Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosenhilfe. Wiederbewilligung nach Unterbrechung des Leistungsbezugs durch eine mit Meister-Bafög geförderte Aufstiegsfortbildung. Verlängerung der Erlöschensfrist. Sozialrechtlicher Herstellungsanspruch
Leitsatz (redaktionell)
Bei der Förderung der Aufstiegsfortbildung (so genanntes Meister-BaföG) handelt es sich nicht um eine Leistung, die gemäß § 196 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB III (in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung) die Erlöschensfrist nach § 196 Abs. 1 Satz 1 SGB III verlängert.
Eine analoge Anwendung des Tatbestandes auf die Aufstiegsfortbildung oder eine Gleichstellung von Zeiten des Uhg-Bezuges und von Zeiten des Bezuges von Meister-BaföG aus verfassungsrechtlichen Gründen kommen nicht in Betracht. Die Fiktion des Eintritts der Arbeitslosigkeit vor Ablauf der Erlöschensfrist noch während der Teilnahme an der Bildungsmaßnahme im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ist nicht möglich.
Normenkette
SGB III §§ 196, 192, 190
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 14.01.2005) |
SG Kiel (Urteil vom 29.07.2003) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 14. Januar 2005 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt Arbeitslosenhilfe (Alhi) vom 1. August bis 14. Oktober 2002 und vom 2. Januar bis 19. Juni 2003.
Der am 28. August 1961 geborene Kläger ist von Beruf Maurer. Seit 31. Dezember 1994 bezog er mit Unterbrechungen Arbeitslosengeld (Alg), seit dem 9. Februar 1999 Alhi. Bei einem Beratungsgespräch am 25. Juli 2000 teilte der Kläger einem Mitarbeiter der Beklagten mit, er besuche ab 31. August 2000 die Fachhochschule für Technik, Fachrichtung Bautechnik. Die Beklagte stellte daraufhin ab diesem Zeitpunkt die Zahlung von Alhi ein.
Nach erfolgreichem Abschluss der Ausbildung zum Bautechniker, die mit dem so genannten Meister-BAföG gefördert worden war, meldete sich der Kläger am 2. Juli 2002 arbeitslos und beantragte die Gewährung von Alhi ab 1. August 2002. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, der Kläger habe innerhalb des letzten Jahres vor der Arbeitslosmeldung kein Alg erhalten. Zudem sei auch seit dem letzten Tag des Bezugs von Alhi ein Jahr vergangen. Eine Verlängerung der Erlöschensfrist komme nicht in Betracht (Bescheid vom 18. Juli 2002). Das Widerspruchsverfahren verlief erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 22. August 2002).
Das Sozialgericht (SG) Kiel hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, dem Kläger Alhi für die streitbefangenen Zeiträume zu gewähren (Urteil vom 29. Juli 2003). Der Kläger habe einen Anspruch auf Alhi auf Grund des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Die Beklagte habe den Kläger auf den möglichen Verlust seines Anspruchs hinweisen müssen.
Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 14. Januar 2005). Es hat zur Begründung ausgeführt: Der seinerzeit bestehende Alhi-Anspruch sei erloschen, weil seit dem letzten Tag des Alhi-Bezuges mehr als ein Jahr verstrichen sei. Ein Verlängerungstatbestand liege ebenfalls nicht vor. Insbesondere habe der Kläger kein Unterhaltsgeld (Uhg) bezogen, sondern BAföG. Eine analoge Anwendung des § 196 Satz 2 Nr 4 Sozialgesetzbuch – Drittes Buch – (SGB III) komme ebenfalls nicht in Betracht. Eine Regelungslücke sei insoweit nicht ersichtlich. Bereits die Vorläuferregelung des § 107 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) sei auf das Uhg beschränkt und nicht auf andere Leistungen übertragbar gewesen. Auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch könne der Kläger seinen Anspruch ebenfalls nicht stützen. Während der Teilnahme des Klägers an der Weiterbildung habe es sowohl an der objektiven als auch an der subjektiven Verfügbarkeit gefehlt, die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht nachträglich ersetzt werden könne. Er sei wegen der Teilnahme an der Maßnahme nicht arbeitslos gewesen, sodass es nicht um die Fiktion einer unterbliebenen Handlung gehe, sondern eine tatsächlich vorgenommene Handlung hinweggedacht werden müsse. Dies sei über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nicht möglich.
Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er ist der Auffassung, das LSG sei mit seinen Ausführungen von verschiedenen Urteilen des BSG abgewichen. Das BSG habe im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs den Wiedereintritt in die freiwillige Krankenversicherung ermöglicht, obwohl eine solche Wiedereintrittsmöglichkeit im Gesetz nicht vorgesehen gewesen sei (BSGE 50, 12 = SozR 2200 § 313 Nr 6). In einer weiteren Entscheidung habe das BSG eine Krankenkasse zur Erstattung der Kosten psychiatrischtherapeutischer Behandlungen durch einen “Nichtarzt” verurteilt, weil diese keine ausreichende kassenärztliche psychiatrische Versorgung sichergestellt habe. Auch in dem letztgenannten Fall habe das BSG einen außerhalb des Sozialrechtsverhältnisses liegenden Tatbestand zur Anwendung gebracht (BSGE 53, 144 = SozR 2200 § 182 Nr 80).
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 14. Januar 2005 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 29. Juli 2003 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, der Kläger hätte auch bei einem Hinweis auf das Erlöschen des Alhi-Anspruchs von der beabsichtigten Weiterbildung nicht Abstand genommen. Im Übrigen scheitere der sozialrechtliche Herstellungsanspruch auch daran, dass eine Aufgabe der Ausbildung in der Fachhochschule für Technik zwangsläufig zu einer Erklärung über den Verzicht auf das Meister-BAföG habe führen müssen. Ein solcher Verzicht sei jedoch gemäß § 46 Abs 2 Sozialgesetzbuch – Erstes Buch – (SGB I) der Beklagten gegenüber unwirksam.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das LSG hat zu Recht entschieden, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Alhi ab 1. August 2002 sowie ab 2. Januar 2003 nicht vorliegen.
1. Das LSG ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass ein Anspruch auf Alhi ab 1. August 2002 allenfalls unter dem Gesichtspunkt einer Wiederbewilligung eines bereits entstandenen Anspruchs nach Unterbrechung des Leistungsbezuges in Betracht kommt. Die Voraussetzungen für einen neuen Anspruch auf Alhi nach den §§ 190, 192 SGB III wegen des vorangegangenen Bezugs von Alg liegen ersichtlich nicht vor (zum Verhältnis von §§ 192 und 196 SGB III vgl Krauß in Wissing, SGB III, 2. Aufl 2004, § 192 Rz 4).
2. Der Kläger kann auch nicht auf Grund des vorhergehenden Bezugs von Alhi bis zum 30. August 2000 die Wiederbewilligung dieser Leistung ab 1. August 2002 verlangen, denn der Anspruch ist erloschen. Nach § 196 Satz 1 Nr 2 SGB III in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung erlischt der Anspruch auf Alhi, wenn seit dem letzten Tag des Bezuges von Alhi ein Jahr vergangen ist. Diese Regelung betrifft das ursprüngliche Stammrecht, das dem Arbeitslosen nach Erfüllung aller Voraussetzungen (§ 190 SGB III) erwachsen ist. Das bedeutet, dass mit dem Erlöschen die Anspruchsberechtigung untergeht, die dem Berechtigten zunächst erhalten geblieben war. Das Erlöschen hat daher zur Folge, dass trotz nunmehrigen Wiedervorliegens der übrigen Voraussetzungen nicht mehr auf die früher verwirklichte Anwartschaft zurückgegriffen werden kann (BSG SozR 4100 § 135 Nr 3). Da der Kläger zuletzt am 30. August 2000 Alhi bezogen hatte, war das Jahr bei der erneuten Antragstellung des Klägers am 1. August 2002 längst verstrichen.
Zu Recht hat das LSG die Berücksichtigungsfähigkeit der Zeiten der nach dem Gesetz zur Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung (AFBG – idF vom 23. April 1996, BGBl I, 623) geförderten Fachschulausbildung im Rahmen des Verlängerungstatbestandes nach § 196 Satz 2 Nr 4 SGB III verneint. Nach dieser Vorschrift verlängert sich die einjährige Erlöschensfrist nach Satz 1 Nr 2 um Zeiten, in denen der Arbeitslose nach dem letzten Tag des Bezugs von Alhi Uhg nach diesem Gesetz bezogen oder nur wegen des Vorrangs anderer Leistungen nicht bezogen hat. Der Kläger hat jedoch nach dem 30. August 2000 kein Uhg bezogen. Bei der Förderung der Aufstiegsfortbildung (so genanntes Meister-BAföG) handelt es sich auch nicht um eine gegenüber dem Uhg vorrangige Leistung im Sinne der zweiten Alternative des § 196 Satz 2 Nr 4 SGB III. Die Annahme eines Vorrangs der Leistungen nach dem AFBG kommt ersichtlich nicht in Betracht, weil der Bezug von Uhg nach § 3 Satz 1 Nr 2 AFBG (in der hier maßgebenden Fassung durch das Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt vom 24. März 1997, BGBl I, 594) eine Förderung nach dem AFBG ausschließt (so zutreffend schon LSG Berlin vom 14. Februar 2003 – L 4 AL 23/02; ebenso zur Verlängerung der Rahmenfrist nach § 124 Abs 3 Satz 1 Nr 4 SGB III LSG Baden-Württemberg vom 30. Juni 2004 – L 5 AL 3692/03, jeweils veröffentlicht in juris). Dementsprechend handelt es sich bei dem Uhg um eine gegenüber dem Meister-BAföG vorrangige Leistung.
Der Senat hat zur Nichtberücksichtigung von Zeiten, die im Rahmen der so genannten freien Förderung nach § 10 SGB III gefördert worden waren, bereits dargelegt, dass sich aus dem aus der Entstehungsgeschichte herzuleitenden Zweck des Verlängerungstatbestandes keine Hinweise auf das Erfordernis einer erweiternden Auslegung ergeben (BSG SozR 4-4300 § 196 Nr 2). Auch eine entsprechende Anwendung der Norm auf den vorliegenden Sachverhalt kommt mangels Regelungslücke nicht in Betracht. § 196 Satz 2 Nr 4 SGB III geht auf den Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Arbeitsförderung (AFRG – BT-Drucks 13/4941; im Entwurf § 195 Satz 2 Nr 3) zurück. Der Gesetzgeber wollte ausweislich der Gesetzesbegründung mit dieser insoweit von der Vorgängervorschrift (§ 135 AFG) abweichenden Regelung einen Ausgleich dafür schaffen, dass durch den Bezug von Uhg ein “Versicherungspflichtverhältnis” nicht mehr begründet wurde (BT-Drucks 13/4941 S 179). Es handelte sich mithin um eine Folgeänderung zur Abschaffung der noch unter der Geltung des AFG bestehenden Vergünstigung, wonach ua Zeiten des Bezuges von Uhg den Zeiten eines die Beitragspflicht begründenden Beschäftigungsverhältnisses gleichgestellt waren (§ 107 Satz 1 Nr 5d AFG). Mit dem Inkrafttreten des SGB III entfiel die Gleichstellung von Uhg-Bezug und Zeiten einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung, um durch den Ausschluss des Erwerbs von neuen Ansprüchen Maßnahmekarrieren zu verhindern, bei denen die Teilnahme an Bildungsmaßnahmen vor allem mit dem Ziel des Erwerbs neuer Ansprüche angetreten worden war (BT-Drucks 13/4941 S 147). Lediglich der Wegfall dieser durch die Teilnahme an einer Fortbildungs- oder Umschulungsmaßnahme begründeten Vergünstigung sollte also durch die Verlängerung der Erlöschensfrist kompensiert werden. Deshalb gebietet der Zweck des Verlängerungstatbestandes keine Erstreckung auf alle Leistungen, die wie das Uhg auf eine Sicherung des Lebensunterhalts abzielen. Die Parallelregelung in § 196 Satz 2 Nr 5 SGB III, die eine Verlängerung der Erlöschensfrist (nur) bei Bezug von Übergangsgeld von einem Rehabilitationsträger wegen einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben vorsieht, bestätigt den begrenzten Anwendungsbereich der Verlängerungstatbestände.
Die enge Auslegung des § 196 Satz 2 Nr 4 SGB III wird durch die Rechtsentwicklung bestätigt. Das BSG hatte zu dem in § 107 Satz 1 Nr 5d AFG geregelten Gleichstellungstatbestand entschieden, dass Zeiten des Bezugs von Uhg nach den “Richtlinien für aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds mitfinanzierte arbeitsmarktpolitische Maßnahmen im Bereich des Bundes” nicht als gleichgestellte Zeiten der Erfüllung der Anwartschaft für einen Anspruch auf Alg dienten (BSG SozR 3-4100 § 107 Nr 11). Eine erweiternde Auslegung dieser Vorschrift hat das BSG im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut der Vorschrift und die mit einer entsprechenden Rechtsanwendung verbundene Ausweitung der Leistungsansprüche abgelehnt (vgl auch BSG SozR 3-4100 § 107 Nr 10 S 42 mwN).
Eine Gleichstellung von Zeiten des Uhg-Bezuges und von Zeiten einer Fachschulausbildung mit Bezug von so genanntem Meister-BAföG wird im Rahmen der Anwendung des § 196 Satz 2 Nr 4 SGB III auch nicht deshalb gefordert, weil derartige Maßnahmen mit den förmlichen Weiterbildungsmaßnahmen mit Uhg-Bezug in einem derartigen Umfang übereinstimmen würden, dass eine Differenzierung sachwidrig wäre. Vielmehr orientiert sich die Förderung nach dem AFBG ihrer Art und ihrem Umfang nach stark an den Regeln des BAföG und legt bei den Leistungen zur Sicherung des Unterhalts einen pauschalierten Unterhaltsbedarf zu Grunde. Beide Förderungsarten unterscheiden sich auch hinsichtlich ihrer Zielsetzung grundlegend: Durch das AFBG sollen Teilnehmer unterstützt werden, die sich nach einer beruflichen Erstausbildung auf eine herausgehobene Berufstätigkeit – zB als selbstständiger Handwerksmeister oder als mittlere Führungskraft in einem Betrieb – vorbereiten (Beckmann, Gewerbearchiv 1997, 89). Die Förderung soll nach der Vorstellung des Gesetzgebers dazu beitragen, den “Zukunftsstandort Deutschland” zu sichern, indem der besonderen Bedeutung mittelständischer Unternehmen zur Schaffung neuer Ausbildungs- und Arbeitsplätze und der dafür erforderlichen hohen Anzahl qualifizierter sowie leistungs- und risikobereiter Nachwuchskräfte Rechnung getragen werden sollte (BT-Drucks 13/3698 S 1).
Dass das Stammrecht auf Alhi wegen der von dem Kläger absolvierten Maßnahme der freien Förderung durch Zeitablauf erloschen ist, begegnet schließlich auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Wenn der Gesetzgeber die Grundlagen für eine Förderung von beruflicher Aufstiegfortbildung zur Vorbereitung auf eine herausgehobene Berufstätigkeit schafft, die nach den Kriterien der §§ 77 ff SGB III nicht förderungsfähig ist, so kann hieraus nicht die weiter gehende Verpflichtung hergeleitet werden, den Teilnehmern unabhängig von der Dauer der Aufstiegsfortbildung zusätzlich auch das Stammrecht auf Alhi zu erhalten. Insbesondere ist ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 Grundgesetz) wegen der strukturellen Unterschiede zwischen Meister-BAföG und Weiterbildungsförderung mit Uhg-Bezug nicht gegeben.
3. Schließlich lässt sich der fehlende Vorbezug von Alhi innerhalb der Erlöschensfrist des § 196 Satz 1 Nr 2 SGB III auch nicht auf der Grundlage des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ersetzen. Das LSG hat zu Recht nicht geprüft, ob die Beklagte eine ihr auf Grund Gesetzes oder bestehenden Sozialrechtsverhältnisses dem Kläger gegenüber obliegende Pflicht, insbesondere zur Auskunft und Beratung (§§ 14, 15 SGB I), verletzt und ihm dadurch einen Nachteil zugefügt hat (BSG SozR 3-4100 § 249e Nr 4; BSG SozR 3-2600 § 58 Nr 2; BSGE 92, 241 = SozR 4-2600 § 58 Nr 3). Hierbei ist allerdings nach Auffassung des Senats schon zweifelhaft, ob überhaupt eine Nebenpflicht der Beklagten anzuerkennen ist, einen fortbildungswilligen Arbeitnehmer, der seine Eingliederungsmöglichkeiten durch eine staatlich geförderte Bildungsmaßnahme verbessern möchte, auf einen etwaigen Anspruchsverlust hinzuweisen und ihn dadurch möglicherweise von Erfolg versprechenden Bildungsanstrengungen abzuhalten. Eine allein auf die Sicherung von Leistungsansprüchen gerichtete Beratung, die vorrangige Ziele der Arbeitsförderung – zB die Verkürzung der Arbeitslosigkeit durch Förderung der individuellen Beschäftigungsfähigkeit – außer Acht lässt, kann der Beklagten grundsätzlich nicht abverlangt werden (vgl auch BSGE 66, 258, 266 = SozR 3-4100 § 125 Nr 1). Der Senat lässt dies jedoch im Hinblick darauf unentschieden, dass vom LSG nicht festgestellt worden ist, ob die vom Kläger besuchte Ausbildungsmaßnahme objektiv geeignet war, seine Vermittlungsfähigkeit zu verbessern. Das LSG konnte ferner auch dahinstehen lassen, ob die (erforderliche) Kausalität zwischen einem etwaigen Beratungsfehler und der Teilnahme des Klägers an der Maßnahme festgestellt werden könnte, dh der Kläger nachweislich von der Teilnahme an der Aufstiegsfortbildung Abstand genommen hätte, wenn er auf die Gefahr eines Erlöschens des Anspruchs auf Alhi nach § 196 Satz 1 Nr 2 SGB III hingewiesen worden wäre.
Selbst bei einem (unterstelltem) Fehlverhalten der Beklagten kommt eine Korrektur im Wege des Herstellungsanspruchs jedenfalls deshalb nicht in Frage, weil ein Nachteilsausgleich auf ein gesetzwidriges Handeln des Leistungsträgers hinauslaufen würde (vgl BSG SozR 3-4100 § 249e Nr 4; BSGE 92, 267 = SozR 4-4300 § 137 Nr 1 jeweils RdNr 40). Der in diesem Zusammenhang von der Revision sinngemäß erhobene Einwand, die Rechtsprechung habe den Herstellungsanspruch bei der Versäumung von Ausschlussfristen zugelassen, greift im Ergebnis nicht durch (so bereits BSG SozR 4100 § 112 Nr 51). Denn die in den §§ 118, 119 SGB III geregelten tatsächlichen Anforderungen an die Arbeitslosigkeit schließen es aus, den – hier erforderlichen – Eintritt der Arbeitslosigkeit vor Ablauf der Erlöschensfrist im Wege des Herstellungsanspruchs in gesetzeskonformer Weise zu fingieren. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG war der Kläger während der gesamten Dauer der Teilnahme an der Bildungsmaßnahme weder objektiv noch subjektiv verfügbar (zur Verfügbarkeit während der Teilnahme an Bildungsmaßnahmen s auch BSG vom 24. April 1997 – 11 RAr 39/96 und vom 17. Juli 1997 – 7 RAr 12/96). Ohne das (Wieder-)Vorliegen von Arbeitslosigkeit des Antragstellers als Voraussetzung des Anspruchs auf Alhi vor Ablauf der Erlöschensfrist des § 196 SGB III kommt eine Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs indes nicht in Betracht. Eine weiter gehende Korrektur im Wege dieses richterrechtlich entwickelten Rechtsinstituts widerspräche dem Gesetzeszweck, weil eine Ersetzung von tatsächlichen Umständen, denen gestaltende Entscheidungen des Antragstellers zu Grunde liegen, in Abgrenzung zum Amtshaftungsanspruch ausgeschlossen ist. Insofern unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt nachhaltig von den Verhältnissen, die der Entscheidung des Senats vom 19. Januar 2005 – B 11a/11 AL 41/04 R – zu Grunde lagen (vgl auch schon BSG vom 29. September 1987 – 7 RAr 23/86 = BSGE 62, 179, 182 = SozR 4100 § 125 Nr 3). In der Entscheidung vom 19. Januar 2005 ist insbesondere darauf abgestellt worden, dass sich für die dort relevante Zeit der Bezug von Erziehungsgeld und Alhi nicht ausschließen und die Klägerin nicht auf eine Beendigung der Arbeitslosigkeit erst nach Ablauf der Erlöschensfrist verwiesen werden könne. Auch der 7. Senat des BSG hat zu der für den Alg-Anspruch geltenden Verfallsfrist (früher: § 125 Abs 2 AFG, jetzt: § 147 Abs 2 SGB III) in Fortführung und Abgrenzung zu seiner Entscheidung vom 29. September 1987 darauf hingewiesen, dass tatsächliche Gegebenheiten (dort der Bestand eines Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Verfallsfrist) idR nicht mit Hilfe des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs aus der Welt geschafft werden können (Urteil vom 21. März 1990 – 7 RAr 36/88 = BSGE 66, 258, 267 = SozR 3-4100 § 125 Nr 1 mwN).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen
Haufe-Index 1494936 |
SGb 2006, 227 |
info-also 2006, 174 |