ihren Arbeitgeber nach § 45 Abs 3 SGB V könnten nur Versicherte haben, die in einem abhängigen Arbeitsverhältnis stünden. Daß § 45 SGB V keine dem § 44 Abs 2 SGB V vergleichbare Satzungsermächtigung enthalte, sei unerheblich, denn beide Vorschriften beträfen unterschiedliche Regelungsbereiche, so daß der Gesetzgeber daraus auch unterschiedliche Rechtsfolgen habe herleiten können.
Die Beklagte beantragt,die Urteile des Landessozialgerichts Hamburg vom 26. August 1993 und des Sozialgerichts Hamburg vom 26. Mai 1992 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß),die Revision zurückzuweisen und den Tenor des Berufungsurteils hinsichtlich der Kostenentscheidung zu berichtigen.
Die Klägerin macht geltend: Der Urteilstenor sei - wie sich aus den Entscheidungsgründen ergebe - offenbar unrichtig. Das LSG habe - entsprechend dem Ausgang des Berufungsverfahrens - der Beklagten die außergerichtlichen Kosten auferlegt. Deshalb müsse der anderslautende Urteilsausspruch geändert werden. Im übrigen hält die Klägerin die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).
II
Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Beklagte zu Unrecht zur Zahlung von Kinderpflegekrankengeld verurteilt.
Da die Klägerin Kinderpflegekrankengeld für einen Zeitraum im Mai 1990 begehrt, sind auf den mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) verfolgten Anspruch noch die Vorschriften des SGB V idF des Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2477) anzuwenden, die bis zum 31. Dezember 1991 gegolten haben.
Nach § 45 Abs 1 Satz 1 SGB V aF haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn es nach ärztlichem Zeugnis erforderlich ist, daß sie zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege ihres erkrankten und versicherten Kindes der Arbeit fernbleiben, eine andere in ihrem Haushalt lebende Person das Kind nicht beaufsichtigen, betreuen oder pflegen kann und das Kind das achte Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Der Senat kann die zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob freiwillig versicherte Selbständige von vornherein von der Gewährung des Kinderpflegekrankengeldes ausgeschlossen sind (vgl dazu Schmatz/Fischwasser, Vergütung der Arbeitnehmer, 6. Aufl, Stand: Mai 1992, § 45 RdNrn 11 und 12; Hauck/Haines, Sozialgesetzbuch - SGB V -, Komm, § 45 RdNr 5; Marburger, Handbuch des Leistungswesens bei der Krankenversicherung C 2/1.3 S 2; Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 45 RdNr 2; Picard, DOK 1974, 1, 10; Gerlach, WzS 1974, 49, 58, 60), offenlassen. Denn der geltend gemachte Anspruch scheitert hier bereits daran, daß die Klägerin als Mitglied der Beitragsklasse 887 ebenso wie Mitglieder der Beitragsklassen 611 und 677 nach § 29 Abs 1 Satz 1 der Satzung der Beklagten erst vom 22. Tag der Arbeitsunfähigkeit an Anspruch auf Krankengeld hat. Dies ist - entgegen der Auffassung der Beteiligten und des LSG - auch rechtlich bedeutsam für den Anspruch auf Kinderpflegekrankengeld.
Der erkennende Senat ist durch § 162 SGG nicht gehindert, die Satzung der Beklagten selbst auszulegen (vgl dazu BSGE 59, 76, 77 f = SozR 2200 § 511 Nr 1; Bley in Peters/Sautter/Wolff, § 162 RdNr 32; Meyer-Ladewig, SGG-Komm, 5. Aufl, § 162 RdNr 5), weil der Zuständigkeitsbereich der Beklagten sich nicht auf den Bezirk des Berufungsgerichts beschränkt.
Bei verständiger Würdigung des Inhalts der Satzung und unter Berücksichtigung, daß auch der Gesetzgeber im SGB V den Begriff Arbeitsunfähigkeit unterschiedlich verwendet hat, ist § 29 Abs 1 Satz 1 der Kassensatzung in dem Sinne auszulegen, daß unter Arbeitsunfähigkeit jede Art von Arbeitsverhinderung zu verstehen ist, die einen Anspruch auf Krankengeld auszulösen vermag. Das SGB V verwendet den Begriff "Arbeitsunfähigkeit" in unterschiedlicher Bedeutung. In § 44 Abs 1 Satz 1 SGB V wird er zunächst im engen Sinn des krankheitsbedingten Fehlens der für das Tätigwerden erforderlichen Fähigkeiten gebraucht und einem anderen Fall der Arbeitsverhinderung, nämlich dem der Unabkömmlichkeit wegen einer stationären Behandlungsmaßnahme, gegenübergestellt. Mit diesem Begriff der "Arbeitsunfähigkeit" hatten sich Rechtsprechung und Schrifttum immer wieder auseinanderzusetzen (vgl dazu BSGE 57, 227, 228 f, mwN = SozR 2200 § 182 Nr 96; Höfler in KassKomm § 44 SGB V RdNr 10; Kummer in Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd 1 Krankenversicherungsrecht, § 20 RdNrn 50 ff). Nach der dabei entwickelten Definition ist nur derjenige arbeitsunfähig, der überhaupt nicht oder nur auf die Gefahr hin, seinen Zustand zu verschlimmern, fähig ist, seiner bisher ausgeübten Erwerbstätigkeit oder einer ähnlichen Tätigkeit nachzugehen. Dieser Begriff von Arbeitsunfähigkeit steht im Zusammenhang mit gesundheitlichen Mängeln desjenigen, der an der Arbeit gehindert ist. Das macht auch § 44 Abs 1 Satz 1 SGB V deutlich, wo für den Anspruch auf Krankengeld vorausgesetzt wird, daß eine Krankheit den Versicherten arbeitsunfähig macht. Daß der Begriff der Arbeitsunfähigkeit jedoch an anderer Gesetzesstelle auf diese Form der Arbeitsverhinderung nicht beschränkt ist, sondern den Fall der Unabkömmlichkeit miteinschließt, macht beispielsweise § 46 SGB V deutlich. Während in Satz 1 der Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs auf Krankengeld unterschiedlich danach geregelt ist, ob Arbeitsunfähigkeit (im engeren Sinne) ärztlich festgestellt worden ist oder ob eine stationäre Behandlung im Krankenhaus oder in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung erfolgt, ist in den Sätzen 2 und 3 bei der Regelung des Zeitpunkts der Entstehung des Anspruchs auf Krankengeld für die nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) Versicherten ohne Differenzierung von "Arbeitsunfähigkeit" die Rede. Darunter ist jedoch auch der Fall der stationären Behandlung gemeint. Das ergibt sich schon aus dem Sinnzusammenhang. Im übrigen würde eine andere (enge) Auslegung zu unvertretbaren Ergebnissen führen (vgl dazu Wagner in von Maydell, Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch SGB V, § 46 RdNr 35; Hauck/Haines, K § 46 RdNr 15; Kummer, aaO, § 23 RdNr 60; Widekamp, in Maaßen/Schermer/Wiegand/Zipperer, SGB V, Komm, 1200 § 46 SGB V RdNr 4). Im weiten Sinne ist der Begriff "Arbeitsunfähigkeit" auch in § 44 Abs 3 SGB V verwendet. Denn der Arbeitnehmer hat, jedenfalls auch bei Krankenhausbehandlung, Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts ohne Rücksicht darauf, ob Arbeitsunfähigkeit im engeren Sinne gegeben ist.
In § 29 Abs 1 Satz 1 der Satzung der Beklagten wird der Begriff der Arbeitsunfähigkeit im weiten Sinne, also auch im Sinne der Unabkömmlichkeit gebraucht. Wollte man ihn hier im engen Sinne verstehen, so gelangte man auch hier zu unhaltbaren Ergebnissen, weil die Kassensatzung dann eine Regelung enthielte, die nur einen Teil der Tatbestände erfaßt, bei deren Vorliegen Krankengeld zu gewähren ist. Es kann aber nicht unterstellt werden, daß die satzungsrechtliche Regelung zwischen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit und dem Fall der Unabkömmlichkeit wegen stationärer Behandlung unterscheiden will. Denn Versicherte haben nach § 44 Abs 1 Satz 1 SGB V auch dann einen Anspruch auf Krankengeld, wenn sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung (§ 23 Abs 4, §§ 24, 40 Abs 2 und § 41 SGB V) behandelt werden, ohne daß unbedingt Arbeitsunfähigkeit iS der von der Rechtsprechung und dem Schrifttum entwickelten Definition vorliegen muß (vgl dazu Höfler, aaO, § 44 SGB V RdNr 23; Hauck/Haines, SGB V K § 44 RdNrn 74 - 76; Krauskopf, aaO, § 44 SGB V RdNr 22). Insbesondere bei stationärer Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung wird der Versicherte oft nicht in diesem Sinne arbeitsunfähig sein (vgl dazu Kummer, aaO, § 23 RdNr 21). Das schließt es aus, daß § 29 Abs 1 Satz 1 der Satzung der Beklagten den engen Begriff der Arbeitsunfähigkeit verwendet. Anderenfalls wäre bei freiwillig Versicherten der Beitragsklassen 611, 677 und 887 ff, wenn diese auf Kosten der Beklagten stationär in einem Krankenhaus oder einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung behandelt werden, stets zu prüfen, ob auch Arbeitsunfähigkeit vorliegt, um die Satzungsregelung anwenden zu können, und es wäre nur denjenigen vom ersten Tage der stationären Behandlung an Krankengeld zu gewähren, die nicht arbeitsunfähig sind. Eine derartige Differenzierung ließe sich sachlich nicht rechtfertigen und verstieße gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG (vgl dazu Schmidt in Peters, Handbuch der Krankenversicherung, SGB V, § 44 RdNr 152).
Ist aber unter dem Begriff "Arbeitsunfähigkeit" iS von § 29 Abs 1 Satz 1 der Satzung der Beklagten auch der Fall der Unabkömmlichkeit und somit jeder Fall der Arbeitsverhinderung gemeint, der einen Anspruch auf Krankengeld auslösen kann, dann fällt darunter auch der Tatbestand des § 45 Abs 1 SGB V, der einen Anspruch auf Krankengeld bei Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege eines erkrankten und versicherten Kindes auslöst. Denn im Rahmen des § 45 SGB V sind - worauf schon der hier verwendete Begriff "Krankengeld" hindeutet (vgl zum alten Recht BSG SozR 2200 § 185c Nr 3) -, auch die allgemeinen krankengeldrechtlichen Bestimmungen anzuwenden.
Dafür ist insbesondere die Entstehungsgeschichte ein Beleg. § 45 SGB V geht auf § 185c Reichsversicherungsordnung (RVO) zurück. Schon bei der Aufnahme dieser Regelung in die RVO war in den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks 7/377, S 5 zu § 1 Nr 2) ausdrücklich darauf hingewiesen worden, daß die sonstigen Vorschriften über die Gewährung von Krankengeld anzuwenden seien. Daran hat sich durch das Inkrafttreten des SGB V zum 1. Januar 1989 nichts geändert. Denn § 45 SGB V hat die Regelung des § 185c RVO mit redaktionellen Änderungen übernommen (vgl BT-Drucks 11/2237, S 181 zu § 44). Ohne den Rückgriff auf die allgemeinen krankengeldrechtlichen Vorschriften, zB über die Höhe und Berechnung des Krankengeldes (§ 47 SGB V) und das Ruhen des Anspruchs auf Krankengeld (§ 49 SGB V), wäre § 45 SGB V auch gar nicht sinnvoll anwendbar (vgl dazu Hauck/Haines, K § 45 RdNr 12; Krauskopf § 45 SGB V RdNr 13; Kummer, aaO, § 23 RdNr 101; Höfler, aaO, § 45 SGB V RdNr 10).
Die Satzungsregelung in der Auslegung durch den Senat verstößt nicht gegen höherrangiges Recht; insbesondere gilt die in § 44 Abs 2 SGB V enthaltene Ermächtigung auch für den Anspruch auf das Kinderpflegekrankengeld. Die Krankenkassen sind für freiwillig Versicherte nicht darauf beschränkt, den Anspruch auf Krankengeld nur bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit und stationärer Behandlung ausschließen oder zu einem späteren Zeitpunkt entstehen lassen zu dürfen. Eine derartige Einschränkung ist schon nach dem Wortlaut der Ermächtigungsnorm zu verneinen. Aber auch die Systematik des Gesetzes läßt eine solche Auslegung nicht zu.
Zwar verweist § 45 Abs 1 Satz 2 SGB V nur auf § 10 Abs 4 und § 44 Abs 1 Satz 2 SGB V, nicht aber auf § 44 Abs 2 SGB V. Da § 44 Abs 1 Satz 1 SGB V jedoch nur den Anspruch auf Krankengeld bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit und stationärer Behandlung regelt und Satz 2 die von einem solchen Krankengeldanspruch ausgeschlossenen Personengruppen nennt, könnte das Fehlen einer Verweisung auf § 44 Abs 1 Satz 2 SGB V in § 45 Abs 1 SGB V dahin mißverstanden werden, daß für die in § 44 Abs 1 Satz 2 SGB V aufgeführten Personengruppen vom Anspruch auf Kinderpflegekrankengeld nicht ausgeschlossen sein sollen. Insofern hat die ausdrückliche Verweisung auf § 44 Abs 1 Satz 2 SGB V ihren Sinn. Der Gesetzgeber wollte damit eindeutig anordnen: Wer keinen Krankengeldanspruch bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit oder stationärer Behandlung hat, dem soll auch kein Kinderpflegekrankengeld zustehen. Der Grund für die Ausnahmeregelung ist darin zu sehen, daß die in § 44 Abs 1 Satz 2 SGB V genannten Personengruppen in der Regel über kein Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen verfügen, das bei Eintritt von Arbeitsunfähigkeit oder einer sonstigen Arbeitsverhinderung ersetzt werden müßte.
Dagegen war es nicht erforderlich, im Rahmen des § 45 SGB V auch auf § 44 Abs 2 SGB V zu verweisen. Denn die in § 44 Abs 2 SGB V enthaltene Vorschrift gehört zu den allgemeinen krankengeldrechtlichen Normen. § 44 Abs 2 SGB V ist deshalb - ebenso wie § 47 und § 49 SGB V - auch auf das Kinderpflegekrankengeld anwendbar. Dies wird durch die Entstehungsgeschichte des SGB V bestätigt, die insoweit auf entsprechende Regelungen in der RVO zurückgeht. Nach § 215 Abs 2 RVO konnte die Satzung mit Zustimmung des Oberversicherungsamtes die Kassenleistungen für freiwillig Versicherte beschränken und insbesondere den Anspruch auf Krankengeld ausschließen (vgl dazu Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Teil II, § 215 RVO, Anm 3d). Für das in § 185c RVO vorgesehene Kinderpflegekrankengeld galt insoweit keine Ausnahme. Daran wollte der Gesetzgeber des SGB V offensichtlich nichts ändern. Denn in der Begründung des Gesetzentwurfs (BT-Drucks 11/2237, S 181 zu § 44) wird ausdrücklich betont, daß das SGB V die Regelung des § 185c RVO mit redaktionellen Änderungen übernimmt und lediglich das Krankengeld auf Fälle beschränkt, in denen das erkrankte Kind im Rahmen der Familienversicherung nach § 10 SGB V versichert ist.
Zur Auffassung des Senats steht auch nicht der Normzweck des § 45 SGB V im Widerspruch. Mit der Regelung soll zwar erreicht werden, daß Versicherte, ohne finanzielle Nachteile befürchten zu müssen, für eine bestimmte Zeit die Betreuung oder Pflege ihres erkrankten Kindes übernehmen können. Deshalb wird ihnen - zeitlich begrenzt - das Arbeitsentgelt ersetzt (BSG SozR 2200 § 185c Nr 3; Höfler in KassKomm § 45 SGB V RdNr 2). Das Kinderpflegekrankengeld ist damit eine familienbezogene Leistung (vgl dazu Schmidt, aaO, § 45 SGB V RdNrn 10 und 11 unter Hinweis auf BT-Drucks 11/760, S 1). Gleichwohl kann das familienpolitische Motiv des Gesetzgebers (vgl dazu BT-Drucks 7/377 S 1, 5; Protokolle der 33. Sitzung des Deutschen Bundestages - 7. Wahlperiode 1972 -S 1761, 1823, 1826, 1829, 1830; BT-Drucks 8/3143 S 7; 11/760 S 1; 12/1363 S 7; auch BSGE 45, 221, 224 = BSG SozR 2200 § 1504 Nr 5; BSG SozR 2200 § 185c Nr 1) für die hier zu entscheidende Frage nicht ausschlaggebend sein. Der Senat mußte auch den Sinn und Zweck des § 44 Abs 2 SGB V berücksichtigen. Danach läßt die erwähnte Ermächtigungsnorm ua den satzungsrechtlichen Ausschluß des Krankengeldanspruchs deshalb zu, weil freiwillig Versicherte zu den Personengruppen gehören, die typischerweise bei Eintritt einer Arbeitsverhinderung nicht sofort auf die Gewährung von Sozialleistungen angewiesen sind, sondern aus eigenen Mitteln den Wegfall des Arbeitseinkommens jedenfalls für einen bestimmten Zeitraum überbrücken können (vgl dazu BSG SozR 3-2500 § 44 Nr 4). Dieser Gesichtspunkt der geringeren Schutzbedürftigkeit (vgl BSGE 70, 13, 18 = SozR 3-2500 § 240 Nr 6) hat aber auch bei einer Arbeitsverhinderung, die durch die Betreuung oder Pflege eines Kindes bedingt ist, seine Bedeutung. Wenn der Gesetzgeber - ohne Rücksicht auf die Einkommensverhältnisse der Eltern - der Betreuung oder Pflege eines Kindes auch im Rahmen der krankengeldrechtlichen Regelungen den Vorrang hätte geben wollen, hätte dies deutlich im Gesetz zum Ausdruck gebracht werden müssen.
Nach alledem steht der Klägerin der von ihr geltend gemachte Anspruch auf Kinderpflegekrankengeld schon deshalb nicht zu, weil sie wegen der Pflege und Betreuung ihres Sohnes nur 14 Tage ihrer Tätigkeit als Rechtsanwältin fern geblieben ist und der Anspruch für die Beitragsklasse 887, der sie angehört, nach § 29 Abs 1 Satz 1 der Satzung der Beklagten erst ab dem 22. Tag der Arbeitsunfähigkeit, dh der Arbeitsverhinderung, entsteht. Im übrigen wird im Schrifttum die Auffassung vertreten, daß nur Versicherte einen Anspruch auf Kinderpflegekrankengeld erwerben können, die zu ihrer Krankenkasse in einem Versicherungsverhältnis mit Anspruch auf Krankengeld stehen (so für das alte Recht Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Teil II, § 185c Anm 4; Heize in Gesamtkomm, § 185c RVO RdNr 3; Krauskopf/Schroeder-Printzen, § 185c RVO Anm 1, und für das neue Recht Höfler, aaO, § 45 RdNr 4; Schmidt, aaO, § 45 SGB V RdNr 18; Schmatz/Fischwasser, aaO, § 45 RdNr 12; Kummer, aaO, § 23 RdNr 28; Straub, ZfSH/SGb 1993, 190, 191). Ob dieser Ansicht ohne Einschränkung zu folgen ist, läßt der Senat offen. Jedenfalls haben freiwillig Versicherte dann keinen Anspruch auf Kinderpflegekrankengeld, wenn - wie dies rechtlich möglich ist - die Kassensatzung für sie jeden Krankengeldanspruch ausschließt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Da das vorinstanzliche Urteil einschließlich der Kostenentscheidung aufgehoben worden ist, war über den von der Klägerin gestellten Antrag auf Berichtigung des Urteilstenors nicht mehr zu entscheiden.BUNDESSOZIALGERICHT
Fundstellen
Haufe-Index 517661 |
BSGE, 1 |
AusR 1995, 14 |