Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzlicher Richter: Vorlagepflicht des BFH an den EuGH
Leitsatz (redaktionell)
1. Das Recht auf den gesetzlichen Richter ist verletzt, wenn ein nationales Gericht seiner Pflicht zur Anrufung des EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 234 EG nicht nachkommt, wobei das BVerfG die Auslegung und Anwendung von Zuständigkeitsnormen nur beanstandet, wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheinen und offensichtlich unhaltbar sind; dazu hat es Fallgruppen entwickelt.
2. Das Unterlassen eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 234 Abs. 3 EG hinsichtlich der Frage der Gültigkeit der Verordnungen (EWG) Nr. 2200/90 und (EG) Nr. 2496/97 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren von Silicium-Metall in den Jahren 1996 bis 1998 mit Ursprung in der Volksrepublik China verletzt nicht das Recht auf den gesetzlichen Richter.
3. Es liegt keine Rechtsprechung des EuGH zur Frage der Bedeutung der WTO-Mitgliedschaft des Ausfuhrlandes bei der Überprüfung einer Antidumpingverordnung am Maßstab der WTO-Übereinkommen vor. Diese Frage wird insbesondere nicht durch die Urteile des EuGH v. 7.5.1991 (Rs. C-69/89. Slg.1991, I-02069- Nakajima) und v. 10.3.1998 (Rs. C-364/95, Slg. 1998, I-1023 – T. Port) beantwortet.
Normenkette
GG Art. 101 Abs. 1 S. 2; EG Art. 234 Abs. 3; VO (EWG) 2423/88; VO (EWG) 2200/90 Art. 2 Abs. 5, Art. 13 Abs. 11; VO (EG) 384/96 Art. 6 Abs. 9, Art. 11 Abs. 2, 5, Art. 2 Abs. 7; VO (EG) 2496/97; GATT-Antidumpingkodex 1979; GATT-Subventionskodex Art. 15; WTO-GATT-Antidumpingkodex 1994
Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine unterlassene Vorlage des Bundesfinanzhofs an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) hinsichtlich der Gültigkeit der Verordnungen (EWG) Nr. 2200/90 und (EG) Nr. 2496/97 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren von Silicium-Metall mit Ursprung in der Volksrepublik China (Antidumpingverordnungen ≪EWG≫ Nr. 2200/90 und ≪EG≫ Nr. 2496/97; ABlEG Nr. L 345 vom 16. Dezember 1997, S. 1 ff. und ABlEWG Nr. L 198 vom 28. Juli 1990, S. 57 ff.).
Die Beschwerdeführerin, eine Spedition, ließ in der Zeit von Juli 1996 bis April 1998 Silicium zum freien Verkehr abfertigen. Da als Ursprungsland der Waren die Schweiz angegeben war und mit den Zollanmeldungen entsprechende Präferenznachweise vorgelegt wurden, erhob das Zollamt lediglich Einfuhrumsatzsteuer. Spätere Ermittlungen ergaben jedoch, dass das Silicium tatsächlich aus der Volksrepublik China stammte und die Schweizer Präferenznachweise zu Unrecht ausgestellt worden waren. Daraufhin erhob das Hauptzollamt Lörrach die bisher nicht erhobenen Einfuhrabgaben mit Steueränderungsbescheid vom 31. Januar 2000 nach und setzte Antidumpingzölle in Höhe von 23.163.167,82 DM beziehungsweise 11.843.139,65 € fest.
Hiergegen wendete sich die Beschwerdeführerin zunächst erfolglos vor dem Finanzgericht Baden-Württemberg. Sie hielt die Antidumpingverordnungen (EWG) Nr. 2200/90 und (EG) Nr. 2496/97, auf deren Grundlage die Antidumpingzölle festgesetzt worden waren, für rechtswidrig und regte an, die Frage ihrer Gültigkeit dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen. Zum einen verstießen die Antidumpingverordnungen (EWG) Nr. 2200/90 und (EG) Nr. 2496/97 gegen die Grundverordnungen (EWG) Nr. 2423/88 und (EG) Nr. 384/96 über den Schutz gegen gedumpte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Gemeinschaft gehörenden Ländern (Grundverordnungen [EWG] Nr. 2423/88 und [EG] Nr. 384/96; ABlEWG Nr. L 209 vom 2. August 1988, S. 1 ff. und ABlEG Nr. L 56 vom 6. März 1996, S. 1 ff.). Zum anderen seien sie beziehungsweise die Grundverordnungen (EWG) Nr. 2423/88 und (EG) Nr. 384/96 unvereinbar mit den Antidumpingregeln der Welthandelsorganisation (WTO).
Die daraufhin eingelegte Revision wurde durch das angegriffene Urteil des Bundesfinanzhofs vom 12. Juli 2007 als unbegründet zurückgewiesen. Der Bundesfinanzhof hatte keine Zweifel an der Gültigkeit der Antidumpingverordnungen (EWG) Nr. 2200/90 und (EG) Nr. 2496/97 und sah daher keine Verpflichtung, ein Vorabentscheidungsverfahren durchzuführen. Die Antidumpingverordnungen (EWG) Nr. 2200/90 und (EG) Nr. 2496/97 stünden im Einklang mit den Grundverordnungen (EWG) Nr. 2423/88 und (EG) Nr. 384/96. Letztere seien ihrerseits nicht wegen Verstoßes gegen die Antidumpingregeln der WTO ungültig.
Er begründete dies damit, dass sich ein Wirtschaftsteilnehmer bezüglich der Gültigkeit einer Antidumpingverordnung nicht darauf berufen könne, dass deren Vorschriften gegen die im Rahmen der WTO geschlossenen völkerrechtlichen Verträge (WTO-Übereinkommen) verstießen, wenn das Land, aus dem die gedumpten Einfuhren stammten, im Zeitpunkt der Einfuhren nicht WTO-Mitglied gewesen sei. Es sei nicht anzunehmen, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber die WTO-Übereinkommen auch bezüglich von Einfuhren aus Ländern, die nicht WTO-Mitglied gewesen seien, implementieren und zum Maßstab der Rechtmäßigkeit seiner Antidumpingverordnungen machen wollte.
Zu berücksichtigen sei nämlich, dass der Europäische Gerichtshof dem Streitbeilegungssystem der WTO grundsätzlich Vorrang vor einer Rechtmäßigkeitsprüfung von sekundärem Gemeinschaftsrecht durch die Gemeinschaftsgerichte einräume, denn der Europäische Gerichtshof sehe die Gefahr, dass den Legislativ- und Exekutivorganen der WTO-Mitglieder die Befugnis genommen würde, im Rahmen des Streitbeilegungsverfahrens auf dem Verhandlungsweg Lösungen zu erreichen, falls Gerichte mit den WTO-Übereinkommen unvereinbare innerstaatliche Rechtsvorschriften unangewendet ließen. Wenn aber die von den Antidumpingverordnungen (EWG) Nr. 2200/90 und (EG) Nr. 2496/97 betroffene Volksrepublik China mangels Mitgliedschaft in der WTO keine Möglichkeit gehabt habe, die Einleitung eines gegen die Europäische Gemeinschaft gerichteten Streitbeilegungsverfahrens zu beantragen, so könne erst recht nicht dem einzelnen Wirtschaftsteilnehmer die rechtliche Möglichkeit eingeräumt werden, eine gegen Einfuhren aus der Volksrepublik China gerichtete Antidumpingverordnung auf ihre Vereinbarkeit mit den WTO-Übereinkommen gerichtlich prüfen zu lassen.
Unabhängig von der Frage, ob sich die Beschwerdeführerin auf die Antidumpingregeln der WTO berufen könne, lägen die geltend gemachten Verstöße jedoch nicht vor.
Entscheidungsgründe
II.
Durch das mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Urteil des Bundesfinanzhofs sieht sich die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt. Sie macht geltend, durch die unterlassene Vorlage ihrem gesetzlichen Richter entzogen worden zu sein. Die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts herausgebildeten Fallgruppen, in denen die Vorlagepflichtverletzung zu einem Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG führe, seien allesamt einschlägig.
Dies gelte zunächst für die Fallgruppe der grundsätzlichen Verkennung der Vorlagepflicht. Der Bundesfinanzhof habe seine Nichtvorlage auf das für Fragen über die Gültigkeit sekundären Gemeinschaftsrechts nicht einschlägige Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 6. Oktober 1982 (Rs. 283/81, Slg. 1982, S. 3415 – CILFIT) gestützt. Die darin niedergelegten Ausnahmen von der Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 3 EG seien nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 6. Dezember 2005 nur auf Auslegungs-, nicht aber auf Gültigkeitsfragen anwendbar (Rs. C-461/03, Slg. 2005, I-10513 Rn. 19 – Gaston Schul).
Der Bundesfinanzhof sei außerdem bewusst von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur entscheidungserheblichen Frage abgewichen. Indem er ausführe, dass ein Wirtschaftsteilnehmer sich hinsichtlich der Gültigkeit einer Antidumpingverordnung nur dann auf die Antidumpingregeln der WTO berufen könne, wenn das Land, aus dem die gedumpten Einfuhren stammen, zur Zeit der Einfuhren WTO-Mitglied gewesen sei, weiche er von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ab. Das insoweit einschlägige Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 7. Mai 1991 (Rs. C-69/89, Slg. 1991, I-02069 – Nakajima) lasse eine solche Einschränkung nämlich nicht erkennen. Schließlich habe der Bundesfinanzhof seinen Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschritten.
III.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Sie hat weder grundsätzliche Bedeutung noch ist ihre Annahme – mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg – zur Durchsetzung des als verletzt gerügten grundrechtsgleichen Rechts der Beschwerdeführerin nach § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG angezeigt (BVerfGE 90, 22 ≪25 f.≫). Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist unbegründet. Das angegriffene Urteil des Bundesfinanzhofs entzieht die Beschwerdeführerin entgegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht ihrem gesetzlichen Richter.
1. Der Europäische Gerichtshof ist gesetzlicher Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Es stellt einen Entzug des gesetzlichen Richters dar, wenn ein deutsches Gericht seiner Pflicht zur Anrufung des Europäischen Gerichtshofs im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 234 Abs. 3 EG nicht nachkommt (BVerfGE 73, 339 ≪366 ff.≫; 75, 223 ≪233 ff.≫; 82, 159 ≪192 ff.≫).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellt allerdings nicht jede Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Vorlagepflicht zugleich einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dar. Denn das Bundesverfassungsgericht beanstandet die Auslegung und Anwendung von Zuständigkeitsnormen nur, wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheinen und offensichtlich unhaltbar sind (BVerfGE 82, 159 ≪194≫).
Dieser Willkürmaßstab wird auch angelegt, wenn eine Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Vorlagepflicht in Rede steht. So behält der Fachrichter bei der Auslegung und Anwendung von Gemeinschaftsrecht einen Spielraum eigener Einschätzung und Beurteilung, der demjenigen bei der Handhabung einfachrechtlicher Bestimmungen der deutschen Rechtsordnung entspricht. Das Bundesverfassungsgericht, das nur über die Einhaltung der Grenzen dieses Spielraums wacht, wird seinerseits nicht zum “obersten Vorlagenkontrollgericht” (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 9. November 1987 – 2 BvR 808/82 –, NJW 1988, S. 1456 ≪1457≫).
Im Rahmen dieser bundesverfassungsgerichtlichen Willkürkontrolle haben sich in der Rechtsprechung Fallgruppen herausgebildet, in denen die Vorlagepflichtverletzung zu einem Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG führt. Die Vorlagepflicht nach Art. 234 EG wird danach insbesondere in den Fällen unhaltbar gehandhabt, in denen ein letztinstanzliches Hauptsachegericht eine Vorlage trotz der – seiner Auffassung nach bestehenden – Entscheidungserheblichkeit der gemeinschaftsrechtlichen Frage überhaupt nicht in Erwägung zieht, obwohl es selbst Zweifel hinsichtlich der richtigen Beantwortung der Frage hegt (grundsätzliche Verkennung der Vorlagepflicht). Gleiches gilt in den Fällen, in denen das letztinstanzliche Hauptsachegericht in seiner Entscheidung bewusst von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu entscheidungserheblichen Fragen abweicht und gleichwohl nicht oder nicht neuerlich vorlegt (bewusstes Abweichen von der Vorlagebereitschaft).
Liegt zu einer entscheidungserheblichen Frage des Gemeinschaftsrechts einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs noch nicht vor oder hat eine vorliegende Rechtsprechung die entscheidungserhebliche Frage möglicherweise noch nicht erschöpfend beantwortet oder erscheint eine Fortentwicklung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht nur als entfernte Möglichkeit, wird Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nur verletzt, wenn das letztinstanzliche Hauptsachegericht den ihm in solchen Fällen notwendig zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschritten hat (Unvollständigkeit der Rechtsprechung). Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn mögliche Gegenauffassungen zu der entscheidungserheblichen Frage des Gemeinschaftsrechts gegenüber der vom Gericht vertretenen Meinung eindeutig vorzuziehen sind (BVerfGE 82, 159 ≪194 ff.≫). Zu verneinen ist in diesen Fällen ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG deshalb bereits dann, wenn das Gericht die entscheidungserhebliche Frage in zumindest vertretbarer Weise beantwortet hat.
In diesem Zusammenhang ist auch zu prüfen, ob sich das Gericht hinsichtlich des europäischen Rechts ausreichend kundig gemacht hat (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 9. Januar 2001 – 1 BvR 1036/99 –, NJW 2001, S. 1267 ≪1268≫). Zudem hat das Gericht die Gründe anzugeben, die dem Bundesverfassungsgericht eine Kontrolle am Maßstab des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ermöglichen (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 6. Dezember 2006 – 1 BvR 2085/03 –, NVwZ 2007, S. 197 ≪198≫).
2. Nach diesem Maßstab hat der Bundesfinanzhof das grundrechtsgleiche Recht der Beschwerdeführerin aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht verletzt. Dabei ist zwischen zwei möglichen Vorlagefragen zu unterscheiden, der Frage über die Gültigkeit der Antidumpingverordnungen (EWG) Nr. 2200/90 und (EG) Nr. 2496/97 und der sich dabei stellenden Vorfrage über die Auslegung der Antidumpingverordnungen (EWG) Nr. 2200/90 und (EG) Nr. 2496/97.
a) Im Hinblick auf die Frage über die Gültigkeit der Antidumpingverordnungen (EWG) Nr. 2200/90 und (EG) Nr. 2496/97 hat der Bundesfinanzhof die Vorlagepflicht entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht grundsätzlich verkannt. Er ging zutreffend davon aus, wegen fehlender Zweifel an der Gültigkeit der Antidumpingverordnungen (EWG) Nr. 2200/90 und (EG) Nr. 2496/97 kein Vorabentscheidungsverfahren durchführen zu müssen.
Nach der Rechtsprechung der Gemeinschaftsgerichte ist das letztinstanzliche Hauptsachegericht eines Mitgliedstaats nach Art. 234 Abs. 3 EG grundsätzlich verpflichtet, dem Europäischen Gerichtshof Fragen über die Gültigkeit sekundären Gemeinschaftsrechts vorzulegen. Da für die Akte sekundären Gemeinschaftsrechts die Vermutung ihrer Gültigkeit spricht (EuGH, Urteil vom 15. Juni 1994, Rs. C-137/92 P, Slg. 1994, I-2555 Rn. 48 – BASF), bedeutet dies aber nicht, dass das letztinstanzliche Hauptsachegericht gezwungen wäre, jedem bei ihm gestellten Antrag auf Vorlage einer Frage über die Gültigkeit sekundären Gemeinschaftsrechts stattzugeben (EuGH, Urteil vom 10. Januar 2006, Rs. C-344/04, Slg. 2006, I-403 Rn. 28 – IATA). Das letztinstanzliche Hauptsachegericht kann die Gültigkeit sekundären Gemeinschaftsrechts prüfen und, wenn es die von den Parteien vor ihm geltend gemachten Ungültigkeitsgründe für nicht zutreffend hält, diese Gründe mit der Feststellung zurückweisen, dass sekundäres Gemeinschaftsrecht in vollem Umfang gültig ist (EuGH, Urteil vom 21. Juni 2006, Rs. T-47/02, Slg. 2006, II-1779 Rn. 37 – Danzer – unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 22. Oktober 1987, Rs. 314/85, Slg. 1987, S. 4199 Rn. 14 – Foto Frost). Es muss allerdings vorlegen, wenn es von der Ungültigkeit sekundären Gemeinschaftsrechts ausgehen möchte (EuGH, Urteil vom 22. Oktober 1987, a.a.O., Rn. 15).
Nach dem von der Beschwerdeführerin angeführten Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 6. Dezember 2005 besteht die Vorlagepflicht auch dann, wenn der Europäische Gerichtshof vergleichbares sekundäres Gemeinschaftsrecht bereits für ungültig erklärt hat (a.a.O., Rn. 25). Anders als von der Beschwerdeführerin vorgetragen, kann daraus jedoch nicht geschlossen werden, dass eine Vorlagepflicht erst recht besteht, wenn wie im Ausgangsverfahren noch keine klare Rechtsprechung zur Gültigkeit der Antidumpingverordnungen (EWG) Nr. 2200/90 und (EG) Nr. 2496/97 vorliegt. Denn eine Vorlagepflicht für Fragen über die Gültigkeit sekundären Gemeinschaftsrechts besteht von vornherein nur, wenn das letztinstanzliche Hauptsachegericht eines Mitgliedstaats von der Ungültigkeit sekundären Gemeinschaftsrechts ausgehen möchte. Dies ist im Ausgangsverfahren – anders als im Verfahren, das dem Urteil vom 6. Dezember 2005 zugrunde lag – aber gerade nicht der Fall.
b) Bezüglich der Frage über die Auslegung der Antidumpingverordnungen (EWG) Nr. 2200/90 und (EG) Nr. 2496/97 wurde die Beschwerdeführerin ebenfalls entgegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht ihrem gesetzlichen Richter entzogen.
aa) Die Frage, ob sich ein Wirtschaftsteilnehmer hinsichtlich der Gültigkeit der Antidumpingverordnungen (EWG) Nr. 2200/90 und (EG) Nr. 2496/97 auch dann auf deren Unvereinbarkeit mit den WTO-Übereinkommen berufen kann, wenn das Land, aus dem die gedumpten Einfuhren stammen, im Zeitpunkt der fraglichen Einfuhren noch nicht WTO-Mitglied war, betrifft die Auslegung dieser Antidumpingverordnungen. Grundsätzlich überprüft der Europäische Gerichtshof sekundäres Gemeinschaftsrecht nur dann am Maßstab der WTO-Übereinkommen, wenn die Europäische Gemeinschaft eine bestimmte, im Rahmen der WTO übernommene Verpflichtung umsetzt, oder wenn das sekundäre Gemeinschaftsrecht ausdrücklich auf spezielle Bestimmungen der WTO-Übereinkommen verweist (EuGH, Urteil vom 23. November 1999, Rs. C-149/96, Slg. 1999, I-8395 Rn. 49 – Portugal/Rat – unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 7. Mai 1991, a.a.O., Rn. 31; EuGH, Urteil vom 22. Juni 1989, Rs. 70/87, Slg. 1989, S. 1781 Rn. 19 ff. – Fediol). Hauptanwendungsfall der ersten Alternative, der Umsetzung einer bestimmten, im Rahmen der WTO übernommenen Verpflichtung, ist das Antidumpingrecht (vgl. z.B. EuGH, Urteil vom 9. Januar 2003, Rs. C-76/00 P, Slg. 2003, I-79 Rn. 56 – Petrotub). Die Frage, welche Bedeutung die WTO-Mitgliedschaft des Ausfuhrlandes bei der Überprüfung einer Antidumpingverordnung am Maßstab der WTO-Übereinkommen hat, kann damit nur durch Auslegung der fraglichen Antidumpingverordnung, genauer gesagt des Willens des Gemeinschaftsgesetzgebers hinsichtlich der Umsetzung bestimmter Antidumpingregeln der WTO, beantwortet werden.
bb) Eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG liegt jedoch bereits deshalb nicht vor, weil die Frage über die Auslegung der Antidumpingverordnungen (EWG) Nr. 2200/90 und (EG) Nr. 2496/97 nicht entscheidungserheblich war. Da der Bundesfinanzhof die Vereinbarkeit der Antidumpingverordnungen (EWG) Nr. 2200/90 und (EG) Nr. 2496/97 beziehungsweise der Grundverordnungen (EWG) Nr. 2423/88 und (EG) Nr. 384/96 mit den Antidumpingregeln der WTO geprüft und verneint hat, hätte die Beantwortung dieser Frage zu keinem anderen Ergebnis des Ausgangsverfahrens geführt. Die vom Bundesfinanzhof festgestellte Vereinbarkeit mit den Antidumpingregeln der WTO greift die Beschwerdeführerin aber nicht an.
cc) Darüber hinaus ist der Bundesfinanzhof auch nicht bewusst von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs abgewichen. Es liegt keine Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Frage der Bedeutung der WTO-Mitgliedschaft des Ausfuhrlandes bei der Überprüfung einer Antidumpingverordnung am Maßstab der WTO-Übereinkommen vor. Diese Frage wird insbesondere nicht durch die Urteile des Europäischen Gerichtshofs vom 7. Mai 1991 (a.a.O.) und vom 10. März 1998 (Rs. C-364/95, Slg. 1998, I-1023 – T. Port) beantwortet.
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 7. Mai 1991 hat sich nicht zu der Frage geäußert, sodass entgegen dem Vorbringen der Beschwerdeführerin keine Rückschlüsse aus seinem Inhalt gezogen werden können. Das vom Bundesfinanzhof herangezogene Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 10. März 1998 hat die Anwendbarkeit von Art. 307 Abs. 1 EG unter Hinweis auf den nach Inkrafttreten des EG-Vertrags erfolgten Beitritts Ecuadors zum Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT) abgelehnt (a.a.O., Rn. 63 ff.). Da Art. 307 Abs. 1 EG die Konkurrenz von vorgemeinschaftlichen völkerrechtlichen Verträgen der Mitgliedstaaten mit dem EG-Vertrag regelt, kann aus dieser Feststellung indes nicht gefolgert werden, das GATT könnte sekundärem Gemeinschaftsrecht bei einem späteren Beitritt des fraglichen Drittstaats zur WTO grundsätzlich nicht entgegengehalten werden.
dd) Schließlich hätte der Bundesfinanzhof auch nicht wegen Unvollständigkeit der Rechtsprechung eine Vorabentscheidung herbeiführen müssen. Er hat sich mit dem grundlegenden Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 23. November 1999 (a.a.O.) auseinandergesetzt und dessen Begründung für die grundsätzliche Ablehnung der unmittelbaren Anwendbarkeit der WTO-Übereinkommen in der Gemeinschaftsrechtsordnung auf den vorliegenden Fall übertragen. Unter Annahme, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber keine Verpflichtung übernehmen wollte, die gar nicht bestand, und unter Hinweis auf den bestehenden Vorrang des Streitbeilegungssystems der WTO vor einer Rechtsmäßigkeitsprüfung sekundären Gemeinschaftsrechts durch die Gemeinschaftsgerichte hat er die entscheidungserhebliche Frage verneint. Dies stellt ein vertretbares Ergebnis dar.
Die Frage der Bedeutung der WTO-Mitgliedschaft des Ausfuhrlandes bei der Überprüfung einer Antidumpingverordnung am Maßstab der WTO-Übereinkommen ist in der rechtswissenschaftlichen Literatur kaum behandelt worden. Die von Eeckhout (European Anti-dumping Law and China, EIoP 1997, Nr. 7, http://eiop.or.at/eiop/texte/1997-007.htm) vertretene Gegenauffassung erscheint ebenfalls vertretbar, ist der Ansicht des Bundesfinanzhofs aber nicht eindeutig vorzuziehen.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Broß, Di Fabio, Landau
Fundstellen
Haufe-Index 2067477 |
HFR 2009, 177 |